Leitsatz (amtlich)

Ein Versicherter hat auch dann Anspruch auf Familienhilfe für ein unterhaltsberechtigtes Kind, wenn das Kind wegen der gleichen Krankheit bereits aus eigener Versicherung Leistungen bis zur Aussteuerung erhalten hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Auf die dem Kinde eines Versicherten zu gewährenden Leistungen der Familienhilfe sind Leistungen der Krankenversicherung nicht anzurechnen, die dem Kinde auf Grund eigener Versicherung wegen des selben Krankheitsfalles gewährt worden waren.

 

Normenkette

RVO § 205 Fassung: 1933-03-01

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 11. November 1958 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 24. Februar 1958 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Tochter des Klägers, K P war zunächst als Familienangehörige bei der beklagten Betriebskrankenkasse mitversichert. Am 15. Oktober 1955 trat sie in ein Lehrverhältnis ein und erwarb dadurch die Mitgliedschaft bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Heide. Bei dieser wurde sie am 5. November 1956 - wegen eines Wirbelsäulenleidens sowie wegen Beingeschwüren - ausgesteuert. Vom 6. November 1956 bis 11. Dezember 1956 hielt sie ihre Mitgliedschaft bei der AOK H freiwillig aufrecht. Vom 12. Dezember 1956 bis 23. Januar 1957 war sie erneut Pflichtmitglied der AOK Heide, ihre Mitgliedschaft endete wegen längerer Unterbrechung ihres Lehrverhältnisses. Seit dem 8. Februar 1957 ist die Tochter des Klägers erneut wegen ihres ununterbrochen fortbestehenden Aussteuerungsleidens in stationärer Behandlung gewesen.

Der Kläger beantragte bei der beklagten Betriebskrankenkasse die "Anerkennung der Mitgliedschaft" seiner Tochter" als mitversichertes Familienmitglied". Die Beklagte erkannte die beantragte Mitversicherung mit Schreiben vom 27. Februar 1957 (nach § 28 Abs. 1 b der Satzung) zwar an, schloß aber Leistungen für die Aussteuerungsleiden im Rahmen ihrer Familienkrankenhilfe aus. Der Kläger legte am 6. März 1957 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten ein und beantragte, ihm wegen der durch das Aussteuerungsleiden seiner Tochter erneut notwendig gewordenen Krankenhauspflege Familienhilfe zu gewähren. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28. Mai 1957 zurück: Die Rechtsprechung des ehemaligen Reichsversicherungsamts (RVA), nach der für den vorliegenden Fall anzunehmen gewesen wäre, daß der Kläger einen Anspruch auf Familienhilfe für seine als Pflichtmitglied ausgesteuerte Tochter habe, sei durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) überholt. Die Leistungen der Krankenhilfe, die jemand als Pflichtmitglied einer Krankenkasse bezogen habe, seien, wenn es sich um die Behandlung des gleichen Krankheitsfalles handele, auf Leistungen der Familienhilfe anzurechnen. Der vom BSG für die Rentnerkrankenversicherung entwickelte Begriff des Übertritts von einer Kasse zu einer anderen müsse auf jeden Kassenwechsel angewandt werden. Infolgedessen seien die satzungsmäßigen Leistungen, die die AOK H für die Tochter des Klägers auf Grund des gleichen Leidens bereits während der Zeit ihrer Pflichtmitgliedschaft erbracht habe, auf die von der Beklagten im Rahmen der Familienhilfe für den Kläger zu gewährenden Leistungen anzurechnen.

Der Kläger erhob gegen den ihm am 6. Juni 1957 zugestellten Widerspruchsbescheid am 3. Juli 1957 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Schleswig. Er trug vor, die Rechtsprechung des BSG zur Frage der Anrechnung von Leistungen einer Kasse im Falle eines Übertritts beziehe sich nur auf den Übertritt eines Pflichtversicherten zur Rentnerkrankenversicherung. Habe ein Versicherter dagegen für ein Familienmitglied, das aus eigener Pflichtversicherung ausgeschieden sei, Anspruch auf Familienhilfe, so sei die Familienhilfe ohne Rücksicht darauf zu gewähren, ob das Familienmitglied vorher als Pflichtmitglied bereits wegen der gleichen Krankheit Leistungen erhalten habe.

