Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 27.11.1990; Aktenzeichen L 3 U 137/88)

SG Regensburg (Urteil vom 23.02.1988)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. November 1990 aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 23. Februar 1988 geändert.

Unter Änderung des Bescheides vom 25. Februar 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1987 wird die Beklagte verurteilt, das dem Kläger nach seinem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 72.007,80 DM zu berechnende Verletztengeld für die Zeit vom 22. Oktober 1986 bis 30. November 1986 zu gewähren, ohne es um die dem Kläger für denselben Zeitraum aus abhängiger Beschäftigung gewährte Gehaltsfortzahlung zu kürzen, und die dem Kläger noch zustehende Restleistung mit 4 % ab 1. Juli 1987 zu verzinsen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für sämtliche Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten, ob der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld ruht (§ 560 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫), soweit er eine Gehaltsfortzahlung erhalten hat.

Der Kläger ist als selbständiger Tierarzt bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versichert. Neben der freiberuflichen Tätigkeit ist er beim Landratsamt N. … als Fleischbeschauer im Angestelltenverhältnis beschäftigt und während dieser Tätigkeit beim Bayerischen Gemeindeunfallversicherungsverband unfallversichert.

Am 21. Oktober 1986 erlitt der Kläger bei seiner selbständigen Tätigkeit einen Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen er bis einschließlich 30. November 1986 arbeitsunfähig war. Das Landratsamt zahlte ihm für diese Zeit das Gehalt in Höhe von 3.068,16 DM weiter. Mit Schreiben vom 1. Dezember 1986 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Verletztengeld.

Bei der Berechnung des Verletztengeldes berücksichtigte die Beklagte ein geschätztes Einkommen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 90.000,– DM und ein Entgelt aus der Tätigkeit als Fleischbeschauer in Höhe von 31.253,27 DM. Unter Berücksichtigung des satzungsgemäßen Höchst-Jahresarbeitsverdienstes (JAV) von 84.000,– DM errechnete sie ein Verletztengeld von kalendertäglich 186,67,– DM und damit für die genannte Zeit der Arbeitsunfähigkeit einen Betrag von 7.466,80 DM. Hiervon zog die Beklagte einen bereits gezahlten Vorschuß von 5.000,– DM und die dem Kläger aus seiner unselbständigen Tätigkeit gewährte Gehaltsfortzahlung von 3.068,16 DM ab, so daß sich nach ihren Berechnungen eine Überzahlung von 601,36 DM ergab. Diesen Betrag forderte sie mit Bescheid vom 25. Februar 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1987 vom Kläger zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger das Verletztengeld ohne Anrechnung der Gehaltsfortzahlung in Höhe von 2.466,80 DM nebst Zinsen nachzuzahlen (Urteil vom 23. Februar 1988).

