Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Berufsschadensausgleich Zeitlicher Geltungsbereich des Antrags. Erledigung bzw Verbrauch des Antrags. Unterbrechung der Verjährung

 

Orientierungssatz

1. Verschiedenartige Versorgungsleistungen müssen zwar jeweils gesondert beantragt werden (vgl BSG vom 1966-03-08 10 RV 516/64 = BVBl 1966, 117), das Antragsprinzip ist jedoch sinnvoll und nicht schematisch zu handhaben (vgl BSG vom 1975-10-28 9 RV 458/74 = SozR 3100 § 35 Nr 1). Maßgebend ist nicht die Ausdrucksweise, sondern der unter Berücksichtigung aller Umstände erkennbare Wille des Antragstellers. Der Antrag ist als auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen gerichtet anzusehen (vgl BSG vom 1979-03-16 9 RV 18/78 = SozR 3900 § 40 Nr 12 und BSG vom 1980-01-30 12 RK 16/79 = SozR 5070 § 10a Nr 3).

2. Mit einem Antrag werden nicht nur die Ansprüche geltend gemacht, die bei seiner Stellung im Gesetz vorgesehen sind, sondern darüber hinaus auch diejenigen, die bis zu seiner endgültigen Bearbeitung durch Gesetzesänderung entstehen (vgl BSG vom 1979-03-16 9 RV 18/78 = SozR 3900 § 40 Nr 12 und BVerwG vom 1963-07-10 VI C 91.60 = BVerwGE 16, 198, 201).

3. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in einem Bescheid der Versorgungsverwaltung auch dann über eine beantragte Leistung mitentschieden worden sein kann, wenn diese nicht ausdrücklich genannt worden ist (vgl BSG vom 1979-03-16 9 RV 18/78 = SozR 3900 § 40 Nr 12). Das kann insbesondere der Fall sein, wenn der Bescheid erkennbar die abschließende Entscheidung ist, wegen des vorliegenden Sachverhaltes aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt heraus Versorgung zu gewähren.

4. Zur Unterbrechung der Verjährung eines Anspruchs auf Berufsschadensausgleich vor Inkrafttreten des SGB 1 § 45.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 3 Fassung: 1964-02-21; SGB 1 § 45 Abs 2 Fassung: 1975-12-11; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 209 Abs 1 Fassung: 1896-08-18, § 211 Abs 1 Fassung: 1896-08-18, § 220 Abs 1 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.01.1979; Aktenzeichen L 12 V 1350/77)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 11.03.1977; Aktenzeichen S 1a V 1359/75)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung des Berufsschadensausgleichs statt vom 1. Januar 1968 schon vom 1. Januar 1964 an.

Bei dem Kläger wurden 1956 ein hirnatrophischer Prozeß nach Eiweißmangelschaden und Verwachsungen am rechten Zwerchfell als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH anerkannt. Im August 1960 beantragte der Kläger während einer Vorsprache beim Versorgungsamt, ein besonderes berufliches Betroffensein anzuerkennen, weil er wegen der Schädigungsfolgen seinen früheren Beruf als technischer Kaufmann habe aufgeben müssen. Über diesen Antrag entschied die Verwaltung mit Zugunstenbescheid vom 24. Juli 1964 und gewährte dem Kläger unter Abänderung der früher ergangenen Bescheide vom 1. August 1960 an Rente nach einer MdE um 60 vH, weil ein besonderes berufliches Betroffensein vorliege. Vor dieser Entscheidung hatte das Versorgungsamt die Sachverständigenäußerung eingeholt, daß der Kläger seinen früheren Beruf wegen der Schädigungsfolgen habe aufgeben müssen. Außerdem hatte das Versorgungsamt am 19. Februar 1964 dem Kläger einen formularmäßigen Erhebungsbogen zur Klärung der Ausbildungsverhältnisse und des beruflichen Werdeganges übersandt. In dem Anschreiben auf diesem Bogen waren die Worte, nach denen die im Erhebungsbogen zu machenden Angaben auch der Prüfung der Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches nach § 30 Abs 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) dienen würden, vom Sachbearbeiter gestrichen worden. Dieses Formular war am 25. Februar 1964 beim Versorgungsamt wieder eingegangen. In ihm hatte der Kläger aufgeführt, daß er nach Aufgabe seines Vertreterberufes als Kleinlandwirt nur noch rd 40,-- DM im Monat verdiene und schon vor Jahren angefragt habe, ob er nicht einen Höheren Anspruch infolge der beruflichen Schädigung hätte. Das sei jedoch damals verneint worden; auch wenn man keinen Anspruch auf 4.000,-- bis 5.000,-- DM im Monat erheben könne, so sollte doch eine Insgesamtrente von rd 200,-- DM keinen Ausgleich darstellen.

