Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelmäßige Beschäftigtenzahl bei Betrieb im Aufbau als Grundlage für § 23 Abs. 1 KSchG. Erhöhte Anforderungen an Auflösung nach § 9 KSchG bei langem Arbeitsverhältnis. Einheitliche Festsetzung der Abfindung mit einem Arbeitgeber. Abfindungsvoraussetzungen bei ruhendem Arbeitsverhältnis. Berücksichtigung von Boni bei der Berechnung einer Abfindung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch bei einem im Aufbau befindlichen Betrieb gibt es einen regelmäßigen Beschäftigtenbestand i.S.v. § 23 Abs. 1 KSchG. Steigt die Mitarbeiterzahl innerhalb von sieben Monaten über den Schwellenwert von § 23 Abs. 1 KSchG und kündigt die Arbeitgeberin dann Arbeitnehmern zum Zwecke der Betriebseinschränkung, ist für die Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke maßgeblich. Diese kennzeichnet die regelmäßige Beschäftigtenzahl. Anders ist dies nur dann, wenn von Beginn an geplant war, diese Belegschaftsstärke nur kurz zu überschreiten. Das Kündigungsschutzgesetz findet hingegen - wie hier - Anwendung, wenn es darum geht, den im Aufbau befindlichen aber erreichten und eigentlich beabsichtigten Beschäftigtenstand oberhalb der Grenze von § 23 Abs. 1 KSchG wieder zu reduzieren.

2. Haben Arbeitgeberin und Arbeitnehmer schon jahrelang ohne wesentliche Beanstandungen zusammengearbeitet, so werden regelmäßig Auflösungsgründe von größerem Gewicht erforderlich sein, um die Prognose zu rechtfertigen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist, als wenn es sich um einen Arbeitnehmer ohne erheblichen sozialen Besitzstand handelt, der schon wenige Monate nach Beendigung der Probezeit Auflösungsgründe setzt.

3. Bei der Bemessung der Abfindung ist ein arbeitsleistungsbezogener Bonus anteilig auf das Monatsgehalt umzulegen.

4. Die Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG kann in einem einheitlichen Arbeitsverhältnis in der Regel nur einheitlich festgesetzt werden. Bemessungsgrundlage, d.h. der Monatsverdienst i.S.d. § 10 Abs. 3 KSchG sind die Bezüge, die dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis insgesamt zustehen. Anders ist dies, wenn ein Arbeitnehmer - wie hier - zeitgleich zwei Arbeitsverhältnisse zu zwei verschiedenen Arbeitgeberinnen hat, die nicht als einheitliches Arbeitsverhältnis zu qualifizieren sind und von denen ein Arbeitsverhältnis ruht. Das ruhende Arbeitsverhältnis unterliegt eigenständig der Auflösung gemäß §§ 9, 10 KSchG. Es hat einen eigenen wirtschaftlichen Wert. Der Umstand, dass das ruhende Arbeitsverhältnis zum Auflösungszeitpunkt zunächst hätte "aktiviert" werden müssen, ist bei der Höhe der Abfindung für dieses Arbeitsverhältnis mindernd zu berücksichtigen.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 126, 133, 145, 154 Abs. 1, §§ 157, 249, 254, 280 Abs. 1, 3, §§ 283, 612a Abs. 1, § 613a Abs. 1, § 623; KSchG § 1 Abs. 1, §§ 2, 9 Abs. 1, § 10 Abs. 3, § 12 S. 1, § 23 Abs. 1; TzBfG § 14 Abs. 4, § 15 Abs. 2; ZPO § 256 Abs. 1, §§ 287, 533, 92 Abs. 1, § 100 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.11.2020; Aktenzeichen 4 Ca 1196/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.09.2022; Aktenzeichen 2 AZR 5/22)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufungen der beiden Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 03.11.2020 - 4 Ca 1196/20 - teilweise abgeändert und das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 1) zum 31.10.2019 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.854,16 Euro aufgelöst. Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 2) wird zum 31.10.2019 gegen Zahlung einer Abfindung von 5.312,50 Euro aufgelöst.

  • II.

    Auf die Anschlussberufung des Klägers wird die Beklagte zu 1) verurteilt, an den Kläger 8.333,33 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2020 zu zahlen.

  • III.

    Die weitergehenden Berufungen der Beklagten und die weitergehende Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.

  • IV.

    Die gerichtlichen Kosten erster Instanz werden dem Kläger zu 39 %, der Beklagten zu 1) zu 41 % und der Beklagten zu 2) zu 20 % auferlegt. Die gerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens des Klägers tragen der Kläger zu 32 % und die Beklagten zu 1) zu 51 % und die Beklagte zu 2) zu 17 %. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens der Beklagten zu 1) tragen der Kläger zu 20 % und die Beklagte zu 1) zu 80 %. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens der Beklagten zu 2) tragen der Kläger zu 57 % und die Beklagte zu 2) zu 43 %.

  • V.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen, die Auflösung der Arbeitsverhältnisse des Klägers sowie über Bonusansprüche.

Der am 26.07.1989 geborene Kläger wurde ab dem 01.10.2018 bei der Beklagten zu 2), die mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigte, als Manager T. & H. Projects beschäftigt, maßgeblich im Homeoffice. Der Arbeitsvertrag zwischen der Beklagten zu 2) und dem Kläger vom 29.08.2018, auf den weg...

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