Entscheidungsstichwort (Thema)

Durchschnittlicher Jahresarbeitsverdienst aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Einkommen aus selbständigem Gewerbe. mehrfach unternehmerisch tätiger Landwirt

 

Leitsatz (amtlich)

Der Jahresarbeitsverdienst eines Landwirts, der mehrfach unternehmerisch tätig ist - hier Landwirtschaft und Schreinerei -, berechnet sich bei einem Arbeitsunfall in der Landwirtschaft grundsätzlich nur nach den Durchschnittssätzen der RVO §§ 780 ff.

 

Normenkette

RVO § 571 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 644 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 779 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 780 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Juli 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) streitig.

Der Kläger ist Inhaber eines Schreinereibetriebes und landwirtschaftlicher Unternehmer. Er erlitt am 9. August 1970 bei Reparaturarbeiten an einer Schweinestalltür in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen eine Verletzung des linken Auges. Dieses mußte am 7. Januar 1971 entfernt werden. Deswegen erhielt der Kläger von der Beklagten mit Bescheid vom 13. Mai 1971 ab 8. Februar 1971 eine vorläufige Rente in Höhe von 33 1/3vH der Vollrente, die mit Bescheid vom 25. Mai 1972 mit Wirkung ab 1. Juli 1972 in eine Dauerrente in Höhe von 25vH der Vollrente umgewandelt wurde. Der jeweiligen Rentenberechnung legte die Beklagte nach §§ 780ff der Reichsversicherungsordnung (RVO - ebenso wie bereits bei der Berechnung des Verletztengeldes - den für landwirtschaftliche Unternehmer geltenden Durchschnitts- JAV in Höhe von 4.800,-- DM und ab 1. Januar 1971 in Höhe von 6.120,-- DM zugrunde.

Bereits gegen den Bescheid vom 13. Mai 1971 hat der Kläger mit der Begründung Klage erhoben, der Berechnung seiner Verletztenrente sei neben dem Einkommen aus der Landwirtschaft auch das aus seiner gewerblich betriebenen Schreinerei erzielte Einkommen zugrunde zu legen. Nach Erteilung des Dauerrentenbescheides vom 25. Mai 1972, der gem § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als mit angefochten gilt, hat er sich zusätzlich gegen die seiner Ansicht nach zu niedrig festgestellte unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 vH gewandt.

