Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit von Angaben zu den Tätigkeitsschwerpunkten eines Rechtsanwalts auf Briefkopf und Firmenschild

 

Leitsatz (redaktionell)

Art. 12 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Fachgericht Angaben zum Tätigkeitsschwerpunkt eines Rechtsanwalts als unzulässige Herausstellung von Spezialkenntnissen qualifiziert und die Führung eines entsprechenden Zusatzes auf Briefkopf und Kanzleischild der Anwaltspraxis (hier: "Transport- und Versicherungsvertragsrecht") untersagt, obwohl es sich bei der beanstandeten Angabe um keine gezielte Werbung i. S. eines unaufgeforderten Herantretens an potentielle Mandanten handelt. Allerdings darf die grafische Gestaltung der Zusatzbezeichnung insbesondere im Zusammenhang mit der Berufsbezeichnung nicht zur Irreführung der rechtsuchenden Bürger als Werbeadressaten geeignet sein. Dies wäre möglich, wenn beim Verkehr die Vorstellung aufkommen könnte, der Anwalt sei "Fachanwalt für Transport- und Versicherungsvertragsrecht".

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; BRAO § 43; UWG §§ 1, 3; StBerG 1975 § 57

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 14.11.1991; Aktenzeichen 2 U 40/91)

 

Tenor

Das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. November 1991 – 2 U 40/91 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die gerichtliche Untersagung, den Zusatz „Transport- und Versicherungsvertragsrecht” auf dem Kanzleischild und dem Briefkopf seiner Rechtsanwaltspraxis zu führen.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist nach seinen eigenen Angaben nach zweitem Examen 1986 von 1987 bis 1989 in der Versicherungswirtschaft und anschließend in einer Rechtsanwaltskanzlei mit dem Schwerpunkt Transportrecht angestellt gewesen, bevor er sich im Mai 1990 als selbständiger Rechtsanwalt in Düsseldorf niedergelassen hat. Seitdem führte er den obenbezeichneten Zusatz auf dem Kanzleischild und im Briefbogen.

2. Die Klage des Düsseldorfer Anwaltvereins wegen Verstoßes gegen §§ 1, 3 UWG, § 43 BRAO durch berufswidrige, irreführende Werbung mit einer lediglich auf Selbsteinschätzung beruhenden Bezeichnung hatte vor dem Landgericht keinen Erfolg. Auf die Berufung des Anwaltvereins untersagte das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 14. November 1991 dem Beschwerdeführer, den oben bezeichneten Zusatz zu führen. Zur Begründung führte es aus, der beanstandete Hinweis sei nach der Verkehrsanschauung Werbung im Sinne der Rechtsprechung des Senats für Wettbewerbssachen beim Bundesgerichtshof. Auch nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1987 sei aus den Vorschriften des Anwaltsrechts das Verbot der gezielten Werbung um Praxis und der irreführenden Werbung ableitbar. Wenn ein Rechtsanwalt nicht in einem förmlichen Verfahren bestätigte Spezialkenntnisse herausstelle, handele es sich um eine berufswidrige und zugleich irreführende Werbung, da die Selbsteinschätzung besonderer beruflicher Fähigkeiten und deren Anpreisung in der Öffentlichkeit ein berufswidriges Sich-Herausstellen gegenüber Berufskollegen sei. Demnach sei die lediglich auf Selbsteinschätzung beruhende Führung einer Fachanwaltsbezeichnung oder einer ähnlichen sonstigen berufsbezogenen Zusatzbezeichnung weiterhin nicht erlaubt. Unabhängig davon sei nicht entschieden, ob und gegebenenfalls inwieweit sogenannte Informationswerbung zulässig sei. Die Angaben des Beschwerdeführers „Transport- und Versicherungsvertragsrecht” seien in einer solchen Weise gemacht worden, daß sie von einem nicht unerheblichen Teil des Publikums dahin verstanden würden, daß der Beschwerdeführer auf den genannten Gebieten besondere berufliche Fähigkeiten habe. Er habe nicht lediglich sein hauptsächliches Arbeitsgebiet angegeben, vielmehr wirke die Gestaltung des Briefbogens auf einen nicht unerheblichen Teil des Verkehrs wie eine Fachanwaltsbezeichnung.