Der Kläger beantragte daher, den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 1957 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 1957 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für sämtliche Krankheiten seiner Tochter Leistungen zu erbringen.

Die Beklagte stellte den Antrag, die Klage abzuweisen. Sie trug vor, der Grundgedanke der Leistungsanrechnung im Falle des Übertritts eines Versicherten zu einer anderen Krankenkasse gelte nicht nur beim Übertritt eines Pflichtversicherten zur Rentnerkrankenversicherung, er sei vielmehr auch anzuwenden, wenn für ein Familienmitglied, das bisher Kassenleistungen aus eigener Versicherung erhalten habe, späterhin wegen des gleichen Leidens Leistungen aus der Familienhilfe beansprucht würden. Ein Familienmitglied könne "gegenüber der Krankenkasse nicht stärkere Rechte haben als der Versicherte selbst".

Das SG gab der Klage statt: Die Tochter des Klägers habe die Krankenkasse nicht "gewechselt". Bei der Pflichtversicherung ihres Vaters handele es sich vielmehr um eine weitere Versicherung. Die Beklagte habe während der Mitgliedschaft der Tochter des Klägers bei der AOK Heide keine Leistungen nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erbringen müssen. Durch den Ausschluß von Leistungen der Beklagten während der Zeit der Mitgliedschaft der Tochter des Klägers bei der AOK H solle nur verhindert werden, daß gleichzeitig aus zwei Versicherungen Leistungen für dieselbe Krankheit gewährt werden. Danach sei die Beklagte nicht berechtigt, Leistungen ... anläßlich einer Krankheit der Tochter des Klägers abzulehnen, für die diese anderweit keinen Versicherungsschutz genieße.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 12. März 1958 zugestellte Urteil am 11. April 1958 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Schleswig ein. Eine - nach § 312 RVO unzulässige - Doppelversicherung liege hier nicht vor. Die Beendigung einer bislang bestehenden Pflichtversicherung unter Beginn des Versicherungsschutzes als unterhaltsberechtigter Familienangehöriger sei wie ein Übertritt aus einer in eine andere Versicherung zu beurteilen. In einem solchen Falle sei die Anrechnung bisher gewährter Versicherungsleistungen im Sinne der Rechtsprechung des BSG unausweichlich.

Das LSG hob das Urteil des SG Schleswig vom 24. Februar 1958 auf und wies die Klage - unter Zulassung der Revision - ab; es bejahte die Zulässigkeit der Berufung nach den §§ 143 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zum Anspruch selbst führte das LSG aus: Wenn der Familienangehörige während der Zeit seiner Ersterkrankung einen Anspruch auf Leistungen aus eigener Versicherung gehabt habe, so sei die Zeit, während der er Leistungen als Pflichtversicherter empfangen habe, auf die auch in der Familienkrankenhilfe geltende Aussteuerungsfrist anzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei jeder Wechsel einer Kassenzugehörigkeit als Übertritt von einer Kasse in eine andere Kasse im Sinne des § 212 RVO anzusehen. Eine Doppelversicherung, wie sie das SG angenommen habe, wäre nur dann zu bejahen gewesen, wenn die Mitgliedschaft der Tochter des Klägers bei der Beklagten nicht erloschen sei, als sie selbst nach § 165 RVO versicherungspflichtig geworden sei. Die Mitgliedschaft erlösche nach § 312 RVO, sobald der Versicherte Mitglied einer anderen Krankenkasse werde. Indessen sei § 312 RVO auf den Fall der Tochter des Klägers nicht anwendbar, weil sie - als mitversichertes Familienmitglied des Klägers - überhaupt nicht in einem Versicherungsverhältnis zur Beklagten gestanden habe. Die Anwendung der für den Fall des Übertritts eines Versicherten in der Rentnerkrankenversicherung vom BSG entwickelten Grundsätze auch auf den vorliegenden Fall sei als wohlbegründet zu betrachten, weil jede andere Auffassung zu Rechtsungleichheiten führen würde; ohne Anrechnung der auf Grund der eigenen Versicherung empfangenen Leistungen auf die Familienhilfe würde die Tochter mehr Leistungen empfangen als ein Versicherter. Ferner sei zu berücksichtigen, daß nach § 205 Abs. 4 RVO die Leistung nur einmal gewährt werde, auch wenn ein Anspruch nach § 205 Abs. 1 bis 3 RVO gegen mehrere Kassen oder gegen eine Kasse mehrfach begründet sei. Die gesetzliche Krankenversicherung sei in ihrem gesamten Umfang als eine Einheit anzusehen, die ihrerseits für einen einheitlichen Versicherungsfall nur einmal im Rahmen der gesetzlich gezogenen und gegebenenfalls satzungsmäßigen Höchstgrenzen in Anspruch genommen werden könne.

