Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Urteil vom 16.03.2000; Aktenzeichen 7 K 4262/98)

 

Tenor

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. März 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss für eine Ortsumgehung. Er ist Eigentümer mehrerer Grundstücke, die für das Vorhaben in Anspruch genommen werden sollen. Der Planfeststellungsbeschluss wurde nach § 74 Abs. 5 Satz 1 VwVfG öffentlich bekannt gemacht, da mehr als 50 Zustellungen vorzunehmen waren. Die in der Bekanntmachung enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung lautete:

1. Gegen diesen Planfeststellungsbeschluss kann innerhalb eines Monats nach Zustellung schriftlich Klage beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, erhoben werden. (Als Zeitpunkt der Zustellung gilt der letzte Tag der Auslegungsfrist, siehe unten.)

Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand bezeichnen. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten. Gemäß § 17 Abs. 6 b FStrG sind die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Klageerhebung anzugeben. Das Gericht kann verspätetes Vorbringen zurückweisen.

2. Die Anfechtungsklage gegen den vorstehenden Planfeststellungsbeschluss für das Straßenbauvorhaben, für das nach dem FStrAbG vordringlicher Bedarf festgestellt ist, hat gemäß § 17 Abs. 6 a Satz 1 FStrG keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) wäre beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg zu stellen. Er kann nur innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses gestellt und begründet werden (§ 17 Abs. 6 a Satz 2 FStrG).

Hinweis: Die Klage wäre gegen die Bezirksregierung Hannover zu richten.

Mit einem am Tage vor Ende der Klagefrist eingegangenen Fax erhob der Kläger persönlich Klage. Nachdem er vom Gericht auf den Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 1 VwGO hingewiesen worden war, erhob er mit Schreiben seines Rechtsanwalts, der ihn bereits im Verwaltungsverfahren vertreten hatte, erneut Klage und beantragte Wiedereinsetzung in die inzwischen versäumte Klagefrist.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. März 2000 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Das vom Kläger selbst verfasste Schreiben sei im Hinblick auf § 67 Abs. 1 VwGO unwirksam, die von seinem Rechtsanwalt erhobene Klage verspätet. Die Rechtsbehelfsbelehrung habe keinen Hinweis auf den Vertretungszwang enthalten müssen. Sie sei auch nicht wegen irreführenden Inhalts unrichtig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Im Übrigen hätten Anhaltspunkte für eine Begründetheit der Klage nicht vorgelegen.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Das Urteil verletzt § 58 Abs. 2 VwGO. Die Klagefrist ist gewahrt, da die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig war. Die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses über die Begründetheit der Klage verhandeln und entscheiden kann.

1. Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger persönlich erhobene Klage wegen § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO unwirksam ist. Auch eine spätere Heilung durch den Schriftsatz seines Rechtsanwalts scheidet aus, da dies der Zielsetzung der Vorschrift widersprechen würde. Mit dem Vertretungserfordernis in § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO soll erreicht werden, dass dem Gericht nur ein von einem Rechtsanwalt geprüfter und gesichteter Streitstoff unterbreitet wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2000 – BVerwG 1 B 37.00 – juris). Dies wäre bei der nachträglichen Heilung einer bereits beim Gericht eingegangenen Klage oder Rechtsmittelschrift nicht ausreichend gewährleistet.

2. Die vom Kläger durch Schreiben seines Rechtsanwalts erhobene Klage war jedoch entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts rechtzeitig. Da die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt war, lief die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1978 – BVerwG 6 C 77.78 – BVerwGE 57, 188; Beschlüsse vom 11. Mai 1994 – BVerwG 11 B 66.94 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 63 und vom 14. Februar 2000 – BVerwG 7 B 200.99 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 77).

Vorliegend war die Rechtsbehelfsbelehrung objektiv geeignet, den Kläger in die Irre zu führen. Denn durch die Vielzahl der in ihr enthaltenen Informationen erweckte sie den Eindruck, alle zu erfüllenden Anforderungen vollständig aufgelistet zu haben. Insbesondere konnte sie dahin verstanden werden, dass ein nicht durch einen Rechtsanwalt vertretener Kläger innerhalb der Monatsfrist persönlich Klage erheben und es einem späteren Schreiben überlassen könne, gemäß § 17 Abs. 6 b FStrG die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Indem die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Schriftform hinwies, über die gebotene Bezeichnung von Kläger, Beklagtem und Streitgegenstand belehrte und auf die Regelung in § 17 Abs. 6 b FStrG aufmerksam machte, erweckte sie den Eindruck, dass ein anderes gleichgewichtiges Hindernis, die Klage persönlich zu erheben, nicht bestehe. Dies wird durch den zusätzlichen Hinweis auf die Rechtslage hinsichtlich der fehlenden aufschiebenden Wirkung sowie die Möglichkeit, hierzu einen (weiteren) Antrag beim Oberverwaltungsgericht zu stellen, verstärkt. Ein Leser dieser Rechtsbehelfsbelehrung brauchte nicht auf den Gedanken zu kommen, ein so grundlegendes Erfordernis, wie es der Vertretungszwang darstellt, könne der Erhebung einer fristgerechten Klage entgegenstehen. Somit war die Rechtsbehelfsbelehrung im Ergebnis irreführend, obwohl die in ihr enthaltenen Hinweise als solche – isoliert betrachtet – nicht unzutreffend waren.

Daher kann unentschieden bleiben, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung in Fällen, in denen für die Anfechtungsklage bereits erstinstanzlich Vertretungszwang besteht, allgemein einen Hinweis hierauf enthalten muss (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 31. März 1995 – BVerwG 4 A 1.93 – BVerwGE 98, 126 ≪127 f.≫). Ebenso kann dahinstehen, ob dem Kläger vorliegend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Dagegen spricht allerdings neben den vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründen, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren durch seinen Rechtsanwalt vertreten war und dieser sich nicht darauf berufen kann, er habe die Möglichkeit einer öffentlichen Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses gemäß § 74 Abs. 5 Satz 1 VwVfG nicht in Betracht ziehen müssen und sei daher ohne Verschulden gehindert gewesen, seinen Mandanten rechtzeitig hinsichtlich der Klagemöglichkeit und des Vertretungszwangs zu beraten.

3. Der Senat hat erwogen, die Revision zurückzuweisen, weil sich die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig erweisen könnte (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn das Tatsachengericht hat bereits ausgeführt, dass Anhaltspunkte für eine Begründetheit der Klage nicht vorgelegen hätten, und dies näher mit guten Gründen dargelegt. Nachdem die Begründetheit der Klage, für die auch nach der Einschätzung des Senats wenig spricht, lediglich in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erörtert worden ist und der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht vertreten war, erschien es jedoch sachgerecht, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung des Oberverwaltungsgerichts vorzubehalten.

 

Unterschriften

Berkemann, Halama, Rojahn, Gatz, Jannasch

 

Fundstellen

Haufe-Index 742789

DVP 2003, 41

JA 2002, 934

BayVBl. 2002, 678

DVBl. 2002, 1553

UPR 2003, 156

LL 2003, 47

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