Leitsatz (amtlich)

Klagen auf Änderung oder Aufhebung von Entscheidungen des Landesarbeitsamts (LAA) nach KSchG 1951 § 16 Abs 1 und 2, die der beim LAA gebildete Ausschuß (KSchG 1951 § 18 Abs 1) - sogenannter "Massenentlassungsausschuß" - getroffen hat, sind in Bayern gegen die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu richten.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer brauchen nicht nach SGG § 75 Abs 2 beigeladen zu werden.

2. Der 7. Senat des BSG hält an seiner Rechtsprechung fest, daß zunächst nicht anzeigepflichtige Entlassungen Massenentlassungen erst wirksam werden, wenn nicht weitere Entlassungen innerhalb von 4 Wochen die Anzeige nach KSchG § 15 und die Zustimmung nach KSchG § 16 erforderlich machen.

 

Normenkette

SGG § 70 Fassung: 1953-09-03; KSchG § 18 Abs. 1, § 16 Abs. 1-2; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; KSchG § 15 Fassung: 1951-08-10

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. November 1956 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28. September 1954 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin, die Firma F B und Co., Bauunternehmung in K, teilte am 29. Oktober 1953 dem Arbeitsamt (ArbA.) K mit, sie beschäftige regelmäßig 136 Arbeitnehmer. Gleichzeitig zeigte sie an, innerhalb der letzten vier Wochen habe sie 11 Arbeiter entlassen (fünf zum 3.10.1953, je einen zum 5., 20. und 22.10. und drei zum 23.10.1953). Sie beabsichtige, weitere 16 Arbeitnehmer zu entlassen (zehn zum 31.10.1953, zwei zum 2.11. und vier zum 3.11.1953). Sie beantragte nach § 16 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) den letzten 16 Entlassungen zuzustimmen. Die vorhergehenden Entlassungen beträfen weniger als 10 v.H. der Beschäftigten und seien nicht anzuzeigen gewesen. Am 12. November 1953 zeigte die Klägerin die Entlassung je eines weiteren Arbeiters zum 12. und 16. November 1953 an. Die Stellungnahme des Betriebsrats war jeder Anzeige beigefügt.

Der Ausschuß für Massenentlassungen beim Landesarbeitsamt (LArbA.) S stimmte am 19. November 1953 der Entlassung von 24 Arbeitnehmern zu, für 6 Arbeitnehmer, die in der Zeit vom 5. bis zum 23. Oktober 1953 entlassen worden waren, zum 29. Oktober 1953, dem Tage der Antragstellung beim ArbA., und für 18 Arbeitnehmer zu den jeweiligen Entlassungsterminen zwischen dem 31. Oktober und dem 16. November 1953. Das LArbA. beschied die Klägerin am 20. November 1953.

Die Klägerin erhob Widerspruch, da der Entlassung von sechs Arbeitnehmern in der Zeit vom 5. bis zum 23. Oktober 1953 nicht zum Tage der jeweiligen Entlassung, sondern erst zum 29. Oktober 1953 zugestimmt worden sei. Diese Entlassungen seien nach § 15 KSchG auch nicht anzuzeigen gewesen, sie hätten die für die Anzeigepflicht maßgebende Mindestzahl (13) noch nicht erreicht gehabt und seien deshalb ohne Zustimmung wirksam geworden. Den Widerspruch wies der Ausschuß für Massenentlassungen am 9. Dezember 1953 zurück. Im Widerspruchsbescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthalten; sie wurde am 5. Februar 1954 nachgeholt.

Am 17. Februar 1954 erhob die Klägerin Klage. Einen förmlichen Antrag stellte sie nicht, der Klageschrift war jedoch zu entnehmen, daß sie die Zustimmung zur Entlassung von sechs Arbeitnehmern vor dem 29. Oktober 1959 für rechtswidrig hielt.

