Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausfallzeit bei fehlendem Antrag auf Arbeitslosengeld. Fehlverhalten des Arbeitsamtes. Aufklärungs- und Beratungspflicht. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Nichtigkeit privatrechtlicher Vereinbarung

 

Orientierungssatz

1. Für die Zeit, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen der gewährten Abfindung nach § 117 Abs 2 AFG ruht, kommt nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO eine Ausfallzeit in Betracht. Die Annahme dieser Ausfallzeit scheitert nicht am fehlenden Antrag auf Arbeitslosengeld (so auch BSG vom 10.6.1980 - 4 RJ 33/79).

2. Das Arbeitsamt ist in das zur Anerkennung von Ausfallzeiten nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO führende Verwaltungshandeln insofern eingeschaltet, als bei ihm die Voraussetzungen für die Ausfallzeit der Arbeitslosigkeit entstehen.

3. In solchen Fällen muß es deshalb bei Entgegennahme der mit der Arbeitslosmeldung verbundenen Erklärung, ein Antrag auf Arbeitslosengeld unterbliebe entsprechend der mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung, gemäß §§ 13 und 14 SGB 1 darauf hinweisen, daß dadurch die Voraussetzungen für eine Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit in der Rentenversicherung nicht erfüllt werden. Weiter muß es den Versicherten darüber belehren, daß seine Krankenversicherung als Arbeitsloser vom Bezug des Arbeitslosengeldes abhängig ist (§ 155 Abs 1 AFG) und daß er bei freiwilliger Krankenversicherung Beiträge mindestens von einem fiktiven Einkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes zahlen müßte (BSG vom 23.2.1988 - 12 RK 34/86). Vor allem muß ihm, wenn er eine Vereinbarung vorlegt, in der er sich verpflichtet, den Antrag auf Arbeitslosengeld zu unterlassen, deutlich gemacht werden, daß der Vertrag mit dieser Verpflichtung nach § 32 SGB 1 nichtig ist.

4. Ist die erforderliche Beratung unterblieben und steht fest, daß der Arbeitslose bei ausreichender Belehrung durch das Arbeitsamt den Leistungsantrag gestellt hätte, so ist ihm durch das Fehlverhalten des Arbeitsamtes ein im Wege des Herstellungsanspruchs auszugleichender Rechtsnachteil entstanden. Er ist dann so zu stellen, als ob er bei der Arbeitslosmeldung auch den Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt und die Leistung erhalten hätte. Dem steht die Rechtsprechung im Bereich der Arbeitslosenversicherung nicht entgegen, nach der das Fehlen der Verfügbarkeit und die fehlende persönliche Arbeitslosmeldung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden können (vgl BSG vom 19.3.1986 - 7 RAr 48/84 = BSGE 60, 43 = SozR 4100 § 105 Nr 2).

5. Muß festgestellt werden, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung der Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt worden wäre, erscheint zur Klärung der damit zusammenhängenden Fragen eine Beteiligung des Arbeitgebers und der Arbeitsverwaltung am Verfahren nach § 75 Abs 1 SGG zweckmäßig.

6. Eine vertragliche Vereinbarung, die den Verlust der Entscheidungsfreiheit einen Leistungsantrag zu stellen zum Gegenstand hat und damit den Verlust der Rechtsvorteile einschließt, die das Gesetz in Gestalt der Ausfallzeit und des Krankenversicherungsschutzes an den Bezug von Arbeitslosengeld knüpft, bedeutet substantiell eine Veränderung der Rechtsposition des Leistungsberechtigten zu seinem Nachteil und damit ein Abweichen von den Vorschriften des SGB iS von § 32 SGB 1.

