Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Berufung. Rente für bereits abgelaufene Zeiträume. Beginn der Rente. Feststellungsklage. Wirkung einer Beitragsnachentrichtung

 

Orientierungssatz

1. Die Berufung betrifft Rente für einen abgelaufenen Zeitraum, wenn nach dem vom Berufungskläger in der Berufungsinstanz - zuletzt - gestellten Antrag ein Rentenanspruch nur für einen Zeitraum betroffen ist, der - bezogen auf den Zeitpunkt der Einlegung der Berufung - bereits abgelaufen war. Die Berufung ist in diesen Fällen unabhängig davon unzulässig, ob der Rentenanspruch (hier der Altersruhegeldanspruch des verstorbenen Ehemannes) ganz oder teilweise, dem Grund oder der Höhe nach streitig ist (vgl BSG 23.4.1981 1 RA 25/80 = SozR 1500 § 146 Nr 12) oder ob hinsichtlich eines daran anschließenden, weiteren Anspruchs (zB auf Hinterbliebenenrente) über dieselben sachlich-rechtlichen Fragen zu befinden wäre wie bei der Entscheidung über den streitbefangenen Anspruch (vgl BSG 26.1.1983 1 RA 55/81 = SozR 1500 § 146 Nr 14). Unerheblich für die Anwendung des § 146 SGG ist auch, ob bereits die Zahlung der Rente als solche begehrt wird oder nur die Feststellung, daß oder ab wann die Rente - bei Eintritt bestimmter Bedingungen, hier nach einer Beitragsnachentrichtung - zu zahlen ist.

2. Bei den Berufungsausschließungsgründen der §§ 144 ff SGG kommt es auf die Klageart nicht an, sondern auf den materiellen Gehalt des Klagebegehrens (vgl BSG 31.5.1965 4 RJ 31/65 = SozR Nr 14 zu § 146 SGG). Auch eine Feststellungsklage, die nur den Beginn einer Rente oder nur Rente für einen bereits abgelaufenen Zeitraum "betrifft", ist nach § 146 SGG ausgeschlossen.

3. Begehrt die Klägerin nach dem Berufungsantrag nur die - vorbeugende - Feststellung, daß bei fristgemäßer Durchführung der beabsichtigten Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG dem verstorbenen Ehemann der Klägerin aus diesen Beiträgen das Altersruhegeld ab einem bestimmten Zeitpunkt zu gewähren ist, enthält die dann vorgetragene Ansicht, der formlose Nachentrichtungsantrag beinhalte bereits eine - noch wirksame - Bereiterklärung iS von § 142 Abs 1 Nr 2 AVG, keinen weiteren oder selbständigen Anspruch, sondern ist allein Element der rechtlichen Begründung ihres Anspruchs auf Feststellung des früheren Rentenbeginns. Hinsichtlich der Nachentrichtungswirkungen ist dann weder ein selbständiger Feststellungsantrag gestellt, noch ist ein solcher in dem gestellten Antrag - etwa als der präjudizielle Antrag - mitenthalten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob ein solcher Antrag überhaupt zulässig wäre, da er nur ein einzelnes Element des festzustellenden Rechtsverhältnisses bzw die - von § 55 Abs 2 SGG nicht erfaßte - Rechtsfrage (Vorfrage) betroffen hätte, von welchem Zeitpunkt an nachzuentrichtende Beiträge bei der Rentenfeststellung zu berücksichtigen sind.

 

Normenkette

SGG § § 146, 55 Abs 1 Nr 1, § 55 Abs 2; AnVNG Art 2 § 49a Abs 2; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2; AVG § 142 Abs 1; RVO § 1420 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 19.03.1984; Aktenzeichen L 16 An 29/83)

SG Berlin (Entscheidung vom 24.01.1983; Aktenzeichen S 14 An 1925/82)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, bei fristgemäßer Durchführung einer Beitragsnachentrichtung ihrem verstorbenen Ehemann (A.) aus den nachentrichteten Beiträgen bereits ab 1. Januar 1976 ein Altersruhegeld zu gewähren.

