Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinweispflicht des Prozeßanwalts auf Verjährung möglicher Regreßansprüche gegen Steuerberater bei Verlust des Finanzgerichtsprozesses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anwalt ist auch dann verpflichtet, seinen Auftraggeber auf die drohende Verjährung von Ansprüchen gegen einen Dritten hinzuweisen, wenn sein Mandat nur die Vertretung in einem bestimmten Rechtsstreit umfaßt, für ihn jedoch ersichtlich ist, daß bei Verlust des Prozesses Ansprüche gegen einen Dritten in Betracht kommen, und der Auftraggeber insoweit nicht anderweitig beraten wird.

2. Der Anwalt hat den Mandanten in diesem Falle rechtzeitig vor Ablauf der Primärverjährung des eventuellen Anspruchs gegen den Dritten zu belehren; er darf sich grundsätzlich nicht darauf verlassen, daß ein sogenannter Sekundäranspruch entsteht.

3. Hat der Anwalt die zur Verjährung gebotene Belehrung unterlassen, trifft den Mandanten in aller Regel nicht schon deshalb ein Mitverschulden, weil er erst mehrere Monate nach Beendigung des Mandats anwaltlichen Rat zur Durchsetzung der Ansprüche gegen den Dritten eingeholt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Streitfall hatte der Beklagte trotz des auf das finanzgerichtliche Verfahren beschränkten Mandats über die Verjährung der Ansprüche gegen den Steuerberater (wegen dessen mangelhafter Vertragserfüllung) zu belehren, weil die Klägerin infolge ihrer Rechtsunkenntnis insoweit eine entsprechende Aufklärung benötigte. Die Klägerin durfte daher noch im Zeitpunkt der Beendigung des dem Beklagten erteilten Mandats darauf vertrauen, dieser werde ihr einen entsprechenden Hinweis geben, wenn alsbald Maßnahmen zur Wahrung ihrer Rechte gegen den Steuerberater erforderlich seien.

 

Normenkette

BGB §§ 194, 254 Abs. 1, § 675; StBerG § 68

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 25.03.1992; Aktenzeichen 3 U 107/91)

LG Hannover (Urteil vom 06.02.1991; Aktenzeichen 13 O 344/90)

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt eine Pferdezucht. Sie und ihr Ehemann, mit dem sie gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurde, hatten mit der Fertigung der jährlichen Einkommensteuererklärungen den Steuerberater K. beauftragt.

Die Klägerin führte freiwillig Bücher über den von ihr unterhaltenen landwirtschaftlichen Betrieb. Der Steuerberater ermittelte im Wege des Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1 EStG) für die Pferdezucht in den Jahren 1975 bis 1980 Verluste im Gesamtbetrag von über 300.000 DM, die in den für diese Jahre unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheiden berücksichtigt wurden.

Anfang des Jahres 1983 fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung statt, die mit der Schlußbesprechung am 27. Januar endete. Dabei stellte sich das Finanzamt auf den Standpunkt, der Steuerberater habe den für eine Gewinnberücksichtigung nach Betriebsvermögensvergleich erforderlichen Antrag (§ 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG 1977) nicht gestellt; die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft seien daher gemäß § 13 a Abs. 2 bis 6 EStG nach Durchschnittssätzen zu ermitteln. Infolge dieser Berechnungsweise gelangte das Finanzamt zu folgenden Ergebnissen:

1975 2.569 DM

Verlust,

1976 4.642 DM

Verlust,

1977 4.617 DM

Verlust,

1978 11.126 DM

Verlust,

1979 30.661 DM

Gewinn,

1980 31.110 DM

Gewinn.

