Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit der in einem Bauvertrag gestellten Formularklauseln

 

Leitsatz (amtlich)

Die von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Formularklauseln sind bei der gebotenen Gesamtbeurteilung wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (Fortführung von BGH, Urt. v. 13.11.2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29).

Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den Auftraggeber i.H.v. 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen.

Der Auftragnehmer ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 25.05.2016; Aktenzeichen 7 U 702/15)

LG Gera (Urteil vom 27.08.2015; Aktenzeichen 2 O 853/13)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Jena vom 25.5.2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 EUR) zzgl. Zinsen zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von Restwerklohn für Bauarbeiten.

Rz. 2

Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit schriftlichem "Bauwerkvertrag nach BGB" vom 25./26.6.2012 (im Folgenden: Bauwerkvertrag) mit der Errichtung eines Rohbaus für einen Anbau (Einliegerwohnung/Erweiterungsbau zum bestehenden Einfamilienhaus) in J. zum Pauschalpreis von brutto 150.000 EUR.

Rz. 3

§ 22 des Bauwerkvertrags lautet auszugsweise:

"§ 22 Sicherheitseinbehalt 22.1 Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den AG [= Auftraggeber] i.H.v. 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen. 22.2 Der AN [= Auftragnehmer] ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen. ..."

Rz. 4

Die Klägerin kündigte den Vertrag mit Anwaltsschreiben vom 4.6.2013 wegen fehlender Baufreiheit. Sie erteilte am 17.6.2013 Schlussrechnung, mit der sie einen Restbetrag von 59.469,09 EUR geltend machte. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 1.7.2013 wegen Schuldnerverzugs.

Rz. 5

In einem vom 10.7.2013 datierenden, von der Beklagten und dem Architekten O., nicht aber von der Klägerin unterschriebenen Abnahmeprotokoll sind Mängel und nicht erfolgte Restarbeiten aufgeführt.

Rz. 6

Die Klägerin hat in erster Instanz Restwerklohn zuletzt i.H.v. 59.169,09 EUR nebst Zinsen gefordert. Das LG hat die Beklagte nach Beweisaufnahme verurteilt, an die Klägerin 14.063,08 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen dieses Urteil sind erfolglos geblieben.

Rz. 7

Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision zugelassen, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts i.H.v. 5 % der Brutto-Abrechnungssumme (= 7.470,72 EUR) zzgl. Zinsen zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen hat der Senat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil zurückgewiesen.

Rz. 8

Mit der Revision verfolgt die Klägerin den nicht zuerkannten Werklohnanspruch zzgl. Zinsen im Umfang der Zulassung der Revision weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 9

Die Revision der Klägerin führt im angefochtenen Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 10

Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

Rz. 11

Bezüglich des Sicherheitseinbehalts sei die Berufung unbegründet. Das LG habe den Sicherheitseinbehalt zu Recht von der Klageforderung abgezogen. Er sei entgegen der Ansicht der Klägerin wirksam vereinbart. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Einbehalt nicht nur wegen wesentlicher, sondern auch wegen unwesentlicher Mängel zugelassen sei.

Rz. 12

Auch die fehlende Regelung über eine Einzahlung auf ein Sperrkonto führe nicht zur Unwirksamkeit der Klausel. Denn eine solche Anforderung stelle nur § 17 VOB/B. Die VOB/B sei aber im vorliegenden Fall nicht wirksam in den Bauvertrag einbezogen worden. Deshalb sei auch die Sperrkontoregelung des § 17 VOB/B nicht anzuwenden.

Rz. 13

Einer Wirksamkeit der Einbehaltsklausel stehe auch nicht entgegen, dass ein Sicherheitseinbehalt neben einem Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht werden könne.

II.

Rz. 14

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 EUR) zzgl. Zinsen nicht zurückgewiesen werden.

Rz. 15

1. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 und § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.

Rz. 16

2. Auf dieser Grundlage ist die Vereinbarung eines Einbehalts "i.H.v. 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen" gem. § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Rz. 17

a) Nach dieser Vorschrift ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2017 - VII ZR 242/13 Rz. 22; vom 22.9.2016 - III ZR 264/15, NJW-RR 2016, 1387 Rz. 25; vom 7.9.2016 - IV ZR 172/15, VersR 2016, 1420 Rz. 27 und vom 16.6.2016 - VII ZR 29/13, BauR 2016, 1475 Rz. 15 = NZBau 2016, 556).

