Das Wichtigste in Kürze:

1. Nach § 243 Abs. 5 S. 5 sollen Vorstrafen des Angeklagten nur insoweit festgestellt werden, wie sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Vorstrafen i.S.d. Regelung sind die im BZR, Erziehungsregister oder VZR eingetragenen Verurteilungen und bußgeldrechtlichen Ahndungen.
2. Tilgungsreife Vorstrafen dürfen weder bei der Beweiswürdigung noch bei der Strafzumessung verwertet werden. Das Verwertungsverbot gilt auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung.
3. Den Zeitpunkt der Feststellung der Vorstrafen bestimmt nach § 243 Abs. 5 S. 6 der Vorsitzende.
4. Mit der Revision kann der Verteidiger einen Verstoß gegen § 243 Abs. 5 S. 5 und 6 später nicht rügen, da es sich nur um Ordnungsvorschriften handelt.
5. Einschlägige Vorschriften für die Bestimmung der Tilgungsreife sind die §§ 51, 46 BZRG.
 

Rdn 1862

 

Literaturhinweise:

Bohnert, Ordnungsvorschriften im Strafverfahren, NStZ 1982, 5

Granderath, Getilgt – aber nicht vergessen. Das Verwertungsverbot des Bundeszentralregistergesetzes, ZRP 1985, 319

Knauer, Die Verwertung jugendstrafrechtlicher Vorverurteilungen bei Sanktionierung nach Erwachsenenstrafrecht, ZStW 2012, 204

Krumm, Praxisprobleme des Bundeszentralregisters, StraFo 2012, 165

Rudolphi, Die Revisibilität von Verfahrensmängeln im Strafprozeß, MDR 1970, 93

s.a. die Hinw. bei → Beweisverwertungsverbote, Teil B Rdn 1231.

 

Rdn 1863

1. Nach § 243 Abs. 5 S. 5 sollen Vorstrafen des Angeklagten nur insoweit festgestellt werden, wie sie für die Entscheidung von Bedeutung sind; das kann ggf. auch bei einem Freispruch der Fall sein (vgl. BGH NStZ-RR 2017, 223). Vorstrafen i.S.d. Regelung sind die im BZR, Erziehungsregister oder VZR eingetragenen Verurteilungen und bußgeldrechtlichen Ahndungen. Für die Entscheidung von Bedeutung ist eine Vorstrafe nur dann, wenn sie nicht nach den §§ 51, 66 BZRG unverwertbar ist, weil Tilgungsreife besteht (s. Teil F Rdn 1870). Das muss der Verteidiger bereits bei der → Vorbereitung der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3944, und der Beantwortung der Frage, ob → Beweisverwertungsverbote, Teil B Rdn 1231, bestehen, prüfen (zur Verwertung jugendstrafrechtlicher Vorverurteilungen bei Sanktionierung nach Erwachsenenstrafrecht Knauer ZStW 2012, 204).

 

☆ Auch rechtskräftige ausländische Strafen können berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar ist (BGH StV 2012, 149 m. Anm. Lorenz StRR 2012, 67; OLG Köln StV 2016, 572). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um eine nach § 54 BZRG im BZR eingetragene ausländische Vorstrafe handelt (BGH StV 2007, 632), allerdings darf diese nicht nach deutschem Recht tilgungsreif sein (BGH, a.a.O.; Beschl. v. 27.1.201 – 6 StR 399/20, StV 2021, 626; OLG Köln, a.a.O.; s. auch § 53a BZRG).rechtskräftige ausländische Strafen können berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar ist (BGH StV 2012, 149 m. Anm. Lorenz StRR 2012, 67; OLG Köln StV 2016, 572). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um eine nach § 54 BZRG im BZR eingetragene ausländische Vorstrafe handelt (BGH StV 2007, 632), allerdings darf diese nicht nach deutschem Recht tilgungsreif sein (BGH, a.a.O.; Beschl. v. 27.1.201 – 6 StR 399/20, StV 2021, 626; OLG Köln, a.a.O.; s. auch § 53a BZRG).

 

Rdn 1864

2.a) Tilgungsreife Vorstrafen dürfen bei der Beweiswürdigung und auch bei der Strafzumessung nicht verwertet werden (BGHSt 57, 300; BGH NStZ 2016, 468; StV 1999, 639 m.w.N.; 2012, 149; StraFo 2017, 116; Granderath ZRP 1985, 320). Das Verwertungsverbot gilt auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (BGHSt 57, 300; BGH StV 2002, 479 m.w.N. [für Sicherungsverwahrung]; StraFo 2017, 116 [Berufsverbot]). Das Verwertungsverbot findet also auch bei der "Hangfeststellung" i.S. des § 66 StGB Anwendung; das Gutachten über das Bestehen eines Hangs des Angeklagten ist kein "Gutachten über den Geisteszustand", dessen Erstattung eine Verwertung von Taten aus im Zentralregister getilgten oder tilgungsreifen Verurteilungen erlaubt (BGHSt 57, 300; vgl. Teil F Rdn 1863). Das Verwertungsverbot erstreckt sich auf Umstände, die eng mit der nicht verwertbaren Tat im Zusammenhang stehen (wie z.B. hohe Rückfallgeschwindigkeit, erneute Tatbegehung am selben Opfer usw.; BGH NStZ 2006, 587) oder als Indiz im Rahmen der Beweiswürdigung dienen (BGH StraFo 2006, 296). Auch eine indizielle Verwertung einer getilgten oder tilgungsreifen Verurteilung und der dieser zugrunde liegenden Tat in einem anderen Strafverfahren ist unzulässig (BGH, Beschl. v. 18.3.2009 – 1 StR 50/09). Die Verwertung wird auch nicht dadurch zulässig, dass der Angeklagte die frühere Verurteilung freiwillig eingeräumt hat (BGH StV 2003, 444).

 

☆ Ein besonderes Verwertungsverbot besteht in § 29 Abs. 7 S. 2 StVG. Danach dürfen Eintragungen, die einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, nach Ablauf einer fünfjährigen Tilgungsfrist nur noch für ein Verfahren übermittelt und verwertet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegensta...

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