Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 19.08.1987)

 

Tenor

Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. August 1987 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zur Hälfte zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Vormerkung der Zeit vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 als Lehrzeit und der Zeit vom 18. Oktober 1955 bis 27. Juli 1957 als Zeit der Hochschulausbildung.

Die im Jahre 1935 geborene Klägerin besuchte nach der mittleren Reife drei Jahre lang die Städtische Frauenfachschule N. und legte dort am 13. Juli 1954 die Staatsprüfung in der Nadelarbeit ab. Vom 15. Juli 1954 bis 1. Oktober 1955 leistete sie ein unentgeltliches Praktikum in der Schneiderei Marie K. in N. (Zeugnis vom 31. August 1955) und bestand am 1. Oktober 1955 die Gesellenprüfung im Damenschneider-Handwerk. Anschließend studierte sie vom 18. Oktober 1955 bis 27. Juli 1957 vier Semester am Staatlichen Berufspädagogischen Institut M. – BPI –, wo sie nach Beendigung des Studiums die Erste Prüfung für das Lehramt an gewerblichen und hauswirtschaftlichen Schulen, Fachrichtung Bekleidungsgewerbe, ablegte (Zeugnis vom 6. August 1957).

Im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens merkte die Beklagte mit Bescheid vom 7. August 1984 neben der Ausbildung an der Städtischen Frauenfachschule N. die Zeit vom 18. Oktober 1955 bis 6. August 1957 als Ausfalltatbestand der Fachschulausbildung vor, mit dem Hinweis der Begrenzung auf vier Jahre. Die Zeit der praktischen Betätigung vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 wurde nicht anerkannt, da die Ausbildung keine Lehrzeit, Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung sei. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1985).

Das Sozialgericht (SG) N. hat der Klage auf Anrechnung des Praktikums und der Ausbildung am BPI als Hochschulausbildung in vollem Umfang stattgegeben (Urteil vom 12. August 1986). Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) unter teilweiser Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage bezüglich der Vormerkung der Zeit vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 abgewiesen und deren Berufung im übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 19. August 1987). Das LSG hat ausgeführt: Die Zeit vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 sei keine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Weder sei ein schriftlicher Lehrvertrag abgeschlossen, noch nachträglich die Klägerin in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen worden. Ein Lehrabschluß allein genüge nicht für die Anerkennung als Ausfallzeit. Die von der Klägerin selbst als Praktikum bezeichnete Zeit könne auch nicht einer Lehre gleichgesetzt werden, da sie nicht die Kennzeichen eines Lehrverhältnisses aufweise. Ein Anspruch auf Vormerkung wäre überdies auch dann zu verneinen, wenn die Klägerin im fraglichen Zeitraum die Voraussetzungen einer abgeschlossenen Lehrzeit erfüllt hätte. Denn dann wäre sie nach der Vereinfachungs-Verordnung vom 17. März 1945, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im gesamten Bundesgebiet spätestens am 7. September 1949 mit dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages wirksam geworden sei, versicherungspflichtig gewesen, so daß es an der Voraussetzung fehlte, daß die Lehrzeit „nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei” war. Der Zeitraum des Praktikums falle auch nicht unter § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG, da von dieser Vorschrift nur an der Schule selbst verbrachte Ausbildungszeiten erfaßt würden. Das Studium der Klägerin am BPI hingegen sei eine Hochschulausbildung. Ausgehend von einer weiten Auslegung des Begriffs „Hochschule”, die auch die Fachhochschulen miteinbeziehe, spreche bei der Einstufung des BPI mehr für den Status einer „Hochschule” als für den einer „Fachschule”. Der Unterricht sei nicht nach einen festen schulmäßigen Ausbildungs- und Stundenplan erteilt worden, sondern den Studierenden sei eine gewisse Lernfreiheit eingeräumt worden. Dementsprechend werde die Ausbildung in den Bekanntmachungen des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 18. August 1950 (Amtsblatt 1950 Nr. 16) und vom 4. August 1956 (Amtsblatt 1956 Nr. 8) auch als Studium bezeichnet. Den Absolventen des BPI werde die Anstellungsfähigkeit als Gewerbestudienrat zuerkannt, was eine Bewertung dieses Institutes als Hochschule voraussetze. Bestätigt werde dies durch die vom SG eingeholte Stellungnahme des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 15. Juni 1986, derzufolge das BPI im Hinblick auf die Zulassungsvoraussetzungen, die Dauer des Studiums, das Ziel der Ausbildung und die anschließende Berufstätigkeit als Gewerbelehrer als Ausbildungsstätte hochschulmäßiger Art anzusehen sei. Auch in dem vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) 1956 herausgegebenen Fachschulverzeichnis „Die berufsbildenden Schulen in der Bundesrepubilk Deutschland” werde das BPI unter dem Oberbegriff „Die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland” geführt.

