Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerberaterhaftung: Beweislast im Streit über etwaige Beratungspflichtverletzung des Steuerberaters

 

Leitsatz (amtlich)

1. In Verträgen mit rechtlichen Beratern gilt die Vermutung, daß der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des Beraters lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte.

2. Diese Vermutung bewirkt keine Beweislastumkehr, sondern bildet einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises. Der rechtliche Berater kann ihn daher entkräften, indem er Tatsachen beweist, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten sprechen.

3. Ein Anscheinsbeweis zugunsten des Mandanten setzt nicht zwingend voraus, daß der rechtliche Berater eine bestimmte Empfehlung zu geben hatte. Ein Sachverhalt, der bei zutreffender Information nur eine Entscheidung sinnvoll erscheinen ließ, kann auch dann gegeben sein, wenn sich die Aufgabe des Beraters darauf beschränkte, die Rechtslage zu erläutern.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der rechtliche Berater, der die ihm obliegende Hinweis- und Aufklärungspflichten verletzt hat, braucht nicht den vollen Beweis dafür zu erbringen, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Leistung entschieden hätte.

2. Beweist der rechtliche Berater Tatsachen, die einen atypischen Kausalverlauf möglich erscheinen lassen, ist es dem Mandanten zumutbar, selbst den Beweis zu führen, wie er bei sachgerechter Aufklärung oder Beratung reagiert hätte.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 675; ZPO § 286; StBerG § 33

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 22.01.1993; Aktenzeichen 25 U 78/91)

LG Arnsberg (Urteil vom 31.01.1991; Aktenzeichen 7 O 211/90)

 

Tatbestand

Die Klägerin und der Kaufmann N. waren Gesellschafter einer GmbH und einer OHG, die verschiedene Filmtheater betrieben. Als die Klägerin sich im Laufe des Jahres 1988 entschloß, demnächst aus den Gesellschaften auszuscheiden, wandte sie sich wegen der damit zusammenhängenden steuerlichen Fragen auf Anraten ihres Anwalts an den beklagten Steuerberater.

Am 24. Februar 1989 fand eine Besprechung statt, an der die Gesellschafter sowie deren Anwälte und Steuerberater teilnahmen. Bei dieser Gelegenheit erklärte sich N. bereit, der Klägerin im Falle ihres Ausscheidens eine Barabfindung von 90.000 DM zu zahlen, ihr negatives Kapitalkonto bei der OHG in Höhe von 106.496,16 DM auszugleichen sowie persönliche Darlehensverbindlichkeiten im Betrag von 243.128,25 DM zu übernehmen. Mit dieser Lösung war die Klägerin einverstanden. Die Vereinbarung wurde mit notariellem Vertrag vom 27. Februar 1989 verbindlich.

Im Feststellungsbescheid für das Jahr 1989 behandelte das Finanzamt die Abfindung und die Freistellung als Veräußerungsgewinn der Klägerin und setzte später auf dieser Grundlage eine Einkommensteuer von 127.764 DM und eine Kirchensteuer von 11.498,76 DM fest. Die Bescheide sind bestandskräftig.

Die Klägerin behauptet, bei der Besprechung am 24. Februar 1989 habe der Beklagte auf die Frage, welcher Betrag ihr nach Abzug der Steuern verbleibe, erklärt, sie müsse lediglich mit einer Steuerbelastung von ca. 8.800 DM wegen der Barabfindung rechnen; die Befreiung von Verbindlichkeiten wirke sich steuerlich nicht aus. Hätte der Beklagte sie rechtlich zutreffend informiert, wäre sie auf das Angebot N. nicht eingegangen und als stille Gesellschafterin in beiden Gesellschaften verblieben. Zumindest wäre es ihr gelungen, eine wesentlich höhere Abfindungszahlung zu erhalten. Durch das Verhalten des Beklagten sei ihr ein Schaden entstanden, den sie zuletzt mit 122.735,89 DM (115.417,49 DM Steuermehrbelastung; 4.777 DM Stundungszinsen; 2.541,40 DM Steuerberaterkosten) angegeben hat.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr mit Ausnahme eines Teils der Zinsen stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht geht aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, der Beklagte sei kraft des von der Klägerin erhaltenen Mandats verpflichtet gewesen, sie über die steuerrechtlichen Folgen der am 24. Februar 1989 besprochenen Auseinandersetzungsvereinbarung zu belehren. Er habe die Auskunft erteilt, die Übernahme von Verbindlichkeiten durch N. stelle eine Umschuldung in der Privatsphäre der Klägerin ohne steuerrechtliche Bedeutung dar. Dies sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu §§ 34 Abs. 2 Nr. 1, 16 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG rechtlich unzutreffend gewesen. Der Beklagte habe auch schuldhaft gehandelt; denn er hätte wissen müssen, daß seine Auskunft mit der Rechtslage nicht in Einklang stand.

