Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung mit anwaltlichen Honoraransprüchen gegen Steuerforderungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Steuerpflichtiger kann gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen.

2. Eine Forderung ist auch dann nicht unbestritten, wenn sie zu einer Zeit, in welcher sie noch nicht verjährt war, dem Schuldner noch gar nicht bekannt war.

3. Durch § 226 Abs. 3 AO soll verhindert werden, dass die Geltendmachung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch Vorschützen von ungewissen oder zweifelhaften Gegenforderungen aufgehalten wird.

4. Die Voraussetzungen des § 226 Abs. 3 AO müssen auch im Zeitpunkt der gegenseitigen Unverjährtheit schon erfüllt sein, um die Aufrechnung zu ermöglichen.

 

Normenkette

AO § 226; BGB §§ 215, 387-388, 390; RVG § 55; AO § 47

 

Nachgehend

BFH (Aktenzeichen VII R 7/21)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger mit Vergütungsansprüchen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gegenüber Ansprüchen der Landeskasse Nordrhein-Westfalen (NRW) aus den Einkommensteuer- und Umsatzsteuerfestsetzungen 2016 aufrechnen kann.

Die Kläger reichten ihre Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen 2016 mit Schreiben vom 17.05.2018 beim Beklagten ein. Dabei erklärten sie die Aufrechnung mit Vergütungsansprüchen in Höhe von 829,12 € nach dem RVG aus dem Verfahren vor dem Amtsgericht G (Az. 1). Der Kläger hatte die Forderung am 09.10.2017 geltend gemacht. Mit Beschluss des Amtsgerichts G vom 19.01.2018 wurde der Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen (s. Bl. 19f. d. elektronischen Gerichtsakte). Mit Schreiben vom 30.07.2018 bestätigte das Amtsgericht G dem Kläger, dass „Sie gegen die Staatskasse in dem vorgenannten Verfahren einen Vergütungsanspruch i.H.v. 829,12 € hatten, der am 02.01.2017 verjährt ist” (s. Bl. 26 d. elektronischen Gerichtsakte).

Am 07.08.2018 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Aufrechnung mit einem Vergütungsanspruch in Höhe von 99,96 € aus dem Verfahren vor dem Amtsgericht M (Az. 2). Dem lag ein Berechtigungsschein für Beratungshilfe vom 22.03.2013 zu Grunde (s. Bl. 27 d. elektronischen Gerichtsakte). Das Amtsgericht M teilte dem Kläger mit Schreiben vom 07.12.2017 mit, dass der Vergütungsanspruch verjährt sei. Die Sache sei dem Bezirksrevisor zur Erhebung der Einrede der Verjährung vorzulegen. Nachdem der Kläger um Bestätigung der Forderung am 07.08.2018 gebeten hatte, erhob die Bezirksrevisorin des Landgerichts G entsprechend am 25.09.2018 die Einrede der Verjährung. Sodann wurde der Kostenfestsetzungsantrag des Klägers mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 27.09.2018 zurückgewiesen, da der Anspruch seit dem 02.01.2017 verjährt sei (s. Bl. 32f. d. elektronischen Gerichtsakte).

Mit Schreiben vom 08.06.2018 und vom 24.08.2018 wies der Beklagte die beiden Aufrechnungserklärungen zurück, da die Ansprüche gegenüber der Landeskasse auf Grund der Einrede der Verjährung nicht unbestritten oder rechtskräftig festgestellt worden seien (§ 226 Abs. 3 der AbgabenordnungAO –). Zur Begründung verwies der Beklagte auf die Urteile des Hessischen Finanzgerichts vom 02.09.2009 (Az. 8 K 2080/08, juris) und des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalts vom 21.06.2016 (Az. 1 K 1368/15, juris).

Nach der Abrechnungsverfügung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom 01.10.2018 betrug der Steueranspruch 1.336,38 €. Die Abrechnungsverfügung betreffend die Umsatzsteuer 2016 wies einen Steueranspruch in Höhe von 953,82 € aus.

Auf Antrag der Kläger erteilte der Beklagte am 16.10.2018 einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO, mit dem er den Aufrechnungserklärungen wiedersprach (Bl. 35ff. d. elektronischen Gerichtsakte). Zwar hätten sich die Vergütungsansprüche und die Steueransprüche an einem Tag aufrechenbar gegenübergestanden, jedoch stehe einer wirksamen Aufrechnung § 226 Abs. 3 AO entgegen. Dementsprechend wies der Bescheid für die Einkommensteuer 2016 (Bescheid vom 01.10.2018) ein offenes Soll in Höhe von 1.100 € aus, zzgl. Zinsen zur Einkommensteuer 2016 in Höhe 33 € und römisch-katholischer Kirchensteuer in Höhe von 118,38 €; hinzu kam ein offenes Soll für einen Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2016 in Höhe von 85,00 €. Für die Umsatzsteuer 2016 nebst Säumniszuschlägen stellte der Bescheid jeweils ein offenes Soll von 0,00 € aufgrund einer Zubuchung von Einkommensteuern 2017 aus.

Die Kläger zahlten die restliche Gesamtschuld in Höhe von 1.336,38 € am 02.11.2018 unter Vorbehalt (s. S. 2 d. Klageschrift).

Mit ihrem gegen den Abrechnungsbescheid vom 16.10.2018 eingelegten Einspruch trugen die Kläger vor, dass nach § 226 Abs. 1 AO die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sinngemäß anzuwenden seien. Daher könne selbst bei verjährten Ansprüchen die Aufrechnung erklärt werden, wenn die Ansprüche in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen seien, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte (§ 215 BGB). Dies sei am 01.01.2017 der Fall gewesen. Daher sei das ...

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