Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 26.10.1983; Aktenzeichen II KABf 6/83)

SG Hamburg (Urteil vom 03.11.1982)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 1983 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. November 1982 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger, ein Maurermeister, wendet sich gegen die Inanspruchnahme als Mitunternehmer wegen rückständiger Beitragsforderungen der beklagten Berufsgenossenschaft (BG).

Er gründete am 31. Oktober 1977 mit dem Maurer F. die Gesellschaft „F. und L.” mit dem Ziel, gemeinsam einen Maurerbetrieb zu führen. Der Kläger sollte für die technische Leitung iS des § 7 Abs. 2 der Handwerksordnung (HwO) verantwortlich sein. Am nächsten Tag (1. November 1977) trafen sie zum Gesellschaftsvertrag „zusätzliche” Vereinbarungen: Der Kläger verzichtete auf die zunächst vereinbarte Geschäftsführung, Vertretung und Gewinnbeteiligung; nur die vereinbarte Beteiligung am Verlust blieb unverändert.

Unter Vorlage des Vertrags vom 31. Oktober 1977 erfolgte die Eintragung der Gesellschaft in die Handwerksrolle. Ihre Anzeigepflicht gegenüber der nach Gewerberecht zuständigen Behörde – Bürgermeister – erfüllte die Gesellschaft ebenfalls in vollem Umfange. Beide Gesellschafter sind in dieser Anzeige genannt. Der Aufforderung der Beklagten an die Adresse der Gesellschaft, beide Gesellschafter anzumelden, entsprach nur F. Die beklagte BG trug jedoch beide als Gesellschafter in ihr Unternehmerverzeichnis ein, teilte dies an die Adresse der Gesellschaft mit und gab auf, die Unterschrift des Klägers nachzuholen. Letzteres geschah nicht.

Die Beklagte versuchte erfolglos, die Beitragsrückstände für die Jahre 1979 und 1980 von F. beizutreiben. Anfang 1981 erhielt die Beklagte Kenntnis davon, daß der Kläger bereits am 16. September 1978 aus der Gesellschaft ausgeschieden war. Sie strich ihn mit Wirkung von diesem Tage an aus dem Unternehmerverzeichnis. Dies teilte sie dem Kläger durch einen – bindend gewordenen – Bescheid vom 27. August 1981 mit.

Mit Haftungsbescheid vom 25. August 1981 und Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1981 nimmt die Beklagte den Kläger für die rückständigen Beiträge in Höhe von über 17.000,– DM in Anspruch. Sie stützt sich dabei auf § 665 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. November 1982). Nach dem Nachtrag zum Gesellschaftsvertrag sei der Kläger zwar kein Unternehmer iS des § 658 Abs. 2 RVO. Entscheidend komme es auf den Gesellschaftsvertrag vom 31. Oktober 1977 an, der nach außen in Erscheinung getreten sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und der Klage stattgegeben. Maßgebend sei die tatsächliche Gestaltung der Vertragsverhältnisse zwischen dem Kläger und F. Danach seien für ihn weder Gewinne noch Verluste angefallen, so daß nicht gesagt werden könne, er sei derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen gehe. Eine am Rechtsschein oder Gutglaubensschutz orientierte Auslegung des Unternehmensbegriffes sei hier jedenfalls deshalb nicht geboten, weil der Kläger der Beklagten gegenüber nicht als Mitgesellschafter in Erscheinung getreten sei.

Mit der vom LSG – zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 658, 659, 665 und 723 RVO. Das LSG habe, meint die Beklagte, den Unternehmerbegriff verkannt. Unternehmer sei auch derjenige, der als Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts kurzzeitig Rechte und Pflichten innerhalb eines Unternehmens vertraglich übernehme.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der beklagten BG ist begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Das SG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger für die im Jahre 1979 und 1980 entstandenen Beitragsschulden des Bauunternehmens „F. und L.” einstehen muß. Er haftet als Mitunternehmer dieses Bauunternehmens (§§ 723, 658 Abs. 2 RVO). Unerheblich ist dabei, daß der Kläger – wie mit bindendem Bescheid festgestellt – bereits im September 1978 aus dem Baugeschäft ausgeschieden ist. Denn die Verpflichtung zur Beitragszahlung besteht bis zum Ablauf des Geschäftsjahres, in dem der Wechsel angezeigt wird (§ 665 Satz 2 RVO). Eine solche Anzeige ist nach den Feststellungen der Instanzgerichte bis zum Jahre 1980 nicht erfolgt. Infolgedessen kann es auf den etwaigen Nachweis des Klägers über sein Ausscheiden unmittelbar nach Gründung des Bauunternehmens nicht ankommen.