Dies läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision hingenommen.

II.

Das Berufungsgericht meint weiter, infolge der Pflichtverletzung des Beklagten habe die Klägerin den geltend gemachten Schaden erlitten. Der Beklagte müsse seine Behauptung, es fehle an der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden, beweisen, weil er vertragliche Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt habe. Den Beweis, daß die Klägerin auch bei zutreffender Beratung aus beiden Gesellschaften ausgeschieden wäre, habe er nicht geführt.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Grundsätzlich hat der Geschädigte den Ursachenzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden als anspruchsbegründende Voraussetzung darzutun und nachzuweisen.

In der Rechtsprechung zum Kauf- und Werkvertragsrecht wurde indes der Grundsatz entwickelt, daß derjenige, der eine vertragliche Aufklärungs- oder Beratungspflicht verletzt, das Risiko der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs insoweit zu tragen habe, als es um die Frage geht, wie der andere Teil gehandelt hätte, wenn er pflichtgemäß ins Bild gesetzt worden wäre (BGHZ 61, 118, 122; 64, 46, 51). Diese Beweislastregel wurde in der Folgezeit auch bei anderen Vertragstypen angewandt (vgl. BGHZ 72, 92, 106; 89, 95, 103; BGH, Urt. v. 1. Juli 1980 – VI ZR 112/79, NJW 1980, 2186, 2187; v. 28. November 1983 – II ZR 72/83, NJW 1984, 1688, 1689; v. 31. Mai 1990 – VII ZR 340/88, NJW 1990, 2461, 2463).

Die Beweislastumkehr soll allerdings nicht generell, sondern nur dort gelten, wo die Aufklärungs-, Hinweis- oder Beratungspflichten gerade dazu dienen, dem Vertragsgegner ein bestimmtes Risiko bewußt zu machen und ihm Klarheit zu geben, ob er an der ins Auge gefaßten Maßnahme festhalten will. Unter dieser Voraussetzung entspricht es dem Schutzzweck der verletzten Pflicht, dem Berechtigten die auftretende Beweisnot abzunehmen (vgl. BGHZ 61, 118, 121; 64, 46, 51; BGH, Urt. v. 1. Juli 1980 – VI ZR 112/79, NJW 1980, 2186, 2187; v. 1. Oktober 1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200, 203). Demzufolge hat der Bundesgerichtshof gerade bei Dienst- und Geschäftsbesorgungsverträgen eine Umkehr der Beweislast abgelehnt, wenn nicht der Rat zu einer bestimmten Maßnahme geschuldet war und im Falle erhaltener Aufklärung mehrere, vom Ansatz her gleichwertige, aber mit unterschiedlichen Folgen verbundene Möglichkeiten vernünftigen Verhaltens bestanden (BGH, Urt. v. 2. Dezember 1980 – VI ZR 175/78, NJW 1981, 630, 632; v. 1. Oktober 1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200, 203; v. 28. März 1989 – VI ZR 157/88, NJW 1989, 2320, 2321).

2. a) Aus dieser Rechtsprechung wurde im Anwalts- und Steuerberatervertragsrecht die Regel entwickelt, bei Verstößen gegen die Beratungspflicht spreche zu Gunsten des Mandanten die Vermutung, dieser hätte sich bei vertragsgerechtem Handeln des Beauftragten beratungsgemäß verhalten (BGH, Urt. v. 29. März 1983 – VI ZR 172/81, NJW 1983, 1665, 1666; v. 30. Oktober 1984 – IX ZR 6/84, VersR 1985, 83, 85; v. 6. Februar 1992 – IX ZR 95/91, NJW 1992, 1159, 1160; v. 7. Mai 1992 – IX ZR 151/91, NJW-RR 1992, 1110). Auch dieser Grundsatz kommt nur zur Anwendung, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend informierten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre. Voraussetzung sind danach tatsächliche Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den rechtlichen Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten (vgl. auch Senatsurt. v. 1. Oktober 1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200, 203). Die Beweiserleichterung zugunsten des Mandanten gilt also nicht generell. Sie setzt einen Tatbestand voraus, bei dem der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten Verhalten seines Mandanten typischerweise gegeben ist, beruht also auf Umständen, die nach der Lebenserfahrung eine bestimmte tatsächliche Vermutung rechtfertigen (vgl. Senatsurt. v. 30. Oktober 1984 – IX ZR 6/84, VersR 1985, 83, 85; v. 6. Februar 1992 – IX ZR 95/91, NJW 1992, 1159, 1160).

