Leitsatz (amtlich)

Die ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten erfordert die Beteiligung eines leitenden Krankenhausarztes an der kassenärztlichen Versorgung (RVO § 368a Abs 8 S 1), wenn damit sonst nicht vorhandene besondere Kenntnisse und Erfahrungen, die nach den anerkannten Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft für die Krankheitserkennung oder -behandlung von Bedeutung sind, dem Kreise der Versicherten zugänglich gemacht werden.

 

Normenkette

RVO § 368a Abs. 8 S. 1 Fassung: 1955-08-17

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Juni 1960 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Kläger ist Facharzt für innere Krankheiten und seit 1. Mai 1957 Chefarzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses Geislingen (Steige). Er stellte im März 1957 beim Zulassungsausschuß für Ärzte im Regierungsbezirk Nord-Württemberg (ZA) einen Antrag auf Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung. Mit Beschluß vom 10. Mai 1957 entsprach der ZA diesem Antrag nach § 21 der damals noch gültigen Zulassungsordnung für Baden-Württemberg vom 26. November 1953 - ZO 1953 (GBl Baden-Württemberg S. 197).

Auf den Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg (KV) hob der beklagte Berufungsausschuß (BA) den Beschluß des ZA auf und wies den Beteiligungsantrag zurück (Beschluß vom 26. November 1957). Er stützte seine Entscheidung auf § 368 a Abs. 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR) und § 29 der Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 (ZO-Ärzte). Als ausschlaggebend sah der BA an, daß der Kläger nicht in der Lage sei, persönlich die ihm überwiesenen Fälle zu betreuen, da er nur im Notfall die Röntgeneinrichtung des Kreiskrankenhauses selbst benutzen dürfe, wenn nämlich der vom Krankenhaus angestellte Facharzt für Röntgenologie und Strahlenheilkunde nicht erreichbar sei. Ob ein Bedürfnis für die Beteiligung des Klägers gegeben sei, ließ der BA offen.

Gegen diesen Beschluß erhob der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Reutlingen Klage. Während dieses Verfahrens machte der beklagte BA vorsorglich noch geltend, daß eine Beteiligung des Klägers nicht notwendig sei, da eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten bereits durch die vorhandenen Kassenfachärzte gewährleistet sei. Das SG änderte den angefochtenen Beschluß des BA und verpflichtete diesen, den Kläger nach § 29 Abs. 2 Buchst. c und d ZO-Ärzte zu beteiligen; im übrigen wurde die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. April 1959). Im Gegensatz zum BA ging das SG davon aus, daß der Kläger der Verpflichtung genügen könnte, die kassenärztlichen Leistungen selbst zu erbringen. Gleichwohl hielt das SG eine volle Beteiligung des Klägers nicht für gerechtfertigt. Es verneinte ein Bedürfnis für die Beteiligung des Klägers "zum Zwecke der Krankheitserkennung" (§ 29 Abs. 2 Buchst. a ZO-Ärzte) und zur "konsiliarischen Beratung eines Kassenarztes in der Behandlung" (§ 29 Abs. 2 Buchst. b ZO-Ärzte), da die beiden in Geislingen (Steige) niedergelassenen Kassenfachärzte hierfür ausreichten. Jedoch sei ein Bedürfnis für die Beteiligung des Klägers zur "Durchführung besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" (§ 29 Abs. 2 Buchst. c ZO-Ärzte) und zur "ambulanten Nachbehandlung nach einer stationären Krankenhausbehandlung im Einvernehmen mit dem behandelnden Kassenarzt" (§ 29 Abs. 2 Buchst. d ZO-Ärzte) zu bejahen.

Gegen dieses Urteil legten der Kläger und die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Klägers zurück. Auf die Berufung der KV wurde die Klage in vollem Umfange abgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 23. Juni 1960). Das LSG hat seiner Entscheidung nach Art. 4 § 11 Abs. 2 letzter Halbs. GKAR neues Recht (§ 368 a Abs. 8 RVO, § 29 ZO-Ärzte) zugrunde gelegt, weil es nach seiner Auffassung für den Kläger günstiger als der noch vom ZA angewandte § 21 ZO 1953 ist. Er hat § 368 a Abs. 8 RVO in der Fassung des GKAR als gültig angesehen.

Von dieser Rechtsauffassung ausgehend hat das LSG durch Vernehmung der beiden in Geislingen zur Kassenpraxis zugelassenen Fachärzte Beweis darüber erhoben, ob die Beteiligung des Klägers notwendig ist, um eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten (§ 368 a Abs. 8 Satz 1 RVO). Auf Grund der Beweisaufnahme ist das LSG zum Ergebnis gekommen, daß die beiden vorhandenen Kassenfachärzte für die Durchführung der in § 29 Abs. 2 ZO-Ärzte aufgeführten ärztlichen Leistungen ausreichten und ein Bedürfnis für die Beteiligung des Klägers daher nicht bestehe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den beklagten BA zu verpflichten, den Kläger an der kassenärztlichen Versorgung auf Überweisung durch Kassenärzte in vollem Umfange zu beteiligen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger hat gerügt, das LSG habe bei der Prüfung der Frage, ob die Beteiligung des Klägers notwendig sei, eine Reihe wesentlicher Stellungnahmen von Behörden, Sachverständigen, Ärzten, der KV und von Verbänden der Krankenkassen unberücksichtigt gelassen und damit gegen seine Verpflichtung verstoßen, sich seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden (§ 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Weiterhin habe das LSG seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 103 SGG). Ob die Beteiligung des Klägers unter den gegebenen Umständen notwendig sei, hätte wegen der damit zusammenhängenden ärztlich-medizinischen Fragen nur unter Zuhilfenahme eines Sachverständigengutachtens entschieden werden dürfen. Selbst der als ärztlicher Beisitzer in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG tätig gewesene Dr. W (praktischer Arzt in Mannheim) habe nicht die für die Entscheidung der Bedürfnisfrage erforderliche Sachkunde gehabt, da er weder Krankenhausarzt noch Internist sei.

In der Sache selbst habe das LSG bei der Prüfung des Bedürfnisses nach Beteiligung zu wenig auf das Interesse der Versicherten geachtet. Für die Frage, ob die Beteiligung eines Chefarztes i. S. des § 368 a Abs. 8 Satz 1 RVO notwendig sei, könne allein der Gesichtspunkt der bestmöglichen ärztlichen Versorgung der Versicherten ausschlaggebend sein. Das "Quantitätsprinzip" müsse hierbei hinter dem "Qualitätsprinzip" zurückstehen. Es komme daher nicht nur darauf an, ob genügend frei praktizierende Ärzte der entsprechenden Fachrichtung für die ärztliche Versorgung der Versicherten zur Verfügung stünden. Vielmehr müsse bei der Bedürfnisfrage vor allem geprüft werden, ob der zu beteiligende Chefarzt nicht dank besonderer Erfahrungen und der ihm für die Durchführung besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zur Verfügung stehenden Hilfsmittel des Krankenhauses für die Erbringung der in § 29 Abs. 2 ZO-Ärzte genannten Leistungen notwendig sei. Die Tatsache, daß der Kläger seit seiner Anstellung als Chefarzt, auch ohne i. S. des § 368 a Abs. 8 RVO beteiligt zu sein, laufend in erheblichem Umfange - regelmäßig mehr als 200 Fälle im Vierteljahr auf Überweisung von Kassenärzten hin tätig geworden sei, zeige zur Genüge, wie unentbehrlich der Kläger für die ärztliche Versorgung der Versicherten sei.

Die beigeladenen Landesverbände der Ortskrankenkassen und Betriebskrankenkassen haben sich dem Antrag des Klägers angeschlossen.

Hingegen haben der beklagte BA und die beigeladene KV beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die KV hat ausgeführt, bei dem derzeitigen Überangebot an ärztlichem Nachwuchs brauche die Anstellung eines Chefarztes keiner spezifischen ärztlichen Qualifikation zu entsprechen. Ein großen Teil der Fachärzte, die für eine Chefarztstelle voll geeignet seien, aber angesichts der beschränkten Zahl dieser Stellen nicht zum Zuge kommen könnten, müsse in die freie Praxis gehen. Andererseits müsse bedacht werden, daß der Chefarzt bei Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung seiner eigentlichen Chefarztaufgabe entfremdet werden könne und wegen seiner Verpflichtung zur persönlichen Ausübung der Beteiligungspraxis Gefahr laufe, die stationäre Behandlung in einem nicht mehr vertretbaren Umfang nachgeordneten Kräften zu überlassen.

II

Die Revision ist begründet.

1.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Entscheidung § 368 a Abs. 8 Abs. 1 i. d. F. des Gesetzes über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 - GKAR - (BGBl I 513) in Verbindung mit § 29 ZO Ärzte zugrunde zu legen ist, obwohl das Verwaltungsverfahren noch unter der Herrschaft der ZO 1953 (GBl Baden-Württemberg S 197) anhängig geworden ist. Hierbei kann offenbleiben, ob Art. 4 § 11 Abs. 2 letzter Halbs. GKAR zum Zuge kommt, wie das LSG erwogen hat, oder ob die genannte Übergangsvorschrift im Falle der Beteiligung nach § 368 a Abs. 8 RVO unanwendbar ist, weil es diese Art der Beteiligung nach früherem Recht nicht gegeben hat (so Jantz/Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Stand: August 1961 GKAR Art. 4 § 11 Anm. I 2). Selbst wenn im vorliegenden Rechtsstreit nach Art. 4 § 11 Abs. 2 letzter Halbs. GKAR zu prüfen wäre, ob die bisherigen Vorschriften als "für die beteiligten Ärzte günstiger" anzuwenden sind, müßte der Entscheidung das neue Recht zugrunde gelegt werden; denn es wäre für den beteiligungswilligen Arzt günstiger, wie bereits im Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 24. November 1960 dargelegt ist.

2.

Nach § 368 a Abs. 8 Satz 1 RVO sind die dort genannten Ärzte - auf ihren Antrag hin - an der kassenärztlichen Versorgung auf Überweisung durch Kassenärzte zu beteiligen, sofern eine Beteiligung notwendig ist, um eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Daß die genannte Vorschrift die Beteiligung der leitenden Krankenhausärzte an der kassenärztlichen Versorgung von einem Bedürfnis abhängig macht, verstößt - entgegen der vom Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 24. November 1960 geäußerten Auffassung - nicht gegen das Grundgesetz - GG - (Beschl. des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 23. Juli 1963, abgedruckt in Sozialgerichtsbarkeit 1963, Sonderausgabe S. 27). Demnach hat ein Chefarzt nur dann - aber auch immer dann - einen Rechtsanspruch auf Beteiligung, wenn sie notwendig ist, um die ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Beteiligung liegt nicht im Ermessen der Zulassungsinstanzen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 24. Oktober 1961 - 6 RKa 9/60 - in SozR RVO § 368 a Bl. Aa 9 Nr. 22). Die Auslegung und Anwendung des Rechtsbegriffs der Notwendigkeit der Beteiligung zwecks ausreichender ärztlicher Versorgung der Versicherten durch die Verwaltung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung, wie auch das LSG zutreffend angenommen hat (vgl. das genannte Urteil des BSG aaO Bl. Aa 9 Rücks.).

Wie das Erfordernis der Notwendigkeit der Beteiligung inhaltlich näher zu bestimmen ist, läßt das Gesetz klar erkennen. Es stellt für die Frage der Notwendigkeit der Beteiligung allein darauf ab, ob die ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten gewährleistet ist. Damit ist klargestellt, daß für diese Fragestellung andere Gesichtspunkte - wie etwa das Interesse des beteiligungswilligen Chefarztes, des Krankenhausträgers, der niedergelassenen Kassenärzte einerseits und der niedergelassenen Kassenfachärzte einschlägiger Fachrichtung andererseits - außer Betracht zu lassen sind. Auch das BVerfG (aaO S. 27) führt in der abschließenden Würdigung seiner Chefarzt-Entscheidung aus, § 368 a Abs. 8 RVO sei Ausdruck des Bemühens des Gesetzgebers, den Versicherten einen möglichst großen Kreis von Ärzten zur Auswahl zu stellen; Zweck dieser Bestimmung sei, den Bereich der freien Arztwahl für die Versicherten zu erweitern, daß ihnen die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen dieses Ärztekreises zugänglich gemacht würden, soweit dies für ihre sachgemäße ärztliche Versorgung erforderlich sei.

