Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch einer Gewerkschaft gegen eine Arbeitgeberin im Beschlussverfahren auf Unterlassung der Durchführung von Betriebsvereinbarungen und vom Betriebsrat unterstützten vertraglichen Einheitsregelungen, die zum Teil gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen, zum Teil aber auch „nur” tarifvertragliche Öffnungsklauseln überschreiten

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Gewerkschaft kann einen Anspruch gegen eine Arbeitgeberin im Beschlussverfahren auf Unterlassung der Durchführung von Betriebsvereinbarungen und vom Betriebsrat unterstützten vertraglichen Einheitsregelungen, die zum Teil gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen, zum Teil aber auch nur tarifvertragliche Öffnungsklauseln überschreiten, verfolgen.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BetrVG § 77 Abs. 3; BGB §§ 1004, 823; TVG § 3

 

Verfahrensgang

ArbG Ulm (Beschluss vom 26.07.2006; Aktenzeichen 7 BV 13/05)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen denBeschluss des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom26.07.2006 – 7 BV 13/05 – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde zugelassen.

 

Tatbestand

A.

Die im Betrieb der Arbeitgeberin/Antragsgegnerin/Beteiligten zu 2 (im Folgenden: „Arbeitgeberin”) vertretungsberechtigte Gewerkschaft/Antragstellerin/Beteiligte zu 1 (im Folgenden: „Gewerkschaft”) verlangt von dieser die Unterlassung der Anwendung bestimmter Betriebsvereinbarungen über die Arbeitszeitflexibilisierung und Gleitzeit in Bezug auf dort festgelegte bestimmte Arbeitszeitregelungen sowie die Unterlassung der Anwendung ergänzender arbeitsvertraglicher Regelungen über die Ableistung einer zusätzlichen Jahresarbeitszeit, die die Arbeitgeberin mit einem Großteil der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer am Standort B. W. abgeschlossen hat. Der Beteiligte zu 3 ist der im Betrieb der Arbeitgeberin bestehende Betriebsrat.

Im Betrieb der tarifgebundenen Arbeitgeberin findet u. a. der Manteltarifvertrag Baden-Württemberg Holz und Kunststoff in seiner jeweiligen Fassung (derzeit vom 12.02.2004; im Folgenden: „MTV” [Auszug Bl. 29 – 39 d. erstinstanzlichen Akte]) auf die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten ca. 1.200 Arbeitnehmer kraft Tarifbindung bzw. individual-rechtlicher Bezugnahme auf den Tarifvertrag Anwendung. Die Gewerkschaft ist im Betrieb der Arbeitgeberin vertreten.

Der MTV sieht u. a. folgende Regelung vor:

„…

§ 1 Geltungsbereich

Ergänzende Betriebsvereinbarungen:

Der Tarifvertrag regelt die Mindestbedingungen der Arbeitsverhältnisse. Bestimmungen, die keine abschließende oder keine vollständige Regelung enthalten, können durch Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ergänzt werden. Derartige Bestimmungen können nicht zu Ungunsten der Beschäftigten vom Tarifvertrag abweichen.

§ 5

I. Regelmäßige Arbeitszeit, Ruhepausen

1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt 35 Stunden, so lange keine andere Regelung durch Betriebsvereinbarung gem. § 5, II erfolgt.

§ 5

II. Abweichende Regelungen

Zulässig sind folgende von § 5, I abweichende – in Betriebsvereinbarungen – zu treffende Regelungen:

1. Flexible Arbeitszeiten mit Arbeitszeitkonten

  1. Für den ganzen Betrieb oder einzelne Betriebsabteilungen:

    Zwischen 0 und 40 Stunden in der Woche. Der Zeitausgleich zur tariflichen regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden erfolgt im Planungszeitraum von im Regelfall bis zu einem Jahr.

  2. Es ist für die Beschäftigten jeweils ein Arbeitskonto zu führen. Das persönliche Zeitsaldo ist zusammen mit der Entgeltabrechnung zu bestätigen. Die Abweichung von der tariflichen Soll-Wochenarbeitszeit darf für die einzelnen Beschäftigten nicht mehr als 100 Stunden Zeitguthaben bzw. 50 Stunden Zeitschuld betragen.
  3. Sind durch betriebsbedingte Notwendigkeiten ergänzende Betriebsvereinbarungen notwendig, so bedürfen diese zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Tarifvertragsparteien. Beschäftigungssichernde Elemente sind in die Betriebsvereinbarung einzubauen.

§ 5

III. Allgemeine Bestimmungen

3. Gleitzeit ist nur durch Betriebsvereinbarung zulässig.[1]

Zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat bestand eine Betriebsvereinbarung „BV – Nr. 03 – 05 … Rahmenbetriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung” (Bl. 194 ff. d. erstinstanzlichen Akte; im Folgenden: „BV Arbeitszeitflexibilisierung alt”) vom 18.07.2003 und eine Betriebsvereinbarung „BV – Nr. 03 – 06 … Betriebsvereinbarung zur Gleitenden Arbeitszeit [Gleitzeit] (Bl. 199 ff. d. erstinstanzlichen Akte; im Folgenden: „BV Gleitzeit alt”), bevor die Arbeitgeberin die Forderung aufstellte, auf Dauer die Personalkosten zu senken. Ende 2004 zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberin aufgenommene Gespräche scheiterten Ende März 2005. Am 14.06.2005 schlossen Arbeitgeberin und Betriebsrat eine „Rahmenvereinbarung zur Standortsicherung B. W. (Bl. 40 – 45 d. erstinstanzlichen Akte; im Folgenden: „Rahmenvereinbarung”) mit u.a. folgendem Inhalt:

„Rahmenvereinbarung zur Standortsicherung B. W.

Zwischen Vorstand / Geschäftführung und Betriebsrat der H. AG wird nachfolgende Vereinbarung abgeschlossen:

Prä...

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