b) Eine auf die Typizität eines bestimmten Geschehensablaufs gegründete Beweisregel rechtfertigt keine volle Beweislastumkehr; denn die Beweiserleichterung beruht hier auf Erfahrungssätzen, die im Einzelfall erschüttert werden können, wenn die konkrete Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufs dargetan und bewiesen wird. Bei der Vermutung, um die es hier geht, handelt es sich folglich um einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises (vgl. zur Notarhaftung Senatsurt. v. 9. Juli 1992 – IX ZR 209/91, NJW 1992, 3237, 3241; v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1516). Diese Auffassung wird in neuerer Zeit auch im Schrifttum zunehmend vertreten (Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast 2. Aufl. § 675 BGB Rdnr. 20 ff; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 4. Aufl. Rdnr. I 310; Heinemann NJW 1990, 2345, 2352; ähnlich Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht Rdnr. 510, 517, 527). Dabei wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die Berücksichtigung von Lebenserfahrung und Wahrscheinlichkeit zur Beweiswürdigung, nicht zum Bereich der grundsätzlich normbezogenen Beweislastumkehr gehören und deshalb bei der Anwendung des Anscheinsbeweises ihren Platz haben (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 14. Aufl. S. 720; Vollkommer, Festschrift für Baumgärtel S. 585, 593 f).

c) Nur eine solche Betrachtungsweise gelangt zu einer angemessenen Risikoverteilung zwischen dem rechtlichen Berater und seinem Mandanten, wenn sich dessen Reaktion auf vertragsgemäße Erfüllung der Hinweis- und Beratungspflichten nicht mehr klären läßt. Im Gegensatz zu Vertragsarten, die durch ein typisches Interesse und Verhalten desjenigen, der Information und Aufklärung benötigt, gekennzeichnet sind – beispielsweise Verträge über den Erwerb eines Gegenstandes oder einer Leistung –, wird der mit einem rechtlichen Berater geschlossene Vertrag häufig so sehr durch die besonderen Umstände des Einzelfalles geprägt, daß erst deren Einbeziehung erkennen läßt, ob Raum ist für eine Vermutung, die das tatsächliche Verhalten des Mandanten betrifft. Das Feld der in Betracht kommenden Rechtsfragen ist praktisch unübersehbar; deren Bedeutung wird oft maßgeblich von Umständen aus der Sphäre des Ratsuchenden geprägt, die geeignet sind, die von ihm zu treffenden Entschließungen wesentlich mitzubestimmen. Daher ist es geboten, die Vermutung des beratungsgemäßen Verhaltens auf Sachverhalte zu beschränken, die nach der Lebenserfahrung aufgrund objektiv deutlich für eine bestimmte Entscheidung sprechender Umstände einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich sind. Der rechtliche Berater wäre zudem unbillig benachteiligt, wenn er die zu seinen Lasten gehende Vermutung nur durch den vollen Gegenbeweis entkräften könnte, weil er dann häufig Tatsachen beweisen oder widerlegen müßte, die ganz oder vorwiegend im Einfluß- und Kenntnisbereich seines Auftraggebers liegen. Damit wäre er in aller Regel überfordert, so daß eine zugunsten des Mandanten geltende Vermutung im Ergebnis praktisch unwiderlegbar wäre. Es muß daher genügen, wenn Umstände aus seiner Sphäre feststehen, die darauf hindeuten, er hätte im konkreten Fall eine andere als die der Vermutung entsprechende Entscheidung getroffen. Beweist der rechtliche Berater solche Tatsachen, die einen atypischen Kausalverlauf möglich erscheinen lassen, ist es dem Mandanten zumutbar, nunmehr selbst den Beweis zu führen, wie er bei sachgerechter Aufklärung oder Beratung reagiert hätte.

d) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll es allerdings grundsätzlich keinen Anscheinsbeweis für individuelle Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen geben (BGHZ 31, 351, 357; 100, 214, 216; BGH, Urt. v. 25. März 1953 – II ZR 146/52, LM ZPO § 286 (C) Nr. 11; v. 10. November 1959 – VIII ZR 154/58, LM ZPO § 286 (C) Nr. 42 a; v. 20. September 1968 – V ZR 137/65, NJW 1968, 2139; v. 26. Januar 1983 – IVb ZR 344/81, NJW 1983, 1548, 1551). Ob an dieser Auffassung, die im Schrifttum teilweise bekämpft wird (Lepa, Festschrift für Franz Merz S. 387, 399; Prütting, Karlsruher Forum 1989 S. 13; Walter ZZP 90, 270, 278 f), festzuhalten ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Bundesgerichtshof hat diesen Rechtssatz schon in der Vergangenheit als eine Regel verstanden, die Ausnahmen zuläßt, und daher in einzelnen Entscheidungen persönliche Willensmomente aufgrund eines Anscheinsbeweises bejaht (vgl. BGH, Urt. v. 12. November 1957 – VIII ZR 311/56, NJW 1958, 177; v. 26. März 1962 – II ZR 151/60, NJW 1962, 1099, 1100; v. 20. März 1967 – VIII ZR 288/64, NJW 1967, 1222, 1223; v. 7. Februar 1974 – VII ZR 93/73, NJW 1974, 795, 796).

