Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit eines Vorarbeiters. Verweisung eines Facharbeiters. Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Gerichtskunde

 

Orientierungssatz

1. Zu den Voraussetzungen der Einstufung in die Gruppe der Vorarbeiter mit Leitungsfunktion bzw der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter im Rahmen des erweiterten Mehrstufenschemas, die eine Verweisung ausschließlich auf Facharbeitertätigkeiten rechtfertigt.

2. Die Verweisung eines Facharbeiters auf die Tätigkeit des "gehobenen Pförtners und Aufsehers im öffentlichen Dienst ist grundsätzlich möglich (vgl BSG 1982-09-08 5b RJ 16/81).

3. Facharbeiter dürfen nur auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden, die sich durch besondere Qualitätsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben und die wie sonstige Ausbildungsberufe zu bewerten (vgl ua BSG 1981-12-09 1 RJ 124/80 = SozR 2200 § 1246 Nr 86) sind.

4. Auf zumutbare Berufstätigkeiten kann ein Versicherter dann nicht verwiesen werden, wenn der Arbeitsmarkt verschlossen ist. Das Erfordernis des Vorhandenseins einer nicht unbedeutenden Zahl von Arbeitsplätzen gilt grundsätzlich auch bei der Fähigkeit des Versicherten zu Vollzeittätigkeiten (vgl BSG 1981-10-16 5b RJ 36/81). Allerdings hat die Rechtsprechung insoweit die Vermutung aufgestellt, daß es für die von Tarifverträgen erfaßten Vollzeittätigkeiten einen ausreichenden Arbeitsmarkt gibt (vgl BSG 1978-04-19 4 RJ 55/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 30). Diese Vermutung kann aus besonderen Gründen ganz entfallen (vgl BSG 1981-10-15 5b/5 RJ 116/80 = SozR 2200 § 1246 Nr 82) oder im konkreten Fall widerlegt werden.

5. Gerichtskunde, die über allgemeinkundige Tatsachen hinausgeht, hat das Berufungsgericht dem Kläger mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 128 Abs 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 09.12.1980; Aktenzeichen L 5 J 254/79)

SG Lübeck (Entscheidung vom 06.07.1979; Aktenzeichen S 3 J 326/78)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.

Der im Jahre 1929 geborene Kläger war ab 1943 als Landarbeiter im elterlichen Betrieb in Ostpreußen beschäftigt. Von 1947 bis 1957 war er als ungelernter Arbeiter und danach bis zum 24. August 1976 als Kranführer tätig. Die Beklagte gewährte ihm ein Heilverfahren, das Mitte 1977 durchgeführt wurde. Seinen Rentenantrag vom 20. Januar 1978 lehnte sie mit Bescheid vom 16. Juni 1978 ab.

Klage und Berufung des Klägers waren erfolglos (Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 6. Juli 1979 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 9. Dezember 1980). Das LSG hat festgestellt, der Kläger könne noch mittelschwere Arbeiten im Sitzen und leichte Arbeiten im Wechselrhythmus in vollen Schichten verrichten, wenn dabei Arbeiten in knieender oder hockender Stellung auf Leitern und Gerüsten in Nässe, Kälte und dauerndes Heben oder Tragen von schweren Lasten ausgeschlossen sei. Anmarschwege von mindestens 500 m seien mit Hilfe eines Gehstocks zumutbar. Die "bisherige Berufstätigkeit" des Klägers als Kranführer hat das LSG zur Gruppe der Facharbeiter gerechnet und ihn auf Tätigkeiten eines gehobenen Pförtners sowie eines Museums-, Schloß- oder Galerieaufsehers mit Inkassofunktionen verwiesen.

Dieses Urteil hat der Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Er rügt die Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO sowie des Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und der §§ 62, 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zu Unrecht habe ihn das LSG nicht in die Gruppe der "besonders hoch qualifizierten Facharbeiter" eingestuft, in die er aufgrund seiner Tätigkeit als Baumaschinenvorarbeiter gehöre. Selbst wenn er nur den Berufsschutz eines Facharbeiters zu beanspruchen hätte, so sei das angefochtene Urteil nicht zutreffend. Der unterschiedlosen pauschalen Verweisung von Facharbeitern auf sogenannte gehobene Pförtner- und Aufsehertätigkeiten im öffentlichen Dienst sei das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entgegengetreten. Schließlich habe das LSG bei seiner Feststellung, die für die Verweisungstätigkeiten erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten seien in weniger als drei Monaten zu erlernen, den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Er beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG vom 6. Juli 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm durch einen neuen Bescheid ab 1. Februar 1978 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu bewilligen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Auf die zulässige Revision des Klägers ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. In materiell-rechtlicher Hinsicht reichen die festgestellten Tatsachen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus; auch beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts auf dem vom Kläger gerügten Verfahrensmangel.

