Rn 1

Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist eine vorläufige Maßnahme i. S. v. § 21. Ihr Zweck ist die Sicherung und der Erhalt des Vermögens des Schuldners für die Gläubiger (§ 21 Abs. 1 Satz 1 und § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Darüber hinaus dient sie aber auch dem Schutz des Schuldners vor unwiederbringlichen Vermögenseinbußen.[1] Der Schutz des Schuldnervermögens umfasst gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auch den Schutz des Unternehmens des Schuldners, bzw. dessen (vorläufigen) Erhalt.[2] Die gesetzliche Ausgestaltung beruht auf der Annahme, dass die vorläufige Insolvenzverwaltung den Kern der im Eröffnungsverfahren anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen bildet.[3] In § 22 werden die spezifischen Rechte und Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters geregelt. Naturgemäß einer gesetzlichen Regelung unzugänglich sind die Anforderungen an die soziale Kompetenz des Verwalters. – Insbesondere in der Insolvenz natürlicher Personen ist der vorläufige Insolvenzverwalter häufig der einzige (externe) Gesprächspartner des Schuldners, da das wirtschaftliche Scheitern auch ein soziales Stigma nach sich zieht.[4]

[2] Regierungsentwurf, BT-Drs. 12/2443, S. 116.
[3] Ebenso: MünchKomm-Haarmeyer, § 22 Rn. 1.
[4] Zum Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen instruktiv: Lange, ZInsO 2017, 424.

1.1 Systematik

 

Rn 2

Nach der Systematik des Gesetzes müssen die §§ 21, 22 zusammengelesen werden. In § 21 werden die Voraussetzungen zur Anordnung von vorläufigen Maßnahmen während des Insolvenzeröffnungsverfahrens geregelt. Dabei sieht § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ausdrücklich die Möglichkeit zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vor und regelt über eine Verweisung auf Normen des eröffneten Verfahrens die Anforderungen an die Person des Insolvenzverwalters sowie seine allgemeinen Rechte und Pflichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Auch findet sich in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 die Befugnis zur Anordnung von Verfügungsbeschränkungen. Demgegenüber befasst sich § 22 ausschließlich mit den Rechtsfolgen der genannten Anordnungen, nämlich der Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Regelung des § 22 baut also auf § 21 auf und beschreibt die spezifischen Rechte und Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters unter Berücksichtigung der Besonderheiten des insolvenzrechtlichen Eröffnungsverfahrens.

 

Rn 3

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit gleichzeitiger Anordnung eines Verfügungsverbots, also Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, den Regelfall darstellen. Dementsprechend findet sich für diese Form der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine detaillierte Regelung in § 22 Abs. 1. Tatsächlich bevorzugt die Praxis aber aus verschiedenen Gründen (s. u. Rdn. 6) die Anordnung einer sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung, bei der dem Verwalter keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt wird (zu den Arten der vorläufigen Insolvenzverwaltung, s. u. Rdn. 5). Seine Befugnisse müssen vom Gericht gemäß § 22 Abs. 2 festgelegt werden. Dem § 22 Abs. 1 kommt insoweit eine Leitbild- und Begrenzungsfunktion zu.[5] Hinsichtlich der Voraussetzungen der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und der Anordnung einer Verfügungsbeschränkung wird auf die Kommentierung zu § 21 verwiesen.

[5] Uhlenbruck-Vallender, § 22 Rn. 1.

1.2 Gesetzgebungsgeschichte

 

Rn 4

Mit der Regelung des vorläufigen Insolvenzverwalters hat der Gesetzgeber einen unter der Geltung der KO als unbefriedigend empfundenen Rechtszustand[6] beendet. Die Neuregelung ist seit Einführung der InsO praktisch unverändert geblieben[7] und nimmt erstmals eine relativ klare Umschreibung der Rechtsstellung des vorläufigen Verwalters für das gesamte Insolvenzrecht vor. Damit haben sich die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zur Rechtsstellung und zu den Befugnissen des konkursrechtlichen Sequesters[8] erledigt. Weiter wurde die Möglichkeit eines vollständigen Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners schon im Eröffnungsverfahren neu geschaffen. Damit wird insbesondere die Fortführung größerer Unternehmen erleichtert. Weitere Verbesserungen des vorherigen Rechtszustandes bestehen in der Möglichkeit, bei länger andauernden Eröffnungsverfahren Prozessführungsrechte des Schuldners zur effektiven Verwaltung des beschlagnahmten Vermögens auszuüben. Vertragspartner des Schuldnerunternehmens bzw. vorläufigen Insolvenzverwalters erhalten über die Regelung des § 55 Abs. 2 die vor allem für eine Betriebsfortführung erforderliche Sicherheit hinsichtlich ihrer Ansprüche in einem späteren eröffneten Insolvenzverfahren.[9] Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners sowie der im Schuldnerunternehmen beschäftigten Personen haben eine klare Ausgestaltung gefunden.

[6] Ausführlich: MünchKomm-Haarmeyer, § 22 Rn. 5 ff.
[7] Mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (BGBl. I 2007, S. 509) ist mit Wirkung zum 01.07.2007 lediglich die Verpflichtung des Schuldners z...

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