Der Kläger stellte im Juli 1972 Antrag auf eine höhere Rente wegen Verschlimmerung und stellte im Oktober 1972 klar, daß er mit diesem Verschlimmerungsantrag gleichzeitig auch die Gewährung einer Ausgleichsrente und eines Berufsschadensausgleichs begehre. Mit Bescheid vom 18. Juli 1974 wurde dem Kläger Berufsschadensausgleich vom 1. Oktober 1972 an bewilligt. Auf den Widerspruch des Klägers hin wurde mit Zugunstenbescheid vom 11. Juni 1975 dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 1964 Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1968 gewährt. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde mit der Begründung zurückgewiesen (Bescheid vom 8. Oktober 1975), der Kläger habe erstmals im Juli 1972 einen Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich gestellt, etwaige Versorgungsleistungen für einen Zeitpunkt vor dem 1. Januar 1968 seien verjährt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen; es hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 1967 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung des Durchschnittseinkommens eines technischen Angestellten der Leistungsgruppe II aller Wirtschaftsbereiche als Vergleichseinkommen zu gewähren; es hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat Revision eingelegt.

Er führt aus: Der Antrag des Klägers vom August 1960 auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins sei mit dem Zugunstenbescheid vom 24. Juli 1964 abschließend beschieden worden; dieser Bescheid sei bindend geworden. Erst auf den im Oktober 1972 gestellten Antrag sei über den Berufsschadensausgleich des Klägers zu entscheiden gewesen. Der Annahme, daß bereits 1960 oder 1964 von dem Kläger ein Antrag auf Berufsschadensausgleich gestellt worden sei, könne nicht gefolgt werden. Aber selbst wenn in den Erklärungen des Klägers ein entsprechender Antrag zu erblicken wäre, würde dieser durch den Bescheid von Juli 1964 mit erledigt worden sein, der nur nach § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz der Kriegsopferversorgung (VwVfGKOV) berichtigt werden könnte und nur mit einer Rückwirkung von vier Jahren. Es stelle in diesem Zusammenhang keine unzulässige Rechtsausübung dar, die Einrede der Verjährung zu erheben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts

Baden-Württemberg aufzuheben und die Berufung

gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen

zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht dem Kläger den Berufsschadensausgleich für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zum 31. Dezember 1967 zugesprochen.

Nach den Feststellungen des LSG sind die übrigen Voraussetzungen für diesen Anspruch entsprechend § 30 Abs 3 BVG idF des 2. Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964 (BGBl I S 85) erfüllt; streitig ist unter den Beteiligten, ob der Kläger einen Antrag auf Berufsschadensausgleich schon 1960 oder 1964 gestellt hatte und ob der Beklagte sich auf die Verjährung berufen durfte.

Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger mit der ausführlichen Darstellung seines beruflichen Werdeganges und seines schädigungsbedingt eingetretenen beruflichen Nachteils im Februar 1964 einen Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich gestellt habe. Er habe nicht nur darauf hingewiesen, daß er gegenüber höheren Einkünften von mehreren tausend Mark monatlich nunmehr als Kleinlandwirt nur 40,-- DM im Monat erziele, sondern bedauernd hinzugefügt, daß seine schon vor Jahren erfolgte Anfrage, ob er nicht einen höheren Anspruch infolge der beruflichen Schädigung hätte, seinerzeit verneint worden sei. Dabei habe er auch zum Ausdruck gebracht, daß die "Insgesamtrente" von 200,-- DM keinen Ausgleich für den erlittenen beruflichen Schaden darstelle. Hierin, so meint das LSG, komme zum Ausdruck, daß sich der Kläger aufgrund seines nochmaligen eingehenden Vorbringens nunmehr die Gewährung eines angemessenen Ausgleichs für seine berufliche Schädigung erhoffte und diese begehrte. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden. Das LSG ist von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- ausgegangen, daß verschiedenartige Versorgungsleistungen zwar jeweils gesondert beantragt werden müssen (Urteil des BSG vom 8. März 1966 - 10 RV 416/64 = BVBl 1966 S 117), das Antragsprinzip jedoch sinnvoll und nicht schematisch zu handhaben sei (BSG Urteil vom 28. Oktober 1975 - 9 RV 458/74 = SozR 3100 § 35 Nr 1). Maßgebend ist nicht die Ausdrucksweise, sondern der unter Berücksichtigung aller Umstände erkennbare Wille des Antragstellers. Der Antrag ist als auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen gerichtet anzusehen (BSG vom 1979-03-16 - 9 RV 18/78 = SozR 3900 § 40 Nr 12; vgl zuletzt BSG, 30. Januar 1980 - 12 RK 16/79 -). Insbesondere ist nicht zu beanstanden, daß das LSG einen Antrag des Klägers auf eine Leistung in einer Erklärung des Klägers sieht, die er abgegeben hat, bevor das Gesetz bei dem vom Kläger erfüllten Sachverhalt diese Leistung vorgesehen hatte. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom 16. März 1979 ausgesprochen, daß mit einem Antrag nicht nur die Ansprüche geltend gemacht werden, die bei seiner Stellung im Gesetz vorgesehen sind, sondern darüber hinaus auch diejenigen, die bis zu seiner endgültigen Bearbeitung durch Gesetzesänderung entstehen (vgl dazu auch Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- in Entscheidungen des BVerwG Band 16 S 198, 201). Der Erhebungsbogen mit den Ausführungen des Klägers ist dem Versorgungsamt am 25. Februar 1964 zugegangen. Das 2. Neuordnungsgesetz, in dem bestimmt wurde, daß ein Berufsschadensausgleich nicht nur für Erwerbsunfähige, sondern auch für Schwerbeschädigte, zu denen der Kläger mit der bereits zum damaligen Zeitpunkt anerkannten MdE um 50 vH gehörte, datiert vom 21. Februar 1964 und ist im Bundesgesetzblatt (BGBl) vom 27. Februar 1964 verkündet worden. Es trat mit dem 1. Januar 1964 rückwirkend in Kraft.