Das Urteil des Oberlandesgerichts wurde dem Beschwerdeführer am 5. Dezember 1991 zugestellt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Mit der am 23. Dezember 1991 fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wird eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG gerügt. Das Oberlandesgericht habe verkannt, daß ein Werbeverbot eine Grundrechtseinschränkung darstelle, welches eine besonders weitgehende Prüfung erfordere, zumal Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend kein umfassendes Werbeverbot aus § 43 BRAO ableiteten. Auch Rechtsanwälte dürften ähnlich wie Gewerbetreibende um Aufträge werben und hierzu sachliche Informationen über Arbeitsschwerpunkte verwenden. Die Regel „verbotene Werbung um Praxis” habe mit den Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts ihren Sinn verloren. Dieses Verbot sei als Eingriff weder durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt noch verhältnismäßig; allenfalls als Ausnahme könne der Eingriff noch gerechtfertigt sein. Eine Abgrenzung von sachlicher Informationswerbung und berufswidriger, unseriöser Reklame erlaube dieser Begriff nicht. Unzutreffend werde von einer „Irreführung” im Sinne von § 3 UWG ausgegangen. Die Verwechslungsgefahr mit einer Fachanwaltsbezeichnung für Transport- und Versicherungsvertragsrecht bestehe nicht, weil es diese Fachanwaltsbezeichnung nicht gebe. Die Konzentration auf einen Rechtsbereich sei zulässig.

Die Bezeichnung des Tätigkeitsschwerpunktes trage dem Informationsbedürfnis der rechtsuchenden Öffentlichkeit Rechnung.

2. Das Bundesministerium der Justiz, das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Berufsverbände halten die Verfassungsbeschwerde für begründet, die Bundesrechtsanwaltskammer hält sie für unbegründet.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet im Sinne des § 93 c Abs. 1 BVerfGG. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (BVerfGE 57, 121; 82, 18 – Führen von Zusatzbezeichnungen neben der gesetzlichen Berufsbezeichnung Rechtsanwalt; BVerfGE 76, 196 – Anwaltswerbung). Es hat wiederholt ausgeführt, daß der wahrheitsgemäße Hinweis auf rechtsförmlich erworbene fachliche Qualifikationen keine unzulässige Werbung darstellt (BVerfGE 33, 125 ≪170≫; 57, 121 ≪133≫; 71, 183 ≪199≫; 82, 18 ≪28≫) und auch dazu Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen das Führen einer solchen Bezeichnung nach Selbsteinschätzung die Grenze des Zulässigen überschreitet (BVerfGE 57, 121 ≪134≫; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 1991 – 1 BvR 743/90 –, NJW 1992, S. 493 – „Fachanwalt für Strafrecht”, und vom 14. Januar 1992 – 1 BvR 957/89 –, NJW 1992, S. 816 – „Fachanwalt für Arbeitsrecht”). Danach fand sich vor der Neuregelung durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) die gesetzliche Grundlage für das Verbot zum Führen einer nicht genehmigten Berufsbezeichnung in der Generalklausel des § 43 BRAO, aus der sich die Verbote der gezielten Werbung um Praxis und der irreführenden Werbung herleiten (BVerfGE 76, 196 ≪205≫ m.w.N.). Die Angabe von Tätigkeitsbereichen unterfällt jedoch nicht dem Werbeverbot für die Teilnahme an der Anwaltsuchservice GmbH: (Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 1992 – 1 BvR 899/90 –, NJW 1992, S. 1613). Im Einklang hiermit gehen die Fachgerichte davon aus, daß einem Rechtsanwalt der Hinweis auf seine Tätigkeitsschwerpunkte nicht verwehrt ist, sofern er in diesen Bereichen über besondere Erfahrungen verfügt (BGH, Urteile vom 16. Juni 1994 – I ZR 66 und 67/92 –, AnwBl. 1994, S. 417 ff.; NJW 1994, S. 2284). Den Fachgerichten obliegt es, die Grenze zwischen erlaubten und verbotenen Handlungsformen – unter Abwägung des Grundrechts auf Berufsausübungsfreiheit mit der Sicherung des Werbeverbots – im Einzelfall zu ziehen (Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 1993 – 1 BvR 1313/88 –, NJW-RR 1994, S. 168 f.).