Im Berufungsverfahren hat die Beklagte unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich vorliegenden Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1985 und 1986 zur Bestimmung des maßgeblichen JAV ein Einkommen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 66.056,56 DM errechnet. In einer nachfolgenden Berechnung des JAV ging sie sodann von einem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in dieser Höhe und einem Arbeitsentgelt aus der Fleischbeschauertätigkeit in Höhe von 31.253,27 DM aus. Die Summe der Einkünfte ergab nach ihren Berechnungen einen Betrag in Höhe von 97.309,83 DM, den die Beklagte entsprechend ihrer Satzung auf den Höchst-JAV von 84.000,– DM kürzte. Unter Darlegung dieser Beträge hat die Beklagte im Berufungsverfahren ausgeführt, daß die Höchst-JAV-Summe von 84.000,– DM nur deshalb erreicht werde, weil sie bei der Ermittlung des JAV das Arbeitseinkommen aus Fleischbeschauertätigkeit mitberücksichtigt habe. Schließlich haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, daß das Einkommen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit für die Zeit vom 21. Oktober 1985 bis 20. Oktober 1986 72.007,80 DM betragen habe.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. November 1990). Es hat die Ansicht vertreten, daß auf das dem Grunde und der Höhe nach unstreitige Verletztengeld die Gehaltsfortzahlung aus der abhängigen Beschäftigung anzurechnen sei. Für die Ruhenswirkung des § 560 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) komme es allein auf den tatsächlichen Bezug von Arbeitsentgelt oder -einkommen ohne Rücksicht auf die Herkunft an.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 560 Abs 1 Satz 2, § 571 Abs 1 Satz 1 RVO). Er meint, die Ruhensvorschrift des § 560 Abs 1 Satz 2 RVO könne sich nur auf Arbeitsentgelte oder -einkommen aus der versicherten Tätigkeit und nicht auf solche aus völlig verschiedenen, rechtlich voneinander unabhängigen Tätigkeiten beziehen. Diese Vorschrift solle zwar Doppelleistungen mit gleicher Zweckbestimmung vermeiden; hier jedoch handele es sich bei dem Verletztengeld einerseits und der Gehaltsfortzahlung andererseits nicht um Geldleistungen von zwei Versicherungszweigen für denselben Schaden und zu demselben Zweck. § 571 Abs 1 RVO sei einschränkend dahingehend auszulegen, daß sich der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen nicht auf verschiedene Tätigkeiten beziehe, sondern nur auf einen Tätigkeitsbereich des Verletzten. Daher sei hier ein JAV nur aus der selbständigen Tätigkeit in Höhe des insoweit unstreitigen Einkommens von 72.007,80 DM zugrunde zu legen, so daß eine von der Beklagten zu zahlende Restleistung in Höhe von 1.400,– DM verbleibe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. November 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1987 aufzuheben und

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 22. Oktober 1986 bis 30. November 1986 Verletztengeld in Höhe von 6.400,– DM zu bewilligen und einen Rest von 1.400,– DM auszuzahlen sowie die rückständige Leistung nach den gesetzlichen Vorschriften zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Soweit der Kläger die Zahlung eines Restbetrages von 1.400,– DM begehre, sei die Revision unzulässig, da der Urteilsbetrag gemäß der erstinstanzlichen Entscheidung in Höhe von 2.466,80 DM dem Kläger bereits ausgezahlt worden sei. Davon abgesehen sei davon auszugehen, daß es sich bei der vom Kläger vorgenommenen Neuberechnung des Verletztengeldes allein auf der Basis seines selbständigen Einkommens um eine noch zulässige Einschränkung seines Klageantrags handele. Materiell-rechtlich liege entgegen der Auffassung des Klägers eine Verletzung des § 560 Abs 1 Satz 2 RVO nicht vor. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift. Auch ihre historische und die systematische Interpretation führten zu keinem anderen Ergebnis. Sie – die Beklagte – habe bei der Berechnung des JAV den Gesamtbetrag der Bezüge aus allen Tätigkeiten zu ermitteln, nicht nur aus der unfallbringenden. Dementsprechend müsse aber auch die Ruhensregelung des § 560 Abs 1 Satz 2 RVO jegliche Entgeltfortzahlung umfassen. Man könne nicht einerseits ein Verletztengeld berechnen, welches den Einkommensausfall aus allen Tätigkeiten ausgleiche, andererseits aber eine tatsächliche Entgeltfortzahlung aus einer dieser Tätigkeiten außer acht lassen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehen gegen ihre Zulässigkeit auch keine Bedenken, soweit der Kläger die Zahlung eines Restbetrages in einer genau bezifferten Höhe begehrt, obwohl die Beklagte den Urteilsbetrag gemäß der erstinstanzlichen Entscheidung in Höhe von 2.466,80 DM dem Kläger bereits ausgezahlt hat. Denn insoweit handelt es sich um eine „vorläufige” Regelung, die von dem Bestand des Urteils abhängig ist (BSGE 9, 169, 170).

Die Revision ist auch begründet. Entgegen der Annahme des LSG ruht der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 21. Oktober 1986 nach § 560 Abs 1 Satz 2 RVO nicht in Höhe des für denselben Zeitraum aus der Nebentätigkeit als angestellter Fleischbeschauer fortgezahlten Gehalts in Höhe von 3.068,16 DM.

Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der als selbständiger Tierarzt bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versicherte Kläger (§ 539 Abs 1 Nr 7 RVO – s dazu BSGE 9, 261) für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit (22. Oktober bis 30. November 1986) Anspruch auf Verletztengeld hat. Nach § 560 Abs 1 Satz 1 RVO erhält der Verletzte Verletztengeld, solange er – wie hier – infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und keinen Anspruch auf Übergangsgeld nach den §§ 568, 568a Abs 2 oder 3 RVO hat. Über den Anspruch dem Grunde nach (s BSGE 36, 98 zu den Ausführungen, daß die Unternehmereigenschaft des Verletzten dem Anspruch nicht entgegensteht) besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

Das Verletztengeld ist, wenn im Unfallzeitpunkt mehrere Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt worden sind, grundsätzlich nach dem aus allen Beschäftigungen erzielten Entgelt zu berechnen ist (§§ 560, 570, 571 Abs 1 RVO). Dem Gesetz kann nicht entnommen werden, daß sich das Verletztengeld nur nach dem Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung bemessen soll, bei der sich der Arbeitsunfall ereignete (BSGE 40, 134, 135/6 mwN). Gleiches gilt, wenn neben einer oder mehrerer Beschäftigungen noch eine oder mehrere, selbständige Tätigkeiten ausgeübt wurden. Der JAV errechnet sich aus dem Arbeitsentgelt aller Beschäftigungen und dem Einkommen aus allen selbständigen Tätigkeiten (BSGE 37, 189, 190/191). Erleidet ein Unternehmer einen Arbeitsunfall aufgrund seiner Unternehmertätigkeit und verursacht die dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeit auch eine solche hinsichtlich der vom Unternehmer außerdem ausgeübten unselbständigen Tätigkeit, so sind der Berechnung des Verletztengeldes grundsätzlich sein Arbeitseinkommen und sein Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.

Das BSG hat jedoch bereits in seinem Urteil vom 21. März 1974 (BSGE 37, 189, 192) entschieden, daß der Berechnung des Verletztengeldes nicht das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung zugrunde zu legen ist, wenn und solange aus dieser Beschäftigung Arbeitsentgelt trotz der auch insoweit bestehenden Arbeitsunfähigkeit weitergezahlt wird.

Das Verletztengeld soll den durch den Arbeitsunfall bedingten Lohnausfall ersetzen. Erzielt der Verletzte wegen der durch die Folgen eines Arbeitsunfalles in mehreren Beschäftigungsverhältnissen oder selbständigen Tätigkeiten bedingten Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt und auch kein Arbeitseinkommen, so ist für die Berechnung des Verletztengeldes als Lohnersatz der JAV aus den Arbeitsentgelten aller Beschäftigungen und dem Arbeitseinkommen der selbständigen Tätigkeiten zu berechnen. Ist er trotz der Folgen des Arbeitsunfalles in einem Beschäftigungsverhältnis wegen der dort zu verrichtenden Tätigkeiten nicht arbeitsunfähig, so erleidet er insgesamt keinen Verdienstausfall, so daß der JAV aus dieser Beschäftigung bei der Berechnung des Verletztengeldes hinsichtlich der anderen Tätigkeiten nicht zu berücksichtigen ist. Gleiches gilt, wenn der Verletzte zwar in allen Beschäftigungen arbeitsunfähig ist, aber Lohnfortzahlung aus einem Beschäftigungsverhältnis erhält. Auch dann entsteht für die Dauer der Lohnfortzahlung kein durch das Verletztengeld abzudeckender Lohnausfall.

Diese Auslegung des § 571 RVO ermöglicht zugleich eine Sinn und Zweck beachtende Auslegung des § 560 Abs 1 Satz 2 RVO.