Die Entscheidung über die Beitragspflicht des Klägers hängt somit davon ab, ob er Unternehmer geworden ist oder zumindest so zu behandeln ist, als sei er Unternehmer geworden. Das ist entgegen der Meinung des LSG zu bejahen.

Nach § 658 Abs. 2 RVO ist Unternehmer „derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit)” geht. Folglich ist als Unternehmer derjenige anzusehen, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens, der Wert oder Unwert der im und mit dem Unternehmen verrichteten Arbeiten unmittelbar oder mittelbar zum Vorteil oder zum Nachteil gereicht (BSGE 14, 142, 145 = SozR Nr. 22 zu § 537 RVO aF; BSGE 17, 273, 275 = SozR Nr. 6 zu § 633 RVO aF; BSG SozR Nr. 1 zu § 729 RVO; BSG USK 79135). Dafür ist die Rechtsform des Unternehmens ausschlaggebend (BSGE 23, 83, 86 = SozR Nr. 41 zu § 537 RVO aF; BSGE 45, 279, 281 = SozR 2200 § 723 Nr. 4). Bei Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit ist Unternehmer nur die Gesellschaft und nicht ihr gesetzlicher Vertreter oder sonstige im Unternehmen maßgeblich tätige Personen. Wird hingegen – wie hier – ein Unternehmen durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 ff Bürgerliches Gesetzbuch –BGB–), mithin eine Gesellschaft ohne eigene Rechtsfähigkeit, geführt, sind diejenigen Gesellschafter Unternehmer, die nach dem Gesellschaftsvertrag als vertretungsbefugte Gesellschaft unmittelbar Rechte und Pflichten begründen. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 31. Oktober 1977 waren die beiden Gesellschafter F. und der Kläger bis zu einem bestimmten Betrag gegenseitig vertretungsbefugt, darüber hinaus nur zum gemeinsamen Handeln berechtigt. Dem Kläger sollte auch der Ertrag der wirtschaftlichen Betätigung des Bauunternehmens zugute kommen, wie er auch für die Nachteile einstehen sollte. Nach dieser Vertragsgestaltung ist der Kläger – unstreitig – Unternehmer geworden.

Die einen Tag später – am 1. November 1977 – vereinbarte „Vertragsänderung”, wonach der Kläger auf die Geschäftsführung, Vertretung und Gewinnbeteiligung verzichtete, kommt ihm nicht deswegen zugute, weil er schon vor Vollzug des Gesellschaftsvertrages aus dem Unternehmen ausgeschieden und deshalb nicht als Unternehmer tätig geworden ist. Dabei mag dahinstehen, ob der Gesellschaftsvertrag vom 31. Oktober 1977 nur zum Schein abgeschlossen worden ist, wofür vor allem die „Vertragsänderung” vom 1. November 1977 selbst spricht. Der Vertrag vom 31. Oktober 1977 wäre dann zwar nichtig (§ 117 Abs. 1 BGB), darauf könnte der Kläger sich aber nicht berufen. Denn die Partner eines zum Schein geschlossenen Gesellschaftsvertrages, die als solche einem Rechtsträger gegenüber auf getreten sind, der auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hatte, müssen sich im Verhältnis zu diesem Rechtsträger so behandeln lassen, wie wenn der Vertrag gültig wäre. Der Rechtsgrundsatz einer Haftung aus Rechtsschein aufgrund eines zum Schein geschlossenen Gesellschaftsvertrages ist im Zivilrecht allgemein anerkannt (vgl. ua BGB-RGRK, 12. Aufl, § 117 RdNr. 15 mwN; zu anderen Fällen des Rechtsscheins vgl. ua BGHZ 59, 179, 185; 61, 59, 64 f). Das Rechtsinstitut des Rechtsscheins gilt aber ebenso im öffentlichen Recht. Er ist als haftungsbegründender Tatbestand auch im Sozialrecht anwendbar. Beispielhaft ist auf BSGE 36, 71, 73 = SozR Nr. 40 zu § 539 RVO zu verweisen. Der Rechtsschein und das Vertrauen darauf kommt auch dem Sachwalter von Solidarinteressen zugute. Die beklagte BG durfte und mußte sich auf den nach außen bekundeten Willen der Gesellschafter verlassen, das Bauunternehmen gemeinsam zu führen. Sie mußte sich demgemäß darauf einrichten, für die Gesellschafter oder ihre Bediensteten Versicherungsleistungen zu erbringen.

Wollte man das Vertrauen auf den Rechtsschein im Falle eines Scheingeschäfts davon abhängig machen, daß tatsächlich ein Schaden entstanden ist (Soergel, BGB, 11. Aufl, § 705 RdNr. 72), müßte ebenfalls der Kläger für die Beitragsschulden haften. Denn er hat durch sein Verhalten bewirkt, daß der Beklagten die Möglichkeit genommen wurde, die Beitragsrückstände von den Bauherren einzuziehen. Nach § 729 Abs. 2 RVO haftet der Bauherr für die Beiträge zahlungsunfähiger Unternehmer nur bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten. Mit der Eintragung in die Handwerksrolle ist indessen der Tatbestand der gewerbsmäßigen Bauarbeiten gegeben (vgl. BSGE 30, 230, 234 f = SozR Nr. 3 zu § 729 RVO).

