Leitsatz (amtlich)

Erleidet ein selbständiger Landwirt in seinem Unternehmen einen Arbeitsunfall, so steht ihm während der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit für den in der Landwirtschaft erlittenen Einkommensverlust auch dann Verletztengeld - jedenfalls nach dem für landwirtschaftliche Unternehmer festgesetzten Jahresverdienst (RVO § 780 iVm § 561 Abs 3) - zu, wenn er daneben unselbständig tätig war und dafür Arbeitsentgelt weiter gewährt worden ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Begriff Arbeitsentgelt iS des RVO § 560 Abs 1 S1 erfaßt Entgelt aus abhängiger Beschäftigung und Einkommen aus selbständiger Tätigkeit; bei einem landwirtschaftlichen Unternehmer, der zugleich noch eine Arbeitnehmerbeschäftigung ausübt, beeinflußt das auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses fortgezahlte Arbeitsentgelt jedoch nicht den nach dem Jahresarbeitsverdienst berechneten Verletztengeldanspruch aus der Unternehmertätigkeit.

 

Normenkette

RVO § 560 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 561 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30, § 565 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. September 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, wie das Verletztengeld des Klägers zu berechnen ist.

Der Kläger betreibt eine Landwirtschaft und ist als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versichert. Außerdem arbeitet er vier Stunden täglich als Angestellter der Raiffeisenkasse in N gegen ein Monatsgehalt von 390,- DM. Am 3. September 1966 erlitt er in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen einen Arbeitsunfall und war deswegen bis zum 16. Oktober 1966 arbeitsunfähig krank. Die Raiffeisenkasse zahlte ihm sechs Wochen - bis zum 15. Oktober 1966 einschließlich - das Gehalt weiter; für den 16. Oktober 1966, den letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit, erhielt er von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) Krankengeld in Höhe von 10,50 DM.

Durch Bescheid vom 20. März 1967 lehnte die Beklagte es ab, dem Kläger gemäß §§ 560, 561 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Verletztengeld zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, die Gehaltsfortzahlung und die - anschließende - Gewährung von Krankengeld ständen einem derartigen Anspruch entgegen; denn diese Leistungen seien nicht niedriger als das Verletztengeld, das gemäß § 560 Abs. 1 RVO nur nach dem für die vorliegende Krankenversicherung geltenden Regellohn von 390,- DM monatlich zu berechnen sei. Das gleiche gelte für ein nach § 561 Abs. 3 RVO aus dem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 4.500,- DM berechnetes Verletztengeld.

Auf die Klage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 3. Oktober 1968 den Bescheid vom 20. März 1967 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit das nach § 561 Abs. 3 RVO zu berechnende Verletztengeld zu gewähren.