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. November 1972). Es ist der Auffassung, der Rentenberechnung sei nur der Durchschnitts-JAV nach §§ 780f RVO zugrunde zu legen, da es sich bei dieser Vorschrift um eine Spezialvorschrift für die landwirtschaftliche Unfallversicherung handele, die die Anwendung der §§ 571ff RVO ausschließe. Die Dauerrente sei, wie sich aus dem eingeholten Gutachten ergebe, mit 25vH richtig festgestellt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die er später auf die Berechnung des JAV und die Dauerrente beschränkt hat. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 17. Juli 1974 dieses Rechtsmittel zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die landwirtschaftlichen Unternehmer genössen im Gegensatz zu den gewerblichen Unternehmern eine Sonderstellung.* Erstere seien kraft Gesetzes gegen Arbeitsunfall versichert (§ 539 Abs 1 Nr 5 RVO), letztere nicht. Die Festsetzung eines durchschnittlichen JAV komme vor allem der Vielzahl der nicht buchführenden Landwirte zugute, die durch die Regelung des § 780 RVO oft in den Genuß einer höheren Rente kämen, als dies bei der Zugrundelegung des tatsächlichen JAV aus der Landwirtschaft der Fall sei. So habe auch der Kläger nach seinen eigenen Angaben aus der Landwirtschaft ein Einkommen von rd 3.000,-- DM erzielt, während nach den §§ 780f RVO ein Durchschnitts-JAV von zunächst 4.000,-- DM, später von 6.120,-- DM angenommen werde. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art 3 Grundgesetz - GG -) liege nicht vor. Denn die unter Hervorkehrung schutzwürdiger Interessen einer Vielzahl von landwirtschaftlichen Unternehmern für diese durch §§ 780f RVO geschaffene Sonderstellung sei mit der unfallversicherungsrechtlichen Stellung der gewerblichen Unternehmer nicht vergleichbar. Ein höherer JAV könne auch nicht aus § 644 RVO hergeleitet werden, weil der Kläger nicht Unternehmer eines landwirtschaftlichen Nebenunternehmens gewesen sei und seinen Unfall nicht in einem dem gewerblichen Hauptunternehmen zuzurechnenden landwirtschaftlichen Nebenunternehmen erlitten habe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt. Er ist der Ansicht, der Gesetzgeber habe, wenn man der Auffassung der Vorinstanzen folge, den Fall, daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer, der sowohl in der Landwirtschaft als auch in einem Gewerbe tätig sei, nicht hinreichend erfaßt und geregelt. Deswegen werde der Einwand, daß Art 3 GG verletzt sei, aufrechterhalten. Es gehe nicht an, in den Fällen der §§ 571ff RVO eine Zusammenrechnung der Einkünfte für zulässig zu halten, bei den in §§ 780f RVO genannten Personengruppen hingegen ausschließlich auf den Durchschnitts-JAV abzustellen. Das relativ niedrige Einkommen aus der Landwirtschaft beruhe darauf, daß der Kläger seine Tätigkeit überwiegend in der Schreinerei entfaltet habe. § 780 RVO müsse mithin verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß in den Fällen, wie dem vorliegenden, eine Zusammenrechnung der Einkünfte zur Ermittlung des JAV zu erfolgen habe. Anderenfalls müsse gem Art 100 Abs 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt werden.

Der Kläger beantragt - z Teil sinngemäß -,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Juli 1974 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. November 1972 sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. Mai 1971 und 25. Mai 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger aus dem Unfall vom 9. August 1970 zustehende Unfallrente auf der Grundlage des JAV festzustellen, der sich aus der Zusammenrechnung des Arbeitseinkommens des Klägers aus Gewerbe (Schreinerei) und Landwirtschaft ergibt.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Zunächst ist der gestellte Antrag insoweit unrichtig, als auch die Aufhebung des Bescheides über die vorläufige Rente vom 13. Mai 1971 begehrt wird; denn insoweit ist am 29. Mai 1974 die Rücknahme der Berufung erklärt worden; daß die Berufung damals eingeschränkt worden ist, wird auch in der Revisionsbegründungsschrift vom 13. November 1974 ausdrücklich betont.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Rente, die dem als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versicherten Kläger (§ 539 Abs 1 Nr 5 RVO) für seinen Arbeitsunfall zu gewähren ist, ein ausschließlich gem §§ 780f RVO nach Durchschnittssätzen festgesetzter JAV zugrunde zu legen ist, das Einkommen des Klägers aus seinem Schreinereibetrieb somit unberücksichtigt zu bleiben hat.

Nach § 780 Abs 1 RVO werden für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre Ehegatten als Jahresarbeitsverdienste Durchschnittssätze festgesetzt. Unstreitig hat der Kläger in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen bei Reparaturarbeiten an einer Schweinestalltür - und nicht etwa in einem landwirtschaftlichen Nebenunternehmen - den Arbeitsunfall erlitten. Streitig ist in der Revision lediglich, ob der für diesen Unfall zu gewährenden Rente allein der für landwirtschaftliche Unternehmer nach §§ 780f RVO festgestellte Durchschnitts-JAV oder ob, wie die Revision meint, das Einkommen sowohl aus der Landwirtschaft als auch aus dem "selbständig betriebenen" (Urt des LSG S 4) Schreinereiunternehmen zugrunde zu legen ist.