2. Die Auslegung und Anwendung der oben genannten Grundsätze auf den Einzelfall ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt nachprüfbar (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫). Nur wenn der Beschwerdeführer in seiner Freiheit der Berufsausübung unverhältnismäßig eingeschränkt wird, besteht Anlaß für eine verfassungsgerichtliche Korrektur (BVerfGE 87, 287 ≪323≫). So liegt es hier.

Das Oberlandesgericht hat dem Beschwerdeführer uneingeschränkt untersagt, auf seinem Praxisschild den Zusatz „Transport- und Versicherungsvertragsrecht” zu führen. Darüber hinaus hat es ihm die Verwendung folgenden Briefkopfes untersagt:

Egon Arens Rechtsanwalt Transport- und Versicherungsvertragsrecht

Diese Untersagung hat zur Folge, daß dem Beschwerdeführer für eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr nicht der gebotene Raum bleibt (vgl. BVerfGE 82, 18 ≪28≫). Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts handelt es sich nicht um „gezielte Werbung” im Sinne eines unaufgeforderten direkten Herantretens an potentielle Mandanten. Dies ist in der Rechtsprechung des Wettbewerbssenats beim Bundesgerichtshof geklärt (vgl. die Urteile vom 16. Juni 1994, a.a.O.). Auch bedeutet nicht jede Angabe eines Tätigkeitsschwerpunktes bereits eine reklamehafte Werbung. Dies hat das Oberlandesgericht verkannt und die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers verletzt.

Sein Urteil vom 14. November 1991 war deshalb aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die rechtliche Beurteilung, ob eine Bezeichnung reklamehaft wirkt, hängt von den Begleitumständen ab, die die Fachgerichte zu würdigen haben (Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 1993 – 1 BvR 1241/88 –, NJW 1994, S. 123). Das Oberlandesgericht wird daher die Absicht des Beschwerdeführers, aufgrund einer nachweisbaren besonderen Erfahrung in den Bereichen des Transport- und Versicherungsvertragsrechts diese Tätigkeitsschwerpunkte zu führen, unter dem Gesichtspunkt zu würdigen haben, ob die grafische Gestaltung der Zusatzbezeichnung insbesondere im Zusammenhang mit der Berufsbezeichnung zur Irreführung der rechtsuchenden Bürger als Werbeadressaten geeignet sein könnte. Dies wäre möglich, wenn beim Verkehr die Vorstellung aufkommen könnte, der Beschwerdeführer sei „Fachanwalt für Transport- und Versicherungsvertragsrecht”. Der Gesetzgeber hat mit Blick auf die tatsächlichen Wirkungen der Art und Weise, wie die Tätigkeitsbezeichnungen geführt werden, der Satzungsversammlung aufgegeben, in der Berufsordnung die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Werbung und Angaben über selbstbenannte Interessenschwerpunkte näher zu regeln (§ 59 b Abs. 2 Nr. 3 BRAO n.F.), um den Gestaltungsvarianten der Praxis zu begegnen, die einen falschen Eindruck hervorrufen können. Ebenso lassen sich durch den Satzungsgeber oder die Fachgerichte Wege aufzeigen, wie dem Informationsbedürfnis potentieller Mandanten genügt und zugleich die Erregung von Irrtümern vermieden werden kann.

IV.

Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Söllner, Kühling, Jaeger

 

Fundstellen

NJW 1995, 712

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