BGH-Urteil zum Umfang der anwaltlichen Beratungspflicht zu Erfolgsaussichten
Der BGH hatte über Ansprüche auf Rückerstattung entstandener Gerichts- und Rechtsanwaltskosten gegen die beauftragten Anwälte zu entscheiden. Im Verlauf eines von den verklagten Anwälten geführten Rechtsstreits, hatten sich die Erfolgsaussichten für die von ihnen vertretenen Kläger infolge einer BGH-Grundsatzentscheidung gegen Null verschlechtert.
Rechtsanwälte vertraten 12.000 Anleger eines Immobilienfonds
Die Klägerin des vom BGH entschiedenen Verfahrens ist ein Rechtschutzversicherer, der die beklagten Rechtsanwälte aus übergegangenen Recht zweier Versicherungsnehmer auf Rückerstattung entstandener Anwalts- und Gerichtskosten in Anspruch nahm. Die Anwälte hatten u.a. zwei Versicherungsnehmer der Rechtsschutzversicherung in einem Klageverfahren gegen einen Immobilienfonds bzw. den Fondsvermittler wegen Verletzung von Beratungspflichten vertreten.
Insgesamt vertraten die Anwälte ca. 12.000 Personen, für die sie kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung Güteanträge bei der zuständigen Gütestelle eingereicht hatten. Im Anschluss leiteten die Anwälte ca. 1.750 Klageverfahren ein.
Berufung wurde infolge Grundsatzurteil des BGH aussichtslos
Das erstinstanzlich zuständige LG wies die Klagen wegen eingetretener Verjährung ab. Während des anschließenden Berufungsverfahrens kam es zu einem Grundsatzurteil des BGH, in dem dieser die Individualisierungsanforderungen an die die Verjährung unterbrechenden Güteanträge gegenüber der Gütestelle präzisierte. Den vom BGH gestellten Anforderungen entsprachen die von den Anwälten eingereichten Güteanträge nicht. Darauf wies das Berufungsgericht die Anwälte darauf hin, dass die Berufung im Hinblick auf das eindeutige BGH-Urteil aussichtslos geworden sei.
Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos
Trotz des BGH-Urteils und trotz des gerichtlichen Hinweises verfolgten die Anwälte das Berufungsverfahren, für das die Rechteversicherung die Kostendeckungszusage erteilt hatte, weiter. Erwartungsgemäß blieb der eingelegten Berufung der Erfolg versagt. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu. Hierauf legten die Anwälte gegen das Berufungsurteil das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde ein. Auch hierfür erteilte die Rechtschutzversicherung eine Kostendeckungszusage. Auch die Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.
Rechtschutzversicherung will Gebühren zurück
Der Rechtsschutzversicherer hat die Anwälte darauf aus übergegangenen Recht seiner Versicherungsnehmer auf Ersatz der verauslagten Kosten für den ersten bis zum dritten Rechtszug verklagt und begehrte im Hinblick auf noch offene Honorarrechnungen die Feststellung, dass keine weiteren Gebührenansprüche bestehen. Das erstinstanzlich zuständige LG hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen.
BGH bejaht Erstattungsanspruch des Rechtsschutzversicherers
Die beim BGH eingelegte Revision der Rechtsschutzversicherung hatte überwiegend Erfolg. Allerdings hatte der Rechtschutzversicherer die Revision auf Erstattung der von ihr für den zweiten und dritten Rechtszug erstatteten Kosten des Ausgangsverfahrens beschränkt. Der BGH bejahte einen gemäß § 86 VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergegangenen Schadensersatzanspruch auf Rückerstattung der verauslagten Kosten auf der Rechtsgrundlage der §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB.
Rechtsanwalt muss über Erfolgsaussichten aufklären
Der BGH stellte zunächst klar, dass eine mandatsbezogene Pflicht des Anwalts, einen von Anfang an aussichtslosen rechtzeitig zu führen, nicht existiert.
- Allerdings existiere eine Pflicht des Rechtsanwalts zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten des in Aussicht genommen Rechtsstreits.
- Für diese Pflicht sei es ohne Bedeutung, ob der Mandant eine Rechtsschutzversicherung unterhält oder nicht.
- Die Pflicht zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten einer Klage besteht nicht nur zu Beginn des Mandats, sondern auch im späteren Verlauf des Rechtsstreits.
- Die Beratungspflicht bezieht Änderungen der rechtlichen Lage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung mit ein.
- Der Anwalt habe seinen Mandanten so aufzuklären, dass dieser in der Lage sei, Chancen und Risiken des Rechtsstreits in der Laiensphäre abzuwägen.
- Sei ein Rechtstreit aussichtslos, so müsse der Anwalt dies dem Mandanten klar mitteilen (BGH, Urteil vom 10.5.2012, IX ZR 125/10).
Rechtsschutzversicherte Mandanten sind risikofreudiger
Die Verletzung einer Beratungspflicht führt nach dem Urteil des BGH aber nicht per se zu einer Erstattungspflicht entstandener Kosten. Maßgeblich sei, wie sich der Mandant im Fall pflichtgemäßer Unterweisung voraussichtlich verhalten hätte. An diesem Punkt könne auch die Frage eine Rolle spielen, ob der Mandant eine Rechtsschutzversicherung unterhält. Erfahrungsgemäß verhielten sich Mandanten im Fall einer Übernahme der Kosten durch eine Rechtsschutzversicherung risikofreudiger als ohne Versicherungsschutz. Allerdings ende die Risikofreundlichkeit eines Mandanten erfahrungsgemäß dann, wenn die Führung eines Rechtsstreits eindeutig aussichtslos sei oder im Laufe eines bereits begonnenen Rechtsstreits aussichtslos werde.
Berufungskosten teilweise, Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde komplett zu erstatten
Im konkreten Fall bejahte der BGH die Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung aufgrund der ergangenen Grundsatzentscheidung zur Individualisierung eines Antrags an die Gütestelle. Wäre die Berufung nach Veröffentlichung des BGH-Urteils zurückgenommen worden, so hätten sich die Gerichtskosten gemäß Nr. 1220 KV GKG um eine 2,0 Gebühr vermindert.
Inwieweit die Kosten des Rechtsanwalts der Rechtsnachfolgerin des Anlagevermittlers zu diesem Zeitpunkt schon entstanden und erstattungsfähig waren, habe das Berufungsgericht bisher nicht ermittelt. Insoweit sei das Verfahren an die Vorinstanz zur weiteren Entscheidung zurück zu verweisen. Die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde seien in jedem Fall überflüssig und vermeidbar gewesen, da zu diesem Zeitpunkt keine Erfolgsaussichten mehr bestanden hätten.
Keine Prüfungspflichten der Rechtschutzversicherung gegenüber den Anwälten
Der BGH stellte klar, dass die Geltendmachung der Ersatzansprüche durch die Klägerin aus übergegangenen Recht nicht deshalb gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verstößt, weil die Klägerin die Deckungsanfragen der Beklagten selbst geprüft und die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung selbst hätte erkennen können. Die Rechtsschutzversicherung sei gegenüber ihren Versicherungsnehmern nicht verpflichtet, den Kostenschutz für einen aussichtslosen Rechtsstreit abzulehnen. Im übrigen beträfen die Prüfungspflichten der Versicherung lediglich das Verhältnis der Versicherung gegenüber ihren Versicherungsnehmern, nicht aber gegenüber den von den Versicherungsnehmern beauftragten Anwälten.
(BGH, Urteil v. 16.9.2021, IX ZR 165/19).
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