Rz. 59

Bei der Auslegung von Testamenten hat man sich, anders als bei der Vertragsauslegung, nicht am Empfängerhorizont, sondern ausschließlich am wirklichen Willen des Erblassers zu orientieren.[49] Die Auslegung hat dabei nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu erfolgen und beschränkt sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts, so dass auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden können.[50] Allerdings muss der durch Auslegung ermittelte Erblasserwille stets im Testament zumindest eine Andeutung erfahren haben, anderenfalls fehlt es an einer formgerechten Erklärung des Erblasserwillens.[51] Beim gemeinschaftlichen Testament kommt es in erster Linie auf den übereinstimmenden Willen beider Ehegatten an,[52] da die Verfügungen beider Ehegatten regelmäßig aufeinander abgestimmt sind.

 

Rz. 60

Bei der Auslegung eines Erbvertrages ist für vertragsmäßige Verfügungen der erklärte übereinstimmende Wille beider Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Vertragserrichtung maßgeblich.[53] Die Auslegung hat nach dem Empfängerhorizont zu erfolgen, so dass die Vorstellungen des Vertragspartners des Erblassers i.d.R. von Bedeutung sind.[54]

 

Rz. 61

Sowohl für Erbverträge als auch für gemeinschaftliche Testamente gilt allerdings, dass, soweit diese einseitige Verfügungen enthalten, die für die Testamentsauslegung maßgeblichen Grundsätze heranzuziehen sind.

 

Rz. 62

Für den Fall, dass die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, hält das Gesetz eine Reihe von Auslegungsregeln bereit. Zunächst sind in den §§ 20662072 BGB Auslegungsregelungen für den Fall enthalten, dass der Erblasser die bedachte Person nur allgemein bezeichnet hat. Hat der Erblasser beispielsweise seine Abkömmlinge bedacht und fällt einer von diesen nach Errichtung des Testaments weg, so ist gem. § 2069 BGB im Zweifel anzunehmen, dass die Abkömmlinge des wegfallenden Abkömmlings als Ersatzerben bedacht sind. Auslegungsregeln bei Unklarheiten bzgl. der Erbeinsetzung sind in den §§ 20872089, 2091 und 2094 BGB enthalten. Hat der Erblasser Vor- und Nacherbfolge angeordnet, aber unvollständige Angaben über die Person des Vor- oder Nacherben oder über den Zeitpunkt des Nacherbfalls gemacht, so enthält das Gesetz hierfür Auslegungsregeln in den §§ 21012107 BGB. Beim gemeinschaftlichen Testament enthalten die §§ 2269 und 2270 Abs. 2 BGB wichtige Auslegungsregeln.[55] Die Auslegungsregeln gelten über § 2279 BGB auch für Erbverträge.

[49] MüKo-BGB/Leipold, § 2084 BGB Rn 6; BGH NJW 1983, 256; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Litzenburger, § 2084 BGB Rn 1; Palandt/Weidlich, § 2084 BGB Rn 1.
[50] BGH FamRZ 1987, 475, 476; BayObLG FamRZ 1999, 59, 60; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Litzenburger, § 2084 BGB Rn 10; Palandt/Weidlich, § 2084 BGB Rn 2.
[51] Sog. Andeutungstheorie; BGHZ 86, 41, 47; Palandt/Weidlich, § 2084 BGB Rn 4; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Litzenburger, § 2084 BGB Rn 20; MüKo-BGB/Leipold, § 2084 BGB Rn 14.
[52] BGH NJW 1951, 959, 960; BGH NJW 1993, 296; BGH ZEV 2002, 20; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Litzenburger, § 2269 BGB Rn 8.
[53] BGH FamRZ 1983, 380.
[54] BGH NJW 1989, 2885; BayObLGZ 1994, 313; BayObLG NJW-RR 1997, 7.
[55] Zur Auslegungsregel des § 2269 BGB beim Berliner Testament siehe Rdn 92; zur Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB siehe Rdn 43.

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