Der am 1. Januar 1904 in Jugoslawien geborene A., der zum Personenkreis der rassisch Verfolgten gehörte, ist im Dezember 1948 nach Israel ausgewandert, wo er bis zu seinem Tode am 9. November 1982 gelebt hat. Er war israelischer Staatsbürger.

Am 18. Dezember 1975 beantragte A. bei der Beklagten die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) sowie die freiwillige Versicherung; er bat um "Registration und Auflage, welche Dokumente zu beschaffen sind". Danach meldete er sich erst wieder bei der Beklagten im Mai 1981 und teilte mit, daß er für die Zeit von 1959 bis 1973 180 Monate der Beitragsklasse 400 nachentrichten wolle, und beantragte gleichzeitig die Gewährung der Altersrente ab 1. Januar 1976.

Mit Schreiben vom 13. August 1982 teilte die Beklagte dem A. zur Frage des Rentenbeginns mit, daß die Rente, sofern die Beiträge nach Zulassung der Nachentrichtung innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung des Zulassungsbescheides eingezahlt würden, bei Erfüllung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erst am 1. Juni 1981 beginnen könne.

Hiergegen hat A. am 15. September 1982 Klage erhoben. Nach seinem Tod hat die Klägerin, seine Witwe, als Rechtsnachfolgerin den Rechtsstreit fortgeführt und geltend gemacht, sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß die Rente des A. aufgrund der beabsichtigten Nachentrichtung bereits am 1. Januar 1976 und nicht erst am 1. Juni 1981 beginne. A. habe im Dezember 1975 einen Nachentrichtungsantrag gestellt, der eine Bereiterklärung zur Beitragsnachentrichtung enthalten habe. Von der Beklagten habe er weder Formulare zum Ausfüllen und Erledigen erhalten, noch sei irgendeine Frist zur Konkretisierung des Antrags gesetzt worden. Deshalb müsse die beabsichtigte Nachentrichtung auf den 1. Januar 1976 zurückwirken.

Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 24. Januar 1983; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Berlin vom 19. März 1984).

Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Die Berufung sei nicht nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, denn Streitgegenstand sei nicht unmittelbar die Rentengewährung für einen abgelaufenen Zeitraum, sondern die Wirkung einer Beitragsnachentrichtung. Die begehrte Feststellung, daß die Beklagte aufgrund eines von A. gestellten Antrages verpflichtet sei, das Altersruhegeld ab 1. Januar 1976 zu gewähren, sobald er 180 Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichtet habe, sei zulässig (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Der Klägerin sei vorbeugender Rechtsschutz zu gewähren, weil die Beklagte bereits im gegenwärtigen Zeitpunkt eine zukünftige Verpflichtung - Zahlung der Rente ab 1. Januar 1976 bei Nachentrichtung der Beiträge - substantiiert bestreite (Bescheid vom 13. August 1982). Die Feststellungsklage sei jedoch unbegründet, weil A. das Altersruhegeld frühestens ab 1. Juni 1981 zustehen würde, denn er habe erst im Mai 1981 seinen Nachentrichtungsantrag konkretisiert. Eine Bereiterklärung im Sinne des § 142 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sei erst im Schreiben des A. vom 26. Mai 1981 zu sehen; lediglich auf diesen Zeitpunkt könne die tatsächliche Entrichtung der Beiträge zurückwirken.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Sie vertritt die Ansicht, daß der formlose Nachentrichtungsantrag vom Dezember 1975 eine Bereiterklärung im Sinne von § 142 Abs 1 Nr 2 AVG beinhalte und daß die Beklagte - wie ihren Ehemann selbst - ein "Verschulden" an der verzögerten Antragsbearbeitung treffe. Deshalb würde ihr das Altersruhegeld bereits ab 1. Januar 1976 zustehen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, bei fristgemäßer Durchführung der Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG dem Versicherten (verstorbenen Ehemann der Klägerin) aus diesen Beiträgen ab 1. Januar 1976 die Altersrente zu gewähren, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung im Ergebnis für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist allerdings abzuändern, weil das LSG die Berufung der Klägerin zu Unrecht als zulässig angesehen und in der Sache entschieden hat. Die Berufung der Klägerin war vielmehr als unzulässig zu verwerfen, weil sie nach § 146 SGG ausgeschlossen war. Diesen auch in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (allgemeine Meinung, vgl die Entscheidungen des erkennenden Senats in SozR 1500 § 146 Nrn 12 und 14, jeweils mwN).

