Leitsatz (amtlich)

Klagt eine Krankenkasse gegen den Träger der Rentenversicherung mit dem Ziel, ihn zu verpflichten, über den Rentenantrag des inzwischen verstorbenen Versicherten zu entscheiden, so handelt es sich um eine Streitigkeit in Angelegenheiten der Rentenversicherung; SGG § 146 ist daher anzuwenden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Anwendung des RVO § 183 Abs 3 und 5:

1. Stirbt der Rentenbewerber vor Erteilung des Rentenbescheides, so darf der Rentenversicherungsträger das feststellungsverfahren nicht einstellen, und zwar auch dann nicht, wenn keine rentenberechtigten Hinterbliebenen vorhanden sind; in diesem Falle hat die KK Anspruch darauf, daß ihr der Bescheid erteilt wird.

2. Die Krankenkasse kann ihren Anspruch auf Erteilung eines Bescheides über den Rentenantrag durch Verpflichtungsklage geltend machen; ein Vorverfahren kommt nicht in Betracht. Solange noch kein Bescheid über den Rentenantrag vorliegt, scheidet eine Anfechtungs- und Leistungsklage aus.

 

Normenkette

RVO § 183 Fassung: 1961-07-12; SGG § 146 Fassung: 1953-09-03; RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12, Abs. 5 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Juni 1966 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Juli 1964 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die klagende Ortskrankenkasse gewährte dem bei ihr versicherten M F (F.) vom 22. März bis zum 30. September 1961 Krankenhilfe (Kranken- und Hausgeld). Dieser stellte im August 1961 bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) einen Antrag auf Rente; über diesen Antrag entschied die Beklagte nicht mehr, nachdem F. am 30. September 1961 verstorben war. Die Klägerin machte gegenüber der Beklagten einen Ersatzanspruch nach § 183 Abs. 3 bzw. Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geltend. Die Beklagte lehnte diesen Anspruch ab, weil dem Verstorbenen keine Rente zugebilligt worden sei. Nunmehr hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, über den Rentenantrag des Verstorbenen einen Bescheid zu erteilen. Durch Urteil vom 8. Juli 1964 hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es, daß gegen dieses Urteil die Berufung nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen sei und daß sie nur zulässig sei, wenn ein wesentlicher Mangel nach § 150 Nr. 2 SGG gerügt werde. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, die Berufung sei zulässig, weil es sich nicht um einen Anspruch auf Rente für einen abgelaufenen Zeitraum handele, vielmehr sei die Pflicht zur Durchführung des Rentenverfahrens streitig. Vorsorglich hat die Beklagte als Verfahrensmängel gerügt, das SG habe ein Feststellungs- bzw. ein Vornahmeurteil erlassen, obwohl ein Leistungsurteil möglich gewesen sei; der Vornahmeklage hätte auch ein Vorverfahren vorausgehen müssen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es vorgetragen, es sei nicht die Rente für einen abgelaufenen Zeitraum streitig, sondern die Verpflichtung der Beklagten, über den Rentenantrag des Versicherten der Klägerin einen Bescheid zu erteilen; daher sei die Berufung nicht nach § 146 SGG ausgeschlossen. Anspruch auf Erteilung eines Rentenbescheides habe nur der Antragsteller selbst bzw. nach seinem Tode die nach § 1288 Abs. 2 RVO zur Fortsetzung des Verfahrens Berechtigten. Auf keinen Fall sei aber die Klägerin zur Fortsetzung des Verfahrens berechtigt und damit zu einer Untätigkeitsklage gegen die Beklage legitimiert.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Sie hält die Berufung nach § 146 SGG für ausgeschlossen und meint weiter, das durch den Rentenantrag des Versicherten ausgelöste Verfahren sei ein reines Verwaltungsverfahren, das durch den Tod nicht unterbrochen werde. Es müsse daher vom Rentenversicherungsträger von Amts wegen fortgesetzt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 30. Juni 1966 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 8. Juli 1964 als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist begründet.

Bei einer zugelassenen Revision ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung zulässig war (BSG 2, 225, 226). Das war nicht der Fall. Denn der Anspruch der Klägerin umfaßt äußerstenfalls einen Anspruch auf Rente für die Zeit vom 22. März bis zum 30. September 1961; mithin betrifft das Urteil des SG vom 8. Juli 1964 und damit auch die Berufung der Beklagten einen Anspruch auf Rente für eine abgelaufene Zeit. Daher ist die Berufung nach § 146 SGG ausgeschlossen.

Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 23. August 1967 - 3 RK 43/67 - im Anschluß an ein Urteil des 4. Senats vom 27. April 1967 - 4 RJ 295/66 - (SozR RVO § 146 Nr. 18) ausgesprochen, daß durch den Übergang des Rentenanspruchs vom Versicherten auf die Krankenkasse die Rechtsnatur dieses Anspruchs nicht geändert werde und daß dies auch für die prozessuale Stellung der Beteiligten, insbesondere auch für die Berufungsausschließungsgründe, gelte. Zwar unterscheidet sich der vorliegende Fall von den früher entschiedenen dadurch, daß damals die Krankenkasse Klage auf eine ziffernmäßig festgelegte Leistung erhoben hatte; hier geht der Anspruch darauf, die beklagte LVA zu verpflichten, über den Rentenantrag des Verstorbenen einen Bescheid zu erteilen. Dies macht aber keinen rechtlich erheblichen Unterschied. Denn im Endergebnis will auch hier die Klägerin einen Ersatzanspruch nach § 183 Abs. 3 oder Abs. 5 RVO durchsetzen. Dieses Ziel ist aber maßgebend bei der Prüfung, ob Berufungsausschließungsgründe zum Zuge kommen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 20. Dezember 1956 (BSG 4, 206, 208) entschieden hat, kommt es auf das Endergebnis des Klageziels und nicht so sehr auf die Form an, in der diese Klage durchgeführt wird: Maßgebend sei, welches Ziel der Kläger mit seinem Klagebegehren sachlich verfolge. Des weiteren hat der Senat in seinem Beschluß vom 31. Mai 1965 (SozR SGG § 146 Nr. 14) ausgesprochen, daß die Berufung auch dann nur Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betreffe, wenn ein Träger der Rentenversicherung mit ihr die Feststellung erstrebe, daß ein anderer Träger der Rentenversicherung zur Festsetzung und Gewährung einer Rentenleistung für einen abgelaufenen Zeitraum zuständig sei. Dieser Auffassung stehe nicht entgegen, daß der Rechtsschutz nicht im Wege einer Leistungs- oder Verpflichtungsklage, sondern im Wege einer Feststellungsklage begehrt werde. Denn auf die Klageart stelle es § 146 SGG weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck ab. Wenn mit der Berufung die Feststellung begehrt werde, daß die Leistungspflicht hinsichtlich einer Rente für einen bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum einem anderen Versicherungsträger obliege, so betreffe das Rechtsmittel die Rente für einen abgelaufenen Zeitraum. Die Bedeutung des Rechtsstreits für einen der beteiligten Versicherungsträger sei nicht anders zu beurteilen, als wenn der beigeladene Versicherte das unter Vorbehalt gezahlte Altersruhegeld oder die Feststellung der Zuständigkeit im Rechtswege verlangt hätte (vgl. auch BSG 17, 186, 187). Schließlich ist der 5. Senat in seinem Urteil vom 13. April 1967 (SozR SGG § 146 Nr. 17) zu dem Ergebnis gekommen, daß auch dann § 146 SGG anzuwenden sei, wenn in einem Wiederaufnahmeverfahren die Berufung in der Sache selbst nur Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betreffe, das SG eine Wiederaufnahmeklage aber als unzulässig verworfen habe; denn es komme auf die Natur des materiellen Anspruchs an, auch wenn zunächst verlangt werde, die Wiederaufnahme zuzulassen und die frühere Entscheidung aufzuheben.

Diese Grundsätze müssen auch hier gelten. Denn die Verpflichtungsklage ist hier die prozessuale Form, in der die Klägerin ihre Ansprüche gegen die Beklagte zunächst geltend machen kann. Sie kann nicht auf Zahlung klagen, weil noch nicht feststeht, ob die Voraussetzungen des Rentenanspruchs gegeben sind. Dies kann erst durch die Beklagte in dem Verwaltungsverfahren geklärt werden, das durch den Antrag des verstorbenen Versicherten eingeleitet worden ist. Über diesen Antrag muß die Beklagte entscheiden, auch wenn der Versicherte inzwischen verstorben ist und keine Berechtigten nach § 1288 Abs. 2 RVO vorhanden sind, wie der Senat in seinem Urteil vom 23. August 1967 - 3 RK 66/65 - ausgeführt hat. Die vorliegende Klage ist also nur die prozessuale Form zur Durchsetzung des Anspruchs der Krankenkasse auf die Rente des Versicherten. Erst wenn über den Rentenantrag entschieden ist, kann die klagende Krankenkasse die Rente selbst verlangen, gegebenenfalls indem sie den ablehnenden Bescheid der LVA anficht. Für die Vorbereitung eines Anspruchs darf es aber kein weiteres Rechtsmittel geben als über den Anspruch selbst. § 146 SGG ist daher anzuwenden.

Die Berufung ist aber nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden. Sie ist auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig. Denn die Beklagte hat als Berufungsklägerin vor dem LSG keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben. Die Klage auf Erteilung eines Bescheides über den Rentenantrag des Versicherten war in dieser Form zulässig. Denn sie war - wie bereits dargelegt - der einzige Weg, mit dem die Klägerin ihren Anspruch zunächst durchsetzen konnte. Sie konnte keine Anfechtungsklage erheben, weil noch kein Bescheid über den Rentenantrag des Versicherten vorlag, desgleichen auch keine Leistungsklage.

Die beiden Schreiben der Beklagten vom 4. und 26. Juli 1962 (Bl. 36 und 39 der Verw.Akten) sind kein Verwaltungsakt. Sie stellen nur eine Ablehnung der Entschädigungspflicht von Seiten des einen Versicherungsträgers gegenüber dem anderen dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch kein Vorverfahren nötig, einmal weil noch kein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt, zum anderen aber auch, weil hier ein Versicherungsträger gegen einen anderen klagt, so daß nach § 81 Nr. 3 SGG kein Vorverfahren notwendig ist.

Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324307

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge