Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise anhand von Durchschnittswerten vergleichbarer Arztgruppen. Honorarkürzung ohne Abmahnung. Beurteilungsspielraum der Prüfinstanzen. Besetzung der Sozialgerichte bei Streit über die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungsweise (hier: Vermutung der Unwirtschaftlichkeit, Praxisbesonderheiten, gesamtwirtschaftliche Betrachtung, beschränkte Einzelfallprüfung, Beurteilungsspielraum des Prüfungsausschusses, Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Arztes, Begründung des Prüfbescheides).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In Angelegenheiten der Kassenärzte haben bei den Sozialgerichten als ehrenamtliche Richter "Kassenärzte" mitzuwirken; eine Differenzierung nach ärztlichen Fachgebieten - je nach der Fachrichtung, welcher der klagende Arzt angehört - wird vom Gesetz nicht gefordert.

2. Soweit den Prüfinstanzen ein Beurteilungsspielraum zusteht, beschränkt sich die Kontrolle des Gerichts darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten hat und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, daß im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist.

3. Steht die Quartalsabrechnung eines Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe, können ohne vorherige Information des Arztes Honorarkürzungen vorgenommen werden.

4. Die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise braucht nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden, wenn die durchschnittlichen Honorarforderungen des Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Vergleichsgruppe stehen und die Praxisbesonderheiten den Mehraufwand nicht rechtfertigen.

5. Rechtfertigen die Eintragungen des Arztes über die Vorgeschichte, die vorgetragenen Beschwerden und die erhobenen Befunde nicht die erbrachten ärztlichen Leistungen, so kann das die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise im Einzelfall beweisen; daraus folgt aber nicht der Umkehrschluß, daß bei an sich schlüssigen Angaben des Arztes stets die ärztlichen Leistungen gerechtfertigt sind.

6. Praxisbesonderheiten können in vielfältiger Weise vorliegen, sie sind jedoch nur anzuerkennen, wenn sie mit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit in Einklag stehen; wenn die Praxisbesonderheiten zu einem Mehraufwand innerhalb der Praxis führen, liegt auch dann keine unwirtschaftliche Behandlungs- und Verordnungsweise vor, wenn der Mehraufwand durch einen Minderaufwand außerhalb der Praxis (zB durch Einsparungen bei der stationären Versorgung) ausgeglichen wird.

7. Eine internistisch ausgerichtete Allgemeinpraxis - großes Labor und umfangreiche physikalische Therapie - kann bei der Abrechnung nicht der Fachgruppe der Internisten zugerechnet werden; in einem solchen Falle können jedoch bei bestimmten Leistungen und Leistungssparten Abweichungen von durchschnittlichem Aufwand gerechtfertigt sein, wenn diese Leistungen im Vergleichsbereich nicht praxistypisch sind und sie gesamtwirtschaftlich nicht zu einer Kostenmehrung führen.

8. Ob und inwieweit Praxisbesonderheiten einen Mehraufwand rechtfertigen, wird in der Regel nur ungefähr gesagt werden können; deshalb sind alle Entscheidungen der Prüfinstanzen, die die "Zweifelszone" nicht erkennbar verlassen, als rechtmäßig anzusehen.

 

Normenkette

EKV-Ä § 14 Nr. 1, § 2 Nrn. 1-2, § 1 Nr. 5; RVO § 368n Abs. 5, § 368e Sätze 1-2; SGG § 12 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 01.07.1981; Aktenzeichen L 10 Ka 491/79)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 18.10.1978; Aktenzeichen S 8 Ka 1364/77)

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Ersatzkassenabrechnungen des beigeladenen Arztes für die Quartale II/1974 bis IV/1975 wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise noch weiter zu kürzen sind.

Der Beigeladene ist Arzt für Allgemeinmedizin. Bei der Prüfung seiner Ersatzkassenabrechnungen für die streitbefangenen Quartale ergaben sich nach einer Berichtigung folgende Fallzahlen und Durchschnittsfallkosten:

Quartal

Fallzahl

Fallkosten in DM

Überschreitung

(Überschreitung

Arzt Fachgruppe

durch den Arzt

der Fachgruppe)

II/1974

556 (+ 70,03 %)

85,86 41,19

+ 108,45 %

III/1974

521 (+ 52,34 %)

76,97 39,79

+ 93,44 %

IV/1974

556 (+ 60,69 %)

79,25 47,41

+ 67,16 %

I/1975

553 (+ 55,78 %)

86,98 47,03

+ 84,85 %

II/1975

539 (+ 59 %)

81,83 43,85

+ 86,61 %

III/1975

549 (+ 58,21 %)

64,76 40,80

+ 58,73 %

IV/1975

528 (+ 52,16 %)

77,43 45,66

+ 69,58 %

Trotz der Fallkostenüberschreitungen um mehr als 50 % nahm die Prüfungskommission keine Honorarkürzungen vor; bei der Überprüfung der Abrechnungsunterlagen hätten sich alle Leistungen durch die Diagnose stets ausreichend begründet und erklärt gezeigt (relativ viele schwere Fälle, eine ganze Anzahl begründeter Verdachtsfälle). Es sei stets mit einem auf den Einzelfall abgestellten gezielten Programm vorgegangen worden.

Gegen die Entscheidungen der Prüfungskommission legte der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK), der Kläger, jeweils Widerspruch ein. Die Beschwerdekommission der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) hörte als Fachberater den praktischen Arzt Dr.O. Dieser berichtete: Er habe von den Behandlungsunterlagen des Beigeladenen alle Krankenscheine der Barmer Ersatzkasse (BEK) individuell geprüft. Der Vorteil dieses Vorgehens liege darin, daß bei zirka 200 BEK-Scheinen pro Quartal ein repräsentativer Querschnitt gewährleistet sei und das Verfolgen des einzelnen Patienten über mehrere Quartale hinweg einen guten Einblick in die Arbeitsweise des zu prüfenden Arztes erlaube. Bei dem Umfang des zu sichtenden Materials habe jeweils eine Beschränkung auf die kostenintensiven Problemkreise vorgenommen werden müssen. Bezüglich der physikalischen Behandlung und der Besuchstätigkeit teile er die Auffassung der Prüfungskommission. Bezüglich der Labordiagnostik könne er der Prüfungskommission nicht zustimmen. Das Nebeneinander von Quick und Hepato-Quick, von Thymol, Elektrophorese und Ubg am selben Tag, von Harnstoff und Kreatinin sowie von Leberparametern sei nur in besonders gelagerten Einzelfällen zur Differentialdiagnostik wirtschaftlich vertretbar. Zwar könne man den Eindruck gewinnen, daß die Anzahl der Laborparameter bei einer stärkeren wissenschaftlichen Einstellung praktizierbar sei, letzten Endes aber doch eine Orientierung an dem Wirtschaftlichkeitserfordernis zu erfolgen habe. Im Einzelfall seien allerdings die labordiagnostischen Maßnahmen durch die angegebenen Diagnosen begründet, wie in einigen Beispielen die Einzelfalldurchsprache gezeigt habe.

Die Beschwerdekommission kürzte daraufhin die Honorarforderungen des Beigeladenen für II/1974 um DM 646,25 und für III/1974 um DM 825,--, indem sie bei zweimaligem Ansatz der Ziffer 756 (für Quick und Hepato-Quick) diese einmal strich. Im übrigen gab sie den Widersprüchen nicht statt. Dazu führte sie aus: Die Labordiagnostik müsse unter dem im Zeitpunkt der Leistungserbringung gegebenen Verhältnissen betrachtet werden. Damals habe man, wenn man sich intensiv um die Fortbildung bemühte, ein breiteres Spektrum gebraucht, um den verschiedenen professoralen Lehrmeinungen, die jeweils kategorisch vorgetragen worden seien, gerecht zu werden. In der Zwischenzeit hätten viele fortbildungsfreudige, moderne Kollegen aufgrund des damaligen Wissensstandes breit weitergearbeitet. Der Verdacht des schematischen Vorgehens könne beim Kläger nicht bestätigt werden. Aus den Abrechnungsunterlagen ginge eindeutig hervor, daß niemals Laboransätze oder Entnahmen ohne vorhergegangene Beratung oder eingehende Untersuchung erfolgt seien. Die ausgeführten Leistungen fänden sich im Einzelfall immer durch entsprechende diagnostische Angaben belegt. Wie bereits die Prüfungskommission festgestellt habe, seien in den Abrechnungen relativ viele schwere und medizinisch aufwendige Fälle, auch mit entsprechenden Verdachtsdiagnosen, enthalten.

Dagegen hat der VdAK Klage erhoben und geltend gemacht: Der Beigeladene habe den Fallkostendurchschnitt seiner Fachgruppe so erheblich überschritten, daß von einem offensichtlichen Mißverhältnis auszugehen sei. Die dadurch begründete Vermutung der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise werde verstärkt, wenn man die Kosten für die Sonderleistungen und für die Laborleistungen mit den entsprechenden Durchschnittswerten der Fachgruppe vergleiche. Bei den Sonderleistungen ergebe sich beispielsweise eine Überschreitung von 229,07 % für II/1974, 215,5 % für III/1974 und 144,67 % für IV/1974 und bei den Laborleistungen eine Überschreitung von 370,57 % für I/1975, 414,02 % für II/1975, 292,02 % für II/1975 und 335,16 % für IV/1975. Dem Bescheid der Beschwerdekommission sei ein Hinweis auf Praxisbesonderheiten, die die hohen Überschreitungen rechtfertigen könnten, nicht zu entnehmen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage aus folgenden Gründen abgewiesen: Der Beigeladene habe den Anschein der Unwirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise dadurch widerlegt, daß er auf die Besonderheiten seiner Praxis - eine internistisch ausgerichtete Allgemeinpraxis mit großem Labor und umfangreicher physikalischer Therapie - und auf seine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlungsweise im Bereich der Sonderleistungen hingewiesen habe. Aufgrund dieses Vorbringens habe die Beschwerdekommission die Überzeugung gewonnen, daß dem Beigeladenen weder im Einzelfall noch insgesamt eine Unwirtschaftlichkeit nachgewiesen werden könne; die ausgeführten Leistungen seien im Einzelfall immer durch entsprechende diagnostische Angaben gerechtfertigt gewesen. Der Kläger hätte anhand von Beispielfällen substantiiert darlegen müssen, daß durch die von der Beschwerdekommission vorgenommene Einzelfallprüfung die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise nicht widerlegt worden sei. Dies habe der Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung unterlassen. Damit habe er seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht genügt. Deshalb und mangels sonstiger Anhaltspunkte habe keine Veranlassung bestanden, die Richtigkeit der von den Prüfinstanzen getroffenen Feststellungen zu bezweifeln.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG Karlsruhe vom 18. Oktober 1978 und die Ersatzkassen-Prüfungsbescheide betreffend die Quartale II/1974 bis IV/1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 1977 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über die Honorarabrechnungen des Beigeladenen für die genannten Quartale unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei den festgestellten Fallkostenüberschreitungen des Klägers gegenüber den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe sei die Annahme eines offensichtlichen Mißverhältnisses gerechtfertigt. Dies zwinge zu der Schlußfolgerung, daß eine unwirtschaftliche Behandlungsweise vorliege. Abgesehen davon, daß keine echte Einzelfallprüfung vorgenommen worden sei, würde selbst eine umfassende Prüfung einzelner Fälle nicht ausreichen, die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise durch den Beigeladenen zu widerlegen. Hier könne jedoch auch den geltend gemachten individuellen Besonderheiten nicht entnommen werden, daß die Behandlungsweise des Beigeladenen wirtschaftlich gewesen sei. Die umfassende und moderne Ausstattung versetze den Beigeladenen allerdings in die Lage, physikalische Behandlungen vorzunehmen, den Notfalldienst auszuüben und voroperative bzw vorstationäre Untersuchungen durchzuführen. Er brauche auch zur Ermittlung der genauen Diagnose kaum Überweisungen an Internisten vorzunehmen. Weiter werde nicht verkannt, daß der Anteil der Rentner mit 12,2 % über dem Fachgruppendurchschnitt von 9,5 % liege und sich bei dem Krankengut des Beigeladenen viele schwere Fälle fänden, die häufig einen höheren Laboraufwand bedingten. Der Umfang seiner Praxis (52 % und mehr über der durchschnittlichen Fallzahl seiner Fachgruppe) vergrößere aber die Möglichkeit eines kostensenkenden Ausgleichs zwischen leichten und schweren Fällen. Da der Beigeladene nach seinen Angaben wenig Krankenhauseinweisungen vorgenommen habe, könne der Umfang der voroperativen und vorstationären Untersuchungen nur gering gewesen sein. Schließlich habe der Beigeladene keine Einsparungen auf anderen Sektoren nachweisen können, denn seine Durchschnittswerte lägen insgesamt trotz geringerer Abrechnungen von Injektionen wesentlich über dem Durchschnitt seiner Fachgruppe. Die von der Beschwerdekommission vorgenommene Kürzung trage nicht der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise insgesamt Rechnung, sie stelle daher einen Fehlgebrauch des Ermessens dar.

Mit der Revision rügt der Beigeladene eine unrichtige Besetzung des LSG, weil die ärztlichen Beisitzer Internisten gewesen seien und somit nicht die notwendige Qualifikation in seinem Fachbereich gehabt hätten. Ferner beanstandet er: Das LSG habe Ziffer 4 der Auswahlrichtlinien/Ersatzkassen nicht beachtet. Er sei in der Fortsetzung seiner kassenärztlichen Tätigkeit und Abrechnungsweise bestärkt worden und damit in einen grundgesetzlich geschützten Besitzstand gerückt, nachdem die Prüfungskommission und die Beschwerdekommission keine Beanstandungen vorgenommen hätten. Dies gelte um so mehr, als nach der damaligen Intention des Klägers und der Beklagten davon auszugehen gewesen sei, der Arzt habe den Patienten eine optimale Behandlung zukommen zu lassen, wogegen heute der EKV nur noch von einer ausreichenden Behandlung spreche. Zur Beurteilung der gesamten Behandlungsweise müßten auch die Überweisungen, Krankenhauseinweisungen, Arzneikosten, Krankmeldungen etc herangezogen werden. Der Begriff des "offensichtlichen Mißverhältnisses" sei zur Zeit der streitbefangenen Abrechnungsquartale noch nicht in die Rechtsdogmatik eingegangen gewesen. Ein offensichtliches Mißverhältnis könne sich zudem nur ergeben, wenn man ihn der Fachgruppe der praktischen Ärzte zuordne. Tatsächlich sei er aber dem Internisten gleichzusetzen. Er unterhalte ein großes Labor und sei stark apparativ eingerichtet. Infolge seiner klinischen Vorbildung und ständigen Fortbildung sei er in der Lage, gynäkologische, pädiatrische, otologische und dermatologische Leistungen zu erbringen. Als Praxisbesonderheit ergebe sich daher, daß er überwiegend Problemfälle zu behandeln habe. Mit seiner umfangreichen vorstationären Diagnostik entspreche er den Empfehlungen der Beklagten. Das habe zu verkürzten Liegezeiten in den Kliniken geführt. Bei der Berechnung seiner durchschnittlichen Fallkosten sei ein bereits erfolgter Abzug von DM 10.000,-- nicht berücksichtigt worden. Sein Leistungsspektrum sei damals noch längst nicht Allgemeingut aller Ärzte gewesen. Nur 7 % der Allgemeinärzte hätten die Elektrophorese, 33 % die Quick-Wert-Untersuchung und 47 % die photometrische Untersuchung angewandt. Das habe ua zu einem vermehrten Anteil von stoffwechselgeschädigten Patienten in seiner Praxis geführt. Die Prüfungsinstanzen hätten durch den Fachberater 200 Einzelfälle ohne Beanstandung überprüft. Auch eine für die gleiche Zeit durchgeführte Prüfung der gesetzlichen Krankenkassen habe keine Beanstandung ergeben. Der ihm vom LSG auferlegte umfassende Strengbeweis sei nicht zu erbringen.

Der Beigeladene beantragt sinngemäß, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juli 1981 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Oktober 1978 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe zu Recht die Aussagekraft der sachgerecht durchgeführten Schätzmethode so hoch angesetzt, daß deren Ergebnis nicht durch einige wenige Einzelfälle in Frage gestellt werden könne.

Die Beklagte gibt zur Revision keine Erklärung ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beigeladenen ist nur zum Teil begründet.

Die Rüge des Beigeladenen, das LSG habe in nicht richtiger Besetzung entschieden, entbehrt der Grundlage. In Angelegenheiten der Kassenärzte, um eine solche handelt es sich hier, haben nach § 12 Abs 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als ehrenamtliche Richter "Kassenärzte" mitzuwirken. Das Gesetz nimmt also keine Differenzierung nach ärztlichen Fachgebieten vor. Es verstößt deshalb nicht gegen das Gesetz, wenn an der Entscheidung des LSG - entsprechend der vom Präsidium des LSG im voraus festgesetzten Reihenfolge (§ 6 Nr 1 SGG) - zwei Internisten und nicht zwei Ärzte des Fachgebietes des Beigeladenen (der Allgemeinmedizin) mitgewirkt haben. Auch von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, die Fachkammern und Senate für das Kassenarztrecht (§ 10 Abs 2, § 31 Abs 2, § 40 SGG) und die für die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter maßgebende Einteilung in Angelegenheiten des Kassenarztrechts und Angelegenheiten der Kassenärzte (§ 12 Abs 3 Satz 2, § 33 Satz 2, § 40 SGG) weiter nach Fachgebieten aufzugliedern (vgl Urteil des Senats vom 21. März 1984 - 6 RKa 45/82 -).

In der Sache hat das LSG die Beklagte zu Recht verurteilt, über die Ersatzkassenabrechnungen des Beigeladenen für die Quartale II/1974 bis IV/1975 einen neuen Bescheid zu erteilen. Es steht aber entgegen der Auffassung des LSG noch nicht fest, ob und in welchem Umfange die Behandlungsweise des Beigeladenen, soweit noch umstritten, unwirtschaftlich gewesen ist und ob sie zu weiteren Kürzungen der Honorarabrechnungen Anlaß gibt. Diese Fragen sind von den Prüfungsinstanzen der Beklagten im Rahmen des ihnen zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums zu beantworten. Da das LSG der Beklagten aufgegeben hat, seine für den Beigeladenen nachteilige Auffassung bei der Erteilung des neuen Bescheides zu beachten, ist der Beigeladene durch diesen Teil des Berufungsurteils beschwert (BSGE 43, 1 = SozR 1500 § 131 Nr 4). Das Urteil ist deshalb auf seine Revision dahingehend abzuändern, daß die Beklagte ihrer neuen Entscheidung die Rechtsauffassung des erkennenden Senats zugrunde zu legen hat.

Die vom LSG aufgehobenen Bescheide der Prüfungsinstanzen der Beklagten sind rechtsfehlerhaft, denn sie werden von den angegebenen Gründen nicht getragen. Ob die Bescheide eventuell aus anderen Gründen gerechtfertigt sind, kann wegen des Beurteilungs- und Ermessensspielraums der Prüfungsinstanzen nicht abschließend entschieden werden. Soweit der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum zusteht, beschränkt sich die Kontrolle des Gerichts darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten hat und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, daß im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSGE 38, 138, 143 ff = SozR 4100 § 43 Nr 9 mwN; Urteil des Senats vom 9. Juni 1982 - 6 RKa 1/81 -). Eine Ermessensentscheidung der Verwaltung ist nur darauf zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen und einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Diese eingeschränkte gerichtliche Überprüfung ist in besonderer Weise davon abhängig, daß die Verwaltung die tatsächlichen und rechtlichen Gründe sowie die Gesichtspunkte angibt, die für ihre Entscheidung maßgebend gewesen sind. Eine solche Begründung schreibt jetzt § 35 Abs 1 Satz 2 und 3 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X/Kapitel 1) vom 18. August 1980 allgemein vor. In bezug auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Kassen- bzw Vertragsarztes hat der Senat schon immer auf die Notwendigkeit einer ausreichenden Begründung der Verwaltungsentscheidung hingewiesen (BSGE 11, 102, 116; 55, 110 ff). Die Beklagte hat eine ausreichende Begründung auch nicht im Laufe des Verfahrens nachgeholt.

Der Kläger kann wegen dieses Rechtsmangels die Aufhebung der Bescheide verlangen, denn es ist nicht auszuschließen, daß die Prüfungsinstanzen der Beklagten bei Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu einer anderen Entscheidung gelangen. Der Einwand des Beigeladenen, er sei über die Höhe seiner Überschreitungen des Fachgruppenfallwerts nicht informiert worden, steht der vom Kläger beantragten Kürzung der Honorarforderungen nicht entgegen. Eine solche Information ist zwar vorgeschrieben und hat grundsätzlich einer Honorarkürzung vorauszugehen (Ziff 4.1. bis 4.5. der Auswahlrichtlinien für die Einleitung des Prüfungsverfahrens - Beschluß Nr 151 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV zu §§ 13 bis 15 und 17 EKV). Steht jedoch die Quartalsabrechnung eines Vertragsarztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe, können auch ohne vorherige Information Honorarkürzungen vorgenommen werden (Urteil des Senats vom 27. April 1982 - 6 RKa 4/79 -; so jetzt ausdrücklich Ziff. 4., 7. der Auswahlrichtlinien idF des Beschlusses Nr 310). Eine Kürzung der Honorarforderungen des Beigeladenen ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Prüfungsinstanzen, sieht man von den Abstrichen bei Ziff. 756 ab, keine Beanstandungen vorgenommen haben. Der Auffassung des Beigeladenen, er sei in einen grundgesetzlich geschützten Besitzstand gerückt, kann nicht beigetreten werden. Auf das Verhalten der Prüfungsinstanzen kommt es allein nicht an. Die Entscheidungen der Prüfungsinstanzen können auch vom VdAK angefochten werden (§ 15 Ziff. 6 EKV; bezüglich der Prüfungsbescheide im kassenärztlichen Bereich § 368n Abs 5 Satz 5 RVO). Damit ist dem VdAK das Recht eingeräumt, eine Kürzung von Honorarforderungen der Vertragsärzte auch dann geltend zu machen, wenn die Prüfungsinstanzen selbst keine Kürzungsmaßnahmen für angezeigt halten.

Die hier maßgebende Verwaltungsentscheidung ist der Bescheid der Beschwerdekommission der Beklagten (§ 15 Ziff. 6 ff EKV, Beschluß Nr 14 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV vom 9. Oktober 1983; § 95 SGG). Die Begründung dieses Bescheides ist unzureichend, denn ihr ist nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange die erheblichen Überschreitungen der durchschnittlichen Gesamtfallkosten der Fachgruppe durch den Beigeladenen auf Besonderheiten seiner Praxis zurückzuführen sind.

Auf eventuelle Besonderheiten der Praxis des Beigeladenen und ihre Auswirkungen auf die Fallkosten kommt es hier entscheidend an. Die durchschnittlichen Fallkosten des Beigeladenen übersteigen den Durchschnittswert seiner Fachgruppe in einem solchen Ausmaß, daß von einem offensichtlichen Mißverhältnis ausgegangen werden muß. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats spricht dies für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise des Arztes, soweit nicht Besonderheiten seiner Praxis den Mehraufwand rechtfertigen.

Im Ersatzkassenbereich gilt ebenso wie im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen, daß die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Vertrags- bzw Kassenarztes nicht anhand einzelner Behandlungsfälle geprüft zu werden braucht, wenn die durchschnittlichen Honorarforderungen des Arztes in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Gruppe vergleichbarer Ärzte, in erster Linie der Fachgruppe des Arztes stehen, und die Besonderheiten der Praxis des Arztes seinen Mehraufwand nicht rechtfertigen. Diese Auffassung hat der Senat schon 1962 vertreten (BSGE 17, 79); er hat daran stets festgehalten (BSGE 46, 136, 139; 50, 84, 86). Die dagegen vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch. Es ist bisher keine alternative Prüfungsmethode aufgezeigt worden, die einerseits praktikabel und andererseits der bisherigen Prüfungsmethode im Hinblick auf ein gerechtes Prüfungsergebnis überlegen wäre. Auf die Überwachung der vertrags- und kassenärztlichen Versorgung im einzelnen kann nicht verzichtet werden. Sie ist im Kassenarztrecht ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben (§ 368n Abs 5 RVO). Dem Kassenarzt sind nur diejenigen Leistungen zu vergüten, die er im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erbringen darf. Der Versicherte hat Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist; Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, kann der Versicherte nicht beanspruchen, der Kassenarzt darf sie nicht bewirken oder verordnen und die Kasse darf sie nachträglich nicht bewilligen (§ 368e Satz 1 und 2, § 182 Abs 2 RVO). Entsprechendes gilt im Ersatzkassenbereich (§ 14 Ziff 1, § 2 Ziff 1 und 2, § 1 Ziff 5 EKV). Eine individuelle Prüfung jedes einzelnen Behandlungsfalles scheitert in der Regel an der Vielzahl der Behandlungsfälle. Darauf hat der Senat schon in seiner oben angegebenen Entscheidung aus dem Jahre 1962 hingewiesen (BSGE 17, 79, 85). Heute gilt das erst recht, nachdem die Zahl der abzurechnenden Behandlungsausweise sich weiter erhöht hat und sich pro Quartal und KÄV in Millionenhöhe bewegt. Das statistische Vergleichsverfahren ist zudem nicht nur praktikabel und damit für die Vertrags- und Kassenärzte in ihrer Gesamtheit kostensparend. Es ist auch sachgerecht, denn es kann davon ausgegangen werden, daß die Ärzte im allgemeinen nach den Regeln der ärztlichen Kunst verfahren und das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten, so daß die Durchschnittswerte einer hinreichend großen Zahl vergleichbarer Ärzte Rückschlüsse auf die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des geprüften Arztes zulassen. Zudem ist der Schluß auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise nicht bei jeder Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts zulässig (s dazu auch Beschluß-Nr 12 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV vom 23. Juni 1978), sondern nur dann, wenn die Überschreitung so erheblich ist, daß ein offensichtliches Mißverhältnis zum Durchschnittswert der Fachgruppe besteht (BSGE 46, 136).

Eine solche Überschreitung liegt hier vor. Sieht man zunächst von der Behauptung des Beigeladenen ab, sein Fallkostendurchschnitt hätte sich mittlerweile infolge eines Honorarabzuges von DM 10.000,-- reduziert (diesen Einwand wird die Beklagte noch zu prüfen haben), geben die Fallwertberechnungen der Beklagten zu Zweifeln keinen Anlaß. Nach diesen Berechnungen übersteigen die durchschnittlichen Gesamtfallkosten des Beigeladenen die entsprechenden Durchschnittswerte seiner Fachgruppe, der Gruppe der Ärzte für Allgemeinmedizin, in den streitbefangenen Quartalen um 58,73 bis 108,45 %. Der Senat hat sich bisher nicht auf einen bestimmten Prozentsatz festgelegt, von dem an ein offensichtliches Mißverhältnis anzunehmen ist. Er sieht auch hier davon ab, einen bestimmten Grenzbetrag als allgemeingültig vorzuschreiben. Ferner hält er es nicht für geboten, ein bestimmtes statistisches Verfahren als das allein rechtlich zulässige zu bestimmen (zB das herkömmliche Verfahren nach arithmetischen Durchschnittszahlen oder die Gauß'sche Normalverteilung. Richten sich die Prüfungsgremien, wie im vorliegenden Fall die Beklagte, nach arithmetischen Durchschnittszahlen, so kann im allgemeinen nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn sie aufgrund ihres Erfahrungswissens die Grenzen zum offensichtlichen Mißverhältnis bei einer Fallwertüberschreitung des Arztes um 50 % ziehen. Die unterschiedliche Homogenität von Fachgruppen, insbesondere in bezug auf bevorzugt angewandte Leistungssparten und Leistungsarten, können eventuell Abweichungen bei den Grenzwerten rechtfertigen, so daß schon insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum in Frage kommen kann, der es den Prüfungsgremien ermöglicht, ihr Erfahrungswissen zu berücksichtigen und diesem ihre Prüfungsmaßstäbe anzupassen. Mit dem Fallwertvergleich allein ist jedoch die Prüfung nicht ordnungsgemäß abgeschlossen.

Gemäß den Regeln des Anscheinsbeweises kann von einem überhöhten Fallwert, der in einem offensichtlichen Mißverhältnis zum Durchschnittsfallwert der Fachgruppe steht, auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise nur geschlossen werden, wenn ein solcher Zusammenhang einem typischen Geschehensablauf entspricht, also die höheren Fallkosten des einzelnen Arztes erfahrungsgemäß auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise zurückzuführen sind. Das setzt voraus, daß die Praxis des geprüften Arztes mit den Praxen der Fachgruppe vergleichbar ist. Die Aussage des Anscheinsbeweises wird eingeschränkt, soweit bei der geprüften Arztpraxis besondere Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogene Gruppe untypisch sind. Die Prüfungsgremien haben daher allen bekannten wesentlichen Umständen des Einzelfalles nachzugehen, die von den typischen Gegebenheiten der Vergleichsgruppe erkennbar abweichen. Nach dem im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz hat das zuständige Prüfungsgremium den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen (nun gesetzlich ausgestaltet in § 20 SGB X). Es ist aber auch der Kassen- und Vertragsarzt gehalten, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere die ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben (§ 21 Abs 2 SGB X). Hinsichtlich der Abrechnung von kassen- und vertragsärztlichen Leistungen ergibt sich eine besondere Mitwirkungspflicht des Arztes aus der Sache selbst. Der Arzt macht einen Vergütungsanspruch geltend, der ihm nur zusteht, wenn er die in Rechnung gestellte Leistung auch tatsächlich erbracht hat und im Rahmen der kassen- oder vertragsärztlichen Versorgung erbringen durfte. Es ist daher seine Angelegenheit, die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen. Dies gilt vor allem, wenn er sich auf für ihn günstige Tatsachen berufen will und diese Tatsachen allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können. Einen Kassenarzt, dessen Praxis und Behandlungsweise von der Typik der Praxen seiner Fachgruppe abweicht, trifft deshalb dafür sowohl die Darlegungslast als auch insofern die Feststellungslast, daß besondere Umstände den Anscheinsbeweis nur korrigieren, soweit sie und ihre Auswirkungen festgestellt werden können.

Im vorliegenden Fall wird der Anschein der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise durch die von den Prüfungsinstanzen der Beklagten angegebenen Gründe nicht beseitigt. Sollte in der hier streitigen Zeit, wie die Beschwerdekommission ausführt, ein um Fortbildung bemühter Arzt "ein breiteres Spektrum" gebraucht haben, um den verschiedenen Lehrmeinungen gerecht zu werden, und sollten viele fortbildungsfreudige, moderne Kollegen aufgrund des damaligen Wissensstandes breit weitergearbeitet haben, so ergäbe sich daraus nicht zwingend, daß die im Vergleich zur Fachgruppe erbrachten Mehrleistungen des Beigeladenen dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprochen haben. Diese Begründung läßt die Möglichkeit offen, daß Ärzte in dem Bestreben, den verschiedenen Lehrmeinungen gerecht zu werden, Leistungen erbracht haben, die unwirtschaftlich waren. Sollten tatsächlich viele Ärzte breit weitergearbeitet haben, so wäre dadurch auch der Fachgruppendurchschnitt angehoben worden. Die hohen Abweichungen des Beigeladenen in der hier angesprochenen Sparte der Laborleistungen (nach den Angaben des Klägers betrugen die Überschreitungen in I/1975 370,57 %, in II/1975 414,02 %, in III/1975 292,02 % und in IV/1975 335,16 %) wären dann um so weniger verständlich. Zu Unrecht wendet der Beigeladene in diesem Zusammenhang ein, nach der damaligen Intention des Klägers und der Beklagten hätte der Arzt den Patienten eine "optimale Behandlung" zukommen lassen müssen, wogegen erst heute der EKV nur noch von einer ausreichenden Behandlung spreche. Der seit 1. Oktober 1963 gültige EKV enthält von Anfang an die Bestimmungen, daß die ärztliche Versorgung ausreichend und zweckmäßig sein muß und das Maß des Notwendigen nicht übersteigen darf (§ 1 Ziff 5) und daß jeder Vertragsarzt bei seiner ärztlichen Tätigkeit das Maß des Notwendigen einzuhalten, das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten und hierauf seine Behandlungs- und Verordnungsweise einzurichten hat (§ 2 Ziff 2). Abgesehen davon läßt diese Behauptung des Beigeladenen keine Praxisbesonderheit erkennen, denn wenn damals eine "optimale Behandlung" vorgeschrieben gewesen wäre, so hätte das für alle Praxen gegolten.

Die weitere Begründung der Beschwerdekommission, die ausgeführten Leistungen fänden sich im Einzelfall immer durch entsprechende diagnostische Angaben belegt, läßt ebenfalls nicht erkennen, inwieweit die Fallkostenüberschreitungen gerechtfertigt sind. Sollte die Beschwerdekommission der Auffassung sein, die teilweise und schwerpunktmäßig durchgeführte Einzelfallprüfung sei für sich allein geeignet und reiche aus, den aus dem offensichtlichen Mißverhältnis der Fallwerte sich ergebenden Anschein der Unwirtschaftlichkeit zu widerlegen, so könnte dem nicht zugestimmt werden. Eine auf die Abrechnungsunterlagen des Arztes beschränkte Einzelfallprüfung läßt eine zuverlässige Antwort eigentlich nur auf die Frage erwarten, ob die anamnestischen, diagnostischen und therapeutischen Angaben in sich schlüssig sind. Rechtfertigen die Eintragungen des Arztes über die Vorgeschichte, die vorgebrachten Beschwerden und die bereits erhobenen Befunde nicht seine daraufhin erbrachten Leistungen, so kann das die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise im Einzelfall beweisen. Daraus folgt aber nicht der Umkehrschluß, daß bei in sich schlüssigen Angaben des Arztes stets die erbrachten Leistungen gerechtfertigt sind. Die auf die Abrechnungsunterlagen des Arztes sich beschränkende Einzelfallprüfung geht von Feststellungen aus, die weitgehend vom Verhalten des Arztes abhängen (zB von seinem Dokumentations- und Abrechnungsverhalten) und deshalb selbst Gegenstand der Prüfung sind. Die eigenen Angaben des Arztes können eine unwirtschaftliche Behandlungsweise verdecken. Sie genügen daher allein nicht, um die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu entkräften. Allerdings können Einzelfallprüfungen die Aussage zulassen, daß geltend gemachte Praxisbesonderheiten vorliegen. Es ist dann aber erforderlich, diese Praxisbesonderheiten und ihre Auswirkungen auf die Fallwerte darzulegen. Der Hinweis der Beschwerdekommission, in den Abrechnungen seien relativ viele schwere und medizinisch aufwendige Fälle, auch mit entsprechenden Verdachtsdiagnosen enthalten, genügt hierfür nicht. Vielmehr hätte die Beschwerdekommission dazu Ausführungen machen müssen, ob die Abrechnungsunterlagen Besonderheiten der Praxis belegen, gegebenenfalls welche und inwieweit durch diese der Mehraufwand gerechtfertigt erscheint.

Die bisherigen Tatsachenfeststellungen und Beurteilungen berechtigen allerdings ebensowenig zu der vom LSG getroffenen Schlußfolgerung, es liege eine unwirtschaftliche Behandlungsweise vor. Das LSG hat sich zwar zu einigen vom Beigeladenen geltend gemachten Praxisbesonderheiten geäußert. Dem Berufungsurteil kann jedoch nicht entnommen werden, wie sich diese auf die Fallkosten des Beigeladenen auswirken. Auch soweit die vom Kläger besonders hervorgehobenen Fallkostenüberschreitungen bei den Sonderleistungen und den Laborleistungen ein Ausmaß erreichen, das selbst bei weitgehender Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten eine unwirtschaftliche Behandlungsweise naheliegend erscheinen läßt, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Ergebnisse einer näheren Prüfung eine unwirtschaftliche Behandlungsweise nicht mehr anzunehmen erlauben. Da außergewöhnliche Fallkostenüberschreitungen offenbar nur bei zwei Leistungssparten vorliegen, ist es geboten, in diesen beiden Bereichen eine eingehendere Überprüfung vorzunehmen.

Besonderheiten der ärztlichen Praxis können in vielfältiger Weise vorliegen. Sie können in einer bevorzugten Anwendung bestimmter Behandlungsmethoden bestehen. Der Arzt wird dann die für diese Behandlungsmethoden benötigten Leistungen mehr, dafür andere Leistungen weniger erbringen (zB mehr Injektionen, weniger Arzneiverordnungen). Der Mehraufwand bei der einen Leistung wird durch einen Minderaufwand bei der anderen Leistung ausgeglichen. Bei besonderer Praxisausrichtung (zB Schwerpunkt der Behandlungstätigkeit in bestimmten Teilgebieten und Fachbereichen, diagnostische Praxisausrichtung) sind ebenfalls Verschiebungen im Leistungsspektrum zu erwarten, aber auch Erhöhungen der Gesamtfallkosten nicht ausgeschlossen. Eine Praxisbesonderheit ist jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sie selbst mit dem Gebot der wirtschaftlichen Behandlungsweise in Einklang steht. Bei Prüfung dieser Frage kann es unter Umständen erforderlich sein, eventuell kostensparende Auswirkungen der Behandlungs- und Verordnungsweise des Arztes in Leistungsbereichen außerhalb seiner Praxis mitzuberücksichtigen. Eine solche gesamtwirtschaftliche Betrachtung ist zwar im EKV nicht ausdrücklich vorgeschrieben (vgl §§ 14, 17 EKV; für den kassenärztlichen Bereich: § 33 Abs 3 BMV-Ärzte). Dem Arzt kann aber nicht der Vorwurf einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise gemacht werden, wenn er im Rahmen seines Fachgebietes in zulässiger Weise Leistungen erbringt, die zwar zu einem Mehraufwand in seiner Praxis führen, der Mehraufwand aber durch einen Minderaufwand außerhalb seiner Praxis nachweisbar ausgeglichen wird. In diesem Zusammenhang werden vielfach, wie auch im vorliegenden Fall vom Beigeladenen, vor allem Einsparungen auf dem Sektor der stationären Versorgung geltend gemacht. Dies geschieht in der Regel unter Berufung auf den sogenannten "Bayernvertrag" (Gesamtvertrag zwischen der KÄV Bayern und dem Landesverband der Ortskrankenkassen in Bayern) und auf Empfehlungsvereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesverbände der gesetzlichen Krankenkassen. So wird in der Empfehlungsvereinbarung vom 22. Dezember 1980 (BKK 1981, 145) empfohlen, es "sollen alle Möglichkeiten der ambulanten Diagnostik und Therapie ausgeschöpft werden, um insbesondere weniger Krankenhausaufenthalte erforderlich zu machen". Ein dieser Empfehlung Rechnung tragendes Praxisverhalten kann sicherlich nicht als unwirtschaftlich angesehen werden. Das gilt auch für eine Zeit, in der dem gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkt einer Kosteneinsparung durch eine Verlagerung von Leistungen aus dem stationären Bereich in den ambulanten noch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Allerdings ist zu beachten, daß die Empfehlung sich an alle Ärzte richtet und so mehr oder weniger das Verhalten der gesamten Ärzteschaft beeinflußt. Leistungen eines niedergelassenen Arztes, die stationäre Behandlungen ersetzen oder einschränken, können deshalb als Besonderheit einer Praxis nur berücksichtigt werden, wenn sich ergibt, daß entsprechende Leistungen von den anderen Ärzten der Fachgruppe nicht oder nur in einem erheblich geringeren Umfange erbracht werden und die Leistungen des Arztes zu einer ins Gewicht fallenden Einsparung im stationären Bereich geführt haben (zB wenn bei einer voroperativen Diagnostik festgestellt werden kann, daß die fraglichen Krankenhäuser die Befunde des einweisenden Arztes übernommen und insoweit auf eigene Befunderhebungen verzichtet haben und dadurch die Krankenhausverweildauer verkürzt worden ist).

Im vorliegenden Fall sind vor allem die vom SG angenommenen Besonderheiten der Praxis - internistisch ausgerichtete Allgemeinpraxis mit großem Labor und umfangreiche physikalische Therapie - zu würdigen. Diese Besonderheiten rechtfertigen es allerdings nicht, einen Arzt für Allgemeinmedizin der Fachgruppe der Internisten zuzuordnen. Der Kassen- und Vertragsarzt wird entsprechend dem allgemeinen ärztlichen Berufsrecht für ein bestimmtes Fachgebiet zugelassen bzw beteiligt. Diese Bindung an ein bestimmtes Fachgebiet (Fachgebietsbeschränkung) dient auch der Sicherstellung der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung. Die Spezialisierung soll zu einer besseren ärztlichen Versorgung beitragen. Sie ist nicht nur von der Ausbildung, sondern auch von der Weiterbildung und der beruflichen Erfahrung abhängig, für sie ist daher der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit von großer Bedeutung (BSGE 55, 97, 102). Deshalb ist auch bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes von dem typischen Tätigkeitsbereich seiner Fachgruppe auszugehen. Die vom SG herausgestellten Praxisbesonderheiten können jedoch bei bestimmten Leistungen und Leistungssparten Abweichungen vom durchschnittlichen Aufwand der Fachgruppe rechtfertigen, wenn sie in dem für die Vergleichswerte maßgebenden örtlichen Gebiet nicht praxistypisch sind und wenn sie außerdem gesamtwirtschaftlich nicht zu einer Kostenmehrung führen (zB mehr diagnostische oder therapeutische Leistungen des Arztes, dafür weniger Überweisungen oder Verordnungen).

