Rn 6

Entgegen der ursprünglichen Erwartung des Gesetzgebers, ist die Bedeutung der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung in der Praxis nicht sehr groß. Stattdessen greifen die Gerichte – nicht zuletzt auch auf Wunsch der Verwalter – in der überwiegenden Zahl der Fälle auf die schwache vorläufige Insolvenzverwaltung mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt zurück.[10] Von Seiten der Verwalter wird dies maßgeblich mit den Haftungsgefahren der starken vorläufigen Verwaltung begründet (hierzu unten: Rdn. 32). Die Gerichte befürchten bei der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots negative Auswirkungen auf die spätere Insolvenzmasse.

 

Rn 7

Gerade wegen der vielschichtigen Spielarten der vorläufigen Insolvenzverwaltung und der damit jeweils für die verschiedenen Beteiligten verbundenen und oben aufgezeigten erheblichen Risiken gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein stufenweises Vorgehen (vgl. die Kommentierung bei § 21 Rdn. 49 f.).[11] Nach Eingang des Antrags und Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen sollten die Ermittlungen schnell darauf konzentriert werden, ob der Schuldner ein Unternehmen betreibt und dieses auf den ersten Blick fortführungsfähig ist und dazu ein vorläufiger Verwalter benötigt wird. Hat das Gericht nur eingeschränkte Ermittlungsmöglichkeiten (z. B. nur Anhörung des Schuldners), sollte auf der ersten Stufe eine auch als späterer Insolvenzverwalter geeignete Person als Sachverständiger mit dem Auftrag eingesetzt werden, kurzfristig darüber zu berichten, welche Sicherungsmaßnahmen nach § 21 im vorliegenden Fall erforderlich erscheinen. Liegen diese Erkenntnisse vor, hat das Gericht im Idealfall in Abstimmung mit dem Sachverständigen bzw. potentiellen vorläufigen Insolvenzverwalter zu entscheiden, ob der bereits erteilte Sachverständigenauftrag lediglich um die Prüfung des Insolvenzgrundes und der Massekostendeckung zu erweitern ist oder die Verhältnisse des Schuldnerunternehmens die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung mit allgemeinem Verfügungsverbot oder Zustimmungsvorbehalt erfordern. Nach Anordnung der ersten Sicherungsmaßnahmen hat das Insolvenzgericht in enger Abstimmung mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Sachverständigen laufend zu überprüfen, ob und ggf. welche Sicherungsmaßnahmen zusätzlich noch erforderlich sind.

 

Rn 8

Es muss deutlich vor einer "automatisch" angeordneten vorläufigen Insolvenzverwaltung bei gleichzeitiger Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots gewarnt werden. Eine solche Praxis ist angesichts der ausführlichen und differenzierten Regelungen in den §§ 21, 22 nicht nur gesetzwidrig, sondern kann bei fehlender Notwendigkeit sowohl bei Gericht als auch bei dem betroffenen Verwalter zu weitreichenden haftungsrechtlichen Konsequenzen führen.

[10] Vallender spricht von 90 % der vorläufigen Insolvenzverwaltungen (Uhlenbruck-Vallender, § 22 Rn. 305), Haarmeyer geht gar von weit mehr als 95 % aus (MünchKomm-Haarmeyer, § 22 Rn. 68). Kritisch zu dieser Entwicklung: Till, InsBürO 2017, 47 (50).

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