 

Normenkette

RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 Buchst a; AFG § 117 Abs 2, § 155 Abs 1; SGB 1 §§ 14, 13, 32, 16 Abs 3; AFG § 119; SGG § 75 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 29.07.1987; Aktenzeichen III JBf 114/86)

SG Hamburg (Entscheidung vom 13.03.1986; Aktenzeichen 1 J 1025/85)

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung einer Ausfallzeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1984 nach § 1259 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Am 23. November 1983 beendete der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber, bei dem er seit 1957 beschäftigt war, im Alter von 61 Jahren durch Auflösungsvertrag. Neben einem Entgelt von 3.098,56 DM für Dezember 1983 erhielt er eine Abfindung von 20.000,-- DM und für zunächst zwölf Monate einen Übergangsbetrag von 100,-- DM monatlich. Für den Werksrentenanspruch wurde die Beendigung des Dienstverhältnisses mit Vollendung des 63. Lebensjahres vereinbart. Ferner wurde vereinbart, daß der Kläger sich verpflichte, keinen Antrag auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu stellen, Stillschweigen über die Vereinbarung zu wahren und, daß bei abredewidriger Antragstellung ab Antrag an die Stelle der Vereinbarung wieder der frühere Rechtszustand treten solle. Der Kläger meldete sich am 2. Dezember 1983 beim Arbeitsamt (AA) Hamburg als Arbeitsuchender arbeitslos und unterschrieb in dessen Vermittlungsunterlagen den Vermerk: "Verzichtet auf Antragstellung gemäß Auflösungsvertrag der Firma St.    ."

Ab 1. Januar 1985 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 11. Februar 1985 Altersruhegeld nach § 1248 Abs 2 RVO, berücksichtigte dabei aber die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1984 nicht als Ausfallzeit. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 10. Juli 1985 zurückgewiesen, nachdem das AA der Beklagten unter dem 25. Februar 1985 mitgeteilt hatte, für die streitige Zeit sei kein Leistungsbezug erfolgt, die Verfügbarkeit werde aber wegen Meldung als Arbeitsuchender anerkannt.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage mit Urteil vom 13. März 1986 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg mit Urteil vom 29. Juli 1987 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 1. Januar bis 3. März 1984 als Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit rentensteigernd beim Altersruhegeld des Klägers zu berücksichtigen. Es hat ausgeführt, für den Zeitraum vom 1. Januar bis 3. März 1984 seien die Voraussetzungen der Anerkennung einer Ausfallzeit gemäß § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO gegeben. In dieser Zeit habe der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen der vom Arbeitgeber gezahlten Abfindung gemäß § 117 Abs 2 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geruht, so daß ein Antrag auf diese Leistung entbehrlich gewesen sei, zumal insoweit auch eine Sperrfrist nach § 119 Abs 1 Nr 1 AFG entfallen sei, weil der Kläger für die Aufgabe seines Arbeitsplatzes im Zuge drastischen Personalabbaus älterer Arbeitnehmer einen wichtigen Grund gehabt habe. Der Rest des Jahres 1984 könne dagegen nicht als Ausfallzeit anerkannt werden, weil insoweit wegen des vereinbarungsgemäß unterlassenen Antrages auf Arbeitslosengeld diese Leistung nicht bezogen worden und der Verzicht auf Leistungen nicht den Fällen des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO gleichzustellen sei.

Beide Beteiligte haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO, der eine Ausfallzeit grundsätzlich nur bei tatsächlichem Leistungsbezug vorsehe. Das Ruhen des Anspruchs genüge dafür so wenig, wie der Verzicht auf Arbeitslosengeld, weil der Antrag nach § 100 AFG Anspruchsvoraussetzung für das Arbeitslosengeld sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Zurückweisung der Revision des Klägers in Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. März 1986 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Der Kläger rügt mit seiner Revision ebenfalls eine Verletzung des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO. Die Zeit vom 4. März bis 31. Dezember 1984 habe nach dem Sinn dieser Bestimmung als Ausfallzeit berücksichtigt werden müssen, weil der Leistungsverzicht wegen der gewährten Abfindung dem Zusammentreffen mit Einkommen vergleichbar sei, das zum Ruhen des Arbeitslosengeldes führe.