Die Frage, wie der JAV zu berechnen ist, wenn ein selbständiger Landwirt, der außerdem noch ein Gewerbe betreibt, einen Arbeitsunfall bei einer ausschließlich seinem landwirtschaftlichen Unternehmen dienenden Tätigkeit erleidet, ist vom Bundessozialgericht (BSG) bislang noch nicht entschieden worden.

Zwar hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 26. Juli 1973 (BSG 36, 98ff = SozR Nr 2 zu § 780 RVO) ausgeführt, daß sich der JAV bei kraft Gesetzes versicherten Landwirten nach Durchschnittssätzen bestimme. Diese würden nach Gruppen festgesetzt und schlössen damit notwendigerweise die Berechnung des JAV nach § 571 Abs 1 RVO aus. Das ergebe sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 780 RVO. Der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages habe nämlich auf Anregung dahingehend, die Nichtgeltung der §§ 571 bis 573 RVO - jetzt 572 RVO -, 575 RVO - jetzt - bis 579 RVO des Entwurfs ausdrücklich im Gesetz auszusprechen, in seinem Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UNVG - (vgl Bundestagsdrucksache IV/938 - neu - S 27 zu § 777 RVO) darauf hingewiesen, es sei nicht erforderlich, eine solche Bestimmung zu schaffen, da sie selbstverständlich sei. Lediglich in dem Fall des § 574 RVO des Entwurfs eines UVNG (jetzt § 573 RVO), der für den durchschnittlichen JAV nur in abgewandelter Form gelten könne, und des § 578 RVO - bei dem die Nichtanwendung zweifelhaft sein könne - müsse etwas Besonderes bestimmt werden (aaO S 101/102). Die Frage jedoch, ob es Fälle gibt, in denen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft der Berechnung des Verletztengeldes sowohl den landwirtschaftlichen JAV als auch - mit Rücksicht auf eine unselbständige Nebenerwerbstätigkeit - einen Regel- oder Grund*-lohn zugrunde legen müsse, hat der Senat ausdrücklich offengelassen (aaO S 104).

In einem weiteren Urteil vom 21. März 1974 = BSG 37, 189ff = SozR 2200 - neu - § 560 Nr 1) hat der erkennende Senat ausgeführt, der Grundsatz aus der Krankenversicherung, daß mehrere Beschäftigungen in der Weise zusammengefaßt würden, daß bei mehrfach beschäftigten Arbeitnehmern grundsätzlich die Löhne aus allen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen seien, müsse auch für den JAV gelten. Es bestünden keine grundsätzlichen Bedenken, bei der Berechnung des Verletztengeldes unter Umständen auch das durch den Arbeitsunfall entfallende Arbeitsentgelt aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen (aaO S 191/2). Denn dem Gesetz könne nicht entnommen werden, daß sich das Verletztengeld nur nach dem Arbeitsentgelt derjenigen Tätigkeit bemessen solle, bei der sich der Arbeitsunfall ereignet habe (aaO S 190). Dieser Rechtsstreit betraf jedoch nicht den § 780 Abs 1 RVO genannten Personenkreis, so daß die Frage der Ausschließlichkeit des Durchschnitts-JAV nach § 780 RVO für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre Ehegatten nicht berührt wurde.

Auch die Rechtsprechung des erkennenden Senats bezüglich der Berechnung des JAV bei einem mehrfach beschäftigten Unternehmer, nach der die Einkünfte aus einer Zweitbeschäftigung jedenfalls dann zu berücksichtigen seien, wenn der Unfall mit beiden versicherten Tätigkeiten in einem inneren Zusammenhang stehe (Urteil vom 14. November 1974 = SozR - neu - 2200, § 571 Nr 3 = SozR - neu - 2200, § 671 Nr 1), trifft den zu entscheidenden Fall nicht. Abgesehen davon, daß der vorgenannte Rechtsstreit im wesentlichen nur die Berechnung eines JAV nach § 571 RVO zum Gegenstand hatte, hat vorliegend der Kläger den Arbeitsunfall bei einer ausschließlich seinem landwirtschaftlichen Unternehmen dienenden Tätigkeit erlitten, so daß kein innerer Zusammenhang mit seinem Schreinereibetrieb bestand.