Entscheidend für die Prüfung der Berufsunfähigkeit iS des § 1246 Abs 2 RVO ist zunächst der "bisherige Beruf" des Versicherten, nach dessen qualitativem Wert sich bestimmt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar verwiesen werden kann. Das LSG hat den Kläger nicht in die Gruppe der "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" eingestuft, obwohl ihm bis März 1977 Vorarbeiterlohn gezahlt worden ist. Der Kläger habe sich damals nicht in der Spitzengruppe der Lohnskala befunden, denn der gezahlte Vorarbeiterlohn entspreche der Lohngruppe II (Baumaschinen-Vorarbeiter) des Tarifvertrages für das Baugewerbe, über der sich noch die Lohngruppe I (Hilfsbaumaschinenmeister) befunden habe. Der 5. Senat des BSG hat bereits in seinem - auch vom LSG zitierten - Urteil vom 15. Februar 1979 (SozR 2200 § 1246 Nr 37; vgl auch Urteil des Senats vom 31. März 1981 aaO Nr 79) ausgeführt, daß die Spitzengruppe der Lohnskala nicht unbedingt allein auf die oberste Lohngruppe beschränkt ist. Mit seiner Entscheidung vom 30. März 1977 (BSGE 43, 243, 246 = SozR aaO Nr 16) hat der 5. Senat das von der Rechtsprechung zur Berufsunfähigkeit entwickelte Mehrstufenschema um die Gruppe der Versicherten mit Leitungsfunktionen erweitert, zu der er Meister und Hilfsmeister im Arbeiterverhältnis ebenso gerechnet hat wie Hilfspoliere und Vorarbeiter, deren Berufstätigkeit wegen besonderer geistiger und persönlicher Anforderungen die des Facharbeiters in ihrer Qualität deutlich überragt. Nach dieser grundlegenden Entscheidung zur Erweiterung des bis dahin gehandhabten Mehrstufenschemas ist es durchaus möglich, aus einem Tarifgefüge sowohl den Meister und Hilfsmeister als auch qualitativ "gehobene" - nicht dagegen "schlichte" - Vorarbeiter im Arbeiterverhältnis zu der neu geschaffenen Gruppe der leitenden Arbeiterberufe zu rechnen. Dabei ist entscheidend auf die Qualität der Tätigkeit abgestellt worden, für die die tarifliche Einstufung ein wertvolles Indiz ist. Der 4. Senat des BSG (vgl Urteil vom 19. Januar 1978 in BSGE 45, 276, 278 = SozR aaO Nr 26) sieht es als gerechtfertigt an, den "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" nur dann ausschließlich auf Facharbeitertätigkeiten zu verweisen, wenn er so weit aus dem Kreis der sonstigen Facharbeiter herausgehoben ist, daß ihm wegen seiner besonderen Stellung im Betrieb, die zu den "besonderen Anforderungen seiner Berufstätigkeit" iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO gehöre, eine weitergehende Verweisung nicht zugemutet werden kann. Das werde "in der Regel nur dann der Fall sein", wenn er ua in der Spitzengruppe der Lohnskala stehe (vgl auch Urteil des 4. Senats vom 31. August 1978 in SozR aaO Nr 31). Es handelt sich insoweit nur um ein Kriterium, das zusammen mit anderen Merkmalen die Feststellung ermöglicht, ob der Vorarbeiter im Vergleich zu anderen Facharbeitern eine herausgehobene Stellung innehat. Dabei hat der 4. Senat es im Urteil vom 19. Januar 1978 (aaO) auch nicht als zwingendes Erfordernis, sondern nur als Regelfall angesehen, daß sich der zur Gruppe der Vorarbeiter mit Leitungsfunktion gehörende Versicherte in der Spitzengruppe der Lohnskala befunden hat. In seiner Entscheidung vom 28. Juni 1979 (SozR aaO Nr 44) hat der 4. Senat insoweit ebenfalls Ausnahmen als möglich angesehen. Dem 4. Senat ist darin zuzustimmen, daß eine möglichst ausgewogene Chancenverteilung für die aus verschiedenen Berufsbereichen kommenden Versicherten erreicht und eine Koordinierung angestrebt werden soll. Dabei muß geprüft werden, ob das einzelne Tarifsystem Besonderheiten enthält. Werden zB in der obersten Lohngruppe Tätigkeiten erfaßt, die in anderen Berufssparten zum Angestelltenbereich gehören, dann ist die "Spitzengruppe der Lohnskala" unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten einzugrenzen. Im übrigen kommt es für die Zuordnung einer Berufstätigkeit zu einer bestimmten Gruppe des erweiterten Mehrstufenschemas wesentlich auf die Qualitätsmerkmale dieser Tätigkeit an. Die tarifliche Einstufung ist dafür lediglich ein Indiz, nicht aber für sich allein bestimmendes Wesensmerkmal. Auch bei der hier zu prüfenden "Sondergruppe" der Facharbeiterberufe kommt es allein auf die Qualität der Tätigkeit, dh auf die Faktoren an, die das qualitative Überragen der üblichen Facharbeitertätigkeiten in einem erheblichen Maße bestimmen. Das wird im allgemeinen nur bei solchen Tätigkeiten der Fall sein, die an der Spitze der jeweiligen Lohnordnung für Arbeiter stehen. Das bedeutet aber nicht, daß sie neben dem qualitativen Überragen notwendigerweise auch der höchsten Lohngruppe angehören müssen. Das LSG wird deshalb unter Beachtung dieser Gesichtspunkte erneut zu prüfen haben, ob der Kläger in die Gruppe der "Vorarbeiter mit Leitungsfunktionen" bzw der "besonders hoch qualifizierten Facharbeiter" gehört.