Der Kläger beantragt,

unter Zurückweisung der Revision der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. März 1986 aufzuheben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Beklagte verurteilt wird, auch die Zeit vom 4. März bis 31. Dezember 1984 als Ausfallzeit bei Berechnung seines Altersruhegeldes zu berücksichtigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen des Klägers und der Beklagten führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz. Die Feststellungen des LSG reichen zur abschließenden Entscheidung durch das Revisionsgericht nicht aus.

Der Senat geht davon aus, daß die für die Anerkennung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO erforderliche Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung durch eine mindestens einen Monat andauernde Arbeitslosigkeit hier erfüllt ist. Denn durch den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1985, mit dem sie dem Kläger nach § 1248 Abs 2 RVO das Altersruhegeld vorzeitig gewährt hat, ist festgestellt worden, daß die besondere Anspruchsvoraussetzung einer Arbeitslosigkeit von mindestens zweiundfünfzig Wochen innerhalb der letzten eineinhalb Jahre erfüllt ist. Weiter ist nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO auch die Voraussetzung erfüllt, daß der Kläger bei einem deutschen AA als Arbeitsuchender gemeldet war, wie aus der vom LSG zitierten Bescheinigung des AA Hamburg vom 25. Januar 1985 (Blatt 16 der Akten der Beklagten) hervorgeht, deren Unrichtigkeit die Beklagte mit der Revision nicht geltend gemacht hat. Unter den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, daß der Kläger während seiner Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld nicht beantragt und auch nicht bezogen hat. Gleichwohl kommt ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung der streitigen Zeit als Ausfallzeit unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten in Betracht.

Für die Zeit, in der der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen der ihm gewährten Abfindung nach § 117 Abs 2 AFG ruhte, kommt nach § 1259 Abs 1 Nr3 RVO eine Ausfallzeit in Betracht. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des LSG, daß die Anrechnung dieser Ausfallzeit nicht schon am fehlenden Antrag auf Arbeitslosengeld scheitert. Denn übereinstimmend mit dem nicht veröffentlichten Urteil des 4. Senats vom 10. Juni 1980 - 4 RJ 33/79 - geht auch der erkennende Senat davon aus, daß im Falle des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Anrechnung des Einkommens aus einer Abfindung der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht schon wegen des nach § 100 Abs 1 AFG notwendigen Antrags auf diese Leistung entfällt, weil dem Kläger nicht zuzumuten ist, eine ohnehin ruhende Leistung zu beantragen. Anders als in dem ebenfalls nicht veröffentlichten, vom 5a Senat am 13. Mai 1982 entschiedenen Fall - 5a/5 RKn 17/80 -, in dem während des dort mit der Anschlußrevision als Ausfallzeit geltend gemachten Zeitraumes ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nicht in Betracht kam, war hier nämlich das Ruhen wegen der Anrechnung der dem Kläger gewährten Abfindung unabhängig von einer Antragstellung ursächlich für die Nichtgewährung des Arbeitslosengeldes (vgl auch Verbandskommentar zur RVO § 1259 Anm 16).

Die Abfindung führt aber nur in Höhe des Teilbetrages zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, der zur Abgeltung von Arbeitsentgeltansprüchen gezahlt wird, die wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfallen (Arbeitsentgeltanteil). Dagegen hat der Teilbetrag, welcher zur Entschädigung für den Verlust sozialer Besitzstände, insbesondere des Arbeitsplatzes, dient (sozialer Anteil), nicht die Wirkung, daß insoweit das Arbeitslosengeld nach §117 Abs 2 AFG ruht. Ebenso bewirkt der Teil der Abfindung, der als Gegenleistung dafür gezahlt wird, daß der Arbeitnehmer auf die Geltendmachung von Arbeitslosengeld verzichtet hat, kein Ruhen des Arbeitslosengeldes, weil er nicht als Abfindung iS des § 117 Abs 2 AFG anzusehen ist (vgl Urteil des 12. Senats vom 23. Februar 1988 - 12 RK 34/86 - mwN). Ob danach im vorliegenden Fall noch ein Abfindungsbetrag verbleibt, auf den als Arbeitsentgeltanteil § 117 Abs 2 AFG anzuwenden ist, erscheint angesichts des letzten Entgelts des Klägers und der Höhe der Gesamtabfindung fraglich. Feststellungen dazu, wie sich nach dem Willen der am Auflösungsvertrag Beteiligten die Abfindung zusammensetzte, fehlen und sind daher nachzuholen.