Auf welche Weise das Prüfungsgremium der ihm obliegenden Aufklärungspflicht nachkommt, ist ihm in einem gewissen Rahmen freigestellt. Es kann nicht generell ein bestimmter Weg als der allein richtige vorgeschrieben werden. Geben die Angaben des Arztes Anlaß zur Klarstellung, so werden schriftliche Rückfragen ebenso in Betracht kommen wie eine mündliche Anhörung des Arztes. Soweit der Arzt seine Angaben selbst zu belegen hat (zB weil nur er sie beweisen kann), so ist ihm dazu Gelegenheit zu geben. Bei der Prüfung der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Fallkostendifferenz zwischen dem geprüften Arzt und seiner Fachgruppe durch festgestellte Besonderheiten der Praxis beeinflußt worden ist, hat das Prüfungsgremium auch die Möglichkeit, auf die Frequenzstatistiken der zuständigen KÄV zurückzugreifen. Dabei kann es sich als richtig erweisen, engere Vergleichsgruppen zu bilden, zB dann, wenn eine inhomogene Fachgruppe aus homogenen Untergruppen besteht (eventuell bei ausgeprägter Untergliederung der Fachgruppe in Teilgebiete). Die Untergruppe ist für einen solchen engeren Vergleich jedoch nur geeignet, wenn sie hinreichend groß ist, denn nur dann sind ihre Durchschnittsfallwerte als Richtzahlen für einen wirtschaftlichen Behandlungsaufwand brauchbar. Auch bei einer individuelleren Prüfung können Fallwerte vergleichbarer Ärzte herangezogen werden. Wird beispielsweise eine als wirtschaftlich anzuerkennende Behandlungsmethode nur von wenigen Ärzten angewandt, so kann, trotz der geringen Zahl der Ärzte, der spezielle Aufwand des einzelnen Arztes für diese Behandlung mit dem entsprechenden Behandlungsaufwand der anderen Ärzte verglichen werden; auch ein so enger Vergleich kann im Zusammenhang mit anderen Umständen Folgerungen zulassen. Des weiteren kommt ein Vergleich des Fallwertes des Arztes mit seinen eigenen Fallwerten früherer Quartale in Betracht. Wurde bereits in den früheren Quartalen bei gleichen Fallwertüberschreitungen eine unwirtschaftliche Behandlungsweise oder eine den Mehraufwand rechtfertigende Praxisbesonderheit festgestellt, so spricht einiges dafür, daß sich die Behandlungsweise des Arztes nicht geändert hat.

Der dem Prüfungsgremium zustehende Beurteilungsspielraum ergibt sich aus den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten. Der unbestimmte Begriff der "Wirtschaftlichkeit", wie er in § 14 Ziff. 1 EKV (entsprechend § 368n Abs 5 RVO) verwendet wird, ist zwar durch gesetzliche und andere rechtliche Bestimmungen weitgehend inhaltlich ausgefüllt (§ 2 Nr 2 iVm § 1 Nr 5 EKV; § 368e iVm § 182 Abs 2 RVO). Aus diesen Vorschriften ergibt sich einerseits, daß der Kassen- und Vertragsarzt grundsätzlich berechtigt ist, die ihm geeignet erscheinenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anzuwenden; auch in der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung gilt der Grundsatz der Freiheit des Arztes in der Wahl seiner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BSG SozR 2200 § 368n RVO Nr 19). Andererseits aber darf der Arzt nicht zu Lasten der Krankenkassen Überflüssiges veranlassen oder Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen durchführen, die aufwendiger sind als andere, die denselben Zweck erfüllen. Ob die Leistungen eines Arztes dem Wirtschaftlichkeitsgebot in diesem Sinne entsprechen, wird sich in der Regel unschwer feststellen lassen, wenn es um einzelne Behandlungsfälle geht. Das ist jedoch die Ausnahme. Die Verpflichtung der Prüfungsinstanzen zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung bezieht sich auf die gesamte Behandlungstätigkeit des Arztes und auf alle an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte. Diese Verpflichtung können die Prüfungsinstanzen, wie oben dargelegt, generell nur durch eine pauschale Prüfung im Rahmen eines allgemeinen Kostenvergleichs erfüllen. Ob und inwieweit die bei dieser Prüfung zu berücksichtigenden Praxisbesonderheiten den Mehraufwand einer Praxis rechtfertigen, werden in der Regel auch die fachkundigen Prüfungsinstanzen nur ungefähr sagen können. Es müssen daher alle Entscheidungen der Prüfungsinstanzen, die sich im Rahmen der ungefähren Richtigkeit halten - die also die "Zweifelszone" nicht erkennbar verlassen (so Bachof, JZ 1972, 641, 644) -, als rechtmäßig angesehen werden. Dementsprechend hat es der Senat schon immer als rechtlich zulässig angesehen, daß die Prüfungsinstanzen den auf die unwirtschaftliche Behandlungsweise zurückzuführenden Mehraufwand lediglich schätzen (BSGE 11, 102, 114 ff; 46, 136, 138). Der Beurteilungsspielraum der Prüfungsinstanzen ist aber nicht eng auf die betragsmäßige Schätzung des unwirtschaftlichen Mehraufwands beschränkt. Auch andere Fragen, die die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungsweise betreffen, lassen sich zum Teil nur im Rahmen einer fachkundigen Beurteilung beantworten. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung über die Besetzung des Prüfungs- und Beschwerdeausschusses (§ 368n Abs 5 RVO) zu erkennen gegeben, daß bei der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung die medizinische Fachkunde und die ärztliche Berufserfahrung in spezifischer Weise zur Geltung kommen soll. Im Ersatzkassenbereich ist die Prüfungsentscheidung ausschließlich Vertragsärzten vorbehalten (§ 15 Ziff 2 EKV). Aus der Begründung des Beurteilungsspielraums ergibt sich jedoch auch seine Begrenzung. Einen Beurteilungsspielraum haben die Prüfungsinstanzen nur, soweit eine genaue Feststellung nicht möglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Der Beurteilungsspielraum gestattet es den Prüfungsinstanzen daher nicht, eine sachgerechte Aufbereitung des Streit- und Verfahrensstoffes und konkrete Tatsachenermittlungen durch allgemeine Erwägungen zu ersetzen (BSGE 55, 110 ff). Erst wenn eine unwirtschaftliche Behandlungsweise festgestellt ist, sind die Honorarabrechnungen des Arztes nach pflichtgemäßem Ermessen zu kürzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, daß der Beigeladene mit der Revision eine Abänderung des Berufungsurteils erreicht hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662689

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