Sollte das LSG - wie bisher - zu dem Ergebnis gelangen, daß der Kläger zur Gruppe der Facharbeiter gehört, so ist die Verweisung auf die Tätigkeit des "gehobenen" Pförtners und Aufsehers im öffentlichen Dienst grundsätzlich möglich (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 84 und 86 sowie Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage in der Sache 5b RJ 16/81). Jedoch sind die Feststellungen des LSG, der Kläger könne die etwa für eine Pförtnertätigkeit in der Lohngruppe V des Tarifvertrages über das Lohngruppenverzeichnis zum Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (MTL II) idF des Änderungstarifvertrags Nr 7 vom 10. September 1980 (Amtsblatt für Schleswig-Holstein 1981, 26) erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in weniger als drei Monaten erwerben, verfahrensfehlerhaft unter Verletzung der Vorschriften des Art 103 Abs 1 GG und der §§ 62, 128 Abs 2 SGG zustande gekommen.

Das LSG hat diese Feststellungen aufgrund besonderer Gerichtskunde getroffen, denn es hat ausgeführt, die allgemeine Tätigkeit eines Pförtners sowie eines Museums- oder Galerieaufsehers seien dem Gericht aus eigener Anschauung bereits hinreichend bekannt, so daß es nicht erforderlich sei, hierzu einen berufskundlichen Sachverständigen zu hören. Diese Gerichtskunde, die über allgemeinkundige Tatsachen hinausgeht, hätte das Berufungsgericht dem Kläger mitteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Zwar hat sich das LSG auch auf den Änderungstarifvertrag Nr 7 vom 10. September 1980 berufen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, worin die Anforderungen der Verweisungstätigkeiten im einzelnen bestehen und daß der Kläger die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in weniger als drei Monaten erwerben kann. Zu dieser Überzeugung konnte das LSG nur anhand besonderer Gerichtskunde kommen, denn es handelt sich nach seiner Beurteilung um Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit einem Anlernberuf entsprechen. Bei der Feststellung, ob der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten in drei Monaten erwerben kann, handelt es sich um ein wesentliches, die Verweisung erst ermöglichendes Merkmal des Rentenanspruchs.