Mit Urteil vom 16. September 1970 hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat den Anspruch des Klägers auf Verletztengeld aus folgenden Erwägungen bejaht: Obgleich der in § 560 RVO verwendete Begriff "Arbeitsentgelt" eine unselbständige Tätigkeit erfordere, sei es doch gerechtfertigt, auch Unternehmern Verletztengeld zuzubilligen. Die Beklagte habe dem Kläger das Verletztengeld zu Unrecht versagt. Die Tatsache, daß dieser für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis Arbeitsentgelt bezogen habe, schließe seinen Anspruch nicht aus. Soweit der Anspruch davon abhänge, daß der Verletzte kein Arbeitsentgelt erhalte (§ 560 Abs. 1 Satz 1 RVO), bezwecke der Gesetzgeber nur, Doppelleistungen auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses zu vermeiden, in dem der Arbeitsunfall sich ereignet habe. Daraus folge zunächst, daß sich die Weiterzahlung von Arbeitsentgelt aus einem anderen unselbständigen Beschäftigungsverhältnis auf den Verletztengeldanspruch nicht auswirke. Das gelte entsprechend auch für Unternehmer, die zusätzlich noch aus einem Arbeitsverhältnis Einkommen bezögen. Es sei unbillig, dem Kläger, trotz seines unter Umständen möglichen erheblichen Verdienstausfalls das Verletztengeld für seine Unternehmertätigkeit zu versagen und ihn auf die Einkünfte aus seinem unselbständigen Teilarbeitsverhältnis zu verweisen, die seine Existenz nicht voll sicherten. Da er als selbständiger Landwirt nicht gesetzlich gegen Krankheit versichert gewesen sei, gehöre er zu den in § 561 Abs. 3 RVO bezeichneten "übrigen gegen Arbeitsunfall Versicherten", bei denen der Berechnung des Verletztengeldes der 360. Teil des JAV zugrunde gelegt werde.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil - die zugelassene - Revision eingelegt. Zur Begründung führt sie u. a. aus: Die Auslegung des § 560 RVO durch das LSG würde sich auf die Praxis in einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Weise auswirken. Zunächst sei bemerkenswert, daß das nach durchschnittlichen JAVen berechnete Verletztengeld regelmäßig - wie auch im vorliegenden Fall - niedriger sei als bei einer Berechnung nach dem auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses erzielten Entgelt. Die Berufsgenossenschaft habe gleichwohl das - oft bedeutend - höhere, sich aus der Arbeitnehmertätigkeit ergebende Verletztengeld zu zahlen, ohne an den Beiträgen aus dieser Tätigkeit beteiligt zu sein. Es sei unbillig, dem Verletzten zusätzlich hierzu noch Verletztengeld nach dem durchschnittlichen JAV zu gewähren, weil er Landwirt sei. Diese Leistungen müßten unter Verstoß gegen das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit von jenen Landwirten aufgebracht werden, die selbst nur Verletztengeld nach dem durchschnittlichen JAV beanspruchen könnten. Außerdem lasse § 561 RVO erkennen, daß der Anspruch auf Verletztengeld nicht "mehrspurig" geregelt sei. Denn für eine Berechnung des Verletztengeldes nach dem durchschnittlichen JAV (§ 561 Abs. 3 RVO) sei erst Raum, wenn kein Regel- oder Grundlohn i. S. der gesetzlichen Krankenversicherung erzielt werde, nach dem sich gemäß § 561 Abs. 1 RVO die Verletztengeldberechnung primär und ausschließlich richte. Das Wort "soweit" in dieser Vorschrift stelle nur klar, daß der Verletztengeldanspruch nur bis zur Höhe des gewährten Arbeitsentgelts entfalle.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG die Klage gegen den Bescheid vom 20. März 1967 abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil unter Hinweis auf den Aufsatz von Rienau (SozVers 1966, 277 ff) für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen erkannt, daß der als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versicherte Kläger (§ 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO) für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit (3. September bis 16. Oktober 1966) Anspruch auf Verletztengeld hat. Nach § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO erhält Verletztengeld der Verletzte, solange er - wie hier - infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig i. S. der Krankenversicherung ist und soweit er Arbeitsentgelt nicht erhält.

Die Unternehmereigenschaft des Klägers steht dem Anspruch nicht entgegen. Wie der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits in seinem Urteil vom 29. März 1963 (BSG 19, 161) zu § 559 Abs. 2 RVO aF, der inhaltlich dem jetzigen § 560 RVO im wesentlichen entsprach (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG -), BT-Drucks. IV/120 S. 55 zu § 560), entschieden hat, kann Krankengeld aus der Unfallversicherung - jetzt: Verletztengeld - auch einem versicherten Unternehmer zustehen. Nach dem im Sozialversicherungsrecht maßgeblichen Sprachgebrauch kennzeichnet zwar der in § 560 RVO verwendete Begriff "Arbeitsentgelt" ebenso wie der Begriff "Entgelt" (vgl. §§ 160, 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO) - Einnahmen aus unselbständiger Tätigkeit. Diesem terminologischen Umstand darf aber nicht entnommen werden, § 560 RVO sei auf selbständig Tätige nicht anzuwenden. Schon die in der erwähnten Entscheidung des BSG (aaO) im einzelnen wiedergegebene - für § 560 RVO ebenfalls aufschlußreiche - Entstehungsgeschichte des mit § 560 RVO im wesentlichen inhaltsgleichen § 559 Abs. 2 Satz 1 RVO aF zeigt, daß Unternehmer trotz des in dieser Vorschrift gleichfalls gebrauchten Begriffs "Arbeitsentgelt" von der Gewährung von Unfallkrankengeld nicht ausgenommen waren. Der Wegfall des Anspruchs des Verletzten auf Verletztengeld, "soweit er Arbeitsentgelt nicht erhält" (§ 560 Abs. 1 Satz 1 RVO), soll nicht etwa in Abweichung von der früheren Regelung die Selbständigen vom Bezug des Verletztengeldes ausschließen, sondern lediglich den Doppelbezug von Verletztengeld und Vergütungen für die versicherte, infolge der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit aber weggefallene Arbeitstätigkeit verhindern (BSG 19, 161, 163). Für den "funktionsgleichen" § 565 RVO, der den Verletztengeldanspruch ausschließt, soweit der Verletzte bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, kommt diese den Doppelbezug zweier gleichartiger Leistungen ausschließende Zielsetzung in der Begründung zum Entwurf eines UVNG (aaO S. 56 zu § 565) deutlich zum Ausdruck. Dort heißt es u. a.: "Durch die Neufassung werden Doppelleistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit vermieden. ... Soweit Geldleistungen beider Versicherungszweige für denselben Schaden und zu demselben Zweck gewährt werden, wirkt sich die doppelte Entschädigung als Überversicherung aus. Die Versicherungsleistungen würden nicht nur den durch den Versicherungsfall hervorgerufenen Bedarf decken, sondern darüber hinaus zur Bereicherung des Versicherten führen. Dies entspräche weder der sozialpolitischen Zwecksetzung der Sozialversicherung noch den Grundsätzen des Versicherungsrechts überhaupt...". Sollen sonach in § 565 wie in § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO nur Doppelleistungen "für denselben Schaden und zu demselben Zweck" verhindert werden, so läßt die in § 560 RVO vorgesehene Anrechnung von "Arbeitsentgelt" nicht den Schluß zu, daß damit Unternehmer von der Gewährung von Verletztengeld ausgeschlossen sein sollten. Der Ausschluß der selbständig Tätigen von der Verletztengeldregelung würde darüber hinaus auch der Absicht widersprechen, die der Gesetzgeber mit der Gewährung des Verletztengeldes verfolgt. Ähnlich wie das Krankengeld soll das Verletztengeld einen durch die Arbeitsunfähigkeit verursachten Einkommensverlust ausgleichen. Selbständige können einen solchen unfallbedingten Einkommensverlust indessen ebenso wie Arbeitnehmer erleiden, so daß kein vernünftiger Grund ersichtlich ist, ihnen das Verletztengeld zu versagen. Im übrigen bestreitet die Beklagte auch nicht, daß ein Unternehmer Anspruch auf Verletztengeld haben kann (vgl. dazu auch Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 8 zu § 561 RVO und Urteil des Senats vom 14. Februar 1973 - 8/2 RU 94/70).