Ein nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO unschädliches Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Einkommensanrechnung scheidet zwar insoweit aus, als das Ruhen auf der - dann vorrangigen - Verhängung einer Sperrzeit nach § 119 Abs 2 Nr 1 AFG beruht, weil der Arbeitslose sein Arbeitsverhältnis vertraglich gelöst und somit die Arbeitslosigkeit zumindest grobfahrlässig herbeigeführt hat. Insoweit hat das LSG aber unter Berufung auf das Urteil des 7. Senats des BSG vom 17. Februar 1981 - 7 RAr 90/79 - (SozR 4100 § 119 Nr 14) zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger für sein Verhalten einen wichtigen Grund iS von § 119 Abs 1 Satz 1 AFG hatte, der die Verhängung einer Sperrzeit ausschließt.

Die Zeit, in der der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld nicht mehr wegen Anrechnung der ihm gezahlten Abfindung ruhte, sondern allein wegen des fehlenden Antrags nicht in Betracht kam, ist zwar nach dem Wortlaut des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO nicht als Ausfallzeit anzusehen. Der Senat hält es jedoch für klärungsbedürftig, ob insoweit eine Ausfallzeit unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anzurechnen ist. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Anspruch richtet sich auf Herstellung (oder Wiederherstellung) des dem Gesetz und seinen Zielen entsprechenden Zustandes. Hat eine Behörde durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen für die Rechtsstellung des Versicherten herbeigeführt und können diese durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden, so hat die Behörde dem Versicherten die Rechtsposition einzuräumen, die er gehabt hätte, wenn von Anfang an ordnungsgemäß verfahren worden wäre (SozR 2200 § 1418 Nr 6 = BSGE 49, 76 mwN). Das gilt auch, wenn es sich um fehlerhaftes Verhalten - etwa um unzureichende Beratung - einer anderen Behörde handelt, die vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (SozR 1200 § 14 Nr 20 = BSGE 58, 283, 284 mwN). Das kommt hier in Betracht.

Das AA ist in das zur Anerkennung von Ausfallzeiten nach § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO führende Verwaltungshandeln insofern eingeschaltet, als bei ihm die Voraussetzungen für die Ausfallzeit der Arbeitslosigkeit entstehen; in erster Linie durch die Entgegennahme der persönlichen Arbeitslosmeldung und des Antrages auf Arbeitslosengeld (§ 105 AFG), aber auch durch dessen Zahlung oder durch die Leistungsablehnung wegen Zusammentreffens mit anderen Bezügen, Einkommens oder Berücksichtigung von Vermögen. In solchen Fällen muß das AA deshalb bei Entgegennahme der mit der Arbeitslosmeldung verbundenen Erklärung, ein Antrag auf Arbeitslosengeld unterbleibe entsprechend der mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung, gemäß §§ 13 und 14 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB 1) darauf hinweisen, daß dadurch die Voraussetzungen für eine Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit in der Rentenversicherung nicht erfüllt werden. Weiter muß es den Versicherten darüber belehren, daß seine Krankenversicherung als Arbeitsloser vom Bezug des Arbeitslosengeldes abhängig ist (§ 155 Abs 1 AFG) und daß er bei freiwilliger Krankenversicherung Beiträge mindestens von einem fiktiven Einkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes zahlen müßte (Urteil des 12. Senats vom 23. Februar 1988 - 12 RK 34/86 -). Vor allem muß ihm, wenn er eine Vereinbarung vorlegt, in der er sich verpflichtet, den Antrag auf Arbeitslosengeld zu unterlassen, deutlich gemacht werden, daß der Vertrag mit dieser Verpflichtung nach § 32 SGB 1 nichtig ist. All dies ist möglicherweise im Falle des Klägers unterblieben; Feststellungen hierzu fehlen jedenfalls.