Nach § 560 Abs 1 Satz 2 (idF des Art 1 Nr 17 Buchst b des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 – BGBl I 1532 –) ruht der Anspruch auf Verletztengeld, soweit der Verletzte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält. Ruhen bedeutet, daß der Anspruch zwar besteht, aber zeitweilig nicht wirksam wird. Durch das Ruhen werden der Leistungsanspruch, das sog Stammrecht, und seine Berechnungsfaktoren nicht berührt, nur das Recht auf Auszahlung wird ganz oder teilweise für eine gewisse Zeit aufgehoben (s Brackmann aaO S 563a).

Nach den Feststellungen des LSG erzielte der Kläger während der maßgeblichen Zeit zwar aus seiner Tätigkeit als Tierarzt kein Arbeitseinkommen; für denselben Zeitraum bezog er jedoch die Angestelltenbezüge in voller Höhe weiter. Dies steht dem ungekürzten Anspruch auf Verletztengeld nicht entgegen; denn wird bei der Fortzahlung des Arbeitsentgelts aus der unselbständigen Beschäftigung das Verletztengeld – wie oben dargelegt – ohne dieses Entgelt berechnet, so darf es dementsprechend nicht zum Ruhen des Verletztengeldes führen. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, daß diese Gehaltsfortzahlung als laufende Einnahme aus einer Beschäftigung Arbeitsentgelt iS des § 14 des Sozialgesetzbuches – Viertes Buch – (SGB IV) darstellt. Dieses Entgelt aus der Tätigkeit als Fleischbeschauer ist jedoch weder dazu bestimmt noch in der Lage, den Einkommensverlust, der dem Kläger in seiner tierärztlichen Praxis entstanden ist, auszugleichen. Entgelt, das aufgrund eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses erzielt wird, hat daher in diesen Fällen unberücksichtigt zu bleiben (BSGE 36, 98, 102; Brackmann aaO S 563 f; Lauterbach/ Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 560 Anm 15-S 366/4; Bereiter-Hahn/ Schieke/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 561 Anm 4.2 a bb).

Diese Auslegung steht im Einklang mit der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers, den Doppelbezug von Verletztengeld und Vergütungen für versicherte, infolge der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit aber weggefallene Arbeitstätigkeit zu verhindern (s BSGE 19, 161, 163). Hierauf und auf die Entstehungsgeschichte des mit § 560 Abs 1 RVO im wesentlichen inhaltsgleichen § 559 Abs 2 Satz 1 RVO aF und des „funktionsgleichen” § 565 RVO aF hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits in seinem oa Urteil vom 26. Juli 1973 (BSGE 36, 98, 100) hingewiesen. Diese den Doppelbezug zweier gleichartiger Leistungen ausschließende Zielsetzung des Gesetzgebers kommt in der Begründung zum Entwurf des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪UVNG≫ (BT-Drucks IV/120 S 56 zu § 565) deutlich zum Ausdruck. Dort heißt es ua, durch die Neufassung würden Doppelleistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit vermieden. Soweit Geldleistungen beider Versicherungszweige für denselben Schaden und zu demselben Zweck gewährt würden, wirke sich die doppelte Entschädigung als Überversicherung aus. Die Versicherungsleistungen würden nicht nur den durch den Versicherungsfall hervorgerufenen Bedarf decken, sondern darüber hinaus zur Bereicherung des Versicherten führen. Dies entspreche weder der sozialpolitischen Zwecksetzung der Sozialversicherung noch den Grundsätzen des Versicherungsrechts überhaupt. Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Ruhensregelung des § 560 Abs 1 Satz 2 RVO hier nicht anwendbar.