Dem Anspruch des Klägers steht auch kein Bezug von Einkommen aus der Landwirtschaft entgegen. Wie oben schon angedeutet worden ist, ist unter "Arbeitsentgelt" i. S. des § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht nur das auf Grund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erzielte Einkommen zu verstehen mit der Folge, daß Einkommen aus selbständiger Tätigkeit niemals zum Ausschluß oder zur Minderung des Anspruchs auf Verletztengeld führen könne. Diese formal auf den im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Sprachgebrauch abstellende Auslegung würde dem besonderen Zweck der Anspruchsbeschränkung widersprechen, ungerechtfertigte Doppelleistungen zu vermeiden. Denn ein Unternehmer könnte hiernach Verletztengeld erhalten, ohne in seinem Unternehmen einen unfallbedingten Einkommensverlust erlitten zu haben. Deshalb ist eine weite, vom Wortlaut noch gedeckte Auslegung des Begriffs "Arbeitsentgelt" angebracht, die auch Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit umfaßt. Das LSG ist aber davon ausgegangen, daß der Kläger, der nach Blatt 1 der Unfallakten einen landwirtschaftlichen Betrieb von 5 ha bewirtschaften soll, während seiner Arbeitsunfähigkeit kein Einkommen aus seinem landwirtschaftlichen Unternehmen erzielt hat. Es hat dies zwar nicht ausdrücklich festgestellt, jedoch auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Da das SG festgestellt hat, daß der Kläger für den Einkommensausfall bei seiner Tätigkeit als Landwirt keine Entschädigung bekommen hat und das Vorliegen eines solchen Einkommensausfalls im übrigen unstreitig ist, hat der Senat in der obigen Bezugnahme eine noch ausreichende Feststellung über den Einkommensverlust des Klägers als Landwirt erblickt. Im übrigen kann sich zwar bei größeren, mit mehreren Hilfskräften besetzten landwirtschaftlichen Unternehmen ein Einkommensverlust unter Umständen dadurch vermeiden lassen, daß der Arbeitseinsatz geändert und so der vorübergehende Arbeitsausfall des mitarbeitenden Unternehmers ausgeglichen wird. Dagegen wird die Arbeitsunfähigkeit eines Landwirts, der sein landwirtschaftliches Unternehmen ohne fremde Hilfskräfte betreibt, regelmäßig zu einem Einkommensverlust führen, weil entweder seine Arbeitskraft ersatzlos wegfällt oder weil eine bezahlte Ersatzkraft eingestellt werden muß (ähnlich BSG 19, 161, 163/164).

