Leitsatz (amtlich)

1. Zur Feststellung der Anzeigepflicht nach KSchG 1951 § 15 Abs 1 sind alle Entlassungen innerhalb von 4 Wochen zusammenzurechnen. Werden die Voraussetzungen der Anzeigepflicht bei aufeinanderfolgenden Entlassungen erst durch spätere Entlassungen innerhalb des Zeitraums von 4 Wochen erfüllt, so erstreckt sich die Anzeigepflicht auf alle Entlassungen innerhalb dieses Zeitraums.

2. Sobald die Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach KschG 1951 § 15 Abs 1 erfüllt sind, werden alle Entlassungen, auf 4ie 19sich die Anzeigepflicht erstreckt, - auch diejenigen vor Eintritt der Anzeigepflicht - vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt nur mit Zustimmung des Landesarbeitsamts wirksam (KSchG 1951 § 16).

 

Leitsatz (redaktionell)

In Ländern, in denen Behörden fähig sind, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein, sind Klagen gegen Entscheidungen des Ausschusses für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen (KSchG § 18) gegen diesen zu richten.

 

Normenkette

KSchG § 15 Abs. 1 Fassung: 1951-08-10, § 16 Fassung: 1951-08-10, § 18 Fassung: 1951-08-10

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 25. März 1955 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von. Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin, Inhaberin einer Maschinenfabrik, beschäftigte in der Regel 154 Arbeitnehmer. Am 7. März 1953 zeigte sie dem Arbeitsamt (ArbA.) Flensburg an, daß sie am 21. Februar 1953 elf Arbeitnehmer entlassen habe, acht werde sie am 14. März 1953 und drei weitere am 21. März 1953 entlassen. Der Ausschuß für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen (MEA) beim Landesarbeitsamt (LArbA.) Schleswig-Holstein stimmte am 18. März 1953 der Entlassung zu, für die ersten elf Arbeitnehmer jedoch erst mit Ablauf des 7. März 1953.

Die Klägerin erhob am 31. März 1953 beim Landesverwaltungsgericht (LVG.) Schleswig Klage. Sie beantragte, den Beschluß des Ausschusses aufzuheben, soweit er die Entlassung der ersten elf Arbeitnehmer betraf. Das LVG. wies die Klage durch Urteil vom 22. Dezember 1953 ab. Las Urteil erging gegen den Ausschuß für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen beim LArbA., vertreten durch dessen Präsidenten als Vorsitzenden des Ausschusses. Es wurde nicht verkündet, sondern der Klägerin am 15. Januar 1954, dem Beklagten am 21. Januar 1954 zugestellt. Das LVG. stellte fest, alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen müßten angezeigt werden, wenn sie zusammen die für die Anzeige nach § 15 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) maßgebende Zahl erreichten. Jede Entlassung sei rechtlich in der Schwebe, bis nach vier Wochen feststehe, daß eine Massenentlassung nicht vorliege. Da die Klägerin innerhalb dieses Zeitraums insgesamt mehr als 10 v.H. ihrer Arbeitnehmer entlassen habe, seien auch die elf Entlassungen vom 21. Februar 1953 unwirksam geworden. Die Zustimmung könne rückwirkend aber nicht für eine Zeit vor dem Eingang der Anzeige beim ArbA. erteilt werden.

Die Berufung wies das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig durch Urteil vom 25. März 1955 zurück. Nach § 70 Nr. 3 SGG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 Militärregierungsverordnung (MRVO) 165 sei der Ausschuß für Massenentlassungen "passiv parteifähig". Er sei eine Behörde; die Fähigkeit, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein, sei ihm durch § 50 MRVO 165 zuerkannt, die in Schleswig-Holstein als Landesrecht gelte. Nach dem Wortlaut, dem Sinn und der Entstehungsgeschichte des § 15 KSchG seien auch die elf Entlassungen vom 21. Februar 1953 anzuzeigen gewesen; sie hätten daher nach § 16 KSchG der Zustimmung des Ausschusses bedurft, die nicht für eine Zeit vor dem Eingang der Anzeige habe erteilt werden dürfen. Revision wurde zugelassen. Das Urteil wurde am 8. August 1955 zugestellt.

Am 8. September 1955 legte die Klägerin Revision ein und beantragte,

das Urteil des LSG. sowie den Beschluß des Beklagten aufzuheben, soweit er die Entlassung der ersten elf Arbeitnehmer betreffe.