Dies muß insbesondere dann möglich sein, wenn es darum geht, wie der Mandant bei sachgerechter Aufklärung gehandelt hätte. Wer sich an einen Rechtsanwalt oder Steuerberater wendet, tut dies gewöhnlich in der Absicht, die für sich selbst günstigste Lösung in einer rechtlichen Angelegenheit zu finden. Er erwartet von der Person, die er aufgesucht hat, besondere Sachkunde und ist in der Regel bereit, ihr Vertrauen entgegenzubringen und die erhaltenen Hinweise zu beachten. Es gehört gerade zu den typischen Aufgaben des rechtlichen Beraters, durch eine Empfehlung oder eine sachliche Information die notwendige Grundlage für eine persönliche Entscheidung seines Auftraggebers zu liefern. Ist die geschuldete Leistung in solcher Weise auf eine individuelle Willensentschließung des Auftraggebers bezogen, wird nicht selten im Falle zutreffender Information bei vernünftiger Betrachtungsweise nur eine Entscheidung sinnvoll erscheinen. Hätte dies für den Mandanten nach einer fehlerfrei erteilten Beratung zweifelsfrei zutage gelegen, so hätte er nach der Lebenserfahrung den für ihn eindeutig vorteilhaftesten Weg gewählt. Dann ist ein Sachverhalt gegeben, der es rechtfertigt, von einem typischen Geschehensablauf auszugehen und infolgedessen die Grundsätze des Anscheinsbeweises anzuwenden.

e) Soweit frühere Urteile dem rechtlichen Berater, der die ihm obliegenden Hinweis- und Aufklärungspflichten verletzt hatte, den vollen Beweis dafür auferlegt haben, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Leistung entschieden hätte (vgl. BGH, Urt. v. 30. September 1981 – IVa ZR 288/80, ZIP 1981, 1213, 1215; v. 28. November 1984 – IVa ZR 224/82, WM 1985, 319; v. 17. Oktober 1989 – XI ZR 158/88, NJW 1990, 827, 828; v. 29. März 1990 – IX ZR 24/88, NJW 1990, 2127, 2128), stimmt der Senat dem nicht zu. Einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen bedarf es nicht, weil die Beurteilung nur Verträge mit rechtlichen Beratern betrifft und der Senat für dieses Gebiet nach dem Geschäftsverteilungsplan inzwischen allein zuständig ist.

3. Danach besteht im Streitfall kein Raum für die vom Berufungsgericht zugunsten der Klägerin vorgenommene Beweislastumkehr. Auch der Anscheinsbeweis spricht nicht dafür, daß die fehlerhafte Rechtsauskunft des Beklagten für den behaupteten Schaden der Klägerin ursächlich geworden ist.

a) Ein Prima-facie-Beweis zugunsten der Klägerin scheidet allerdings nicht schon deshalb aus, weil der Beklagte ihr nicht zu empfehlen hatte, ob sie die Auseinandersetzungsvereinbarung annahm oder ablehnte, er vielmehr lediglich die steuerliche Information zu liefern hatte, die die Klägerin für eine sachgerechte Abwägung bei der von ihr zu treffenden freien Entscheidung benötigte.

Auch dann, wenn die Verpflichtung des rechtlichen Beraters inhaltlich in solcher Weise eingegrenzt ist, kann ein Sachverhalt gegeben sein, der bei zutreffender rechtlicher Auskunft vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung möglich oder sinnvoll erscheinen läßt. Unter dieser Voraussetzung ist der Auftraggeber in gleicher Weise schutzwürdig wie bei einem Auftrag, der den rechtlichen Berater verpflichtet, Empfehlungen für eine bestimmte Entschließung zu erteilen (a. A. wohl Baumgärtel/Laumen, § 675 BGB Rdnr. 22). Der Senat hat daher schon bisher nicht danach differenziert, ob der Berater nach dem Vertragsinhalt Einfluß auf die Entscheidung des Mandanten nehmen sollte oder nur eine rechtliche Auskunft schuldete (vgl. Senatsurt. v. 6. Februar 1992 – IX ZR 95/91, NJW 1992, 1159, 1160).

b) Indes fehlt es schon an einem Sachverhalt, der die Vermutung rechtfertigt, die Klägerin wäre, wenn sie die mit der Vereinbarung vom 27. Februar 1989 verbundene Steuerbelastung rechtzeitig erfahren hätte, in der Gesellschaft verblieben.

Auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen steuerlichen Belastung hat die Klägerin durch die Auseinandersetzungsvereinbarung geldwerte Zuwendungen in Höhe von etwa 325.000 DM erhalten. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, die die Annahme rechtfertigen, die Klägerin stände sich heute vermögensmäßig eindeutig günstiger, wenn sie in den Gesellschaften als stille Gesellschafterin verblieben wäre. Die Klägerin hat zudem selbst vorgetragen, es sei ihr Wunsch gewesen, die Gesellschaft zu verlassen, weil sie eine Familie habe gründen wollen. Ihre Behauptung, bei Kenntnis der wahren Steuerlast wäre sie nicht ausgeschieden, ist durch keine Tatsachen erhärtet, die geeignet sind, eine entsprechende Vermutung zu begründen. Besteht nicht nur eine einzige verständige Entschlußmöglichkeit, sondern kommen verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht und bergen sämtliche gewisse Risiken in sich, die zu gewichten und den Vorteilen gegenüber abzuwägen sind, ist kein Raum für einen Anscheinsbeweis (Senatsurt. v. 9. Juli 1992 – IX ZR 209/91, NJW 1992, 3237, 3241 zur Notarhaftung).

c) Im übrigen hat der Beklagte Tatsachen vorgetragen, die – eine Vermutung zugunsten der Klägerin unterstellt – geeignet sind, sie zu entkräften. Er hat behauptet, wegen eines zwischenzeitlichen Zerwürfnisses mit N. sei vorgesehen gewesen, daß die Klägerin auf jeden Fall aus der Gesellschaft ausscheidet. Nach den Angaben des Zeugen Dr. P. bestanden am 24. Februar 1989 zwischen der Klägerin und N. Spannungen. Der Zeuge Rechtsanwalt Sch., der damals die Interessen N. vertrat, bekundete, er und N. seien sich im Jahre 1989 einig gewesen, daß die Klägerin die Gesellschaft verläßt. Der Zeuge N. berichtete, die Beziehungen zur Klägerin seien seinerzeit gestört gewesen, weil diese zwei Schecks der Gesellschaft für private Belange verwendet habe. Schließlich erklärte der Zeuge M., der damalige Steuerberater N., man habe wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses alles daran setzen wollen, die Klägerin loszuwerden, und beabsichtigt, sie bei einem Scheitern der Einigung auszuschließen. Sind diese Aussagen glaubhaft – wovon mangels gegenteiliger tatrichterlicher Feststellungen für den Revisionsrechtszug auszugehen ist – hat der Beklagte einen eventuellen Anscheinsbeweis entkräftet.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Zur Prüfung der Frage, ob die Klägerin ihre Behauptung zu beweisen vermag, sie wäre bei zutreffender steuerlicher Information durch den Beklagten in den Gesellschaften verblieben, muß die Sache neu verhandelt werden.

Sollte der Klägerin dieser Beweis gelingen, wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Schadenshöhe rechtlich nicht haltbar sind. Ist davon auszugehen, die Klägerin wäre bei vertragsgerechter Leistung in den Gesellschaften verblieben, kann der Schaden nicht auf die Weise berechnet werden, daß lediglich die tatsächliche Steuerbelastung mit derjenigen bei Ablehnung der Vereinbarung vom 27. Februar 1989 verglichen wird. Vielmehr werden in diesem Falle – unter Beachtung des § 287 ZPO – dem wirtschaftlichen Gesamtergebnis der Vereinbarung vom 24. Februar 1989 umfassend diejenigen finanziellen Folgen gegenüberzustellen sein, die sich für die Klägerin bei einem Verbleib in der Gesellschaft mutmaßlich ergeben hätten.

Kann die Klägerin dagegen den Beweis nicht führen, daß sie die Gesellschaft mit N. fortgesetzt hätte, kommt es auf die Behauptung an, die Gesellschafter hätten sich auf eine höhere Abfindung geeinigt, wenn der Beklagte die steuerrechtlichen Folgen der Vereinbarung damals zutreffend dargestellt hätte.

 

Fundstellen

BGHZ, 311

BB 1993, 2328

NJW 1993, 3259

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