Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur verfassungsmäßigen Auslegung des "berechtigten Interesses" des Vermieters bei Eigenbedarfskündigung. Beachtung der Eigentumsgarantie. Abwägung der Mieterinteressen

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 564b Abs 2 Nr 2 BGB ist im Hinblick auf Art 14 Abs 1 Satz 1 GG dahin auszulegen, daß die Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohnbedarf grundsätzlich zu achten ist.

 

Orientierungssatz

1. Das Kündigungsrecht des Vermieters von Wohnraum kann ohne Verfassungsverstoß von einem berechtigten Interesse (Eigenbedarf) abhängig gemacht werden (Festhaltung BVerfG, 1985-01-08, 1 BvR 792/83 ua, BVerfGE 68, 361 ≪367ff≫). Die Anwendung des einfachen Rechts, nach der dieser Schutz dem vertragstreuen Mieter unabhängig von seiner individuellen Situation gewährt wird, die konkreten Interessen des Mieters jedoch nicht schon im Rahmen von BGB § 564b Abs 1, Abs 2 Nr 2, sondern erst bei der Prüfung der Sozialklausel (BGB § 556a) zu berücksichtigen sind (vgl BGH, 1988-01-20, VIII ARZ 4/87, BGHZ 103, 91) steht mit der Verfassung in Einklang (vgl auch BVerfG, 1988-06-24, 1 BvR 736/88, NJW 1988, 2233).

2. Eine Auslegung von BGB § 564b Abs 2 Nr 2, welche dem Eigentümer das Kündigungsrecht allein deshalb versagt, weil er den Bedarfsgrund willentlich herbeigeführt hat, ist grundsätzlich nicht zulässig. Sie würde die Befugnis des Eigentümers mißachten, sein Leben unter Gebrauch seines Eigentums so einzurichten, wie er dies für richtig hält. Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswunsches ist allerdings nachzugehen; vorgeschobene Kündigungen verdienen keinen Schutz.

3. Eine Eigenbedarfskündigung ist nicht schon dann mißbräuchlich, wenn dem Eigentümer eine oder mehrere andere frei gewordene Wohnungen zur Verfügung stehen. Auch dann ist der Nutzungswunsch des Vermieters grundsätzlich zu achten, wenn er vernünftige und nachvollziehbare Gründe für diesen Wunsch anführen kann (vgl BGH, 1988-01-20, VIII ARZ 4/87, BGHZ 103, 91). Allerdings kann das Gericht in gewissen Grenzen (vgl BVerfG, 1988-01-18, 1 BvR 787/87, ZMR 1988, 129 ≪130≫) unter Mißbrauchsgesichtspunkten prüfen, ob mit dem Erlangungswunsch ein "weit überhöhter Wohnbedarf" geltend gemacht wird.

4. Das Eigentumsgrundrecht des Vermieters ist nicht verletzt, wenn einer Eigenbedarfskündigung die Wirksamkeit versagt wird, weil die Eigenbedarfslage bereits bei Abschluß des Mietvertrages vorlag und die Kündigung zweieinhalb Jahre nach Abschluß des Mietvertrages erfolgte (vgl auch die Regelung befristeter Mietverträge in BGB § 564c Abs 2).

5. Die grundrechtliche Eigentumsverbürgung, die durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet ist (vgl BVerfG, 1979-06-12, 1 BvL 19/76, BVerfGE 52, 1 ≪30≫), enthält Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

6. Zur Verfassungsmäßigkeit und Auslegung von BGB § 564b Abs 2 Nr 3 vgl BVerfG, 1989-02-14, 1 BvR 1131/87.

 

Normenkette

GG Art. 14 Abs. 1 Sätze 1-2; BGB § 564b Abs. 1, 2 Nr. 2, §§ 556a, 242, 564c Abs. 2 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Entscheidung vom 29.01.1988; Aktenzeichen 6 S 310/87)

LG Köln (Entscheidung vom 21.01.1988; Aktenzeichen 1 S 319/87)

LG Gießen (Entscheidung vom 06.01.1988; Aktenzeichen 1 S 507/87)

AG Friedberg (Hessen) (Entscheidung vom 26.08.1987; Aktenzeichen C 254/87)

 

Fundstellen

Haufe-Index 543664

BVerfGE 79, 292-310 (Leitsatz und Gründe)

BVerfGE, 292

DB 1989, 570-572 (Leitsatz und Gründe)

NJW 1989, 970-972 (Leitsatz und Gründe)

EuGRZ 1989, 125-130 (Leitsatz und Gründe)

RWP 1989, 1179 (Gründe)

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