Am 5. November 1955 - nach Verlängerung der Begründungsfrist - begründete sie die Revision: Sie habe bei den ersten elf Entlassungen noch nicht übersehen können, das zusammen mit weiteren Entlassungen innerhalb von vier Wochen die Mindestzahl erfüllt würde, von der nach § 15 KSchG die Anzeigepflicht abhänge. Für die ersten Entlassungen sei eine Anzeige nicht zu erstatten gewesen, sie seien rechtswirksam; ihre Wirksamkeit würde nicht dadurch beseitigt, daß die innerhalb von vier Wochen folgenden Entlassungen hätten angezeigt werden müssen.

Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung wurden der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb.) sowie dem Präsidenten des LArbA. Schleswig als dem Vorsitzenden des Ausschusses für Massenentlassungen zugestellt. Die BfArb. erklärte, der Ausschuß sei nach wie vor am Verfahren beteiligt. Würde dem Antrag der Klägerin entsprochen, so könne das Urteil auch nur der Ausschuß ausführen, der weder Organ der BfArb. noch deren Weisungen unterworfen sei.

Der Präsident des LArbA. beantragte, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig; sie ist aber nicht begründet.

1. In einer zulässigen Revision ist vor der sachlich-rechtlichen Würdigung des Streits von Amts wegen zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine entscheidende Tätigkeit des Revisionsgerichts und die unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen des vorausgehenden Verfahrens erfüllt sind (vgl. BSG. 5 S. 121 [122] mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Daran fehlt es nicht deswegen, weil das Urteil vom 22. Dezember 1953 den Beteiligten vom LVG. erst nach dem 1. Januar 1954 zugestellt worden ist. Zwar ist infolgedessen die Sache, die von diesem Zeitpunkt an nach § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu den Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit gehörte, beim Inkrafttreten des SGG bei einem allgemeinen Verwaltungsgericht des ersten Rechtszuges noch rechtshängig gewesen und am 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht (SG.) übergegangen. Das Urteil des LVG. ist deswegen fehlerhaft, aber nicht nichtig; es bleibt wirksam, wenn der Mangel mit den zulässigen Rechtsmitteln nicht beseitigt worden ist (vgl. SozR. SGG § 215 Bl. Da 6 Nr. 21, Da 7 Nr. 23 und Da 10 Nr. 33; Baumbach-Lauterbach ZPO 25. Aufl., Anm. Nr. 1 C vor § 12 GVG).

Ein Hindernis besteht auch nicht darin, daß das LSG. den Ausschuß des LArbA. für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen zu Unrecht als Beklagten angesehen hat. Die Klägerin hat mit der Klage die teilweise Aufhebung der Entscheidung begehrt, die dieser Ausschuß am 18. März 1953 erlassen hat. Diese Entscheidung ist mit Recht als Verwaltungsakt erachtet worden. Sie enthält die "Regelung" von Einzelfällen auf dem Gebiet des zum öffentlichen Recht gehörenden Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen; der mit dieser Aufgabe betraute Ausschuß des LArbA. hat die Entscheidung getroffen (§ 18 Abs. 1 KSchG) und ist als eine Verwaltungsbehörde tätig geworden. Die Klage auf Aufhebung des Verwaltungsakts ist aber nur gegen die Stelle möglich, die ihn erlassen hat (BSG. 6 S. 180); ist diese Stelle nicht selbst fähig, am Verfahren beteiligt zu sein (§ 70 SGG), so ist die Klage gegen den Träger der Verwaltung zu richten, von der der angefochtene Verwaltungsakt erlassen oder der er jedenfalls zuzurechnen ist (vgl. BSG. 7 S. 234 ff. [237]). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Aufhebungsklage deshalb nach § 50 MRVO 165 mit Recht gegen den Ausschuß für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen gerichtet worden. Nach § 70 Nr. 3 SGG sind Behörden dagegen nur fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, wenn es das Landesrecht bestimmt. Zwar ist der Ausschuß für Massenentlassungen auch Behörde im Sinne des § 70 Nr. 3; denn in diesem Sinne ist in Anlehnung an § 25 Abs. 2 MRVO 165 als Behörde jede mit Verwaltungsaufgaben betraute Institution anzusehen, auch wenn sie nicht in den Organismus der Verwaltung eingeordnet und einer vorgesetzten Stelle untergeordnet ist (vgl. BSG. 2 S. 201 [204]; Haueisen DOK 1956 S. 69 ff. mit weiteren Hinweisen auf das Schrifttum). Bis zur Entscheidung des LSG. ist ihm aber die Fähigkeit, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein, landesrechtlich nicht zuerkannt gewesen. Sie ist dem § 50 MRVO nicht zu entnehmen, da es sich insoweit nicht um Landesrecht, sondern um Besatzungsrecht handelt (vgl. Bundesverfassungsgericht in MDR 1954 S. 406 ff; Kälker in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1954 S. 118), und durch § 5 des schleswig-holsteinischen Ausführungsgesetzes (AusfG) zum SGG vom 3. September 1953 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AusfG vom 16. Juli 1957 (GVBl. S. 95) ist sie in Schleswig-Holstein Behörden erst vom 28. Juli 1957 an eingeräumt worden. Vor dem LSG. wäre daher im Verfahren nicht der beklagte Ausschuß, sondern die BfArb. beteiligt gewesen, der der angefochtene Verwaltungsakt zuzurechnen ist. Obwohl das LSG. insoweit eine Prozeßvoraussetzung verkannt und deshalb die nach dem Wechsel der Beteiligten gebotenen verfahrensrechtlichen Maßnahmen versäumt hat, hielt es der Senat nicht für tunlich, deswegen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, da dies nunmehr nur zur erneuten Verhandlung mit dem Beteiligten führen würde, den das LSG. schon bisher als Beklagten angesehen hat. Die Zurückverweisung entspräche in diesem Falle nicht einer sinnvollen Prozeßgestaltung (vgl. BSG. 4 S. 242 [245]; 7 S. 60 ff. [62].