Mit Schriftsatz vom 9. März 1959 legte der Kläger gegen das Urteil des LSG Schleswig vom 11. November 1958, das ihm am 21. Februar 1959 zugestellt worden war, Revision mit dem Antrage ein,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 24. Februar 1958 zurückzuweisen.

Zur Begründung der Revision trug der Kläger mit Schriftsatz vom 10. März 1959, eingegangen am 11. März 1959, vor, es sei fraglich, ob das Berufungsgericht sachlich habe entscheiden dürfen. Nach § 144 SGG sei die Berufung nämlich bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen nicht zulässig. Die in Frage stehende Krankenhausbehandlung der Tochter des Klägers habe vom 6. bis 8. November 1956 und vom 8. Februar bis 13. April 1957, also weniger als 13 Wochen gedauert, daher beantrage der Kläger in erster Linie,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 24. Februar 1958 als unzulässig zu verwerfen.

Auch materiell-rechtlich sei die angefochtene Entscheidung unrichtig. Es handele sich, anders als beim Übertritt eines bisher Pflichtversicherten in die Krankenversicherung der Rentner, um zwei verschiedene Anspruchsberechtigte. Der Anspruch gegen die AOK Heide habe der Tochter des Klägers zugestanden, derjenige gegen die Beklagte aber dem Kläger selbst. Hier könne von einem Übertritt und einem Wechsel der Kassenzugehörigkeit keine Rede sein. Es handele sich um zwei völlig getrennte Anspruchsgrundlagen mit verschiedenen Anspruchsberechtigten. Die Rechtsprechung des RVA habe daher noch heute Gültigkeit.

Die Beklagte beantragt,

die Revision gegen das angefochtene Urteil als unbegründet zurückzuweisen.

Entgegen der Behauptung des Klägers sei die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zulässig, weil das SG sie im Urteil ausdrücklich zugelassen habe. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei die Revision unbegründet, weil die Rechtsprechung des früheren RVA, wie das LSG zutreffend dargelegt habe, überholt sei.

II.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§ 164 SGG). Die von ihm erhobene Verfahrensrüge, das LSG habe die Berufung zu Unrecht für zulässig gehalten, ist unbegründet, doch hatten seine materiell-rechtlichen Rügen Erfolg.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG ist vom LSG mit Recht als zulässig angesehen worden. Der Kläger begehrt nicht Leistungen für eine bestimmte - weniger als 13 Wochen dauernde - Zeit (vgl. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG), sein Klagebegehren ist vielmehr auf Anerkennung der Berechtigung gerichtet, Leistungen der Familienhilfe für bestimmte Leiden seiner Tochter - ohne Rücksicht auf die ihr bereits zuvor auf Grund eigener Versicherung gewährten Leistungen - zu erhalten. Diese allgemein auf die Klärung der Berechtigung des Klägers gerichtete Klage ist eine Feststellungsklage im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die Berufung des Klägers war daher, da sie nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist, gemäß § 143 SGG zulässig. Damit deckt sich die vom SG in seiner Rechtsmittelbelehrung zum Ausdruck gebrachte Auffassung, und es bedarf keines Eingehens auf die von den Parteien erörterte Frage, ob die Berufung etwa nach § 150 Nr. 1 oder 2 SGG zulässig war.

