Leitsatz

Eine Pflichtverletzung des Anwalts, der eine einschlägige Rechtsnorm übersehen hat, kann grundsätzlich nicht deshalb verneint werden, weil es sich dabei um eine entlegene Rechtsmaterie handelt. Der Anwalt darf aber von der Sachverhaltsschilderung seines Mandanten ausgehen. Eigene Aufklärungspflichten treffen ihn nur eingeschränkt.

 

Sachverhalt

Die Klägerin bestellte 1998 anlässlich eines Jubiläums 5 Mio. Einkaufswagen-Chips mit Schlüsselring und Karabinerhaken, die an Kunden verschenkt werden sollten. Sie nahm die Ware, nachdem sie in einem ersten Rechtsstreit mit der Lieferantin unterlegen war, ab und zahlte den Kaufpreis bis auf einen Restbetrag. In einem weiteren Rechtsstreit unterlag sie auch bezüglich der Zahlungspflicht für den Restbetrag. Die Klägerin will nun von ihren Rechtsbeiständen, die sie im ersten Prozess vertreten hatten, Schadensersatz. Es hatte sich später herausgestellt, dass der Kaufvertrag möglicherweise von Anfang an nichtig war, weil er gegen die "Verordnung über die Herstellung und den Vertrieb von Medaillen und Marken"[1] verstoßen hatte. Hierauf hatte das Anwaltsbüro nicht hingewiesen. Die Klage hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Die Beklagten hatten unter anderem eingewandt, die MedVO gehöre zu einer entlegenen Rechtsmaterie, weshalb fehlende Kenntnisse hiervon eine schuldhafte Pflichtverletzung ausschlössen. Dem trat der BGH allerdings nicht bei.

Der Rechtsanwalt ist zu einer umfassenden und erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet, sofern dieser nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er nur eines bestimmten Rats bedarf. Er muss den ihm vorgetragenen Sachverhalt darauf prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen[2]. Rechtsprüfung und -beratung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen Normen voraus, zu denen auch auf der Grundlage von Bundesgesetzen erlassene Rechtsverordnungen gehören. Notfalls muss sich der Anwalt die mandatsbezogenen Rechtskenntnisse, soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, umgehend verschaffen[3] und sich auch in eine Spezialmaterie wie das Münzrecht einarbeiten[4].

Die fehlenden Kenntnisse waren aber nicht kausal für mögliche Schäden. Die Beklagten waren in die Vertragsverhandlungen, die zum Abschluss des Kaufvertrags über die Einkaufswagen-Chips geführt hatten, nicht eingeschaltet worden. Ihre Tätigkeit bezog sich nur auf die weitere Vertragsabwicklung, nachdem bereits eine erste Teillieferung abgenommen und vorbehaltlos bezahlt worden war. Der vereinbarte Kaufgegenstand war ihnen von der Klägerin weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht als problematisch geschildert worden. Vom Anwalt erwartet wird nur eine mandatsbezogene Rechtskenntnis, die zudem mit der Informationspflicht des Mandanten in Wechselwirkung steht: Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der tatsächlichen Angaben seines Auftraggebers vertrauen, ohne eigene Nachforschungen anstellen zu müssen[5]. Er muss sich nur um zusätzliche Aufklärung bemühen, wenn den Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne weiteres ersichtlich ist[6]. Liefert der vom Mandanten mitgeteilte Sachverhalt dagegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Einwendungen, die die Rechtslage zugunsten des Mandanten beeinflussen könnten[7], ist der Rechtsanwalt, der erst in der Phase der Vertragsabwicklung beauftragt worden ist, von sich aus zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts nicht verpflichtet.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Urteil vom 22.9.2005, IX ZR 23/04

[1] "MedVO" vom 13.12.1974, BGBI I 1974, S. 3520 auf der Grundlage des § 12 MünzG a.F.; sie verbietet u.a. den Vertrieb von Marken und Medaillen, die mit Münzen verwechselt oder wie diese – etwa in Automaten – verwendet werden könnten; vgl. BGH-Urteil vom 16.3.2004, VI ZR 105/03, NJW 2004, S. 1949
[2] Vgl. etwa BGH-Urteil vom 13.3.1997, IX ZR 81/96, WM 1997, S. 1392
[5] Vgl. BGH-Urteil vom 13.3.1997, a.a.O. (Fn. 2)
[7] Solche wäre der Aspekt der Nichtigkeit gemäß § 134 BGB

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