2. Angefochten ist der Verwaltungsakt vom 18. März 1953, soweit er die ersten elf Entlassungen betrifft. Insoweit ist er aber nicht rechtswidrig; der Antrag, ihn teilweise aufzuheben, ist mit Recht nicht als begründet erachtet worden.

In Betrieben mit in der Regel mindestens 50 und weniger als 500 Arbeitnehmern ist der Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 Buchst. b KSchG verpflichtet, dem ArbA. unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats schriftlich Anzeige zu erstatten, bevor er mindestens 10 v.H. der im Betriebe regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer innerhalb von vier Wochen entläßt. Entlassungen, die nach § 15 anzuzeigen sind, werden vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. nur mit Zustimmung des LArbA. wirksam; die Frist von einem Monat kann auf längstens zwei Monate verlängert, die Zustimmung kann auch rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden (§ 16 KSchG). Solange eine Anzeige nicht erstattet ist, sind anzeigepflichtige Entlassungen unwirksam.

Die Anzeigepflicht nach § 15 KSchG ist außer von der Gesamtzahl der in einem Betriebe regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer von der Zahl der Arbeitnehmer abhängig, die der Arbeitgeber innerhalb von vier Wochen entläßt. Es macht keinen Unterschied, ob er sie gleichzeitig oder nacheinander entläßt. Alle Entlassungen innerhalb dieses Zeitraumes sind zusammenzurechnen; sie gelten als eine einheitliche Entlassung; die Gesamtzahl ist ausschlaggebend für die Anzeigepflicht. Sobald die Mindestzahl erfüllt wird, ist der Arbeitgeber zur Anzeige verpflichtet. Anzuzeigen sind alle Entlassungen, die innerhalb von vier Wochen erfolgen. Der Arbeitgeber hat nach § 15 KSchG Anzeige zu erstatten, bevor er die festgesetzte Mindestzahl von Arbeitnehmern innerhalb von vier Wochen entläßt. Entlassungen innerhalb dieses Zeitraums von vier Wochen sind danach vorher anzuzeigen; die Anzeige ist für alle Entlassungen vorgesehen. Grundsätzlich sind bereits die geplanten Entlassungen anzuzeigen. Aus § 15 KSchG ist aber nicht zu entnehmen, daß nur die Entlassungen anzuzeigen wären, die noch bevorstehen, wenn die vorgeschriebene Mindestzahl erreicht ist. Wie für die Feststellung, so sind auch für den Umfang der Anzeigepflicht alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen wie eine Einheit zu behandeln. Ohne Zweifel ist die Anzeige für alle Entlassungen erforderlich, wenn mindestens so viel Arbeitnehmer wie § 15 vorsieht, gleichzeitig entlassen werden oder wenn die Mindestzahl von Anfang an wenigstens feststeht. Nichts anderes gilt aber, wenn zunächst weniger Arbeitnehmer entlassen werden und die Mindestzahl nach § 15 KSchG sich erst zusammen mit weiteren Entlassungen innerhalb von vier Wochen ergibt. Sind dadurch die Voraussetzungen der Anzeigepflicht erfüllt, so steht nunmehr fest, daß die in diesen Zeitraum fallenden Entlassungen vorher anzuzeigen gewesen wären (Erdmann-Müller, KSchG, 2. Aufl., § 15 Anm. 13; Herschel-Steinmann, KSchG, 3. Aufl., § 16 Anm. 1 a; Hueck, KSchG, 3. Aufl. § 15 Anm. 21, § 16 Anm. 2).