Das Sozialgericht (SG.) Augsburg änderte durch Urteil vom 28. September 1954 die Entscheidung des LArbA. S vom 20. November 1953, hob den Widerspruchsbescheid auf und stellte fest, die Genehmigung zur Entlassung von sechs Arbeitnehmern zum 29. Oktober 1953 sei "gesetzlich nicht erforderlich, unbegründet und nichtig". Diese Entlassungen seien rechtswirksam; der Zustimmung des LArbA. hätten sie nicht bedurft.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) wies die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 2. November 1956 zurück: Zwar treffe nach § 18 KSchG der Ausschuß für Massenentlassungen beim LArbA. die Entscheidungen nach § 16 KSchG, insoweit handele es sich aber um Entscheidungen des LArbA. Entscheidungen des Ausschusses seien daher der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb.) zuzurechnen. Gegen sie sei daher die Klage mit Recht gerichtet worden. Die Entscheidung des Ausschusses für Massenentlassungen sei aber rechtswidrig, soweit sie die sechs Entlassungen vor dem 29. Oktober 1953 betreffe. Diese Entlassungen seien, da die Mindestzahl nach § 15 KSchG selbst unter Berücksichtigung der übrigen Entlassungen im Oktober 1953 nicht erreicht gewesen sei, nicht anzuzeigen gewesen und daher ohne Zustimmung des LArbA. wirksam geworden. Die Revision ließ das LSG. zu.

Das Urteil wurde der Beklagten am 24. Januar 1957 zugestellt. Am 21. Februar 1957 legte sie Revision ein und beantragte,

das Urteil des LSG. sowie das Urteil des SG. aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Am 23. März 1957 begründete sie die Revision: Die BfArb. sei nicht "passiv legitimiert". Der Massenentlassungsausschuß sei weder ein Organ der BfArb. noch an deren Weisungen gebunden. Die BfArb. könne Verwaltungsakte dieses Ausschusses nicht ändern oder ersetzen. Das Verfahren des LSG. sei auch deshalb fehlerhaft, weil es die Arbeitnehmer nicht beigeladen habe (§ 75 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Klage sei nicht begründet gewesen. Nach § 15 Abs. 1 KSchG seien alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen zusammenzurechnen. Die Anzeigepflicht habe sich auf die Entlassungen vor dem 29. Oktober 1953 erstreckt, wenn erst durch weitere Entlassungen innerhalb von vier Wochen die Voraussetzungen der Anzeigepflicht erfüllt gewesen seien. Sie seien nachträglich unwirksam geworden, wenn sich herausstellte, daß sie von Anfang an anzuzeigen gewesen wären.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und zulässig; sie ist auch begründet.

1. Das LSG. hat die BfArb. zu Recht als die Beklagte angesehen. Die Klägerin hat mit der Klage die teilweise Aufhebung der Entscheidung des Ausschusses des LArbA. für Kündigungsschutz bei Massenentlassungen vom 19. November 1953 begehrt. Diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt. Sie enthält die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des zum öffentlichen Recht gehörenden Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen; der Ausschuß des LArbA. ist insoweit auch als Verwaltungsbehörde tätig geworden. Zwar ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren die Klage auf Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts grundsätzlich gegen die Stelle zu richten, die ihn erlassen hat (BSG. 6 S. 180). Dies ist aber nur möglich, wenn diese Stelle auch fähig ist, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein (§ 70 SGG). Fehlt ihr diese Fähigkeit, so ist die Klage gegen den Träger der Verwaltung zu richten, von welcher der angefochtene Verwaltungsakt erlassen oder der er zuzurechnen ist (vgl. BSG. 7 S. 234 ff. (237)). Der Ausschuß für Massenentlassungen ist auch Behörde im Sinne des § 70 Nr. 3 SGG (BSG. 9 S. 1 ff. mit weiteren Hinweisen), Behörden können aber nach § 70 Nr. 3 am sozialgerichtlichen Verfahren nur beteiligt sein, wenn es das Landesrecht bestimmt. Diese Fähigkeit ist dem Ausschuß für Massenentlassungen beim LArbA. in Bayern jedoch nicht zuerkannt.