Die Feststellung eines Anspruchs des Klägers auf Familienhilfe für seine Tochter in der hier in Frage stehenden Form von Krankenhauspflege

- vgl. § 205 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1, Abs. 3 Satz 4 RVO, Erl. des RAM vom 2. November 1943, AN 1943, 485 Abschn. II, 1 Buchst. c i. V. m. der Satzung der Beklagten -

ist, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, begründet, wenn die der Tochter während ihrer eigenen Versicherung gewährte Krankenhauspflege, die sie bis zur Aussteuerung erhalten hat, nicht auf die wegen der gleichen Krankheit begehrte Familienhilfe anzurechnen ist. Die Rechtsprechung des früheren RVA zu dieser Frage war nicht einheitlich. Das RVA nahm zunächst an, daß kein Anspruch auf Familienhilfe bestehe, wenn ein Familienangehöriger auf Grund desselben Krankheitsfalles bereits aus eigener Versicherung Kassenleistungen bis zur gesetzlichen oder satzungsmäßigen Höchstdauer erhalten habe (GE 2864, AN 1925, 225). Das RVA hat hier den Vorbehalt in § 205 b Nr. 1 RVO nach der Fassung des Gesetzes vom 26. September 1919 (RGBl 1920, 853), Krankenpflege sei nur solchen Familienangehörigen zuzubilligen, welche darauf nicht anderweit nach der RVO Anspruch hätten (vgl. § 205 Abs. 1 Satz 1 heutiger Fassung), nicht lediglich als zeitliche Beschränkung in dem Sinne aufgefaßt, daß der Anspruch auf Familienhilfe erst nach Aussteuerung in der eigenen Versicherung des Angehörigen entstehe; es hat vielmehr angenommen, daß ein Anspruch auf Krankenpflege eines Familienangehörigen nur dann erwachse, wenn bei Eintritt der Erkrankung nicht schon ein Anspruch auf Grund eigener Versicherung des Angehörigen bestanden habe. Andernfalls würden den Familienangehörigen Kassenleistungen zufließen, die über den Umfang der den Versicherten selbst zustehenden Leistungen unter Umständen weit hinausgingen (vgl. ferner ebenso RVA in Breithaupt 1933, 25 Nr. 19). Hingegen hat das RVA in der GE 5363, AN 1940 179 den Vorbehalt in § 205 Abs. 1 RVO ("wenn diese ... nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben") als "eine lediglich zeitliche Beschränkung" beurteilt, und hat es danach abgelehnt, den Anspruch auf Familienhilfe in Zusammenhang mit dem früheren Versicherungsfall in der eigenen Versicherung des erkrankten Mitglieds zu bringen; daher wird nach dieser Entscheidung der Anspruch auf Familienhilfe nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Familienangehörige auf Grund desselben Krankheitsfalles bereits aus eigener Versicherung Kassenleistungen bis zur gesetzlichen oder satzungsmäßigen Höchstdauer erhalten hat. Der Zweck des angeführten Vorbehalts sei offensichtlich nur gewesen, eine Belastung der Kasse auf Grund der Familienhilfe auszuschließen, wenn dafür ein Bedürfnis deshalb nicht vorliege, weil das Familienmitglied die Leistungen schon aus eigener Versicherung erhalte; ferner solle einer Häufung von Kassenleistungen derselben Art, die bei den in Betracht kommenden Sachleistungen ohnehin keinen Sinn hätten, vorgebeugt werden. Eine weiter reichende Bedeutung in der Richtung, daß die Familienhilfe auch hinsichtlich solcher Angehöriger ausgeschlossen sein solle, die wegen der gleichen Krankheit schon einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege bis zur Aussteuerung gehabt hätten, lasse dagegen weder Fassung noch Zweck der Vorschrift erkennen. Das RVA unterschied sonach zwei selbständige Versicherungsverhältnisse - "das eigene Versicherungsverhältnis des Familienangehörigen und jenes des Familienhauptes". Es verkannte dabei keineswegs, daß auf diese Weise den Familienangehörigen "Kassenleistungen zufließen könnten, die über den Umfang der den Versicherten selbst zustehenden Kassenleistungen weit hinaus gingen". Aber mit den Leistungen der Familienhilfe solle den Familienhäuptern ein Teil der ihnen obliegenden Unterhaltspflicht abgenommen werden, und dies keineswegs ohne Gegenleistung des Familienhauptes, "weil die Kosten hierfür eine Rolle auch bei der Beitragshöhe spielen".