Nach § 146 SGG ist in Angelegenheiten der Rentenversicherung die Berufung nicht zulässig, soweit sie Beginn oder Ende der Rente oder nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Ob die erstgenannte Alternative - Streit nur über den Rentenbeginn - zutrifft, kann hier offenbleiben. Die Berufung betrifft jedenfalls nur Rente für einen bereits abgelaufenen Zeitraum. Dies ist der Fall, wenn nach dem vom Berufungskläger in der Berufungsinstanz - zuletzt - gestellten Antrag ein Rentenanspruch nur für einen Zeitraum betroffen ist, der - bezogen auf den Zeitpunkt der Einlegung der Berufung - bereits abgelaufen war. Die Berufung ist in diesen Fällen unabhängig davon unzulässig, ob der Rentenanspruch (hier der Altersruhegeldanspruch des verstorbenen Ehemannes) ganz oder teilweise, dem Grund oder der Höhe nach streitig ist (BSG SozR 1500 § 146 Nr 12) oder ob hinsichtlich eines daran anschließenden, weiteren Anspruchs (zB auf Hinterbliebenenrente) über dieselben sachlich-rechtlichen Fragen zu befinden wäre wie bei der Entscheidung über den streitbefangenen Anspruch (BSG SozR 1500 § 146 Nr 14). Unerheblich für die Anwendung des § 146 SGG ist auch, ob bereits die Zahlung der Rente als solche begehrt wird oder nur die Feststellung, daß oder ab wann die Rente - bei Eintritt bestimmter Bedingungen, hier nach einer Beitragsnachentrichtung - zu zahlen ist. Daß es bei den Berufungsausschließungsgründen der §§ 144 ff SGG auf die Klageart nicht ankommt, sondern auf den materiellen Gehalt des Klagebegehrens, entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSG SozR Nr 14 zu § 146 SGG unter Hinweis auf BSGE 17, 186, 187; SozR Nr 9 zu § 1300 RVO). Auch eine Feststellungsklage, die nur den Beginn einer Rente oder nur Rente für einen bereits abgelaufenen Zeitraum "betrifft", ist nach § 146 SGG ausgeschlossen. Das ist hier der Fall. Nach dem vom LSG im angefochtenen Urteil - vorbeugende - Feststellung (nach BSGE 56, 249, 250 f uU die Erteilung einer Zusicherung der Beklagten), daß bei fristgemäßer Durchführung der beabsichtigten Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG dem verstorbenen Ehemann der Klägerin aus diesen Beiträgen das Altersruhegeld ab 1. Januar 1976 zu gewähren ist. Abgesehen davon, daß die Klägerin damit nur die Festlegung des Rentenbeginns auf den 1. Januar 1976 erstrebt, den die Beklagte in der Mitteilung vom 13. August 1982 substantiiert bestritten hat, betrifft die Feststellungsklage nur Rente für einen abgelaufenen Zeitraum. Denn das Altersruhegeld des A., um das es hier allein geht, konnte wegen dessen Tod am 9. November 1982 lediglich für den Zeitraum bis zum Ablauf des Sterbemonats betroffen sein. Dieser Zeitraum war aber bei Einlegung der Berufung bereits abgelaufen.