Der 2. Senat des BSG (SozR Nr 1 zu § 780 RVO) hat die Auffassung vertreten, daß bei einem hauptberuflich in einem Gewerbebetrieb beschäftigten Landwirtssohn, der während seiner Freizeit regelmäßig Arbeiten in der elterlichen Landwirtschaft verrichte, der JAV sich nach §§ 780f RVO nach Durchschnittssätzen bestimme.

Die gleiche Ansicht - Berechnung des JAV nur nach den Durchschnittssätzen der §§ 780f RVO - wird vom Schrifttum für den Fall vertreten, daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer bzw sein Ehegatte neben ihrer Tätigkeit in ihrer eigenen Landwirtschaft in einem anderen landwirtschaftlichen oder gewerblichen Unternehmen als Beschäftigte arbeiten, also - anderes als hier - eine unabhängige Nebentätigkeit verrichten (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, 1.-8. Aufl, Stand: Februar 1975 S 611 h; Noell-Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, 1963, Anm 3 zu § 780 RVO; Lauterbach, Unfallversicherung, Band II, 3. Aufl, Stand: September 1973, Anm 3 zu § 780 RVO; Bereiter-Hahn/Schieke, Unfallversicherung, 4. Aufl, Stand: Mai 1975, Anm 1c zu § 780 RVO; Stork in Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft - Sdl - 1972, S 141, 146; Podzun, Der Unfallsacharbeiter, 3. Aufl, Stand: Mai 1975, Kennziffer 440 S 24a). Für die landwirtschaftlichen Unternehmer und ihre Ehegatten soll bei Unfällen während ihrer Tätigkeiten im eigenen Unternehmen immer der Durchschnittssatz gelten, auch wenn sie daneben (regelmäßig oder zeitweise) in einem Beschäftigungsverhältnis nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO in einem anderen, zu einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gehörigen oder in einem zur allgemeinen Unfallversicherung gehörigen Unternehmen unselbständig tätig sind (vgl Noell/Breitbach aaO; Brackmann aaO; Lauterbach aaO; SdL 1974 S 64). Begründet wird diese Auffassung damit, daß in den Fällen, für die Durchschnittssätze festgesetzt seien, die allgemeinen Vorschriften über die Berechnung des JAV (§§ 571ff RVO) nicht gelten würden, weil die spezielle Regelung des § 780 RVO vorgehe (Bereiter-Hahn/Schieke aaO).

