Rn 29

Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann im Kündigungsschutzprozess die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

4.2.3.1. Voraussetzungen eines groben Fehlers

 

Rn 30

Der Begriff der groben Fehlerhaftigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff.[61] Das Gesetz räumt den Betriebspartnern einen weiten Spielraum bei der Sozialauswahl ein und geht davon aus, dass durch die Gegensätzlichkeit der von den Betriebspartnern vertretenen Interessen und durch die auf beiden Seiten vorhandene Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse gewährleistet ist, dass dieser Rahmen angemessen und vernünftig genutzt wird.[62] Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt.[63] Solange gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die Sozialauswahl sprechen, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit deutlich unterschritten.[64]

4.2.3.2. Reichweite des Prüfungsmaßstabs

 

Rn 31

Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr kann die gesamte Sozialauswahl, auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, nur auf grobe Fehler überprüft werden.[65] Dies gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe, sodass auch die Festlegung des Kreises der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer allein auf grobe Fehler überprüft werden kann.[66]

 

Rn 32

Die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs auf grobe Fehler gilt aber nicht, wenn die Betriebsparteien in einer Auswahlrichtlinie (§ 1 Abs. 4 Var. 2 KSchG i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) auf Sozialdaten abgestellt haben, die über die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten hinausgehen. In diesem Fall ist die Sozialauswahl uneingeschränkt gerichtlich nachprüfbar.[67]

4.2.3.3. Begriff des groben Fehlers

 

Rn 33

Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt oder tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind.[68] Die getroffene Auswahl muss sich mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen; nicht entscheidend ist, ob das Auswahlverfahren zu beanstanden ist.[69] Auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen, jedenfalls aber vertretbarem Auswahlergebnis führen, dass nicht grob fehlerhaft ist.[70]

4.2.3.3.1. Auswahlrelevanter Personenkreis

 

Rn 34

Ein grober Fehler liegt vor, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist oder bei der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind.[71] Daneben kann ein grober Fehler vorliegen, wenn der auswahlrelevante Personenkreis offensichtlich zu eng gezogen wurde.[72] Die Betriebsparteien haben zwar eine Einschätzungsprärogative unter anderem hinsichtlich der tatsächlichen Austauschbarkeit der Arbeitnehmer und der zumutbaren Dauer der Einarbeitungszeit (oben Rdn. 30). Eine Beschränkung der Vergleichbarkeit auf Arbeitnehmer, die ohne jede Einarbeitungszeit sofort austauschbar sind, ist aber in der Regel grob fehlerhaft.[73]

4.2.3.3.2. Betriebsbegriff

 

Rn 35

Ein Unterfall der Verkennung des auswahlrelevanten Personenkreises ist die Verkennung des für die Sozialauswahl relevanten Betriebsbegriffs (§ 23 KSchG).[74] Die Sozialauswahl ist nur grob fehlerhaft, wenn im Interessenausgleich der Betriebsbegriff selbst grob verkannt worden ist, seine Fehlerhaftigkeit also "ins Auge springt".[75] Sprechen dagegen gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit nicht erreicht.[76] Bewerten die Betriebspartner, zumal unter dem Druck eilbedürftiger Entscheidungen in der Insolvenz, die tatsächlichen Verhältnisse bei der Abgrenzung, ob ein eigenständiger Betrieb im Sinne des Betriebsbegriffs ...

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