Die Nichtigkeit der hier zu beurteilenden Vereinbarung folgt aus § 32 SGB 1. Danach sind Vereinbarungen nichtig, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften des SGB abweichen. Es gibt zwar keine gesetzliche Verpflichtung, den Antrag auf Arbeitslosengeld zu stellen. Das Sozialleistungssystem überläßt es vielmehr dem Sozialleistungsberechtigten, sich frei zu entscheiden, ob und wann er den Antrag stellen will. Eine vertragliche Vereinbarung, die den Verlust dieser Entscheidungsfreiheit zum Gegenstand hat und damit den Verlust der Rechtsvorteile einschließt, die das Gesetz in Gestalt der Ausfallzeit und des Krankenversicherungsschutzes an den Bezug von Arbeitslosengeld knüpft, bedeutet indes substantiell eine Veränderung der Rechtsposition des Leistungsberechtigten zu seinem Nachteil und damit ein Abweichen von den Vorschriften des SGB iS von § 32 SGB 1 (Hauck-Haines, SGB 1 Kommentar § 32 RdNr 5).

Die in den §§ 46 und 53 SGB 1 vorgesehenen Möglichkeiten des Verzichts auf Sozialleistungsansprüche und der Übertragbarkeit von Sozialleistungsansprüchen stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Der Verzicht kann nämlich nach § 46 Abs 1 SGB 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Daher bedeutet der Verzicht auf die Antragstellung als essentielle Anspruchsvoraussetzung den Ausschluß des Widerrufsrechts und damit einen Verstoß gegen § 46 Abs 1 SGB 1. Ebenso sieht § 53 Abs 2 SGB 1 die Übertragung von Ansprüchen nur zum Ausgleich von Vorgriffsleistungen Dritter vor. Es käme danach nur die Übertragung des Anspruchs auf "beantragte" Leistungen in Betracht, nicht aber die mit den Rechtsnachteilen im Bereich der Ausfallzeiten und in der Krankenversicherung verbundene Nichtausübung des Antragsrechts (vgl Hauck-Haines aaO § 46 RdNr 5, § 53 RdNr 7).

Wird festgestellt, daß die erforderliche Beratung des Klägers unterblieben ist, so muß als weitere Voraussetzung des Herstellungsanspruchs festgestellt werden, ob der Kläger bei ausreichender Belehrung durch das AA den Leistungsantrag gestellt hätte. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist ihm durch das Fehlverhalten des AA der im Wege des Herstellungsanspruchs auszugleichende Rechtsnachteil entstanden. Ist auch dies festgestellt, hat die Beklagte den Kläger so zu stellen, als ob er bei der Arbeitslosmeldung auch den Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt und die Leistung erhalten hätte. Dem steht die Rechtsprechung im Bereich der Arbeitslosenversicherung nicht entgegen, nach der das Fehlen der Verfügbarkeit und die fehlende persönliche Arbeitslosmeldung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden können (BSGE 58, 104 = SozR 4100 § 103 Nr 36; BSGE 60, 43 = SozR 4100 § 105 Nr 2). Im Gegensatz zur Arbeitslosmeldung ist nämlich der Antrag auf Arbeitslosengeld nicht die Erklärung einer Tatsache, sondern eine Willenserklärung (BSGE 4, 7, 12).

Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat mangels der dazu notwendigen Feststellungen nicht möglich. Diese wird nunmehr das LSG zu treffen haben. Zur Klärung aller mit dem Auflösungsvertrag und dem Herstellungsanspruch zusammenhängenden Fragen als Grundlage der für den Herstellungsanspruch notwendigen Feststellungen wird auch der frühere Arbeitgeber des Klägers heranzuziehen sein. Es erscheint zweckmäßig, ihn und ebenso die Bundesanstalt für Arbeit nach § 75 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes am Verfahren zu beteiligen, weil ihre berechtigten Interessen durch die Entscheidung zum Herstellungsanspruch berührt werden können.

Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653265

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