Die Erwägungen, aus denen das LSG gleichwohl die Berufung als zulässig erachtet hat, teilt der Senat nicht. Es trifft nicht zu, daß Streitgegenstand nicht unmittelbar die Rentengewährung für einen abgelaufenen Zeitraum, sondern die "Wirkung einer Beitragsnachentrichtung" sei. Die dazu von der Klägerin vorgetragene Ansicht, daß bereits der formlose Nachentrichtungsantrag von Dezember 1975 eine - noch wirksame - Bereiterklärung iS von § 142 Abs 1 Nr 2 AVG beinhalte, enthält keinen weiteren oder selbständigen Anspruch, sondern ist allein Element der rechtlichen Begründung ihres Anspruchs auf Feststellung des - von der Beklagten bestrittenen - früheren Rentenbeginns. Hinsichtlich der Nachentrichtungswirkungen hat die Klägerin weder einen selbständigen Feststellungsantrag gestellt noch ist ein solcher in dem gestellten Antrag - etwa als der präjudizielle Antrag - mitenthalten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob ein solcher Antrag überhaupt zulässig gewesen wäre, da er nur ein einzelnes Element des festzustellenden Rechtsverhältnisses bzw die - von § 55 Abs 2 SGG nicht erfaßte - Rechtsfrage (Vorfrage) betroffen hätte, von welchem Zeitpunkt an nachzuentrichtende Beiträge bei der Rentenfeststellung zu berücksichtigen sind. Insoweit steht der Annahme, die Berufung sei nach § 146 SGG ausgeschlossen gewesen, auch nicht das Urteil des erkennenden Senats vom 7. Dezember 1977 (SozR 1500 § 146 Nr 4) entgegen. Denn diese Entscheidung erfaßt nur Fälle, in denen in einer Klage zwei prozessuale Ansprüche erhoben sind, wobei der eine präjudiziell für den anderen ist und die Berufung an sich nur für den präjudiziellen Anspruch statthaft ist (vgl auch BSG SozR 1500 § 146 Nr 9 und Nr 12). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber nur einen Anspruch, den Anspruch auf Feststellung (Zusicherung) des Beginns des Altersruhegeldes ab 1. Januar 1976 erhoben. In diesem Fall kann die Klägerin hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Berufung nicht bessergestellt sein als sie stünde, wenn sie den Altersruhegeldbescheid der Beklagten abgewartet und dann gegen diesen Klage erhoben hätte.

Die Berufung war schließlich auch nicht deshalb zulässig, weil sie vom SG im Urteil zugelassen worden wäre (§ 150 Nr 1 SGG). Daß die Rechtsmittelbelehrung die Berufung erwähnt, genügt allein nicht (BSGE 5, 92, 95; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 150 RdNr 7 mwN). Es ist nicht erkennbar und auch den Gesamtumständen nicht zu entnehmen, daß es sich bei der in der Rechtsmittelbelehrung des sozialgerichtlichen Urteils enthaltenen Aussage, die Berufung sei zulässig, um eine konstitutive Berufungszulassung handelt. Dagegen spricht insbesondere, daß die Ablehnung der Zulassung der Sprungrevision im SG-Urteil damit begründet worden ist, daß die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, und dieser Grund nach den Umständen des Falles allein eine Zulassung der Berufung hätte begründen können. Eine Zulässigkeit nach § 150 Nr 2 SGG hätte die Klägerin nicht geltend machen können. Sie hat im Berufungsverfahren einen Mangel des Verfahrens vor dem SG nicht gerügt und kann eine solche Rüge im Revisionsverfahren auch nicht nachholen (BSG SozR 1500 § 150 Nr 11; § 144 Nr 25). Zudem ist nicht ersichtlich, daß das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet.

Die Berufung der Klägerin war somit als unzulässig zu verwerfen. Dies zu entscheiden ist dem Senat nicht durch das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers (reformatio in peius) verwehrt. Denn durch die Verwerfung der Berufung als unzulässig wird der Revisionskläger nicht in eine ungünstigere Lage versetzt als durch das seine Berufung als unbegründet zurückweisende Urteil (BSG SozR 1500 § 150 Nr 11 S 27; aaO § 146 Nr 14 S 29).

Nach allem konnte die Revision in der Sache keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657816

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