Durch den Arbeitsunfall vom 21. Oktober 1986 wurden hier zwei Erwerbsquellen des Klägers betroffen, wodurch auch zwei rechtlich verschiedene Schäden eingetreten waren, nämlich ein Schaden sowohl aus der freiberuflichen Tätigkeit als Tierarzt als auch aus der abhängigen Beschäftigung als Fleischbeschauer. Bedingt durch den Arbeitsunfall konnte der Kläger weder aus der einen Tätigkeit noch aus der anderen Beschäftigung Einkünfte erzielen. Die Gehaltsfortzahlung deckt den Einkommensverlust des Klägers in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer und das Verletztengeld den Einkommensverlust als Unternehmer jeweils getrennt und unabhängig voneinander ab (s BSG SozR Nr 11 zu § 1504 RVO). Deshalb ist diese noch vom Wortlaut und Sachzusammenhang des § 560 Abs 1 RVO gedeckte Auslegung angebracht. Die Lohnfortzahlung, die der selbständig Tätige aus einem – von der versicherten Unternehmertätigkeit rechtlich völlig unabhängigen – Arbeitsverhältnis erhält, stellt für das nach dem JAV zu berechnende Verletztengeld des Unternehmers keine Doppelleistung dar, die mit der Ruhensregelung des § 560 Abs 1 Satz 2 RVO verhindert werden soll. Insbesondere werden dabei nicht Geldleistungen für denselben Schaden und zu demselben Zweck gewährt (BSGE aaO 102), da – wie eingangs dargelegt – das Arbeitsentgelt aus der abhängigen Beschäftigung dem JAV nicht zugrundegelegt wird. Vielmehr erhält der Kläger – wie vor dem Arbeitsunfall – Arbeitseinkommen aus seiner abhängigen Beschäftigung und – wiederun wie vor dem Arbeitsunfall – daneben „Einkommen” aus seiner freiberuflichen Tätigkeit, nunmehr lediglich in Form des Verletztengeldes als Lohnersatz. Nur wenn der Kläger im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit als Tierarzt in der Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) erzielt hätte, wäre der Anspruch auf Verletztengeld insoweit nach § 560 Abs 1 Satz 2 RVO zum Ruhen gekommen. Das ist nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall.

Diese vom Senat zugrundegelegte Rechtsauffassung führt auch vor allem in den Fällen zu Sinn und Zweck der Lohnfortzahlung entsprechenden Ergebnissen, in denen bereits ohne das Entgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis aus dem die Lohnfortzahlung erfolgt, der Höchst-JAV überschritten wird. Dann erhöhte sich das Verletztengeld nicht wegen dieses Entgeltes; die Lohnfortzahlung würde aber in vollem Umfange die Entschädigungslast des leistungspflichtigen Unfallversicherungsträgers mindern.

Nach alledem ist die Revision des Klägers begründet. Das Urteil des LSG war aufzuheben und die angefochtenen Bescheide waren zu ändern. Der Kläger geht ebenso wie der Senat bei seiner dem Klageantrag im Revisionsverfahren zugrunde gelegten Berechnung davon aus, daß sich sein Verletztengeld nur aus seinem letzten Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von unstreitig 72.007,80 DM berechnet. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger damit einen – auch im sozialgerichtlichen Verfahren zulässigen – (Teil-)Verzicht auf das Rechtsmittel der Revision erklärt hat (s dazu BSG SozR Nr 1 zu § 514 ZPO). Jedenfalls ist in der Beschränkung des vom Kläger gestellten Klageantrags in der Revisionsschrift und den gleichzeitig dazu gemachten Erläuterungen hinsichtlich der Höhe des Verletztengeldes eine teilweise Rücknahme der Klage zu sehen (s BSG SozR Nr 10 zu § 102 SGG). Die Beklagte ist dementsprechend verpflichtet, das nach dem Einkommen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von unstreitig 72.007,80 DM zu berechnende Verletztengeld zu gewähren, ohne es um die für den genannten Zeitraum dem Kläger gewährte Gehaltsfortzahlung zu kürzen. Das nach diesen Grundsätzen zu berechnende Verletztengeld wird die Beklagte ebenso festzustellen haben wie eine evtl durch die Ausführung des erstinstanzlichen Urteils erfolgte Überzahlung.

Der im Hinblick auf den vom Kläger im Dezember 1986 gestellten Antrag auf Verletztengeld gegebene Zinsanspruch ab 1. Juli 1987 folgt aus § 44 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil -SGB I (s dazu Urteil des Senats vom 25. August 1982 – 2 RU 17/81 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173601

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