Rn 11

Nicht unter § 94 fallen, obwohl häufig und so auch hier an dieser Stelle mitbehandelt, "vorgreifliche Verrechnungsvereinbarungen",[31] also Verträge, durch die nur die einseitige Aufrechnungserklärung im Voraus ersetzt, aber nicht (auch) die Aufrechnungsberechtigung erweitert wird. Sie betreffen nicht, wie die in § 94 gemeinten Vereinbarungen, die Begründung des Aufrechnungsrechts, sondern nur die Art und Weise seiner Ausübung. Ein weites Anwendungsgebiet haben solche Vereinbarungen insbesondere als Kontokorrentabreden im Bereich der Girokonten. Oft und kontrovers wird die Frage erörtert, ob eine solche vorweggenommene Verrechnungsvereinbarung schon mit Erlass eines Verfügungsverbots im Insolvenzeröffnungsverfahren (§ 21 Abs. 2 Nr. 2) ihre Wirkung verliert,[32] so dass spätere Zahlungseingänge auf einem debitorischen Girokonto nicht kraft dieser Vereinbarung mit dem Debetsaldo des Kunden verrechnet werden. Die Frage dürfte zu bejahen sein, da hierbei auch der spätere Insolvenzschuldner, gegen den sich das Verfügungsverbot richtet, über seine Forderung verfügt. Sie büßt aber beträchtlich an Bedeutung ein, wenn auch nach Unwirksamkeit einer Verrechnungsvereinbarung noch die einseitige Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger, in der Praxis meist eine Bank gegenüber ihrem Girokunden, zulässig ist. Die Zulässigkeit einer solchen Aufrechnung wird, obwohl das Verfügungsverbot ja nur Verfügungen des späteren Insolvenzschuldners, nicht aber Rechtshandlungen des Gläubigers betrifft, verschiedentlich unter Berufung auf § 394 Satz 1 BGB, § 772 ZPO (Gleichstellung von Aufrechnung mit Vollstreckung) und auf eine Analogie zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 (früher § 55 Nr. 1 KO) verneint.[33] Sie ist aber nach richtiger Ansicht zu bejahen (s. auch § 96 Rn. 2), da § 394 BGB einen hier nicht tangierten sozialpolitischen Schutzzweck hat, da ferner die InsO Aufrechnung und Zwangsvollstreckung gerade nicht stets gleichstellt (vgl. §§ 94 ff. einerseits, § 89 Abs. 1 andererseits) und da schließlich § 96 Abs. 1 Nr. 3 eine flexible, auch die Interessen des möglicherweise gutgläubigen Gläubigers berücksichtigende und daher als abschließend zu verstehende Einschränkung des Aufrechnungsrechts bei vor Verfahrenseröffnung entstandenen Aufrechnungslagen bereitstellt.[34] Eine Bank kann also wirksam auch gegen Ansprüche ihres Kunden aufrechnen, es sei denn, im Zeitpunkt des Zahlungseingangs hätten die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung (§§ 130, 131, 133) vorgelegen.[35]

[31] Formulierung von Häsemeyer, Rn. 19.29; dems., in: Kölner Schrift, S. 645 (658 Rn. 39).
[32] Bejahend: OLG Hamm ZIP 1995, 140 [OLG Hamm 18.11.1994 - 29 U 46/94] (141 f.); OLG Koblenz ZIP 1984, 164 f.; OLG Köln ZIP 1995, 138 (139); OLG Schleswig ZIP 1995, 759 (760); OLG Stuttgart ZIP 1994, 798 (799); Canaris, ZIP 1986, 1225 (1226); Gerhardt, in: Festschrift für Zeuner, 1994, S. 353 (357); verneinend: Henckel, in: FS-Lüke, S. 237 (243); MünchKomm-Brandes, § 94 Rn. 42; zur Verneinung neigend auch Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1146) unter Berufung auf die (zweifelhafte) Entscheidung BGH ZIP 1997, 737 (738) [BGH 20.03.1997 - IX ZR 71/96].
[33] So von Canaris, ZIP 1986, 1225 (1226 f.); Staub-Canaris, Bankvertragsrecht, 4. Aufl. 1988, Rn. 496; in dessen Kielwasser ebenso OLG Hamm ZIP 1995, 140 (142) [OLG Hamm 18.11.1994 - 29 U 46/94]; OLG Stuttgart ZIP 1994, 798 (799 f.); Wienberg, in: Hess/Weis/Wienberg, § 96 Rn. 15 f.; ebenso für den Fall, dass das Gericht im Eröffnungsverfahren ein Vollstreckungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 3) erlassen hat: KG NJW-RR 2000, 1001 [KG Berlin 25.02.2000 - 7 W 602/00]; LG Gera ZInsO 2002, 1092 (1093) [LG Gera 24.06.2002 - 2 O 2078/01]; Weitekamp, NZI 1998, 112 (114).
[34] So jetzt auch für die InsO BGHZ 159, 388 (390 f.) = NJW 2004, 3118 f. = ZIP 2004, 1558 (1559) [BGH 29.06.2004 - IX ZR 195/03]; BGH ZInsO 2005, 94 = ZIP 2005, 181; OLG Rostock ZIP 2003, 1805 (1808) [OLG Rostock 21.08.2003 - 1 U 197/01]; ferner BGHZ 99, 36 (40 f.); 109, 321 (322); BGH ZIP 1998, 1319 [BGH 04.06.1998 - IX ZR 165/97]; BFH ZIP 1999, 714 (717); OLG Düsseldorf ZIP 1986, 973 (974 f.), jeweils für die Verfügungsverbote der früheren VglO; OLG Koblenz ZIP 1984, 164 (165); Gerhardt, in: Kölner Schrift, S. 193 (197 f. Rn. 11); ders., in: Festschrift für Zeuner, 1994, S. 353 (358 ff.); Häsemeyer, Rn. 19.16; Henckel, in: FS-Lüke, S. 237 ff.; Kübler/Prütting-Lüke, § 94 Rn. 88 ff.; MünchKomm-Brandes, § 94 Rn. 43 f.; Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1146). Differenzierend Uhlenbruck, § 21 Rn. 21, § 94 Rn. 48 f., unter Berufung auf BayObLG ZInsO 2001, 754: Aufrechnung unzulässig, wenn das Insolvenzgericht ausdrücklich die Aufrechnung von debitorischen Salden gegen eingehende Zahlungen untersagt hat. Es erscheint aber zweifelhaft, ob ein solches Verbot überhaupt zulässig ist. Denn die Insolvenzordnung kennt als gegen Dritte gerichtete Verbote im Eröffnungsverfahren nur die Untersagung der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 Nr. 3), behandelt aber Zwangsvollstreckung und Aufrechnung nicht gleich (vgl. § 8...

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