Rz. 18

Bei der Prüfung, ob eine vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte Klausel, mit der ein Sicherheitseinbehalt vereinbart wird, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, sind nicht nur Höhe und Dauer des Einbehalts, sondern auch der Regelungszusammenhang, in dem die Klausel steht, zu berücksichtigen. Das gilt insb. für die Art, wie der Einbehalt abgelöst werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1997 - VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27, 30, juris Rz. 12). Sicherungseinbehalt und Ablösungsmöglichkeit sind untrennbar miteinander verknüpft, was eine einheitliche, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Gesamtbeurteilung des die Sicherungsvereinbarung betreffenden Regelungsgefüges gebietet (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.2009 - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rz. 20 m.w.N.).

Rz. 19

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH benachteiligt eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, nach der der Auftraggeber für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche vornehmen darf, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, wenn diesem kein angemessener Ausgleich dafür zugestanden wird, dass er, der Auftragnehmer, den Werklohn nicht sofort ausgezahlt bekommt, das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen muss und ihm die Liquidität sowie die Verzinsung des Werklohns vorenthalten werden (BGH, Beschl. v. 24.5.2007 - VII ZR 210/06, NZBau 2007, 583 Rz. 6 m.w.N. = BauR 2007, 1575, 1576).

Rz. 20

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, wonach ein Sicherheitseinbehalt i.H.v. 5 % der Bausumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch eine selbstschuldnerische unbefristete Bürgschaft abgelöst werden kann, nicht gem. § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam (BGH, Urt. v. 13.11.2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rz. 15 f.). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die in der Zinsbelastung und der Einschränkung der Kreditlinie liegenden Nachteile bei Bereitstellung einer derartigen Bürgschaft in Anbetracht der berechtigten Sicherungsinteressen des Auftraggebers nicht als so gewichtig erscheinen, dass ihretwegen die Unwirksamkeit der Klausel angenommen werden müsste (BGH, Urt. v. 26.2.2004 - VII ZR 247/02, BauR 2004, 841, 843, juris Rz. 20 = NZBau 2004, 323).

Rz. 21

Eine solche Klausel ist indes nach § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam, wenn die Ablösung des Sicherheitseinbehalts zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass wesentliche Mängel nicht (mehr) vorhanden sind (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rz. 15 und 17).

Rz. 22

b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die formularmäßige Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts gem. § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Rz. 23

Die Vertragsbestimmungen § 22.1 und § 22.2 Satz 1 bilden entsprechend dem vorstehend Ausgeführten eine untrennbare Einheit; sie unterliegen einer Gesamtbeurteilung.

Rz. 24

Die getroffene Regelung benachteiligt die Klägerin als Auftragnehmerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das ergibt sich jedenfalls aus der Einschränkung, dass eine Ablösungsmöglichkeit bezüglich des Sicherheitseinbehalts frühestens nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlenden Leistungen besteht. Diese Einschränkung ist so weitreichend, dass ein angemessener Ausgleich zu den mit dem Sicherheitseinbehalt für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen nicht mehr zugestanden wird (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 32, juris Rz. 17). Die Frage, ob im Abnahmeprotokoll festgestellte Mängel vollständig beseitigt sind, kann Gegenstand langwieriger Kontroversen sein, die sich über die Dauer der Verjährungsfrist für die Mängelansprüche hinziehen können. Jeder diesbezügliche Streit kann zur Blockade der Ablösungsmöglichkeit führen, so dass es dann bei dem Sicherheitseinbehalt und den mit diesem für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen bleibt (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2003 - VII ZR 57/02, a.a.O.). Entsprechendes gilt bezüglich etwaiger im Abnahmeprotokoll als fehlend festgestellter Leistungen.

III.

Rz. 25

Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 EUR) zzgl. Zinsen zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen in der Sache nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO), weshalb die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

Rz. 26

Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 10643598

BB 2017, 1026

DB 2017, 6

NJW 2017, 1941

NJW 2017, 8

BauR 2017, 1202

DWW 2017, 185

IBR 2017, 316

JurBüro 2017, 386

WM 2017, 802

WuB 2017, 500

ZAP 2017, 566

ZIP 2017, 31

ZIP 2017, 975

ZfIR 2017, 331

JZ 2017, 383

MDR 2017, 13

MDR 2017, 568

ZfBR 2017, 456

NJW-Spezial 2017, 301

NZBau 2017, 275

FSt 2018, 21

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