Gesetzestext

 

(1) 1Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, so geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. 2In diesem Fall hat der vorläufige Insolvenzverwalter:

1. das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten;
2. ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stillegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden;
3. zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird; das Gericht kann ihn zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen.

(2) 1Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne daß dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so bestimmt das Gericht die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters. 2Sie dürfen nicht über die Pflichten nach Absatz 1 Satz 2 hinausgehen.

(3) 1Der vorläufige Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. 2Der Schuldner hat dem vorläufigen Insolvenzverwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. 3Er hat ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen; die §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 gelten entsprechend.

1. Allgemeines

 

Rn 1

Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist eine vorläufige Maßnahme i. S. v. § 21. Ihr Zweck ist die Sicherung und der Erhalt des Vermögens des Schuldners für die Gläubiger (§ 21 Abs. 1 Satz 1 und § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Darüber hinaus dient sie aber auch dem Schutz des Schuldners vor unwiederbringlichen Vermögenseinbußen.[1] Der Schutz des Schuldnervermögens umfasst gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auch den Schutz des Unternehmens des Schuldners, bzw. dessen (vorläufigen) Erhalt.[2] Die gesetzliche Ausgestaltung beruht auf der Annahme, dass die vorläufige Insolvenzverwaltung den Kern der im Eröffnungsverfahren anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen bildet.[3] In § 22 werden die spezifischen Rechte und Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters geregelt. Naturgemäß einer gesetzlichen Regelung unzugänglich sind die Anforderungen an die soziale Kompetenz des Verwalters. – Insbesondere in der Insolvenz natürlicher Personen ist der vorläufige Insolvenzverwalter häufig der einzige (externe) Gesprächspartner des Schuldners, da das wirtschaftliche Scheitern auch ein soziales Stigma nach sich zieht.[4]

[2] Regierungsentwurf, BT-Drs. 12/2443, S. 116.
[3] Ebenso: MünchKomm-Haarmeyer, § 22 Rn. 1.
[4] Zum Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen instruktiv: Lange, ZInsO 2017, 424.

1.1 Systematik

 

Rn 2

Nach der Systematik des Gesetzes müssen die §§ 21, 22 zusammengelesen werden. In § 21 werden die Voraussetzungen zur Anordnung von vorläufigen Maßnahmen während des Insolvenzeröffnungsverfahrens geregelt. Dabei sieht § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ausdrücklich die Möglichkeit zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vor und regelt über eine Verweisung auf Normen des eröffneten Verfahrens die Anforderungen an die Person des Insolvenzverwalters sowie seine allgemeinen Rechte und Pflichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Auch findet sich in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 die Befugnis zur Anordnung von Verfügungsbeschränkungen. Demgegenüber befasst sich § 22 ausschließlich mit den Rechtsfolgen der genannten Anordnungen, nämlich der Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Regelung des § 22 baut also auf § 21 auf und beschreibt die spezifischen Rechte und Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters unter Berücksichtigung der Besonderheiten des insolvenzrechtlichen Eröffnungsverfahrens.

 

Rn 3

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit gleichzeitiger Anordnung eines Verfügungsverbots, also Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, den Regelfall darstellen. Dementsprechend findet sich für diese Form der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine detaillierte Regelung in § 22 Abs. 1. Tatsächlich bevorzugt die Praxis aber aus verschiedenen Gründen (s. u. Rdn. 6) die Anordnung einer sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung, bei der dem Verwalter keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt wird (zu den Arten der vorläufigen Insolvenzverwaltung, s. u. Rdn. 5). Seine Befugnisse müssen vom Gericht gemäß § 22 Abs. 2 festgelegt werden. Dem § 22 Abs. 1 kommt insoweit eine Leitbild- und Begrenzungsfunktion zu.[5] Hinsichtlich der Voraussetzungen der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und der Anordnung einer Verfügungsbeschränkung wird auf die Kommentierung zu § 21 verwiesen.

[5] Uhlenbruck-Vallender, § 22 Rn. 1.

1.2 Gesetzgebungsgeschichte

 

Rn 4

Mit der Regelung des vorläufigen Inso...

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