Daß §§ 780ff RVO Sondervorschriften für die landwirtschaftliche Unfallversicherung darstellen, die eine Anwendung der §§ 571ff RVO ausschließen, wenn JAV-Durchschnittssätze festgesetzt worden sind, ergibt sich, wie der erkennende Senat in seinem oben erwähnten Urteil vom 26. Juli 1973 bereits dargelegt hat, schon aus den Materialien zum UNVG (vgl auch BT-Drucks IV/938 - neu - S 27 zu § 777 RVO; sowie Lauterbach aaO Anm 3 zu § 780 RVO). Von dieser vom Gesetzgeber gewollten Sonderstellung der Landwirte ausgehend, ist der Senat der Auffassung, daß - jedenfalls bei einem mehrfach unternehmerisch tätig werdenden Landwirt, nur dieser Fall ist hier zu entscheiden - der JAV sich bei einem in der Landwirtschaft erlittenen Unfall grundsätzlich nur nach dem Durchschnitts-JAV der §§ 780ff RVO bestimmt. Wie die erwähnte Entstehungsgeschichte der genannten Vorschrift erkennen läßt, wollte der Gesetzgeber für den im § 780 RVO genannten Personenkreis abweichend von dem Grundsatz der §§ 571ff RVO den JAV nach Durchschnittssätzen bestimmen, die nach Gruppen festgesetzt werden und damit notwendigerweise die Berechnung des JAV nach § 571 Abs 1 RVO ausschließen (vgl die Ausführungen des erkennenden Senats im Urteil vom 26. Juli 1973; Lauterbach aaO; SdL 1974, 64). Der durchschnittliche JAV iS der §§ 780ff RVO bildet auch eine brauchbare Grundlage für die Bewertung der persönlichen Arbeitsleistung - vor allem der nicht buchführenden - landwirtschaftlichen Unternehmer für einen im eigenen Unternehmen erlittenen Arbeitsunfall (vgl Stork in SdL 1972, 143). Denn gerade bei nicht buchführenden Landwirten würde die Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes mangels einwandfreier Unterlagen über das im Jahr vor dem Unfall aus eigener Tätigkeit erzielte Einkommen erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Abgesehen von diesen mehr praktischen Erwägungen ergibt sich aus der für landwirtschaftliche Unternehmer geschaffenen Sondervorschrift eindeutig, daß in diesen Fällen das tatsächlich erzielte Einkommen - im Gegensatz zu den §§ 571ff RVO - keine Berücksichtigung finden soll. Sinn dieser Vorschrift ist es, den landwirtschaftlichen Unternehmern - und ihren Ehegatten - einen Unfallversicherungsmindestschutz zukommen zu lassen, der von der Höhe des tatsächlichen Einkommens unabhängig ist. Deshalb ist der Einwand des Klägers, sein Einkommen habe 1969 mehr als 4.800,-- DM bzw ab 1. Januar 1971 6.120,-- DM, nämlich 6.670,-- DM (vgl Klageschrift vom 3. Juni 1971) betragen, nach dem Sinn und Zweck der hier maßgebenden Vorschrift unbeachtlich.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nur dann gelten, wenn zwar - wie hier - zwei selbständige, getrennte Versicherungsverhältnisse bestehen, der Arbeitsunfall des Unternehmers sich aber nicht ausschließlich im Rahmen eines dieser Versicherungsverhältnisse ereignet hat. Andernfalls ist die Rente nur aus der Versicherung zu zahlen, aus der Entschädigung zu gewähren ist. Gerade bei der Unternehmerversicherung hat jedes Versicherungsverhältnis seine eigenen Voraussetzungen hinsichtlich der Prämien, der Höhe des in Betracht kommenden JAV sowie der Voraussetzungen für die Annahme einer unfallgeschützten Tätigkeit; das ergibt sich zB auch aus den Vorschriften der §§ 776, 777 RVO. Nur wenn die unfallbringende Tätigkeit eines Unternehmers in einem inneren Zusammenhang mit der Zweitbeschäftigung steht (vgl das bereits oben erwähnte Urteil des erkennenden Senats vom 14. November 1974), ist es gerechtfertigt, den JAV aus beiden versicherten Tätigkeiten zu berücksichtigen, da dann beide Versicherungsverhältnisse unmittelbar berührt werden. Dies ist jedoch hier nicht der Fall, da der Kläger unbestritten "in seiner Landwirtschaft" den Arbeitsunfall erlitten hat.

Entgegen der Meinung der Revision verstößt diese Auslegung des § 780 RVO auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG. Die verschiedene Behandlung eines gewerblichen Unternehmers und eines landwirtschaftlichen Unternehmers bei der Berechnung des JAV ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil beide Regelungen (§ 571 RVO und § 780 RVO) wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung und Grundlage nicht vergleichbar sind. Im Bereich des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Art 3 Abs 1 GG genügt es, daß für eine differenzierende Regelung sachlich einleuchtende Gründe bestehen, die dem Gerechtigkeitsgefühl entsprechen und keine Willkür erkennen lassen (vgl neustens BVerfG, Urteil vom 12. März 1975 in NJW 75, S 919, 920).

