Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen kann vereinbart werden. Dies ist so auszulegen, daß die freiwillige Regelung wie ein Gegenstand, der der zwingenden Mitbestimmung unterliegt, zu behandeln ist. Der Vereinbarung wird jedoch die Grundlage entzogen, wenn der Arbeitgeber die Leistung in vollem Umfang und ersatzlos streichen will.

 

Normenkette

BetrVG § 76 Abs. 6, § 87 Abs. 1 Ziff. 10, § 88

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.02.1994; Aktenzeichen 7 BV 303/93)

 

Tenor

Die Beschwerde das Arbeitgebers gegen denBeschluß desArbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 1994 – 7 BV 303/93 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbesbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung.

Der Arbeitgeber beschäftigt in zwei Betrieben in F. und O. mehrere hundert Arbeitnehmer. Von den in beiden Betrieben jeweils gebildeten Betriebsräten wurde der antragstellende Gesamtbetriebsrat errichtet. Der Arbeitgeber ist nicht tarifgebunden. Die Tarifverträge der hessischen Metallindustrie werden jedoch von ihm angewandt.

Am 21.01.1981 schlossen die Beteiligten eine Betriebsvereinbarung über soziale Leistungen (Bl. 6 – 14 d. A.), in der eine Sonderzahlung, Heirats- und Geburtsbeihilfen, ein Jubiläumsgeld, ein Urlaubsgeld, der Arbeitgeberanteil zur Kranken- und zur Befreiungsversicherung, vermögenswirksame Leistungen, Freistellungen zwecks Fortbildung, eine Unfallversicherung, eine Reisegepäckversicherung, Flugversicherungen, die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall, Unterstützung im Todesfall, Altersversorgung, zusätzlicher Urlaub für langjährige Betriebs Zugehörigkeit, bezahlte Freizeit in Sonderfällen sowie ein Essenszuschuß geregelt sind. Außerdem heißt es unter Punkt 19:

„19. Feiertage

Neben den gesetzlichen Feiertagen gewährt der V bezahlte Freizeit von

  1. je einem Tag an Heiligabend und Silvester
  2. je einem freien Machmittag (4 Stunden) am Fastnachtsdienstag und am Pfingstdienstag für die in F. und O. tätigen Beschäftig ten des V.”

Weiterhin heißt es:

„21. Vorbehalt der Freiwilligkeit

21.1 Diese Leistungen werden, soweit sie nicht auf Gesetz oder Tarifvertrag beruhen, vom V unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für ihre zukünftige Erbringung gewährt.

Kürzungen dieser Leistungen können nur nach Anhörung des Gesamtbetriebsrates vorgenommen werden.

21.2 In Notfällen können nach dem Ermessen des V und nach Anhörung des zuständigen Betriebsrates besondere Beihilfen gewährt werden. Sie erfolgen auf der Basis reiner Freiwilligkeit und begründen keinerlei Anspruch auf ihre Gewährung in anderen Fällen.

22 Schlußbestimmungen

22.1 Diese Betriebsvereinbarung tritt am 01. Januar 1981 in Kraft. Mit Wirksamwerden dieser Betriebsvereinbarung tritt die Betriebsvereinbarung vom 01.01.1977 außer Kraft.

22.2 Die Betriebsvereinbarung kann von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten jeweils zum 30.06. oder 31.12. jeden Jahres, erstmals zum 31.12.1985 gekündigt werden. Die Kündigung bedarf der Schriftform.

22.3 Die gekündigte Betriebsvereinbarung gilt bis zum Abschluß einer neuen weiter.”

Am 15.07.1993 kündigte der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung. In der Kündigung erklärte er, er werde die bezahlte Freizeit am Fastnachtsdienstag und Pfingstdienstag Nachmittag und am Heilig Abend und Silvester Vormittag nicht mehr gewähren. Der Kündigung vorausgegangen war ein Streit der Beteiligten im Frühjahr 1993 darüber, ob die in Ziff. 19 geregelten zusätzlichen freien Tage weitergewährt würden. Der Gesamtbetriebsrat widersprach der Auffassung des Arbeitgebers, die Regelung in Ziff. 19 sei aufgrund des in Ziff. 21.1 der Betriebsvereinbarung vorbehaltenen Widerrufs durch den Arbeitgeber weggefallen, statt dessen würde nunmehr den Beschäftigten eine Sondererhöhung des Gehaltes gezahlt. Diesen Streit legten die Beteiligten in einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht Frankfurt (8 BVGa 29/93 vom 28.05.1993) bei.

Der Gesamtbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, daß die Betriebsvereinbarung nachwirke, da dies vereinbart sei. Insoweit komme es nicht darauf an, daß die Betriebsvereinbarung sowohl Regelungen enthalte, die der zwingenden als auch solche, die der freiwilligen Mitbestimmung unterlägen. Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt,

festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung über soziale Leistungen vom 21.01.1981 nach Kündigung durch den Beklagten vom 15.07.1993 bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung über soziale Leistungen fortwirkt.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber hat gemeint, Ziff. 19 der Betriebsvereinbarung wirke nicht nach, da die Nachwirkungsvereinbarung insoweit unwirksam sei. Er müsse auch in der Lage sein, sich von der Zusage der freiwilligen Leistungen lösen zu können. Es bestehe die Gefahr, daß eine solche Betriebsvereinbarung ständig fortgelte, wenn der Gesamtbetriebsrat einer Änderung ...

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