Verwaltungsakte dieses Ausschusses sind aber jedenfalls verfahrensrechtlich der BfArb. zuzurechnen. Nach § 16 Abs. 1 KSchG werden Entlassungen, die nach § 15 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. nur mit Zustimmung des LArbA. wirksam. Die Entscheidung des LArbA. nach § 16 Abs. 1 trifft ein Ausschuß, der besteht aus dem Präsidenten oder einem anderen Angehörigen des LArbA. als Vorsitzendem und Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften, die vom Verwaltungsausschuß des LArbA. benannt werden (§ 18 Abs. 1 KSchG). Dieser Ausschuß ist zwar kein Organ der BfArb. i.S. des § 3 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), aber, wenn auch selbständig, doch ein Organ der Verwaltung der BfArb. und in deren Organismus eingeordnet. Ihm sind, wie sich aus § 18 Abs. 1 KSchG eindeutig ergibt, Entscheidungen des LArbA. zugewiesen. Sie werden in diesem Falle statt - wie in der Regel - von dem Präsidenten oder einem Sachbearbeiter, von einem besonderen Ausschuß getroffen. Sie sind aber wie die Entscheidungen des Präsidenten oder eines Sachbearbeiters des LArbA. jedenfalls verfahrensrechtlich der BfArb. als dem Träger der Verwaltung zuzurechnen.

Auch die Rüge, das LSG. habe § 75 SGG verletzt, ist nicht begründet. Ein wesentlicher Verfahrensmangel läge insoweit nur vor, wenn eine notwendige Beiladung (§ 75 Abs. 2 SGG) unterblieben wäre.

Das LSG. mußte aber die Arbeitnehmer, deren Entlassung der Ausschuß für Massenentlassungen erst zum 29. Oktober 1953 zugestimmt hat, nicht beiladen. Streitig ist, ob der Arbeitgeber auch für diese Entlassungen Anzeige zu erstatten und die Zustimmung des LArbA. einzuholen hatte und inwieweit eine etwa erforderliche Zustimmung rückwirkend erteilt werden konnte. Die Entscheidung darüber betrifft nur das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und LArbA.; die Arbeitnehmer waren daran nicht beteiligt.

2. Zu Unrecht hat das LSG. die Berufung zurückgewiesen. Angefochten ist die auf die Entscheidung des Ausschusses für Massenentlassung gestützte Zustimmung des LArbA. nur, soweit sie die sechs Entlassungen in der Zeit vom 5. bis zum 23. Oktober 1953 betrifft. Insoweit war diese Entscheidung nicht rechtswidrig; der Antrag, sie in diesem Umfange aufzuheben, war nicht begründet.

In Betrieben mit in der Regel mindestens 50 und weniger als 500 Arbeitnehmern ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem ArbA. unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats schriftlich Anzeige zu erstatten, bevor er mindestens 10 v.H. der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder mehr als 25 Arbeitnehmer innerhalb von vier Wochen entläßt (§ 15 Abs. 1 Buchst. b KSchG). Entlassungen, die nach § 15 anzuzeigen sind, werden vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. nur mit Zustimmung des LArbA. wirksam. Die Frist von einem Monat kann auf längstens zwei Monate verlängert, die Zustimmung kann auch rückwirkend, aber nur bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden (§ 16 KSchG). Solange die notwendige Anzeige fehlt, sind die Entlassungen unwirksam.

Die Anzeigepflicht nach § 15 KSchG ist außer von der Gesamtzahl der in einem Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer von der Zahl der Arbeitnehmer abhängig, die der Arbeitgeber innerhalb von vier Wochen entläßt. Entlassungen innerhalb dieses Zeitraums sind zusammenzurechnen und als Einheit zu behandeln. Auch wenn die Arbeitnehmer nacheinander entlassen werden und der Umfang der Entlassungen zunächst nicht zu übersehen ist, ist der Arbeitgeber danach zur Anzeige verpflichtet, sobald innerhalb von vier Wochen die Mindestzahl nach § 15 KSchG erreicht ist. Sind aber die Voraussetzungen der Anzeigepflicht erfüllt, so sind auch alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen anzuzeigen, nicht nur die noch bevorstehenden, sondern auch die Entlassungen, die vorausgegangen sind, ehe die Mindestzahl erreicht war. Zu Unrecht meint Nikisch ("Der Betrieb" 1955 S. 140 ff.), es betreffe nur die Voraussetzungen der Anzeigepflicht, wenn alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen zusammenzurechnen und als eine Einheit zu behandeln seien, daraus folge nicht, daß Entlassungen unter der Mindestzahl nachträglich anzuzeigen seien, wenn erst durch weitere Entlassungen innerhalb von vier Wochen die Anzeigepflicht begründet werde.

