Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit von Klageerweiterungen im Berufungsverfahren. Neue Kündigungsschutzanträge als Klageerweiterung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Kündigungsschutzantrag, mit dem im Berufungsverfahren erstmalig eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochene Kündigung angegriffen wird, ist eine nur unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässige Klageerweiterung. Dies gilt auch bei einem erstinstanzlich gestellten und im Berufungsverfahren weiter verfolgten allgemeinen Fortbestehensantrag.

 

Normenkette

ZPO §§ 256, 301, 307, 533; KSchG §§ 4, 6; ZPO §§ 263-264

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 29.03.2019; Aktenzeichen 25 Ca 2366/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.12.2021; Aktenzeichen 6 AZR 154/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. März 2019 - 25 Ca 2366/18 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 27.01.2018, der Klagepartei zugegangen am 27.01.2018, nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin zu 1/10 und der Beklagte zu 9/10 zu tragen.

Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz hat die Klägerin zu 54/100 und der Beklagte zu 46/100 zu tragen. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten hat die Klägerin zu 14/100 zu tragen. Im Übrigen hat sie der Nebenintervenient selbst zu tragen.

III. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Kündigungen.

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A Berlin PLC & Co Luftverkehrs KG, über deren Vermögen am 1. November 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die 1967 geborene, zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist seit 23. März 1991 bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängerinnen als Flugbegleiterin gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 2.067,85 Euro beschäftigt. Der Beklagte erklärte die Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses mit Schreiben vom 27. Januar 2018 zum 30. April 2018, hilfsweise nächstmöglich.

Mit ihrer am 15. Februar 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen diese Kündigung gewandt und u.a. dem vormaligen Generalbevollmächtigten den Streit verkündet. Auf die Ausführungen der Klägerin zur Klagebegründung wird Bezug genommen (s. Bl. 1-48, 323-493, 611-816 d.A).

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 27.01.2018, der Klagepartei zugegangen am 27.01.2018, nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände, insbesondere weitere Kündigungen, aufgelöst worden ist;

3. den Beklagten zu verurteilen, die Klagepartei bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Flugbegleiterin auf den Mustern der A 320 Familie / A 330 im Flugbetrieb der Insolvenzschuldnerin weiter zu beschäftigen;

für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1)

4. den Beklagten zu verurteilen, an die Klagepartei einen Nachteilsausgleich zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;

5. den Beklagten zu verurteilen, das Angebot der Klagepartei auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages ab dem 01.05.2018 zu den bislang bestehenden vertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen zwischen der Klagepartei und der Insolvenzschuldnerin gemäß Arbeitsvertrag mit Beschäftigungsdatum 23.03.1991 und einer Betriebszugehörigkeit seit dem 23.03.1991 anzunehmen;

äußerst hilfsweise für den Fall des Unterliegens zu Ziffer 3)

6. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei einen Nachteilsausgleich als Neumasseverbindlichkeit zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird

7. den Beklagten zu verurteilen, der Klagepartei in Textform Auskunft zu erteilen, welchem Betriebsteil die Klagepartei zugeordnet war und auf wen dieser Betriebsteil unter Angabe des Zeitpunkts des Übergangs, unter Nennung des Grundes und der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen übergegangen ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat geltend gemacht, die Kündigung vom 27. Januar 2018 sei wirksam, die weiter geltend gemachten Ansprüche bestünden nicht. Auf die Ausführungen des Beklagten wird Bezug genommen (s. Bl. 63-193, 208-322, 499-602 d.A.).

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage nach mündlicher Verhandlung am 29. März 2019 durch Urteil vom 29. März 2019 insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei aufgrund der erfolgten Stilllegung des Betriebes durch betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt, die erforderliche Massenentlassungsanzeige sei ordnungsgemäß erfolgt und die Personalvertretung hinreichend beteiligt worden, sonstige Unwirksamkeitsgründe stünden der Kündigung nicht entgegen. Der allgemeine Festste...

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