Die Frage, ob es einer Sorgerechtsübertragung zugunsten eines Elternteils bedarf, wenn die Erteilung einer Vollmacht zugunsten des Obhutselternteils in Betracht kommt, war Gegenstand einer kontroversen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur. Teilweise wurde eine solche Möglichkeit abgelehnt,[13] von einer bestehenden Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Eltern[14] oder auch einer sozialen Beziehung des Kindes zu dem bevollmächtigten Elternteil abhängig gemacht.[15]

Durch seine Grundsatzentscheidung vom 29.4.2020 hat der BGH diesen Meinungsstreit beendet.[16]

In seiner Entscheidung hat der BGH darauf abgestellt, dass

dem aus dem Gesamtvertretungsprinzip folgenden Bedürfnis der Autorisierung eines Elternteils zur alleinigen Wahrnehmung elterlicher Vertretungsbefugnisse durch eine Vollmachtserteilung entsprochen werden kann,
sich das rechtliche Grundverhältnis für diese Vollmacht aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ableitet, einhergehend daher auch mit besonderen Kontrollbefugnissen und -pflichten bzw. etwaigen Mitwirkungspflichten des vollmachtgebenden Elternteils und
durch die Vollmachtserteilung eine sonst notwendige Sorgerechtsübertragung insgesamt oder in Teilbereichen entbehrlich werden kann, wenn sie dem bevollmächtigen Elternteil eine ausreichend verlässliche Grundlage zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt, die wiederum eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraussetzt.

Soweit diese Voraussetzungen im Einzelfall bejaht werden können, muss – aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend – eine Übertragung des Sorgerechts unterbleiben, wobei auch in Verfahren nach §§ 1666 ff. BGB die Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils eine Sorgerechtsübertragung als kinderschutzrechtliche Maßnahme insgesamt oder in Teilbereichen entbehrlich machen kann.[17]

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