Die Klägerin hat in ihrem Betrieb regelmäßig 154 Arbeitnehmer beschäftigt. Sie hat davon innerhalb von vier Wochen zuerst elf, dann acht Arbeitnehmer und damit zusammen mindestens 10 v.H. entlassen. Deshalb waren alle Entlassungen anzuzeigen, auch die ersten elf.

Diese Entlassungen waren, wie sich aus § 16 Abs. 1 KSchG ergibt, ohne Anzeige nicht wirksam und sie sind vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. nur mit Zustimmung des LArbA. wirksam geworden. Es kommt insoweit nach § 16 Abs. 1 KSchG nur darauf an, ob Entlassungen vorliegen, die nach § 15 KSchG anzuzeigen sind, aber nicht darauf, wann und durch welche Entlassungen im Laufe von vier Wochen die Voraussetzungen der Anzeigepflicht erfüllt worden sind; es ist auch unerheblich, ob die Anzeige erstattet worden ist oder nicht. Entscheidend ist, daß es Entlassungen sind, die nach § 15 KSchG angezeigt werden müssen. Dies bedeutet, daß Entlassungen ohne Anzeige wirksam werden, wenn die Gesamtzahl innerhalb von vier Wochen unter der Mindestzahl nach § 15 bleibt. Sobald die Mindestzahl jedoch erreicht wird, sind sämtliche Entlassungen unwirksam, da sich - wie nunmehr feststeht - die Anzeigepflicht auch auf die im Laufe von vier Wochen vorhergehenden, noch unter der Mindestzahl liegenden Entlassungen erstreckt. Für § 16 KSchG gilt insoweit dasselbe wie für § 15 KSchG. Entlassungen innerhalb von vier Wochen müssen in beiden Fällen einheitlich behandelt werden. Sobald die Mindestzahl erreicht wird, sind sie in der Gesamtzahl nicht nur anzuzeigen, sondern ohne Anzeige auch nicht wirksam (Erdmann-Müller KSchG, 2. Aufl. § 15 Anm. 13; Herschel-Steinmann, KSchG 3. Aufl., § 16 Anm. 1a; Hueck, KSchG, 3. Aufl., § 16 Anm. 2). Nikisch (Lehrbuch des Arbeitsrechts, 2. Aufl., Band 1 S. 684) und mit ihm Rohlfing-Rewolle (KSchG, Stand April 1957, § 16 Anm. 4) sind der Ansicht, Entlassungen unter der Mindestzahl des § 15 KSchG könnten nachträglich nicht unwirksam werden, wenn sie zusammen mit weiteren Entlassungen innerhalb von vier Wochen die Mindestzahl ergäben. Diese Auffassung ist schon deshalb unrichtig, weil sie davon ausgeht, daß nur die Entlassungen anzuzeigen seien, die nach der nunmehr feststehenden Anzeigepflicht beabsichtigt seien. Anzuzeigen sind aber nicht nur diese, sondern alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen, wenn die Anzeigepflicht feststeht. Stellt sie sich erst durch spätere Entlassungen im Laufe von vier Wochen heraus, so steht nunmehr fest, daß alle Entlassungen vorher anzuzeigen waren. Daran ändert es nichts, daß die notwendige Anzeige nicht oder erst später erstattet wird. In diesem Falle treten die Rechtsfolgen aus § 16 KSchG ein. Die Entlassungen werden nicht nachträglich unwirksam; sie können wie jede andere Entlassung, die nach § 15 KSchG anzuzeigen ist, überhaupt erst wirksam werden, wenn sie angezeigt werden.