Nach § 15 KSchG hat der Arbeitgeber Anzeige zu erstatten, bevor er die festgesetzte Mindestzahl von Arbeitnehmern innerhalb von vier Wochen entläßt. Alle Entlassungen innerhalb dieses Zeitraums sind danach vorher anzuzeigen, nicht nur diejenigen, die noch bevorstehen, wenn die Mindestzahl erreicht ist. Wie für die Voraussetzungen so gelten auch für den Umfang der Anzeigepflicht alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen als eine Einheit. Dies ist nicht zweifelhaft, wenn von Anfang an feststeht, daß innerhalb von vier Wochen mindestens so viel Arbeitnehmer, wie § 15 vorsieht, - gleichzeitig oder nacheinander - entlassen werden. Nichts anderes gilt aber, wenn die Mindestzahl erst durch weitere Entlassungen innerhalb von vier Wochen erreicht wird. Zwar sind die Voraussetzungen der Anzeigepflicht erst dann erfüllt, es steht nunmehr aber auch fest, daß die Entlassungen, die in diesen Zeitraum fallen, vorher anzuzeigen gewesen wären (BSG. 9 S. 1 ff. mit weiteren Hinweisen).

Die Klägerin beschäftigte in ihrem Betrieb regelmäßig 136 Arbeitnehmer. Sie hatte dem ArbA. Anzeige zu erstatten, bevor sie mindestens 13 Arbeitnehmer innerhalb von vier Wochen entließ. Diese Voraussetzung war am 29. Oktober 1953 erfüllt. Damit stand aber auch fest, daß alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen, auch die vom 3. bis zum 23. Oktober 1953, vorher anzuzeigen waren.

Entlassungen, die nach § 15 KSchG anzuzeigen waren, konnten ohne Anzeige nicht wirksam werden und vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. nur mit Zustimmung des LArbA. (§ 16 Abs. 1 KSchG). Maßgebend ist insoweit nur, daß es Entlassungen sind, die anzuzeigen waren, aber nicht wann innerhalb von vier Wochen die Anzeigepflicht feststand.

Für die Wirksamkeit der Entlassung nach § 16 KSchG gilt dasselbe wie für die Anzeige nach § 15 KSchG. Entlassungen innerhalb von vier Wochen sind in beiden Fällen einheitlich zu behandeln. Sobald die Mindestzahl erreicht war, waren sie in der Gesamtzahl anzuzeigen und ohne Anzeige nicht wirksam (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 9.12.1958, BSG. 9 S. 1 ff. mit weiteren Hinweisen). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest. Nikisch (Lehrbuch des Arbeitsrechts, 2. Aufl., Band 1 S. 684) und Rohlfing-Rewolle (KSchG, Stand April 1957, § 16 Anm. 4) sind zu Unrecht der Ansicht, Entlassungen unter der Mindestzahl des § 15 KSchG könnten nachträglich nicht unwirksam werden, wenn erst durch weitere Entlassungen innerhalb von vier Wochen die Mindestzahl erreicht und die Anzeigepflicht begründet würde. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil, wenn die Anzeigepflicht feststeht, alle Entlassungen innerhalb von vier Wochen anzuzeigen sind, nicht nur die noch bevorstehenden. Wenn sich die Anzeigepflicht erst im Lauf von vier Wochen herausgestellt, der Arbeitgeber für die vorhergehenden Entlassungen innerhalb von vier Wochen die Anzeige aber nicht oder erst später erstattet hat, so traten die Rechtsfolgen des § 16 KSchG ein. Die Entlassungen wurden nicht nachträglich unwirksam, sie konnten vielmehr wie jede andere Entlassung, die nach § 15 KSchG anzuzeigen ist, überhaupt erst wirksam werden, wenn sie angezeigt wurden.