Der Rechtsschein ist auch nicht dadurch behoben, daß es der Kläger unterlassen hatte, der Beklagten das Bauunternehmen „F. und L.” und damit sich als Mitunternehmer anzuzeigen. Diese dem Unternehmer obliegende gesetzliche Verpflichtung (§ 661 RVO) hatte sein Mitunternehmer F. erfüllt; ob mit Wissen des Klägers, mag dahinstehen. Jedenfalls mußte der Kläger aufgrund des Vertrages vom 31. Oktober 1977 damit rechnen. Die beklagte BG durfte auf die Nachricht durch das Gewerbeamt und durch die Handwerkskammer vertrauen, die von Amts wegen (§ 662 Abs. 1 RVO) zu erteilen war und auch erteilt worden ist.

Der Kläger kann auch nicht geltend machen, daß er den Bauherren gegenüber nicht als Unternehmer in Erscheinung getreten ist. Denn er hat zu verantworten, daß er als Mitunternehmer in die Handwerksrolle eingetragen wurde. Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 Handwerksordnung (HwO) wird eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle nur eingetragen, wenn für die technische Leitung ein persönlich haftender Gesellschafter verantwortlich ist, der die persönlichen Voraussetzungen für die Eintragung erfüllt. Durch diese Vorschrift ist klargestellt, daß die Eintragung nur erfolgen kann, wenn der Handwerker einen bestimmenden Einfluß auf das Unternehmen ausübt. Es genügt weder, daß er leitender Angestellter ist, noch daß eine finanzielle Beteiligung, etwa als Kommanditist, vorliegt (vgl. Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, 2. Aufl, § 6 Anm. 4 und 21). Mit der Eintragung in die Handwerksrolle, die der ausdrücklich genannte Zweck des Vertrages vom 31. Oktober 1977 war und schon deshalb mit Billigung des Klägers geschehen ist, hat der Kläger nach außen seine Eigenschaft als Mitunternehmer bekundet und muß sich demgemäß als solcher behandeln lassen. Die beklagte BG durfte auf die Richtigkeit der Eintragung vertrauen. Ein Haftungsausschluß als Strohmann, wie Lauterbach unter unzutreffender Bezugnahme auf EuM 34, 218 annimmt („UV” 3. Aufl 1986 § 658 RdNr. 8b; vgl. auch Brackmann, Handbuch der SV, 10. Aufl 1986 Bd. 2 S 505) kommt nicht in Betracht.

Es kann offenbleiben, ob schon aufgrund der nach § 7 Abs. 4 Satz 2 HwO erfolgten Eintragung ein Handwerker Mitunternehmer der eingetragenen Personengesellschaft ist. Denn aufgrund des Rechtsscheins ist der Kläger bereits haftungsrechtlich als Mitunternehmer zu behandeln. Es braucht auch nicht geklärt zu werden, welche versicherungsrechtlichen Folgen sich daraus ergeben, daß die Eintragungen in die Handwerksrolle konstitutive Wirkung haben (vgl. Siegert/Musielak aaO § 6 RdNr. 4). Zudem stellt sich hier nicht die Frage, ob die Eintragung in die Handwerksrolle bei der Beurteilung handwerkrechtlicher Fragen für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend ist (vgl. BSG SozR 2200 § 250 Nr. 8 mwN). Im gegenwärtigen Fall ist nicht dies, sondern die Unternehmerhaftung streitig.

Die Beiladung des Mitunternehmers F. war nicht veranlaßt. Zwar hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts in mehreren nicht veröffentlichten Urteilen (20. Oktober 1983 – 2 RU 82/82 –, 30. August 1984 – 2 RU 37/83 – und 13. Dezember 1984 – 2 RU 35/84 –) eine notwendige Beiladung iS des § 75 Abs. 2 SGG für geboten gehalten, wenn ein Mitunternehmer als Gesamtschuldner in Anspruch genommen wurde, die Leistungspflicht des anderen Gesamtschuldners aber noch nicht feststand. Diese Fallgestaltung unterscheidet sich von der gegenwärtigen dadurch, daß die Beitragspflicht des Mitunternehmers F. bindend festgestellt ist. Damit entfallen die vom 2. Senat angenommenen Voraussetzungen für die notwendige Beiladung, nämlich daß an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß ihnen gegenüber die Entscheidung nur einheitlich ergehen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 15

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