Erbrecht: Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen

Haben Ehegatten sich gegenseitig zu Erben eingesetzt und nach dem Tod des Letztversterbenden einem Verwandten eines der Ehegatten den Nachlass zugedacht, so kann nach dem Tod des Erstversterbenden der überlebende Ehegatte kein hiervon abweichendes Testament errichten.

Diese Rechtsauffassung vertritt das OLG Oldenburg in einem ausführlich begründeten Hinweisbeschluss, in dem das Gericht dem klagenden Testamentsvollstrecker die Rücknahme der von ihm eingelegten Berufung gegen ein erstinstanzlich klageabweisendes Urteil nahelegt.

Feststellungsklage des Testamentsvollstreckers

Ein Testamentsvollstrecker hatte Klage auf Feststellung erhoben, dass der im Jahr 2021 verstorbene Lebensgefährte Alleinerbe, hilfsweise Miterbe seiner im Jahr 2019 verstorbenen Lebenspartnerin geworden ist. Die Klage stützte der Testamentsvollstrecker auf ein im Jahr 1995 errichtetes handschriftliches Testament der Lebensgefährtin, mit dem sie ihren Lebenspartner als ihren alleinigen Erben eingesetzt hat.

Gemeinschaftliches notarielles Testament

Die Problematik des Falls besteht darin, dass die Lebensgefährtin im Rahmen einer vorherigen Ehe mit ihrem - bereits lange vor seiner Ehefrau verstorbenen - Ehemann im Jahr 1971 ein notarielles gemeinschaftliches Testament errichtet hat, in dem die Eheleute sich gegenseitig zu alleinigen, unbeschränkten Erben eingesetzt hatten. Sollte die Ehefrau Überlebende sein, so sollten die beiden Söhne des Ehemanns Schlusserben sein. Einer der beiden Söhne war zum Zeitpunkt des Todes der Ehefrau bereits verstorben.

Bindung durch wechselbezügliche Verfügung?

Das AG hat die Feststellungsklage des Testamentsvollstreckers erstinstanzlich abgewiesen mit der Begründung, die im Jahr 2019 verstorbenen Lebensgefährtin habe sich in dem gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann im Jahre 1971 errichteten notariellen Testament durch eine wechselbezügliche Verfügung gebunden und sei nach dessen Tod nicht mehr berechtigt gewesen, durch Erbeinsetzung ihres Lebensgefährten von dem Alttestament abzuweichen.

Einsetzung der Söhne als Schlusserben

In seinem Hinweisbeschluss, die Berufung gegebenenfalls im schriftlichen Verfahren zurückzuweisen, bestätigte das OLG die Auffassung der Vorinstanz. Das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 1971 enthalte eine wechselbezügliche Verfügung gemäß § 2270 BGB. Die Auslegung des Testamentstextes ergebe, dass der damalige Ehemann seine Ehefrau nur im Hinblick darauf als Alleinerbin eingesetzt habe, dass diese seine Söhne als Schlusserben einsetzt, so dass die Söhne, die nach dem Tod des Ehemanns leer ausgehen sollten, nach dem Tod der Ehefrau am Familienvermögen würden teilhaben können.

Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments

Mit dem Tode des Ehemanns ist diese Erbeinsetzung nach Auffassung des OLG gemäß § 2271 Abs. 2, 1. Hs BGB bindend geworden. Daran ändere weder der Hinweis im Testament, dass die Eheleute sich das vorhandene Vermögen gemeinsam erarbeitet hätten, noch führe der frühzeitige Tod eines der Söhne des Ehemanns zu einem anderen Ergebnis.

Gesetzliche Auslegungsregel spricht für Wechselbezüglichkeit

Nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB sei von der Wechselbezüglichkeit zwischen der Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin ihres Ehemannes und der Bestimmung, dass die Söhne des Ehemanns Schlusserben werden sollten, auszugehen. Gemäß § 2270 Abs. 2 BGB liege eine Wechselbezüglichkeit in der Regel dann vor, wenn

  • einem Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht wird und
  • für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird,
  • die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.

Keine Hinweise auf entgegenstehenden Testierwillen

Diese Auslegungsregel greift nach Auffassung des OLG im vorliegenden Fall ohne weiteres ein. Es seien keine Hinweise zu erkennen, dass die Eheleute im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 1971 eine bindende Wechselbezüglichkeit nicht gewollt hätten. Der Hinweis auf die gemeinsame Erarbeitung ihres Familienvermögens spreche entgegen der Auffassung des Testamentsvollstreckers nicht gegen die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung, sondern geradezu dafür. Dem Ehemann sei es offensichtlich darauf angekommen, dass seine Söhne nach dem Tod der Ehefrau an dem auch von ihm erarbeiteten Vermögen teilhaben und nicht auf Dauer enterbt sein sollen.

Späteres Testament unwirksam

Nach dem Tod des Ehemanns war nach Auffassung des OLG eine einseitige Änderung durch die überlebende Ehefrau gemäß § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr möglich. Die Regelung in dem handschriftlichen Testament aus dem Jahre 1995 sei damit unwirksam.

Keine Ersatzerbenbestimmung

Auch der frühzeitige Tod eines der Söhne des Erblassers führt nach den Ausführungen des OLG zu keinem anderen Ergebnis. Durch das Versterben des Sohnes sei die wechselbezügliche Verfügung entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung nicht anteilig gegenstandslos geworden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Eheleute für den Fall des Versterbens einer der Söhne eine Ersatzerbenbestimmung gemäß § 2069 BGB getroffen hätten. Ein Ersatzerbe für den Fall des Todes einer der Söhne sei aber nicht bestimmt worden.

Tod eines Schlusserben führt zur Anwachsung

In Ermangelung einer Ersatzerbenbestimmung greift nach Auffassung des OLG die Vorschrift des § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach wächst im Fall des Versterbens eines Erben dessen Erbteil den oder dem übrigen Erben anteilig an. Entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung umfasse die Wechselbezüglichkeit des ursprünglichen notariellen Testaments auch den Fall, dass es aufgrund des Versterbens einer der Söhne zur Anwendung der Anwachsungsregel kommt. Anders wäre dies nur dann, wenn sich aus dem Testament Anhaltspunkte ergäben, dass nach dem Willen der Testierenden die Wechselbezüglichkeit den Fall einer Anwachsung nicht umfassen solle. Solche Anhaltspunkte seien aber nicht ersichtlich.

Abweichender Testierwillen nicht feststellbar

Schließlich ergibt sich nach Auffassung des Gerichts auch aus der Interessenlage der Testierenden zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, dass die Schlusserbenregelung nicht dadurch entfallen soll, dass einer der Schlusserben infolge Todes ausfällt. Die Schlusserben seien zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung in Person bekannt gewesen. Die Ersetzung eines der Schlusserben durch eine zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung den Testierenden nicht bekannte Person, nämlich des späteren Lebensgefährten der Ehefrau quasi als Ersatzerben entspreche nicht dem mutmaßlichen Willen der Testierenden zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.

Berufung nicht begründet

Im Ergebnis ging das Gericht daher davon aus, dass die Ehefrau zur Einsetzung ihres späteren Lebensgefährten als Alleinerben durch das im Jahr 1995 errichtete Testament nicht berechtigt war. Der Hinweisbeschluss endet mit der Feststellung des Gerichts, dass die Berufung des Testamentsvollstreckers im Falle der Nichtrücknahme der Berufung in vollem Umfange zurückzuweisen sei.

(OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss v. 26.8.2022, 3 U 37/22)

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