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte das Verletztengeld nach dem JAV zu berechnen hat, der für den Kläger als landwirtschaftlichen Unternehmer festgesetzt ist (vgl. §§ 780 ff RVO). Der JAV bestimmt sich nämlich bei kraft Gesetzes versicherten Landwirten nach Durchschnittssätzen. Sie werden nach Gruppen festgesetzt (vgl. §§ 782 ff RVO) und schließen damit notwendigerweise die Berechnung des JAV nach § 571 Abs. 1 RVO aus (so zutreffend Lauterbach, aaO, Bd. 2, Anm. 3 zu § 780). Das ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 780 RVO. Der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages hat nämlich auf Anregung dahingehend, die Nichtgeltung der §§ 571 bis 573 - jetzt 572-, 575 - jetzt 574 - bis 579 RVO des Entwurfs ausdrücklich im Gesetz auszusprechen, in seinem Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines UVNG (BT-Drucks. IV/938 - neu - Seite 27 zu § 777) darauf hingewiesen, es sei nicht erforderlich, eine solche Bestimmung zu schaffen, da sie selbstverständlich sei. Lediglich in dem Fall des § 574 des Entwurfs eines UVNG (jetzt § 573 RVO), der für durchschnittliche JAVe nur in abgewandelter Form gelten könne, und des § 578 - bei dem die Nichtanwendung zweifelhaft sein könne -, müsse etwas Besonderes bestimmt werden.

Die Berechnung des Verletztengeldes des Klägers hat nach § 561 Abs. 3 RVO zu erfolgen, der bestimmt, daß der 360. Teil des JAV zugrunde zu legen ist. Er richtet sich zwar grundsätzlich nach dem "Arbeitseinkommen" des Verletzten (§ 571 Abs. 1 RVO), einem Begriff, der dem Begriff des "Arbeitsentgelts" (§ 563 Abs. 2 RVO aF) und jenem des "Erwerbseinkommens" (§ 564 Abs. 1 RVO aF) übergeordnet ist und Einkünfte aus abhängiger und selbständiger Tätigkeit umfaßt (vgl. Dörner/Jegust, BG 1963, 153, 160); im vorliegenden Fall gilt jedoch - wie bereits ausgeführt - der fiktive JAV der §§ 780 ff RVO. Zu den in § 561 Abs. 3 RVO genannten Personen gehören sonach insbesondere die in der Unfallversicherung kraft Gesetzes - wie hier - versicherten landwirtschaftlichen Unternehmer (vgl. Lauterbach aaO, Anm. 8 zu § 561 RVO; vgl. ferner Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage - 8/7 RU 55/70 -).

Dem Anspruch des Klägers auf Verletztengeld nach dem 360. Teil des durchschnittlichen JAV für die Zeit vom 3. September bis 15. Oktober 1966 steht nicht entgegen, daß die Raiffeisenkasse dem Kläger für den genannten Zeitraum die Angestelltenbezüge in voller Höhe weitergezahlt hat. Zwar stellt diese Gehaltsfortzahlung "Arbeitsentgelt" i. S. des § 560 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz RVO dar. Dieses Entgelt ist jedoch weder dazu bestimmt noch in der Lage, den Einkommensverlust, der dem Kläger in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen entstanden ist, auszugleichen. Einkommen, das auf Grund eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses erzielt wird, hat daher in diesen Fällen unberücksichtigt zu bleiben (im Ergebnis ebenso: Rienau in SozVers 1966, 277, 279 und im Anschluß daran das angefochtene Urteil; gleicher Auffassung wohl auch Strecker, SozVers 1973, 69; der der Ansicht ist, daß für die Verletztengeldberechnung sowohl das Entgelt aus der Unternehmertätigkeit als auch aus der abhängigen Beschäftigung zu berücksichtigen sei und bei Gehaltsfortzahlung nur das Verletztengeld nach § 561 Abs. 1 Nr. 2 RVO wegfalle - aaO S. 70/71 -). Die vom Senat für richtig gehaltene Auslegung steht auch im Einklang mit der oben erörterten Absicht des Gesetzgebers, Doppelleistungen auszuschließen. Denn das Arbeitsentgelt, das der Unternehmer aus einem - von der versicherten Unternehmertätigkeit rechtlich völlig unabhängigen - Arbeitsverhältnis erhält, kann für das nach dem JAV zu berechnende Verletztengeld des Unternehmers keine "Doppelleistung" sein, die mit der in § 560 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz RVO enthaltenen Einschränkung ("soweit er Arbeitsentgelt nicht erhält") verhindert werden soll. Insbesondere werden dabei nicht "Geldleistungen beider Versicherungszweige für denselben Schaden und zu demselben Zweck gewährt".