Hiergegen richten sich die – vom LSG zugelassenen – Revisionen der Klägerin und der Beklagten.

Die Klägerin rügt eine Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG. Da es sich – wie durch die Vorlage des Gesellenbriefes ausreichend dokumentiert – bei der Zeit vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 um eine der Lehrzeit vergleichbare Zeit handele, sei dafür eine Ausfallzeit vorzumerken.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 12. August 1986 in vollem Umfang zurückzuweisen und deren Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils und Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 12. August 1986 die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, das LSG habe den Begriff der Hochschulausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG verkannt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung beurteile sich die Wertung einer Ausbildung im Sinne dieser Vorschrift stets nach dem Status der Ausbildungsstätte zum Zeitpunkt der Ausbildung. Zum damaligen Zeitpunkt sei das BPI nicht als Hochschulausbildungseinrichtung anerkannt gewesen. Die kurze Ausbildungsdauer von vier Semestern und die Bezeichnung als Studium könnten ebensowenig als Grundlage für eine Beurteilung als Hochschulausbildung herangezogen werden wie die Erwähnung des BPI in dem vom BMA herausgegebenen Verzeichnis im Abschnitt „Die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland”. Auch die vom LSG herausgestellten Zulassungsvoraussetzungen für die Ausbildung am BPI sprächen eher für eine Wertung als Fachschulausbildung, da weder eine allgemeine noch eine fachgebundene Hochschulreife gefordert werde, sondern auch Bewerber mit „mittlerer Reife” zugelassen würden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind zulässig, aber unbegründet.

A. Revision der Klägerin

Die Klägerin begehrt die „Vormerkung” (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 82) des Zeitraums vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG in seiner ab 1. Juli 1965 geltenden Fassung des Art. 1 § 2 Nr. 19 Buchst d des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I S. 476). Danach sind Ausfallzeiten Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen nichtversicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Die Zeit der Ausbildung der Klägerin im Schneiderbetrieb Marie K. ist keine Lehrzeit im Sinne dieser Vorschrift.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG liegt eine Lehrzeit vor, wenn eine abhängige Beschäftigung in einem Betrieb hauptsächlich der Berufsausbildung dient, diesem Ziel entsprechend geleitet wird und der Auszubildende tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt (BSGE 6, 147, 151; 31, 226, 231 f = SozR Nr. 30 zu § 1259 RVO; BSG SozR Nr. 40 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 22; BSG SozR a.a.O. Nr. 87). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, richtet sich nach den Gegebenheiten in der Zeit der als Ausfalltatbestand geltend gemachten Ausbildung (speziell für die Lehrzeit BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 22; vgl im übrigen BSGE 48, 219, 222 = SozR a.a.O. Nr. 42; BSG SozR a.a.O. Nr. 76, jeweils mwN).