Verwiesen werden dürfen Facharbeiter nur auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualitätsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben und die wie sonstige Ausbildungsberufe zu bewerten sind (vgl BSG in Soz aaO Nrn 69, 71, 73 und 86, jeweils mwN; zum Qualitätsunterschied zwischen dem bisherigen Beruf und der Verweisungstätigkeit vgl auch Urteil des 5a Senats vom 14. Juli 1982 - 5a RKn 7/81 -). Die Verweisung darf grundsätzlich nur erfolgen, wenn der Versicherte für die zumutbare Verweisungstätigkeit allenfalls eine Einweisungs- und Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten benötigt (ebenso für den "gehobenen Pförtner bereits BSG in SozR aaO Nrn 84 und 86). Ist eine längere Zeit erforderlich, dann ist die Verweisung grundsätzlich erst möglich, wenn die Einweisung und Einarbeitung abgeschlossen ist (so BSGE 44, 288, 190 = SozR aaO Nr 23 und BSG in SozR aaO Nr 38 jeweils mwN). Da sonstige Ausbildungsberufe normalerweise eine längere Ausbildungszeit als drei Monate voraussetzen (vgl insoweit für den "gehobenen Pförtner bereits BSG in SozR aaO Nr 86), kann sich im allgemeinen in kürzerer Zeit nur ein Versicherter einarbeiten, der gewisse Vorkenntnisse hat. Können ohne derartige Vorkenntnisse lediglich aufgrund der zur Ausübung eines Facharbeiterberufs notwendigen Begabung innerhalb von drei Monaten berufsfremde Tätigkeiten vollwertig ausgeübt werden, so handelt es sich normalerweise um Arbeiten, die unterhalb der Stufe des Anlernberufes liegen (vgl Urteile des 5. Senats vom 28. November 1980 - 5 RJ 98/80 - und des erkennenden Senats vom 12. Mai 1982 - 5b RJ 6/81 -). - 5b RJ 6/81 -).

Die Ausführungen im angefochtenen Urteil, die Verweisungserwägungen des Berufungsgerichts seien regelmäßig Gegenstand der mündlichen verhandlung und dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers geläufig, reichen nicht aus, den Anspruch auf rechtliches Gehör als gewahrt anzusehen. Damit ist nicht festgestellt, daß der Kläger bzw sein Prozeßbevollmächtigter auch in diesem Rechtsstreit auf die Gerichtskunde hingewiesen worden ist, auf der die angefochtene Entscheidung beruht. Das Gericht muß unmißverständlich deutlich machen, die im konkreten Fall festzustellende Tatsache sei ihm gerichtsbekannt (so BSG in SozR Nr 91 zu § 128 SGG). Daß dies geschehen ist, ergibt sich weder aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG noch aus dem angefochtenen Urteil.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch auf der vom Kläger gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hätte das LSG ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, so hätten der Vortrag und der Beweisantrag des Klägers das Berufungsgericht möglicherweise zu weiterer Beweiserhebung und zu einer anderen Entscheidung veranlaßt.

Sofern das Berufungsgericht - wie bisher - zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger zur Gruppe der Facharbeiter gehört und die vom LSG genannten Verweisungstätigkeiten binnen drei Monaten verrichten kann, kommen noch weitere Ermittlungen in Betracht. Auch auf zumutbare Berufstätigkeiten kann ein Versicherter dann nicht verwiesen werden, wenn insoweit der Arbeitsmarkt verschlossen ist. Das Erfordernis des Vorhandenseins einer nicht unbedeutenden Zahl von Arbeitsplätzen gilt grundsätzlich auch bei der Fähigkeit des Versicherten zu Vollzeittätigkeiten (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 16. Oktober 1981 - 5b RJ 36/81 -). Allerdings hat die Rechtsprechung insoweit die Vermutung aufgestellt, daß es für die von Tarifverträgen erfaßten Vollzeittätigkeiten einen ausreichenden Arbeitsmarkt gibt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 19, 22, 30). Diese Vermutung kann aus besonderen Gründen ganz entfallen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 82) oder im konkreten Fall widerlegt werden.

Das LSG hat ausgeführt, es sei sich darüber klar, daß seine Verweisungserwägungen theoretischer Natur seien, weil die Nachfrage nach derartigen Arbeitsplätzen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der Zahl vorhandener Arbeitsplätze solcher Art stehe. Bei einer solchen Sachlage besteht Grund zu der Annahme, die Vermutung einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen für Vollzeitarbeitskräfte treffe im konkreten Fall nicht zu. Das Gericht muß sich dann gedrängt fühlen, über die Zahl der Arbeitsstellen Feststellungen zu treffen. Insoweit gelten die gleichen Maßstäbe, die der erkennende Senat heute bereits in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des Rechtsstreits 5b RJ 16/81 dargelegt hat.

Der Senat hat auf die demnach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen an das LSG zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660173

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