Diese Voraussetzungen sind für die Sonderbehandlung des in § 780 Abs 1 RVO genannten Personenkreises bei der Berechnung des JAV ausschließlich nach Durchschnittssätzen gegeben. Abgesehen davon, daß die Landwirte grundsätzlich kraft Gesetzes versichert sind (§ 539 Abs 1 Nr 5 RVO), die gewerblichen Unternehmer dagegen sehr oft nur freiwillig, wird der Durchschnitts-JAV der §§ 780ff RVO den Besonderheiten in der Landwirtschaft gerecht. Wie bereits ausgeführt, können bei vielen Landwirten mangels eigener Buchführung die Einkünfte aus der Landwirtschaft im Jahr vor dem Unfall nur unter großen Schwierigkeiten und oft nur mit Ungenauigkeiten festgestellt werden, so daß eine genaue Berechnung des JAV iS der §§ 571ff RVO in vielen Fällen nicht möglich wäre. Daneben ist zu berücksichtigen, daß der Durchschnitts-JAV für die landwirtschaftlichen Unternehmer nicht durchweg Nachteile mit sich bringt. Denn wenn - wie im Falle des Klägers - das wirkliche Einkommen der Landwirte aus ihrer Landwirtschaft unter dem nach §§ 780ff RVO festgesetzten JAV liegt, so erfahren diese - entsprechend dem vorerwähnten Gedanken des "Mindestschutzes" - durch die Sonderregelung sogar eine Bevorzugung. Berücksichtigt man weiter, daß die Landwirte, deren Einkünfte nach dem Durchschnitts-JAV berechnet werden, durch die Besonderheiten des landwirtschaftlichen Betriebes und ihren Grundbesitz einerseits in einer gewissen Weise geschützt und anderseits natürlicherweise daran interessiert sind, daß die von ihnen zu entrichtenden Pflichtbeiträge nicht übermäßig hoch sind, so erscheint die für sie getroffene Sonderregelung sachgerecht und deshalb auch mit dem Gerechtigkeitsgefühl vereinbar. Die Landwirte mit erheblich höherem Einkommen sind dadurch benachteiligt, wenn sie die Möglichkeit haben, sich durch die Entrichtung wesentlich höherer Beiträge einen erhöhten Unfallversicherungsschutz zu verschaffen. Das ist hier der Fall. Denn dem Kläger blieb und bleibt es ebenso, wie zB landwirtschaftlichen Unternehmern von größeren Betrieben unbenommen, sich durch die in § 62 der Satzung der Beklagten (vgl 4. Nachtrag vom 13. Februar 1970/Juli 1970, der ab 1. Januar 1970 gilt,) vorgesehene Zusatzversicherung (bis zum Höchstbetrag des § 575 Abs 2 Satz 1 RVO - 36.000,-- DM -) gegen einen Einkommensverlust abzusichern, der im zweiten selbständigen Beruf - mittelbar - eintreten kann.

Ob vorliegend die Schreinerei (vgl dazu § 51 der genannten Satzung) für den Kläger ein Nebenunternehmen iS von § 779 RVO oder die Landwirtschaft ein Nebenunternehmen der Schreinerei iS von § 644 RVO darstellt, kann dahingestellt bleiben, da der Kläger, wie das LSG festgestellt hat, den Unfall unstreitig in seiner Landwirtschaft erlitten hat; außerdem hat dieses Landwirtschaftliche Unternehmen eine Größe von mehr als 5 ha (§ 644 Abs 2 RVO; vgl Bl 13 UA), weshalb eine Unterstellung unter die allgemeine Unfallversicherung nach Abs 1 dieser Vorschrift ohnedies nicht in Betracht käme.

Nach alledem hat die Beklagte zu Recht der Rente des Klägers den nach §§ 780ff RVO geltenden Durchschnitts-JAV für Landwirte zugrunde gelegt. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dr. Maisch

Thomas

Schroeder-Printzen

 

Fundstellen

BSGE, 134

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