Es wäre mit dem Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen auch nicht vereinbar, die zunächst unter der Mindest zahl liegenden Entlassungen von der Anzeige auszunehmen, wenn die für die Anzeige maßgebende Mindestzahl erst zusammen mit weiteren Entlassungen innerhalb von vier Wochen erreicht wird. Massenentlassungen sollen im öffentlichen Interesse möglichst vermieden und Entlassungen auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt werden. Die Anzeigepflicht (§ 15 KSchG) und die Entlassungssperre (§ 16 KSchG) sollen es dem ArbA. und dem LArbA. ermöglichen, bei Massenentlassungen einzugreifen, sie einzuschränken und davon betroffene Arbeitnehmer anderweitig zu vermitteln. Massenentlassungen sind aber stets dann gegeben, wenn in einem Betriebe innerhalb von vier Wochen mindestens die in § 15 KSchG vorgesehene Zahl von Arbeitnehmern entlassen wird. Zu schützen sind alle von einer solchen Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer. Es macht keinen Unterschied, ob sie gleichzeitig oder nacheinander entlassen werden und ob in diesem Falle erst nach weiteren Entlassungen im Laufe von vier Wochen die Anzeigepflicht feststeht. In jedem Falle liegt eine Zahl von Entlassungen vor, die insgesamt den Tatbestand der Massenentlassung begründet. In beiden Fällen ist die Anzeigepflicht und die Entlassungssperre auf die Gesamtzahl der im Zeitraum von vier Wochen entlassenen Arbeitnehmer anzuwenden. Der Kündigungsschutz bei Massenentlassungen würde weitgehend aufgehoben, wenn aus der Gesamtzahl der Entlassungen, die eine Massenentlassung ergeben, diejenigen auszunehmen wären, die noch unter der Mindestzahl liegen.

Dieser Auffassung entspricht auch die Entstehungsgeschichte des Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen. Schon nach der Stillegungs-Verordnung vom 18. November 1920 (RGBl. I S. 1901) in der Fassung der Verordnung über Betriebsstillegungen und Arbeitsstreckung vom 15. Oktober 1923 (RGBl. 1 S. 983) mußte der Arbeitgeber Anzeige erstatten, wenn durch die Stillegung von Betriebsanlagen eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern entlassen werden sollte. Zwar waren nach § 2 Abs. 2 dieser Verordnung lediglich die über die festgesetzten Mindestzahlen hinausgehenden Entlassungen innerhalb von vier Wochen nur mit Genehmigung der Demobilmachungsbehörde wirksam. Entlassungen innerhalb dieses Zeitraumes sind jedoch als eine Einheit behandelt worden, auch wenn die Arbeitnehmer nacheinander entlassen wurden (Arbeitsrechts-Sammlung Band 9 S. 25 ff. mit Anmerkung von Dersch). Diese Regelung ist durch § 20 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom 20. Januar 1934 (RGBl. 1 S. 45) abgelöst worden. Nach § 20 Abs. 1 AOG war der Arbeitgeber verpflichtet, dem Treuhänder der Arbeit eine schriftliche Anzeige zu erstatten, bevor er eine bestimmte Mindestzahl von Beschäftigten innerhalb von vier Wochen entlassen hat; nach § 20 Abs. 2 waren Entlassungen, die anzuzeigen waren, ohne Genehmigung des Treuhänders unwirksam. Unwirksam waren aber nicht nur die Entlassungen, die über die Mindestzahl hinausgingen, sondern sämtliche Entlassungen. Entlassungen innerhalb von vier Wochen wurden zusammengerechnet. Wurde die Freigrenze überschritten, so ist die Entlassung der Arbeitnehmer stets in der Gesamtzahl für unwirksam erachtet worden (Arbeitsrechts-Sammlung Bd. 32 S. 169 mit zustimmender Anmerkung von Mansfeld; Hueck-Nipperdey-Dietz AOG § 20 Anm. 33). Diese Beurteilung kann auch der Auslegung der §§ 15 und 16 KSchG zugrundegelegt werden, die mit § 20 AOG - abgesehen von der größeren Differenzierung der Mindestzahl - im wesentlichen übereinstimmen.

Die elf Entlassungen vom 21. Februar 1953 waren also nach § 15 KSchG anzuzeigen; sie sind am 7. März 1953 beim ArbA. auch angezeigt worden. Sie wurden vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. auch nur mit Zustimmung des LArbA. wirksam. Diese Zustimmung konnte aber nach § 16 Abs. 1 KSchG, 2. Halbsatz, rückwirkend nur bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden. Insoweit ist der Ausschuß für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen der Klägerin auch entgegengekommen. Auch soweit der angefochtene Verwaltungsakt vom 18. März 1953 die ersten elf Entlassungen betrifft, ist er daher nicht rechts widrig.

Die Klage auf teilweise Aufhebung dieses Verwaltungsakts ist deshalb nicht begründet; die Berufung ist mit Recht zurückgewiesen worden. Die Revision ist nicht begründet; sie ist nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 1

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