Rn 18

§ 125 Abs. 1 Satz 1 erleichtert die Anforderungen, die an die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 Alt. 3 KSchG) zu stellen sind, unter zwei Gesichtspunkten: Die Betriebsbedingtheit der Kündigung wird vermutet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und die Nachprüfbarkeit der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) eingeschränkt (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Auf außerordentliche Kündigungen findet § 125 selbst dann keine Anwendung, wenn der gekündigte Arbeitnehmer in dem Interessenausgleich namentlich aufgeführt ist.[44]

4.1. Vermutung der Betriebsbedingtheit der ordentlichen Kündigung

 

Rn 19

Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 wird vermutet, dass die ordentliche Kündigung der in der Namensliste bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist. Der Insolvenzverwalter muss im Kündigungsschutzprozess zunächst nur vortragen, dass der Kläger in der Namensliste als einer der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll, aufgeführt ist.[45] Weitere Ausführungen können im Rahmen der im Kündigungsschutzverfahren geltenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast je nach Reaktion des Arbeitnehmers erforderlich werden.

4.1.1. Wegfall des Beschäftigungsbedarfs / fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen

 

Rn 20

Die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erstreckt sich auf alle Voraussetzungen der Betriebsbedingtheit der Kündigung, d.h. sowohl auf den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses[46] als auch auf das Fehlen von anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Betriebspartner bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben befasst haben, wovon nach der Rechtsprechung auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Interessenausgleich regelmäßig auszugehen ist.[47] Allerdings unterliegt die unternehmerische Entscheidung des Insolvenzverwalters auch im Rahmen von § 125 noch einer Missbrauchskontrolle, die Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Normen sowie Diskriminierung und Umgehungsfälle verhindern soll.[48]

4.1.2. Betriebs(teil-)übergang

 

Rn 21

Im Falle eines der Betriebsänderung vorangehenden oder nachfolgenden Betriebs(teil-)übergangs erstreckt sich die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 gem. § 128 Abs. 2 auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs (§ 613a Abs. 4 BGB) erfolgt.[49]

[49] BAG, 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, juris, Rn. 70.

4.2. Eingeschränkte Sozialauswahl

 

Rn 22

§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ergänzt und modifiziert § 1 Abs. 3, 5 KSchG.[50] Für die Auslegung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO gelten daher die gleichen Grundsätze wie für § 1 Abs. 3 KSchG, etwa dass die revisionsgerichtliche Prüfung eingeschränkt ist, weil die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriff in erster Linie Aufgabe des Tatrichters ist.[51]

4.2.1. Allgemeines

 

Rn 23

Im Einzelnen schränkt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowohl die zu berücksichtigenden Sozialdaten als auch die gerichtliche Prüfungsdichte ein.

4.2.1.1. Unterschiede zu § 1 Abs. 3 KSchG

 

Rn 24

Dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat eröffnet § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 weitergehende Möglichkeiten bei der Sozialauswahl als dies nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG außerhalb der Insolvenz der Fall ist. Die wesentlichen Unterschiede sind, dass zum einen mit dem Interessenausgleich auch angestrebt werden kann, eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur zu erhalten, sondern erst zu schaffen.[52] Zum anderen muss eine Schwerbehinderung[53] der Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl nicht als eigenständiges Kriterium berücksichtigt werden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Gleichwohl darf die Schwerbehinderung nicht zum tragenden Grund der Kündigungsentscheidung gemacht werden. Denn mit Blick auf die auch im Rahmen von § 125 erfolgende gerichtliche Missbrauchskontrolle ist die Kündigung trotz namentlicher Bezeichnung des schwerbehinderten Arbeitnehmers im Interessenausgleich unwirksam, wenn er beweisen kann, dass die Kündigungsentscheidung getroffen wurde, um sich den Belastungen zu entziehen, welche aus den besonderen Rechten schwerbehinderter Menschen folgen.[54]

[53] Siehe aber BAG, 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, juris, Rn. 44 ff., wonach auch im Fall des § 125 InsO die unternehmerische Entscheidung, die zu der Kündigung führt, einer Missbrauchskontrolle unterliegt.

4.2.1.2. Sonderkündigungsschutz

 

Rn 25

Keinen Einfluss hat § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr...

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