An dieser Rechtsprechung des RVA (vgl. auch GE 5574, AN 1944, 267) ist festzuhalten. Ihr widerspricht - entgegen der Auffassung des LSG - nicht die Rechtsprechung des Senats zur Krankenversicherung der Rentner, wonach auf die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung solche Leistungen anzurechnen sind, die der Versicherte aus Anlaß derselben, ununterbrochen fortdauernden Erkrankung auf Grund seiner durch Beschäftigung oder freiwillig begründeten Versicherung bereits erhalten hat (BSG 1, 158; 2, 135, 141; 2, 159, 161). Diese Rechtsauffassung des Senats beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 212 RVO (Anrechnung von Leistungen bei Kassenwechsel) und der Erwägung, daß die frühere, auf einem Beschäftigungsverhältnis beruhende oder freiwillig begründete Versicherung mit der kraft Gesetzes anschließenden Versicherung als Rentner keine getrennten Versicherungen mit voneinander unabhängigen Leistungsvoraussetzungen und Leistungen darstellen, vielmehr - trotz gewisser Besonderheiten der Rentnerkrankenversicherung - nur zusammengehörende Teile einer einheitlichen Krankenversicherung darstellen; aus ihrer Einheit ergibt sich, daß die in einem früheren Stadium des Versicherungsablaufs gewährten Leistungen auf die Leistungen im weiteren Verlauf der Versicherung anzurechnen sind. Die Rentnerkrankenversicherung stellt somit nur eine "Fortsetzung der alten Versicherung" (so insbesondere BSG 2, 142), also in diesem Sinne ein einheitliches Versicherungsverhältnis dar, und der Senat hat in der Entscheidung BSG 1, 158, 162 ausdrücklich ausgesprochen daß es - bei Doppelversicherung der Rente nach altem Recht - angezeigt sein mag, keine Anrechnung anderweit genossener Leistungen vorzunehmen, wenn mehrere Versicherungsverhältnisse vorliegen. An der hiernach für die Anrechnung notwendigen Einheitlichkeit der Versicherung fehlt es aber, wenn die Leistungen aus der Krankenversicherung verschiedenen Personen zustehen, wie es bei Leistungen aus eigener Versicherung und aus der Familienversicherung eines anderen Versicherten der Fall ist. Zwar betreffen beide Versicherungen die gleiche, fortdauernde Krankheit derselben Person - hier der Tochter des Klägers -, indessen steht der Anspruch auf die Leistungen aus der eigenen Versicherung der Tochter dieser selbst, hingegen der Anspruch auf Leistungen der Familienhilfe - nach herrschender, zutreffender Ansicht - dem versicherten Vater zu, und auch die Beitragslast trifft bei der eigenen Versicherung die anspruchsberechtigte Tochter (bzw. deren Arbeitgeber), hingegen bei der Familienversicherung den anspruchsberechtigten Vater; zudem stehen Leistungen aus beiden Versicherungen für verschiedene Zeiten in Frage. Es handelt sich also um die Aufeinanderfolge verschiedener Ansprüche in verschiedenen Zeitabschnitten aus verschiedenen Versicherungsverhältnissen und mit verschiedenen Berechtigten. Bei dieser klaren Trennung der Versicherungsverhältnisse vermögen die Gründe, die für die Anrechnung von früheren Leistungen in der Krankenversicherung der Rentner sprechen, nicht die Anrechnung von Leistungen aus eigener Versicherung auf solche aus der Familienhilfe zu rechtfertigen.