In dem hier maßgeblichen Zeitraum von August 1954 bis Oktober 1955 galten für handwerkliche Lehrlinge die am 18. September 1953 in Kraft getretenen (BGBl I S. 1411) Bestimmungen der Handwerksordnung (HandwO). Hiernach gehörte zur ordnungsgemäßen Lehrzeit ein schriftlicher Lehrvertrag (§ 21 Abs. 1) und die Eintragung des Lehrlings in die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer (§ 21 Abs. 4). Diese vom Gesetz geforderten Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen eines Lehrverhältnisses (vgl hierzu im einzelnen BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 87) sind hier nicht gegeben. Nach den von der Klägerin nicht angegriffenen und daher das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des SozialgerichtsgesetzesSGG) ist weder ein schriftlicher Lehrvertrag abgeschlossen noch ist die Klägerin nachträglich in das bei der Handwerkskammer geführte Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen worden. Abgesehen davon, daß die Ausbildung der Klägerin im Schneiderbetrieb K. nicht wie im Regelfall drei Jahre (§ 30 Satz 1 HandwO), sondern lediglich 14 Monate gedauert hat, entspricht auch das ihr anschließend erteilte Zeugnis nicht den für ein Lehrzeugnis gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 HandwO). Aus den Formulierungen, die Klägerin sei „als Praktikantin im Damenschneiderei-Gewerbe tätig gewesen und habe großes Interesse an den ihr übertragenen Arbeiten gezeigt, die sie auch außerordentlich zufriedenstellend erledigt habe”, lassen sich weder die Lehrzeitdauer noch die in dem Handwerk erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten entnehmen, noch ist erkennbar, daß die Klägerin in allen Zweigen des Handwerks ausgebildet worden ist (vgl hierzu im einzelnen Hartmann/Philipp, Handwerksordnung, 1954, § 23 Anm. 3 S. 153).

Abgesehen von diesen zwingenden Formerfordernissen ist die von der Klägerin selbst als Praktikum bezeichnete Unterweisung in der Schneiderei K. einer Lehrzeit aber auch nicht wesensgleich (zum Praktikum und zur Abgrenzung von der Lehrzeit vgl Hoffmann/Ditlmann, Ausbildung und Rechtsstellung des Praktikanten, BB 1959, Beilage zu Heft 26). Im streitigen Zeitraum sind der Klägerin nämlich nicht – wie dies ein Lehrverhältnis begriffsnotwendig voraussetzt – alle notwendigen Grundlagen für den angestrebten Beruf als Damenschneiderin vermittelt worden (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 22); dies ist vielmehr zum Teil bereits in der vorangegangenen Ausbildung an der Städtischen Frauenfachschule in N. geschehen. Damit stimmt § 31 Abs. 3 Satz 2 HandwO überein, wonach vom Nachweis der Lehre zu befreien war, wer – wie die Klägerin – eine sonstige gewerbliche Unterrichtsanstalt mit Erfolg besucht hatte. Der Umstand, daß das Praktikum zusammen mit dem Fachschulbesuch eine ansonsten erforderliche Lehre ersetzt hat, verleiht der Zeit vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 ebensowenig den Rechtscharakter einer Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG wie die am 1. Oktober 1955 bestandene Gesellenprüfung, denn der Gesetzgeber hat nicht nur das Ausbildungsergebnis (Lehrabschlußprüfung), sondern auch den typischen Ausbildungsweg dorthin (Lehre) festgelegt (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 64; BSG SozR a.a.O. Nr. 75).

Der gesetzliche Ausfallzeittatbestand einer Lehre trifft auf das von der Klägerin abgeleistete Praktikum auch nicht entsprechend zu. Nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG auf andere Ausbildungszeiten nicht statthaft, da der Gesetzgeber nur die typische Lehrlingsausbildung erfassen wollte und bewußt davon abgesehen hat, alle zu einem Beitragsausfall führenden Ausbildungszeiten als Ausfallzeiten anzuerkennen (BSGE 31, 226, 231 = SozR Nr. 30 zu § 1259 RVO unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und die gesetzgeberischen Motive bei Erlaß des RVÄndG vom 9. Juni 1965; BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 64 mwN). Die an sich dem Versicherungsprinzip widersprechende Berücksichtigung von Ausfallzeiten als Zeiten ohne Beitragsleistung ist in Ausprägung des Sozialstaatsgedankens eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft und beruht überwiegend auf staatlicher Gewährung als Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge (BSGE 55, 224, 229 = SozR 2200 § 1259 Nr. 77 mwN). Zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Solidargemeinschaft hat der Gesetzgeber deshalb gezielt und abschließend nur bestimmte typische Ausbildungen – und diese auch zumeist nur zeitlich begrenzt – als Ausfallzeiten berücksichtigen wollen (BSGE 31, 226, 231 = SozR Nr. 30 zu § 1259 RVO; BSG SozR Nr. 46 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 22; BSG SozR a.a.O. Nr. 33; BSGE 48, 100, 108 = SozR a.a.O. Nr. 37; BSG SozR a.a.O. Nr. 69; BSG SozR a.a.O. Nr. 75; BSGE 55, 224, 229 = SozR a.a.O. Nr. 77).