Es entspräche auch nicht dem Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen, Entlassungen unter der Mindestzahl davon auszunehmen, wenn die für die Anzeige maßgebende Zahl erst durch weitere Entlassungen innerhalb von vier Wochen erreicht wird. Anzeigepflicht (§ 15 KSchG) und Entlassungssperre (§ 16 KSchG) sollen es im öffentlichen Interesse ermöglichen, Massenentlassungen zu vermeiden oder einzuschränken. Bevor in einem Betrieb innerhalb von vier Wochen mindestens die in § 15 KSchG vorgesehene Zahl von Arbeitnehmern entlassen wird, müssen deshalb das ArbA. und das LArbA. in die Lage versetzt werden, durch Maßnahmen, wie sie in § 16 KSchG vorgesehen sind, Entlassungen abzuwenden oder hinauszuschieben und die Arbeitnehmer anderweitig zu vermitteln. Wenn die Entlassungen innerhalb von vier Wochen den in § 15 KSchG festgesetzten Umfang erreichen, sind alle davon betroffenen Arbeitnehmer zu schützen. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß der Kündigungsschutz auf Entlassungen beschränkt wäre, die eintreten, wenn die Anzeigepflicht endgültig feststeht. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschriften über den Kündigungsschutz bei Massenentlassungen ergibt dies, wie der Senat in seinem Urteil vom 9. Dezember 1958 (BSG. 9 S. 1 ff.) bereits ausgeführt hat.

Der Arbeitgeber wird dadurch in seinen betrieblichen Dispositionen auch nicht, wie Nikisch meint ("Der Betrieb" 1950 S. 140 ff.), unnötig beschränkt. Von ihm kann in der Regel erwartet werden, daß er die wirtschaftliche Entwicklung in seinem Betriebe für die verhältnismäßig kurze Zeit von vier Wochen übersieht und daß er sich rechtzeitig darauf einstellt, wenn die Entwicklung die Entlassung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern erfordert. Es ist nicht unbillig zu verlangen, daß die Anzeige schon vorsorglich erstattet wird, wenn ausnahmsweise nicht vorhergesehen werden könnte, wieviel Arbeitnehmer in vier Wochen entlassen werden müssen. Eine solche Vorsorge gebietet auch das soziale Verhalten gegenüber den Arbeitnehmern. Es kann dahingestellt bleiben, ob es, was Nikisch a.a.O. verneint, sinnvoll war, die Anzeigepflicht nach § 15 KSchG wie in § 20 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit von dem Verhältnis der Zahl der Arbeitnehmer, die innerhalb von vier Wochen entlassen werden, zur Gesamtzahl der Beschäftigten abhängig zu machen. Es ist auch nicht einzusehen, warum kleinere und mittlere Betriebe von den Maßnahmen zum Kündigungsschutz bei Massenentlassungen hätten ausgenommen werden sollen. Zu schützen sind bei Massenentlassungen die Arbeitnehmer von Betrieben jeder Größe.

Da nach § 15 KSchG auch die sechs Entlassungen in der Zeit vom 5. bis 23. Oktober 1953 anzuzeigen waren, konnten sie vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim ArbA. nach § 16 Abs. 1 KSchG nur mit Zustimmung des LArbA. wirksam werden. Die Zustimmung wurde am 29. Oktober 1953 beantragt. Sie durfte aber rückwirkend nur bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden (§ 16 Abs. 1, 2. Halbsatz KSchG). Zu Unrecht hat daher das LSG. die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Urteil des LSG. ist daher aufzuheben. Gleichzeitig ist auch das Urteil des SG. aufzuheben. Mit der Klage hatte die Klägerin, wie dem gesamten Vorbringen zu entnehmen ist, die Änderung der Entscheidung des Ausschusses des LArbA. ersichtlich nur insoweit begehrt, als der Entlassung von sechs Arbeitnehmern erst zum 29. Oktober 1953 zugestimmt worden war. Insoweit war aber die Entscheidung nicht rechtswidrig; die Klage war nicht begründet.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 926342

BSGE, 14

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