Leitsatz (amtlich)

1. Das auf eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB anwendbare Sachrecht folgt auch dann aus Art. 15 Abs. 1 KSÜ, wenn sich die internationale Zuständigkeit des Gerichts nicht aus dem KSÜ, sondern aus Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO ergibt (sog. Gleichlauf; Anschluss BGH FamRZ 2018, 457).

2. Bei fehlender Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern kann ein Elternteil einen auf § 1671 Abs. 1 BGB gegründeten Sorgerechtsantrag des anderen Elternteils nicht durch die Erteilung einer Sorgevollmacht/-ermächtigung zu Fall bringen.

3. Die vollständige oder teilweise Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil nach § 1671 Abs. 1 BGB setzt einen darauf gerichteten (Hilfs-)Antrag dieses Elternteils zwingend voraus.

4. Wird eine Verbundentscheidung nur isoliert hinsichtlich der Entscheidung in der Folgesache elterliche Sorge angefochten, so bestimmt sich der Wert des Beschwerdeverfahrens nach (§ 40 Abs. 1 i.V.m.) § 44 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 FamGKG und nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

 

Verfahrensgang

AG Neunkirchen (Aktenzeichen 17 F 253/17 S)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen Ziffer 2. des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - in Neunkirchen vom 23. Mai 2018 - 17 F 253/17 S - wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

2. Der Verfahrenswert der Beschwerdeinstanz wird auf 600 EUR festgesetzt.

3. Dem Antragsgegner wird die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe verweigert.

4. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren mit Wirkung vom 9. Oktober 2018 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin ... pp. bewilligt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin (fortan: Mutter) und der Antragsgegner (Vater), beide afghanische Staatsangehörige, heirateten einander am 3. April 2007. Sie sind die Eltern der am 2. Dezember 2013 geborenen, von ihnen adoptierten, beteiligten Tochter K. T. A., die seit der am 25. August 2016 erfolgten Trennung ihrer Elternteile bei der Mutter lebt. K. hatte ihre leiblichen, afghanischen Eltern im dortigen Krieg verloren.

Im Verfahren 17 F 344/16 SO des Amtsgerichts - Familiengericht - in Neunkirchen erteilte der Vater der Mutter im Erörterungstermin vom 28. Februar 2017 Vollmacht, für K. in Kindergarten- und Gesundheitsangelegenheiten sowie bei der Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden und der Antragstellung nach den Büchern des Sozialgesetzbuchs alleine tätig zu werden.

Im Verfahren 17 F 156/17 EASO des Amtsgerichts - Familiengericht - in Neunkirchen, dessen Akten dem Senat vorliegen, übertrug das Familiengericht der Mutter durch Beschluss vom 13. Juni 2017 die Alleinentscheidungsbefugnis über die damals für Sommer 2017 anstehende - und anschließend auch durchgeführte - Reise der Mutter mit K. nach Afghanistan.

Im vorliegenden Verbundverfahren hat die Mutter Scheidungsantrag gestellt, welcher dem Vater am 11. Oktober 2017 zugestellt wurde. Der Vater hat auf Zurückweisung des Scheidungsantrags angetragen. Keiner der beiden Elternteile hat die Durchführung des Versorgungsausgleichs beantragt. Die vom Vater rechtshängig gemachte Folgesache Zugewinnausgleich haben die Elternteile im Scheidungstermin vom 24. April 2018 übereinstimmend für erledigt erklärt.

In der - im Beschwerdeverfahren allein noch gegenständlichen - Folgesache elterliche Sorge hat die Mutter - vom Jugendamt befürwortet - beantragt, ihr das alleinige Sorgerecht für K. zu übertragen. Der Vater hat Zurückweisung dieses Antrags begehrt.

Nach Anhörung K.s, beider Elternteile und zweier Sachbearbeiterinnen des Jugendamts hat das Familiengericht durch den angefochtenen Beschluss vom 23. Mai 2018 die Ehe der Eltern geschieden (Ziffer 1. der Entscheidungsformel) und der Mutter in Ziffer 2. - unter Zurückweisung ihres weitergehenden Verbundantrags - die Sorgerechtsteilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsangelegenheiten, Kindergarten und schulische Angelegenheiten, Antragstellung nach den Büchern des Sozialgesetzbuchs sowie Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden für K. zur alleinigen Ausübung übertragen.

Mit seiner allein gegen Ziffer 2. dieses Beschlusses gerichteten Beschwerde verfolgt der Vater seinen erstinstanzlichen Zurückweisungsantrag in der Folgesache elterliche Sorge vollumfänglich weiter. Die Mutter und das Jugendamt bitten um Zurückweisung der Beschwerde.

Beide Elternteile suchen um Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach.

II. Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Vaters bleibt ohne Erfolg.

Unangefochten und rechtsbedenkenfrei hat das Familiengericht - stillschweigend - auch in der Folgesache elterliche Sorge seine internationale Zuständigkeit bejaht (Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO) und seine Entscheidung in dieser Folgesache deutschem Sachrecht unterworfen (Art. 15 Abs. 1 KSÜ; sog. Gleichlauf, siehe dazu BGH FamRZ 2018, 457; 2011, 796 m. Anm. Völker).

Zu Recht und auf der Grundlage eines beanstandungsfreien Verfahrens hat das Familiengericht auf dem Boden von § 1671 (Abs. 1 ...

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