Dieser Antrag des Klägers ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch den Bescheid vom 24. Juli 1964 erledigt und verbraucht worden. Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen, daß in einem Bescheid der Versorgungsverwaltung auch dann über eine beantragte Leistung mitentschieden worden sein kann, wenn diese nicht ausdrücklich genannt worden ist (BSGE SozR 3900 § 40 Nr 12 S 33). Das kann insbesondere der Fall sein, wenn der Bescheid erkennbar die abschließende Entscheidung ist, wegen des vorliegenden Sachverhaltes aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt heraus Versorgung zu gewähren. So ist es hier jedoch, wie das LSG zutreffend erkannt hat, nicht. Der Bescheid vom 24. Juli 1964 hat im Wege einer Zugunstenregelung die entgegenstehenden früheren Bescheide berichtigt und die MdE des Klägers von 50 vH auf 60 vH wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht; hierin ist zugleich die Entscheidung zu sehen, daß eine weitere Erhöhung der MdE wegen besonderen Betroffenseins abgelehnt ist. Eine Entscheidung über andere Ansprüche aus dem vom Kläger dargelegten Sachverhalt kann jedoch in diesem Zugunstenbescheid nicht erkannt werden (vgl Vorberg/Van Nuis, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, VIII. Teil, § 22 VwVfG Anm II 1 d 7, S 168). Im übrigen hätte eine den Berufsschadensausgleich betreffende Entscheidung im Wege eines Erstbescheides ergehen müssen.

Der Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich ist somit bereits vom 1. Januar 1964 an begründet. Er ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht verjährt. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte berechtigt wäre, die Einrede der Verjährung zu erheben.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es schon vor Inkrafttreten des § 45 des Sozialgesetzbuches 1. Buch (SGB 1) anerkanntes Recht war, daß die Leistungsansprüche nach dem BVG in entsprechender Anwendung des § 197 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in vier Jahren verjährten (BSGE 19, 88, 90 f). Das LSG hat jedoch nicht bedacht, daß für die Unterbrechung der Verjährung vor Inkrafttreten des oben angeführten § 45 ebenfalls die Vorschriften des BGB sinngemäß Anwendung fanden (BSGE 32, 21, 23 f). Nach § 209 Abs 1 BGB wird der Lauf der Verjährungsfrist unterbrochen, wenn der Berechtigte auf Befriedigung Klage erhebt. Nach § 220 Abs 1 BGB findet diese Vorschrift entsprechende Anwendung, wenn der Anspruch vor einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen ist (vgl BSG SozR 2200 § 29 Nr 11). Die Unterbrechung der Verjährung dauert bis zur Entscheidung oder anderweitigen Erledigung über den Antrag fort (§ 211 Abs 1 BGB iVm § 220 Abs 1 BGB). Die Verjährung des Anspruches des Klägers war deswegen seit 1964 unterbrochen; diese Unterbrechung hat frühestens mit dem Bescheid vom 18. Juli 1974 geendet, mit dem das Versorgungsamt dem Kläger erstmals Berufsschadensausgleich zuerkannte. Eine eventuell von da an neu beginnende Verjährungsfrist ist jedoch durch die neuen Widersprüche und durch die Klageerhebung ebenfalls unterbrochen worden.

Im übrigen wäre der Anspruch des Klägers, worauf das LSG bereits hingewiesen hat, wegen Verletzung der behördlichen Betreuungspflicht als Herstellungsanspruch (vgl BSG SozR 3100 § 44 Nr 11 und Urteil vom 1980-02-21 - 5 RKn 19/78 jeweils mwN) ebenfalls begründet. Ein Recht des Beklagten, die Leistung für die Jahre 1964 bis 1967 zu verweigern, ist nicht zu erkennen. Die Revision des Beklagten war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654301

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