Dieses aus der unterschiedlichen rechtlichen Gestaltung der Leistungsansprüche gewonnene Ergebnis ist auch versicherungsmäßig gesehen begründet; denn für die "Eigenversicherung" der Tochter sind - in aller Regel neben den Beiträgen des Vaters für seine die Familienhilfe umfassende Versicherung - ebenfalls Beiträge entrichtet worden. Wie schon das RVA in der oben angeführten GE Nr. 5363 bemerkt hat, sind aber bei der Bemessung der Beiträge der Versicherten die diesen generell zustehenden Leistungen der Familienhilfe mitberücksichtigt. Es fehlt also ein innerer Grund, die Krankenkasse des Vaters deshalb von Leistungen zu entlasten, weil die Tochter auf Grund eigener Beitragsleistung bereits Leistungen in dem betreffenden Krankheitsfall erhalten hat. Der zweifachen Beitragsleistung entspricht es, daß nicht nur eine Leistung (aus der eigenen Versicherung) gewährt wird; andernfalls bliebe der Umstand unberücksichtigt, daß das Kind die Versicherung seines krankenversicherungspflichtigen Elternteils entlastet hat, indem es eine Zeitlang die Last der Beitragspflicht selbst übernommen hat, anstatt etwa ununterbrochen nicht zahlendes, aber in der Familienhilfe einbezogenes Familienmitglied zu bleiben. Eine solche Folge kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Der Anspruch des Klägers gegen die beklagte Krankenkasse wird auch nicht durch die familienhilferechtlichen Vorschriften der RVO über den Ausschluß einer mehrfachen Gewährung von Leistungen der Familienhilfe ausgeschlossen (§ 205 Abs. 4 RVO). Danach ist zwar ein Anspruch auf Familienhilfe für ein und denselben Versicherungsfall, auch wenn die Leistungsvoraussetzungen mehrfach vorliegen, nur einmal gegeben. Das bedeutet aber nur, daß Leistungen für ein mitversichertes Familienmitglied gegebenenfalls nicht zuerst auf Grund einer Leistungsberechtigung zu gewähren sind und außerdem auf Grund einer oder mehrfacher anderer. Die Leistungseinschränkung des § 205 Abs. 4 RVO ist mithin nach der RVO auf den Fall einer zeitlich gleichzeitig gegebenen Konkurrenz von Ansprüchen der Familienhilfe nach § 205 RVO beschränkt. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf mehrere, zeitlich nacheinander begründete Ansprüche würde dem eindeutigen Sinn und Wortlaut dieser - rechtseinschränkenden - Vorschrift widersprechen.

Die vom Senat vertretene Auslegung des Gesetzes, nach der dem Kläger Ansprüche auf Familienhilfe ohne Rücksicht auf Leistungen zustehen, die sein familienhilfeberechtigtes Kind auf Grund früherer eigener Pflichtversicherung bereits in dem gleichen Krankheitsfall erhalten hat, entspricht auch dem wirtschaftlichen Sinn der Familienhilfe. Der gesetzgeberische Grund des § 205 RVO liegt darin, den Versicherten von dem wesentlich wirtschaftlichen Risiko der Erkrankung seiner Familienangehörigen, das ihn wegen seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht sonst persönlich träfe, auf Grund der eigenen Versicherung zu entlasten. Es ist daher nicht gerechtfertigt, wenn gegen die hier vertretene Auffassung eingewandt wird, daß in Fällen der vorliegenden Art den Familienangehörigen wegen der gleichen Erkrankung doppelte Leistungen gewährt werden. Zwar kommt die Familienhilfe notwendig auch den Familienangehörigen zugute, sie ist indessen vor allem darauf gerichtet, dem Versicherten selbst (d. h. hier dem Vater) wirtschaftliche Hilfe bei Erkrankungen - und Entbindungen - in seiner Familie zu bringen, auf die daher ihm selbst ein Rechtsanspruch eingeräumt ist. Gegenüber diesem auch auf den Schutz der Familie gerichteten Zweck der gesetzlichen Regelung (vgl. Art. 119 Abs. 2 Weimarer Verfassung, Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz) ist es nicht von entscheidender Bedeutung, daß der Familienangehörige, der selbst versichert war, bei einer fortdauernden Erkrankung unter Umständen insgesamt mehr Leistungen erhält als der Versicherte selbst bei eigener Erkrankung.

Da somit dem Kläger Anspruch auf Familienhilfe für seine Tochter, ungeachtet der von dieser bereits für denselben Krankheitsfall aus eigener Versicherung in Anspruch genommenen Leistungen, zusteht, ist seine Klage begründet. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG war daher unter Aufhebung des Urteils des LSG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 186

NJW 1962, 2270

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