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Bei dem Wort "benötigen" handelt sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff dergestalt, dass der Vermieter die Wohnung zur Vermeidung von anderweitigen Nachteilen braucht. Das setzt nicht voraus, dass der Vermieter oder eine der sonstigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 genannten privilegierten Personen in der gekündigten Wohnung seinen bzw. ihren Lebensmittelpunkt begründen will, sodass auch wegen Eigenbedarfs an einer Zweitwohnung (Ferienwohnung) gekündigt werden kann (BGH, Beschluss v. 21.8.2018, VIII ZR 186/17, GE 2019, 50; BGH, Beschluss v. 22.8.2017, VIII ZR 19/17, ZMR 2018, 204).
Andererseits reicht lediglich der Wunsch und Wille, die Wohnung für sich oder andere berechtigte Personen zu nutzen, nicht aus. Der Vermieter muss vielmehr einen ernsthaften, vernünftigen und nachvollziehbaren Erlangungswunsch haben (vgl. grundlegend BGH, Rechtsentscheid v. 20.1.1988, VIII ARZ 4/87, BGHZ 103, 91; aus verfassungsrechtlicher Sicht: BVerfG, Urteil v. 14.2.1989, 1 BvR 308/88, NJW 1989, 970). Dabei ist im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG der Wille des Eigentümers zu respektieren. Das Gericht darf nicht seine oder allgemeine Vorstellungen zum Bedarf an die Stelle derjenigen des Vermieters setzen (BVerfG, Beschluss v. 23.11.1993, 1 BvR 904/93, NJW 1994, 435, 436). Notfall, Mangel oder eine Zwangslage müssen nicht vorliegen (BVerfG, Beschluss v. 11.11.1993, 1 BvR 696/93, NJW 1994, 309). Schon eine im Verhältnis zum bisherigen Wohnort des Vermieters deutliche Verkürzung des Schulwegs seiner haushaltszugehörigen Kinder kann eine Eigenbedarfskündigung rechtfertigen (BGH, Urteil v. 2.9.2020, VIII ZR 35/19, NJW 2021, 620).
Nebeneinander liegende Wohnungen
Hat der Vermieter 2 nebeneinander liegende vermietete Wohnungen mit dem Ziel erworben, die Mietverhältnisse zu beenden, beide Wohnungen zusammenzulegen und sie fortan selbst als Familienwohnung zu nutzen, so kann dies eine Eigenbedarfskündigung rechtfertigen (LG Berlin, Urteil v. 9.5.2018, 64 S 176/17, GE 2018, 1001).
Ein vernünftiger und nachvollziehbarer Grund für eine Eigenbedarfskündigung liegt auch vor, wenn der Vermieter aus einer größeren Mietwohnung in seine eigene kleinere Wohnung umziehen will (AG Norderstedt, Urteil v. 5.6.2020, 41 C 81/19, ZMR 2020, 767) oder seine Mutter im eigenen Haus wohnen lassen will, die beabsichtigt, aus einer größeren und teureren (Eigentums-)Wohnung (wenn auch in besserer Wohnlage) auszuziehen (AG Berlin-Tiergarten, Urteil v. 13.1.2011, 8 C 66/10, GE 2011, 617).
Die Eigenbedarfskündigung kann berechtigt sein, wenn der Vermieter die Absicht hat, regelmäßig mehrfach aus beruflichen Gründen sich in der gekündigten Wohnung aufzuhalten und nicht mehr auf eine Unterkunft im Hotel oder bei privaten Bekannten angewiesen sein möchte. Ein berechtigtes Erlangungsinteresse liegt auch dann vor, wenn der Vermieter wegen seiner Heirat und aus beruflichen Gründen eine größere Wohnung benötigt (LG München I, Urteil v. 12.4.1989, 14 S 20968/88, WuM 1989, 296).
Eine Eigenbedarfskündigung ist auch bereits vor der Geburt des Kindes zulässig, wenn sie auf den durch die Geburt bedingten höheren Wohnbedarf gestützt wird, und zwar auch dann, wenn die Räume nicht nur durch das Kind allein, sondern auch durch den Vermieter genutzt werden sollen (AG Magdeburg, Urteil v. 21.1.1999, 15 C 3979/98, DWW 1999, 125 ff.). Dazu gehört auch, dass der Vermieter wegen der Adoption eines Kleinkindes und der beabsichtigten Annahme eines weiteren Kindes im Hinblick auf die mit einem Leben auf 2 Etagen (3. und 4. OG) verbundene Erschwernis im Alltag – um von der einen in die andere Wohnung zu gelangen, muss der Vermieter das Treppenhaus benutzen – kündigt, insbesondere wenn er es wegen der Beaufsichtigung und Betreuung des Kindes sowie seiner Integration in das Familienleben für richtig hält, sämtliche Räume zu einer Wohnungseinheit auf einer Ebene (3. OG) zusammenzulegen (BVerfG, Beschluss v. 23.12.1993, 1 BvR 853/93, GE 1994, 209).
Ein vernünftiger und nachvollziehbarer Grund für die Kündigung wegen Eigenbedarfs kann auch dann vorliegen, wenn die Tochter des Vermieters eine Wohnung von knapp 80 m2 (einschließlich Gästezimmer) nutzen will (LG Potsdam, Urteil v. 25.2.1999, 31 S 188/98, GE 1999, 647), zumal wenn sie im Kinderzimmer der elterlichen Wohnung unzureichend mit eigenem Wohnraum versorgt ist (LG Essen, Urteil v. 23.3.1999, 15 S 448/98, WuM 2000, 357).
Ein ernsthafter, vernünftiger und nachvollziehbarer Erlangungswunsch kann jedoch dann nicht anerkannt werden, wenn Eigenbedarf hinsichtlich einer 120 m2 großen Wohnung für die 21-jährige Tochter des Vermieters geltend gemacht wird, die darin zunächst alleine wohnen will und als Auszubildende nur über ein geringes Einkommen und Vermögen verfügt (LG Berlin, Urteil v. 20.1.2021, 64 S 50/20, GE 2021, 248; AG Berlin-Köpenick, Urteil v. 17.9.2013, 14 C 16/13, WuM 2013, 678). Ein Eigenbedarf an der vermieteten Wohnung zugunsten der Tochter des Vermieters kann ohne Darlegung der aktuellen Wohnverhältnisse der T...