Auch für den 16. Oktober 1966 - der Kläger bezog für diesen Tag Krankengeld in Höhe von 10,50 DM - hat das LSG zu Recht Verletztengeld zugesprochen, ohne allerdings darauf einzugehen, ob § 565 Abs. 1 RVO den Anspruch insoweit ausschließt. Nach der erwähnten Bestimmung leistet dann, wenn der Verletzte bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, dieser nach den Vorschriften der Krankenversicherung; insoweit bestehen keine Ansprüche nach den §§ 557 bis 562 und 564 RVO. Auch § 565 RVO soll, wie bereits dargelegt, eine "Doppelentschädigung" verhindern. Da das Krankengeld jedoch nur den im Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Raiffeisenkasse entgangenen Lohn teilweise ersetzte, nicht aber den in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen eingetretenen Einkommensverlust ausglich, liegt auch insoweit keine Doppelleistung vor. § 565 Abs. 1 RVO würde sonach einen Anspruch auf Verletztengeld nur hinsichtlich des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausschließen können.

Für den 16. Oktober 1966 ist das Verletztengeld gleichfalls nur nach dem JAV, der für den Kläger als landwirtschaftlichen Unternehmer festgesetzt war (§§ 780 ff RVO), zu berechnen. Dabei kann dahinstehen, wie für den Kläger in seiner Eigenschaft als Angestellter, der der gesetzlichen Krankenversicherung angehört (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO), das Verletztengeld (§ 561 Abs. 1 Nr. 2 RVO) zu berechnen wäre (vgl. Dörner/Jegust, BG 1963, 153, 157). Denn eine solche Leistung wird vom Kläger nicht begehrt.

Die Beklagte wendet nun gegen die vom LSG für richtig gehaltene und vom erkennenden Senat gebilligte Auslegung ein, die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften (BG) würden finanziell überfordert, wenn dem Verletzten einmal Verletztengeld nach dem durchschnittlichen JAV als selbständiger Landwirt und zusätzlich Verletztengeld aus seiner nebenher ausgeübten Arbeitnehmertätigkeit zu zahlen wäre; dadurch würden unter Verstoß gegen das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit jene Landwirte benachteiligt, die diese höheren Leistungen aufbringen müßten, aber für sich selbst nur Verletztengeld nach dem durchschnittlichen JAV beanspruchen könnten. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß die Beklagte dem Kläger jegliches Verletztengeld versagt hat, und daß die Vorinstanzen die Beklagte nicht zur Gewährung eines erhöhten oder doppelten Verletztengeldes verurteilt haben, sondern nur zur Zahlung von Verletztengeld für selbständige Landwirte, das nach § 561 Abs. 3 RVO - also nach dem 360. Teil des JAV - berechnet wird (vgl. Urteil des SG vom 3. Oktober 1968 S. 4). Die Vorinstanzen halten es demnach nur für unbillig, daß dem unfallverletzten Landwirt, der eine Nebentätigkeit ausübt, überhaupt kein Verletztengeld, d. h. auch nicht für den in seinem Unternehmen entstandenen und nicht irgendwie ausgeglichenen Einkommensverlust zustehen soll (vgl. LSG-Urteil S. 7). Da dem Kläger nur das Verletztengeld zugesprochen worden ist, das auch jedem anderen landwirtschaftlichen Unternehmer, der sich in der gleichen Lage befindet, zusteht, kann der Einwand der Beklagten hier nicht durchgreifen. Ob es Fälle gibt, in denen die landwirtschaftliche BG der Berechnung des Verletztengeldes sowohl den landwirtschaftlichen JAV als auch - mit Rücksicht auf eine unselbständige Nebenerwerbstätigkeit - einen Regel- oder Grundlohn zugrunde legen muß, kann unerörtert bleiben, da ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. Ebenso konnte unentschieden bleiben, ob die Beklagte im vorliegenden Fall der DAK zu Recht das Krankengeld für den 16. Oktober 1966 erstattet hat (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 29. November 1972 - 8/2 RU 186/71 - SozR Nr. 11 zu § 1504 RVO); denn auch diese Frage ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Bei dieser Sachlage erübrigten sich schließlich auch Ausführungen darüber, ob und inwieweit den von der Beklagten angedeuteten Unbilligkeiten durch die Rechtsprechung Rechnung getragen werden könnte.

Nach alledem steht dem Kläger für die Zeit vom 3. September bis 16. Oktober 1966 ein Anspruch auf Verletztengeld zu, dessen Höhe sich nach dem JAV richtet, der für ihn als landwirtschaftlichen Unternehmer festgesetzt ist. Dies hat das LSG zutreffend erkannt. Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 98

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge