Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilweise Parallelentscheidung zu LAG 7 Sa 795/18 v. 15.01.2019 sowie 9 Sa 799/18 v. 08.01.2019 u.a.. Auskunftsansprüche in Verhandlungen zum Interessenausgleich

 

Leitsatz (amtlich)

Ob eine Arbeitgeberin oder ein Arbeitgeber eine Massenentlassung vor oder nach der Erstattung der Massenentlassungsanzeige vorgenommen hat, hängt davon ab, wann die Kündigungsschreiben ihren oder seinen Machtbereich verlassen haben. Darauf, wann die Kündigungen unterzeichnet worden sind, kommt es nicht an (entgegen LAG Baden-Württemberg 21. August 2018 - 12 Sa 17/18).

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 613a; TV Personalvertretung für das Cockpitpersonal von Air Berlin § 74 Abs. 1; KSchG § 17; BGB §§ 242, 130 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.07.2018; Aktenzeichen 24 Ca 1201/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.02.2020; Aktenzeichen 6 AZR 270/19)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. Juli 2018 - 24 Ca 1201/18 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsstilllegung sowie über Ansprüche auf Auskunftserteilung.

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Berlin PLC Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin).

Der Kläger (im Folgenden: klagende Partei) verfügt über eine Typenberechtigung für Flugzeuge der Airbus 320-Familie (A319, A320 und A321) und war seit dem 1. Mai 2011 bei der Schuldnerin als Copilot (Erster Offizier) gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt ...... Euro beschäftigt. Zunächst war er in Düsseldorf und ab dem 1. April 2017 in Köln stationiert.

Bei der Schuldnerin handelte es sich bis zur Anmeldung der Insolvenz im August 2017 um die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft mit Sitz in Berlin. Unter ihrem Luftverkehrsbetreiberzeugnis (Air Operator Certificate, AOC) flog sie von ihren Drehkreuzen Düsseldorf und Berlin-Tegel mit Flugzeugen der Airbus 320-Familie und des Typs Airbus 330 hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie Nordafrika und Israel an. Interkontinental bediente sie Städte in Nord- und Mittelamerika. Außerdem war sie alleinige Eigentümerin ua. der Ferienfluggesellschaft N. Luftfahrt GmbH (im Folgenden: N.) mit Sitz in Wien. Das fliegende Personal der Schuldnerin war in Deutschland an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf, München, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart, Leipzig, Köln, Hamburg und Paderborn stationiert.

Die Flugzeuge der Airbus 320-Familie wurden für die Kurz- und Mittelstrecken eingesetzt und die Flugzeuge des Typs Airbus 330 für die Langstrecken. Die Flugzeuge standen nicht im Eigentum der Schuldnerin, sondern waren über verschiedene Vertragspartner*innen geleast. Im August 2017 hatte die Schuldnerin insgesamt etwa 151 Flugzeuge im Einsatz. Außerdem verfügte sie über die dafür erforderlichen Slots. Slots (Zeitnischen) berechtigen ein Luftfahrtunternehmen an einem Flughafen, dessen Kapazitäten eine Koordinierung erforderlich machen (koordinierter Flughafen), an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit zu starten oder zu landen. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte, die den Luftfahrunternehmen nach Maßgabe der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 vom 18. Januar 1993 (ABl. L 14 S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 793/2004 vom 21. April 2004 (ABl. L 138 S. 50), (Slotzuweisungs-Verordnung) jeweils für eine Flugplanperiode (Sommer- oder Winterflugplan) zugewiesen werden. Einem Luftfahrtunternehmen zugewiesene Slots werden ihm grundsätzlich auch für den nächstjährigen Flugplan zugewiesen, sofern es die Slots zu 80 % genutzt hat.

Im August 2017 beschäftigte die Schuldnerin insgesamt 6.121 Arbeitnehmer*innen (im Folgenden: Beschäftigte), davon 1.318 im Bereich Cockpit, 3.362 im Bereich Kabine und 1.441 am Boden. Das Bodenpersonal arbeitete zum ganz überwiegenden Teil in der Firmenzentrale in Berlin, wo die Flugpläne erstellt und der Flugbetrieb geleitet wurde. Für das Cockpitpersonal war nach § 117 Abs. 2 BetrVG auf der Grundlage des Tarifvertrags Personalvertretung für das Cockpitpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG vom 20. Dezember 2012 (im Folgenden: TV PV) eine Personalvertretung (im Folgenden: PV Cockpit) mit Sitz in Berlin gebildet. Ob die PV Cockpit darüber hinaus auch über Büroräumlichkeiten an der Station Düsseldorf verfügte und diese stets personell besetzt waren, wie die klagende Partei behauptet, ist zwischen den Parteien streitig. Für das Kabinenpersonal und das Bodenpersonal bestanden jeweils gesonderte Beschäftigtenvertretungen.

Nach Maßgabe der Luftverkehrsbestimmungen für den Flugbetrieb beschäftigte die Schuldnerin für den Erhalt des AOC unverzichtbar verantwortliche Beschäftigte (nominated persons), die ausnahmslos in Berlin tätig waren. In der Berliner Zentrale wurden auch die Umlaufpläne für die Flugzeuge und die Be...

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