Nach alledem steht der von der Klägerin begehrten Vormerkung der Zeit vom 1. August 1954 bis 1. Oktober 1955 schon entgegen, daß diese keine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG ist. Auf den vom LSG herangezogenen weiteren rechtlichen Gesichtspunkt, daß Lehrzeiten jedenfalls seit dem 7. September 1949 versicherungspflichtig und somit nicht „nichtversicherungspflichtig oder versicherungsfrei” im Sinne dieser Vorschrift sind (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 50; BSG SozR a.a.O. Nr. 64), kommt es nicht mehr an.

Ob sich die Klägerin während dieser Zeit in Fachschulausbildung befunden hat (vgl zu dieser Problematik BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 69), war nicht zu entscheiden, da die Revision der Klägerin ausdrücklich nur eine Verletzung von § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG rügt (§ 164 Abs. 2 Satz 3 des SozialgerichtsgesetzesSGG). Nach allem ist die Revision der Klägerin unbegründet und zurückzuweisen.

B. Revision der Beklagten

Die Ausbildung der Klägerin am BPI München in der Zeit vom 18. Oktober 1955 bis 27. Juli 1957 ist entgegen der Auffassung der Beklagten Hochschulausbildung iS des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG.

Der Begriff „Hochschulausbildung” ist weder im Gesetz selbst noch in dem vom BMA im Jahre 1956 herausgegebenen Fachschulverzeichnis, auf das die Rechtsprechung für die Auslegung des Begriffs „Fachschule” im wesentlichen zurückgreift, definiert (vgl BSGE 35, 52, 53 f = SozR Nr. 49 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1255a Nr. 6; BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 47; BSG SozR a.a.O. Nr. 62; BSG SozR a.a.O. Nr. 63; BSG SozR a.a.O. Nr. 76; zuletzt das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des erkennenden Senats vom 21. April 1988 – 4/11a RA 19/87). Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß darunter nur Zeiten fallen, die ein immatrikulierter Student an einer anerkannten Universität oder Hochschule (auch Fachhochschule) verbringt und damit in erster Linie auf den Status der Bildungseinrichtung abgestellt (BSGE 52, 86, 88 = SozR 2200 § 1259 Nr. 52; BSG SozR a.a.O. Nr. 75; BSG SozR a.a.O. Nr. 86; BSGE 61, 35 = SozR a.a.O. Nr. 96).

Das BPI ist eine Hochschule in diesem Sinn. Das zu entscheiden, ist der Senat aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen in der Lage. Zwar hat das LSG keine ausdrücklichen Feststellungen zur Anerkennung des BPI als Hochschulausbildungseinrichtung im – hier allein maßgeblichen (BSGE 48, 219, 222 = SozR 2200 § 1259 Nr. 42; BSGE 52, 86, 87 = SozR a.a.O. Nr. 52; BSG SozR a.a.O. Nr. 76) – Zeitraum der Ausbildung der Klägerin getroffen. Nach der vom SG eingeholten Auskunft des für die Anerkennung zuständigen Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, die sich das LSG zu eigen gemacht hat, handelte es sich bei dem im Jahr 1966 aufgelösten BPI jedoch keinesfalls um eine Fachschule, sondern um eine staatliche Ausbildungsstätte eigener – hochschulmäßiger – Art für die Ausbildung des Lehrernachwuchses der Berufsschulen (so auch das vom BMA herausgegebene Fachschulverzeichnis S 16; vgl auch Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens, 1978, S 302).

Dem schließt sich der Senat an. Neben dem rein formalen – und daher im Regelfall einfachsten – Abgrenzungskriterium des anerkannten Status der Bildungsstätte sind die Zugangsvoraussetzungen sowie Art und Umfang der Ausbildung zu berücksichtigen (BSGE 56, 36 = SozR 2200 § 1259 Nr. 80; BSG SozR a.a.O. Nr. 86; BSGE 61, 35 = SozR a.a.O. Nr. 96; ebenso § 2 Abs. 1 Satz 2 des BundesausbildungsförderungsgesetzesBAföG).