In der Tat geht es bei § 368 a Abs. 8 RVO darum, die "besonderen Kenntnisse und Erfahrungen" der Chefärzte dem Kreise der Versicherten zugänglich zu machen, wie auch die Vorgeschichte dieser Vorschrift deutlich erkennen läßt (vgl. den Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Sozialpolitik (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1313, A IV b, 5):

"Die Ausschüsse waren sich darüber einig, daß eine Beteiligung von leitenden Krankenhausärzten an der kassenärztlichen Versorgung erforderlich sei, insbesondere um etwaige besondere Kenntnisse und Erfahrungen dieser Ärzte auch den Versicherten zugänglich zu machen".) Dabei ist die Zielsetzung des § 368 a Abs. 8 Satz 1 RVO - "um eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten" - nicht anders als die das Leistungsrecht der Krankenversicherung (KrV) beherrschende Grundsatznorm zu verstehen, daß die Krankenpflege ausreichend und zweckmäßig sein muß und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf (§ 182 Abs. 2 RVO; vgl. auch für den engeren Bereich der ärztlichen Versorgung § 368 e RVO). Ist demnach auch jede nach dem Zweck der Krankheitsbekämpfung unnötige oder unnötig aufwendige Krankenpflege im Rahmen der gesetzlichen KrV unzulässig, so hat doch andererseits der Versicherte Anspruch auf jede "zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst" (§ 368 e Satz 1 RVO) gebotene Maßnahme ärztlicher Versorgung. Demnach ist die Beteiligung eines Chefarztes für die ärztliche Versorgung dann notwendig, wenn dadurch besondere Kenntnisse und Erfahrungen, die nach den anerkannten Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft zur Heilung oder Linderung in Anspruch zu nehmen sind, dem Kreise der Versicherten zugänglich gemacht werden, die ohne die Beteiligung diesem Kreise überhaupt nicht oder nur unter wesentlich erschwerten Umständen zur Verfügung stünden. Im gleichen Sinne hat der erkennende Senat in der oben angeführten Entscheidung vom 24. Oktober 1961 (aaO Bl. Aa 10) eine Beteiligung für notwendig erachtet, wenn ohne sie eine nach modernen medizinischen Erkenntnissen zu gewährende ärztliche Behandlung nicht gewährleistet ist.

Hieraus folgt, daß eine rein quantitative Beurteilung der Bedürfnisfrage - etwa derart, daß nach statistischen Erfahrungswerten für ein bestimmtes Gebiet ein Bedarf an Fachärzten ermittelt wird und nur bei Unterdeckung des Bedarfs die Notwendigkeit der Beteiligung von Chefärzten anerkannt wird - dem Zweck des § 368 a Abs. 8 RVO nicht gerecht wird. Vielmehr muß darüber hinaus geprüft werden, ob nicht die von einem Chefarzt beantragte Beteiligung an der ärztlichen Versorgung der versicherten Bevölkerung besondere Kenntnisse und Erfahrungen erschließt, die anderenfalls nicht zur Verfügung stünden. Verfehlt wäre es allerdings, wenn diese Prüfung qualitative Wertungen des ärztlichen Könnens in der einen oder anderen Richtung einbezöge. Eine solche Wertung ist dem geltenden Zulassungsrecht fremd sie würde auch die Zulassungsinstanzen in ihrer jetzigen Zusammensetzung überfordern. Mit § 368 a Abs. 8 Satz 1 RVO soll nur sichergestellt werden, daß besondere - andersartige - Erfahrungen und Kenntnisse den Versicherten zugänglich gemacht werden, die bei einer sachgemäßen ärztlichen Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst anzuwenden wären.

3.

Nach dieser Rechtsauffassung hängt somit der Erfolg der Klage davon ab, ob der Kläger über besondere Kenntnisse und Erfahrungen im Hinblick auf seine Chefarztstellung verfügt, die die anderen für Geislingen und Umgebung in Betracht kommenden Fachärzte nicht haben. Das LSG hat dies gestützt auf die Aussagen der beiden damals in Geislingen niedergelassenen Fachärzte und seine - insbesondere durch den kassenärztlichen Beisitzer vermittelte - Sachkunde verneint. Dabei hat es darauf abgestellt, ob eine Reihe medizinisch-technischer Spezialuntersuchungen auch in der Praxis dieser Fachärzte oder in Spezialinstituten, denen vom behandelnden Arzt das Untersuchungsmaterial übersandt werden könnte, durchgeführt werden könnten. Das kann aber nicht der entscheidende Gesichtspunkt für die Beteiligung von Chefärzten sein. Ginge es nur darum, für die kassenärztliche Versorgung der Versicherten die Möglichkeit von Spezialuntersuchungen zu erschließen, die in jedem größeren ärztlichen Laboratorium von geschulten Fachkräften durchgeführt werden, so bedürfte es nicht der Beteiligung des Chefarztes. Die Erbringung solcher Sachleistungen könnte auch anderweitig durch Vereinbarung mit dem Krankenhaus sichergestellt werden. Ausschlaggebend für die Frage, ob die Beteiligung eines Chefarztes notwendig ist, kann vielmehr nur sein, ob dieser über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die seine Beteiligung erforderlich erscheinen lassen. Das kann nicht schon mit dem Hinweis auf das Vorhandensein von niedergelassenen Fachärzten am Ort, die über das entsprechende Fachwissen verfügen, verneint werden. Die Tätigkeit am Krankenhaus kann dem leitenden Krankenhausarzt die Möglichkeit geben, sich ein diagnostisches und therapeutisches Erfahrungswissen anzueignen, wie es in diesem Umfang bei niedergelassenen Fachärzten einschlägiger Fachrichtung nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Das kann selbst dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein solcher Facharzt selbst früher Chefarzt war; denn bei den ständigen Fort schritten der ärztlichen Wissenschaft ist es unerläßlich, sich mit neuen Methoden der Krankheitserkennung und -behandlung vertraut zu machen, wie es jedenfalls einem leitenden Krankenhausarzt in seiner klinischen Tätigkeit möglich ist.

Ob der Kläger in diesem Sinne über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, kann nach den Feststellungen des LSG, die auf andere Gesichtspunkte abgestellt sind, nicht beurteilt werden Insbesondere läßt das angefochtene Urteil eine genauere Prüfung des vom Kläger und von anderen Stellen vorgetragenen Gesichtspunkts vermissen, daß die ambulante Nachbehandlung i. S. des § 29 Abs. 2 Buchst. d ZO-Ärzte durch den Kläger notwendig sei. Wenn das LSG hierzu nur bemerkt, die auf innerfachärztlichem Gebiet in Betracht kommenden Fälle könnten, wenn eine fachärztliche Nachbehandlung überhaupt geboten sei, durchaus in die Behandlung der vorhandenen Fachärzte übernommen werden, so hätte diese summarische Feststellung im einzelnen erhärtet werden müssen; denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung muß davon ausgegangen werden, daß die - in diesem Zusammenhang auf den Einzelfall bezogenen - besonderen Erfahrungen, die ein Chefarzt bei der stationären Behandlung eines erkrankten Versicherten gewonnen hat, und das häufig damit begründete Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem behandelnden Arzt besonders wertvoll für die ambulante Nachbehandlung dieses Versicherten sind.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur neuen Verhandlung mit dem Ziel der Prüfung zurückzuverweisen, ob der Kläger über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die seine Beteiligung zur ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten notwendig erscheinen lassen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß das Gericht, falls im Rahmen dieser Prüfung schwierige medizinische Fragen auftauchen und das LSG diese Fragen ohne Hinzuziehung eines Gutachters entscheiden will, in den Urteilsgründen seine Sachkunde in einer Weise darzutun hat, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es sich die erforderliche Sachkunde etwa zu Unrecht zugetraut hat (BSG, Urteil vom 2. Juni 1959 - 2 RU 20/56 - in SozR SGG § 103 Bl. Da 11 Rücks. Nr. 33 mit weiteren Nachweisen). Insofern stößt auch das angefochtene Urteil auf Bedenken, denn es genügt nicht, wenn in den Urteilsgründen nur ausgeführt ist, das Gericht habe sich bei seiner Entscheidung auf die Sachkenntnis eines ehrenamtlichen Beisitzers gestützt ohne dies näher zu begründen (BSG, Urteil vom 28. September 1961 - 4 RJ 151/60 - in SozR SGG § 128 Bl. Da 26 Rücks. Nr. 61).

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 230

NJW 1965, 366

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