Rz. 99

Diese Anfechtung richtet sich nach den allg. Vorschriften des Anfechtungsrechtes der §§ 2078 ff. BGB.[233] Die Anfechtungsberechtigung kann vorrangig dem neuen Ehegatten und etwaigen aus einer neuen Ehe hervorgegangenen Kindern zustehen als denjenigen, die nach Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments pflichtteilsberechtigt geworden sind.[234]

 

Rz. 100

Das Anfechtungsrecht des Dritten wegen der Anfechtung von Verfügungen des Überlebenden entsteht erst mit dem Tod des Überlebenden.[235] Soweit vom OLG Frankfurt a.M. vertreten wurde,[236] dass die Frist für die Anfechtung bereits mit dem Tod des Erstversterbenden beginnt, wenn der Anfechtungsberechtigte zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von den die Anfechtung begründenden Tatsachen hatte, ist dies für wechselbezügliche Verfügungen des Überlebenden abzulehnen.[237] Ein Ausschluss der Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügung des Überlebenden kann sich hier aber aus einer analogen Anwendung des § 2285 BGB ergeben, wenn der Überlebende in Kenntnis der die Anfechtung begründenden Tatsachen die Anfechtungsfrist nach § 2283 BGB analog verstreichen hat lassen oder er aus anderen Gründen sein Anfechtungsrecht verloren hat[238] (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 2283 BGB).

 

Rz. 101

Verfügungen des Erstverstorbenen können die Dritten bereits nach dessen Tod anfechten. Hier kommen insbesondere solche Pflichtteilsberechtigte in Betracht, die zwischen der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments und dem Tod des Erstversterbenden hinzugekommen sind.[239] In Betracht kommt auch eine Anfechtung durch Kinder aus einer neuen Ehe, soweit diese Variante nicht bereits in einer Wiederverheiratungsklausel geregelt ist.[240]

 

Rz. 102

Diese Anfechtung erfolgt nach § 2081 BGB durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht. § 2282 BGB ist nicht zu beachten.[241] Den Streit, ob § 2285 BGB auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen des erstverstorbenen Ehegatten entsprechend angewendet werden muss,[242] hat nun der BGH[243] entschieden wie folgt: § 2285 BGB regelt nur den Ausschluss der Anfechtung für Verfügungen, die vom Erblasser selbst nach §§ 2281 ff. BGB angefochten, aber nicht widerrufen werden können.[244] Aufgrund der Tatsache, dass der Überlebende von Anfechtungsgründen Kenntnis hatte, dennoch aber seine wechselbezüglichen Verfügungen bestehen ließ, kann sich daher für Dritte kein Ausschluss des Anfechtungsrechtes hinsichtlich der Verfügungen des Erstversterbenden ergeben.[245]

 

Rz. 103

Etwas anderes kann sich aber daraus ergeben, dass der Erstversterbende noch zu Lebzeiten von Tatsachen Kenntnis erlangte, die ein Anfechtungsrecht Dritter rechtfertigen würden. Lässt der Erstversterbende hier bewusst dennoch seine Verfügungen weiter bestehen, die er problemlos widerrufen hätte können, so hat er sich für den Weiterbestand seiner Verfügungen entschieden. Es spricht dann vieles dafür, dass er seine Verfügungen auch bei Kenntnis der Tatsachen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung getroffen hätte. Damit scheidet dann ein Anfechtungsrecht Dritter bereits nach allg. Grundsätzen aus. Dies ist aber kein Fall des § 2285 BGB.[246]

[234] RGZ 132, 4; BGH FamRZ 1970, 80; KG OLGE 11, 217.
[235] KG FamRZ 1968, 219; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 40.
[236] OLG Frankfurt a.M. MDR 1959, 393; ohne auf das Problem einzugehen vertritt OLG Frankfurt a.M. FGPrax 2001, 246, dass die Frist des § 2082 BGB erst mit dem Tod des Überlebenden zu laufen beginnt.
[237] BayObLG FamRZ 1977, 347, 349; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 42.
[238] BGH v. 25.5.2016 – IV ZR 205/15, Rn 16, zit. nach juris = NJW 2016, 2566 = ZErb 2016, 236 = ZEV 2016, 442; Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 32.
[239] BGH FamRZ 1970, 79.
[240] KG JFG 15, 330; Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 31.
[241] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 42.
[242] Gegen eine analoge Anwendung des § 2285 BGB: Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 67; Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 31; Soergel/Wolf, § 2271 Rn 38; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 43; dafür LG Karlsruhe NJW 1958, 714; dafür wohl auch BayObLG v. 12.8.2003 – 1 Z BR 35/03, FamRZ 2004, 1068 = ZEV 2004, 152, auch wenn es in dem dort entschiedenen Fall nicht entscheidend darauf ankam.
[243] BGH v. 25.5.2016 – IV ZR 205/15, Rn 16, zit. nach juris = NJW 2016, 2566 = ZErb 2016, 236 = ZEV 2016, 442.
[244] Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 67.
[245] Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 67.
[246] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 41.

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