Während der Besuch der Fachschule eine ausreichende praktische Berufsvorbildung oder mindestens berufspraktische Tätigkeit voraussetzt (vgl Definition des Fachschulbegriffs im Fachschulverzeichnis S 4), erforderte die Zulassung für ein Studium am BPI entweder die allgemeine oder die fachgebundene Hochschulreife (im heutigen Sinne), jeweils mit beruflicher Vorbildung. Als Vorbildungserfordernis für den von der Klägerin angestrebten Beruf als Gewerbelehrerin für das Bekleidungsgewerbe standen gleichwertig nebeneinander einmal das Abitur und zwei Jahre Schneiderinnenlehre bzw ein Jahr Lehrlingsklasse einer Fachschule nebst abgeschlossener Gesellenprüfung und zum anderen die mittlere Reife und drei Jahre Frauenfachschule nebst einem Jahr in einer Schneiderwerkstatt (vgl Fachschulverzeichnis S 20).

In Anwendung nicht revisiblen Landesrechts (§ 162 SGG) hat das LSG ausgeführt, der Unterricht sei – wie für ein Studium im Gegensatz zur Fachschulausbildung typisch – nicht nach einem festen schulmäßigen Ausbildungs- und Stundenplan erteilt worden; vielmehr sei den Studierenden eine gewisse Lernfreiheit eingeräumt worden. Das Studium umfaßte neben einer Vertiefung des berufsspezifischen Wissens eine Ausbildung und Prüfung in den Fächern Erziehungswissenschaft, Psychologie, allgemeine und besondere Unterrichtslehre, Sozialwissenschaften sowie Schulpraxis und endete mit einem staatlich anerkannten Abschluß.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist das BPI in dem dem § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG zugrunde liegenden formalen Aufbau der Bildungssysteme (vgl hierzu BSGE 54, 125 = BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 71) der obersten Stufe zuzurechnen (so im Ergebnis auch das Fachschulverzeichnis des BMA, das die berufspädagogischen Akademien und Institute unter der Rubrik „Die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland” aufführt und unter dem Abschnitt „Wege des Fachschulabsolventen zum Hochschulstudium” –S 10– die Möglichkeit des Übergangs einer Absolventin der Frauenfachschule zu den berufspädagogischen Akademien mit dem Ziel der Gewerbelehrerin nennt). Der Umstand, daß die Ausbildung zum Zeitpunkt des Studiums der Klägerin lediglich vier Semester betragen hat, vermag hieran nichts zu ändern. Das Gesetz bietet keine Handhabe für die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung nach der Dauer der Ausbildung (sechs Semester = Hochschulausbildung, vier Semester = Fachschulausbildung). Eine derartige schematisierte Betrachtungsweise wäre angesichts der grundsätzlichen Selbständigkeit der Länder im schulischen Bereich und im Hinblick auf die Gegebenheiten des vorliegenden Falles sachfremd und würde vielfach zu Zufallsergebnissen führen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Ausbildung am BPI nicht einer Ausbildung an den damaligen Ingenieurschulen, die allgemein als Fachschulen anerkannt sind, wesensgleich. Nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 17. April 1953 sind die Ingenieurschulen mit den Pädagogischen Akademien (Hochschulen, Instituten) weder nach ihrem Lehrgut noch nach ihrer organisatorischen Stellung im Bildungsaufbau vergleichbar (Sammlung der Beschlüsse der ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland Bd. 3 Nr. 445).

Die Bewertung der Ausbildung am BPI als Hochschulausbildung steht auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung des 11. Senats vom 13. August 1981 (BSGE 52, 86 ff = SozR 2200 § 1259 Nr. 52). Anders als in dem dort entschiedenen Fall ist das BPI nicht nachträglich von einer Fachschule in eine Fachhochschule umgewandelt worden, sondern war bereits zum Zeitpunkt der Ausbildung der Klägerin Hochschule im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG.

Hiernach war auch die Revision der Beklagten unbegründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1063552

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge