Leitsatz (amtlich)

1. Auch in Verfahren nach § 1666 ff. BGB kann die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils eine Übertragung des Sorgerechts - als kinderschutzrechtliche Maßnahme - ganz oder teilweise entbehrlich machen (vgl. zum Regelungsbereich des § 1671 BGB BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19 -, BGHZ 225, 184-198, Rn. 21).

2. In der mehrfach ausgedrückten Ablehnung der Fremdunterbringung des Kindes durch einen Elternteil kann nicht ohne weiteres auch der vollständige oder teilweise Widerruf einer dem anderen Elternteil umfassend erteilten Sorgerechtsvollmacht gesehen werden.

 

Verfahrensgang

AG Bruchsal (Aktenzeichen 2 F 38/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird Ziffer 1 und Ziffer 2 des Beschlusses des Amtsgerichts-Familiengericht-Bruchsal vom 04.02.2021 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bruchsal vom 15.01.2021 wird aufgehoben.

Von vorläufigen Maßnahmen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung wird abgesehen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 2.000,00 festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind Maßnahmen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung für das Kind E., geboren am ... E. ist aus der am 17.08.2001 geschlossenen Ehe ihrer Eltern hervorgegangen. Ihre Eltern leben seit dem 25.10.2014 dauerhaft voneinander getrennt, die Scheidung ist im Jahr 2017 erfolgt. Die Eltern haben neben E. zwei weitere Kinder R., geboren am ... und K., geboren am ... Alle Kinder leben seit dem Auszug des Antragsgegners im Haushalt ihrer Mutter.

Bereits im April 2016 kam es zu einem sorgerechtlichen Verfahren zwischen den Kindeseltern, im Zuge dessen die Kindesmutter die Übertragung der elterlichen Sorge für die gemeinsamen Kinder auf sich allein beansprucht hat (Verfahren 2 F 64/16 des Amtsgerichts - Familiengericht - Bruchsal). Das Verfahren endete damit, dass der Vater der Mutter im Termin am 02.05.2016 eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt hat. Wegen des Inhalts der Vollmacht im Einzelnen wird auf die Anlage zum Vermerk vom 02.05.2016 im Verfahren 2 F 64/16 des Familiengerichts Bruchsal Bezug genommen. Zur Frage des Widerrufs beinhaltet die Vollmacht den folgenden Zusatz: "Die Vollmacht gilt bis zu ihrem schriftlichen Widerruf. Der Widerruf ist jederzeit möglich."

Hiesiges Verfahren wurde durch den Antrag des Jugendamts vom 12.01.2021, die Zustimmung des Vaters zur Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form der Heimerziehung beim Träger Z. ab dem 18.01.2021 und zur Beschulung im P.zentrum ab dem 01.02.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung zu ersetzen, eingeleitet.

Zur familiären Situation teilte das Jugendamt in seinem Antrag mit, dass die Mutter mit allen drei Kindern in einem kleinen, sanierungsbedürftigen Haus wohne, in dem auch die Großeltern mütterlicherseits und der Bruder der Mutter lebten, was die Wohnsituation sehr beengt mache. Alle Kinder äußerten schon lange den Wunsch nach Rückzugsräumen. R. nehme unter anderem daher seit März 2020 eine stationäre Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII durch das Jugendamt in Anspruch. Er absolviere eine berufliche Maßnahme im SRH N., wo er in einer Wohngruppe für junge Menschen mit Autismus lebe. Die Eltern stammten aus Kroatien. Die Mutter arbeite derzeit nicht und beziehe ALG II-Leistungen. Sie klage über Depressionen, gesundheitliche Beschwerden und Ängste vor dem Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Vater sei ebenfalls arbeitssuchend, er sei immer mal wieder in der Gastronomie tätig und leide unter einer Alkoholerkrankung. Er sei nur zeitweise präsent und beteilige sich dann aber rege am familiären Geschehen. Geregelte Umgangszeiten oder Unterhaltszahlungen gebe es nicht.

Zur Vorgeschichte teilte das Jugendamt in seinem Antrag mit, dass es vor allem in den Jahren 2011 und 2012 zu familiären Streitigkeiten unter Alkoholeinfluss des Vaters gekommen sei. Dieser sei dann nach einem heftigen Streit mit dem Großvater der Kinder mütterlicherseits aus dem zuvor gemeinsam bewohnten Haus ausgezogen.

Bereits im Juli 2015 habe die Schulsozialarbeiterin der P.-Gemeinschaftsschule in G. Kontakt zum Jugendamt aufgenommen, wobei insbesondere auf erhebliche Defizite R.s im emotionalen und schulischen Bereich aufmerksam gemacht worden sei. Die Kindesmutter habe damals von familiären Problemen aufgrund der Wohnsituation und Konflikten der Familie berichtet.

Die Mutter sei dann von November 2015 bis November 2017 im Rahmen einer sozialpädagogischen Familienhilfe unterstützt worden. Es sei deutlich geworden, dass den Kindern keinerlei Tagesstruktur, erzieherische Rahmenbedingungen, Gesprächskultur oder Ähnliches vorgelebt würden. Die Kinder würden neben der schulischen Vernachlässigung sozial isoliert wirken und hätten außerhalb der Schulzeit nur wenige soziale Kontakte oder Hobbys. Bereits zu dieser Zeit sei E. ohne...

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