Demzufolge ergingen am 20. Mai 1983 zum Nachteil der Klägerin geänderte Feststellungsbescheide.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beauftragte der Steuerberater den beklagten Rechtsanwalt, Klage beim Finanzgericht einzureichen. Der Beklagte nahm das Mandat an. Der Ehemann der Klägerin übersandte dem Beklagten deren unterzeichnete Vollmacht und wies darauf hin, daß die Mandatsbedingungen vom Steuerberater unterschrieben würden, weil die Kosten des Prozesses vereinbarungsgemäß zu dessen Lasten gingen. Weiter bat er darum, den Schriftverkehr mit dem Steuerberater zu führen und die Klägerin davon jeweils nachrichtlich zu unterrichten. Besprechungstermine wurden daher ebenfalls nur vom Steuerberater wahrgenommen.

Durch Urteil vom 12. August 1987 wies das Finanzgericht die Klage ab. Es bestätigte die Auffassung der Finanzverwaltung, daß die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ermittelten Verluste nicht berücksichtigt werden könnten, weil es an einem fristgerechten schriftlichen Antrag nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG 1977 fehle. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 6. Oktober 1988 zurückgewiesen. Im August 1989 beauftragte die Klägerin einen Anwalt mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen den Steuerberater. Dieser berief sich auf Verjährung. Deshalb wurde er nicht gerichtlich in Anspruch genommen.

Die Klägerin, die sich eventuelle Ansprüche ihres Ehemannes hat abtreten lassen, ist der Ansicht, der Beklagte habe es schuldhaft versäumt, sie über die Verjährung der Ansprüche gegen den Steuerberater zu belehren und Maßnahmen zur Unterbrechung der Verjährung zu ergreifen. Ihre auf Ersatz daraus entstandener Nachteile von 234.531,93 DM gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Senat hat die Revision nur in Höhe von 32.000 DM nebst Zinsen angenommen.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt in diesem Umfang zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Beklagte die ihm der Klägerin gegenüber obliegenden Beratungspflichten verletzt habe. Trotz des auf die Prozeßführung beschränkten Mandats hätte der Beklagte die Klägerin über die Verjährung der Ansprüche gegen ihren Steuerberater belehren müssen, weil ein erfolgreicher Ausgang des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht gewährleistet gewesen sei.

Der Beratungsfehler sei indessen für den geltend gemachten Schaden nicht kausal geworden. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, daß sie die Pferdezucht als Gewerbebetrieb führe. Nach den Umständen des Falles sei anzunehmen, daß sie nicht die Absicht habe, Gewinne zu erzielen. Bei der Pferdezucht handele es sich daher um Liebhaberei.

II.

Diese Erwägungen tragen in dem Umfang, in dem der Senat die Sache zur Entscheidung angenommen hat, die Klageabweisung nicht.

1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß der Anwaltsvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Dies wird auch von der Revisionserwiderung nicht mehr in Frage gestellt.

2. Der Beklagte hat die Klägerin nicht über die Verjährung der Ersatzansprüche gegen ihren Steuerberater belehrt. Darin ist mit dem Berufungsgericht eine Verletzung der aus dem Mandatsverhältnis herrührenden Beratungspflichten zu sehen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Anwalt die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung wahrzunehmen. Welche konkreten Pflichten aus dem erhaltenen Auftrag abzuleiten sind, richtet sich dabei nach dessen Umfang und den jeweiligen Umständen des Einzelfalles (Senatsurt. v. 17. Dezember 1987 – IX ZR 41/86, NJW 1988, 1079, 1080; v. 6. Februar 1992 – IX ZR 95/91, WM 1992, 742, 743 m.w.N.). Im Streitfall hatte der Beklagte nicht einen umfassenden Beratungsauftrag erhalten. Ihm war lediglich die Führung des Rechtsstreits vor dem Finanzgericht übertragen worden. Aus dem Schreiben des Ehemannes der Klägerin vom 19. September 1983 ergab sich deutlich, daß die Klägerin eine persönliche vollständige Beratung in dieser Angelegenheit nicht wünschte. Der Beklagte war zudem auf die Bereitschaft des Steuerberaters, die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens zu übernehmen, hingewiesen worden. Daraus konnte der Beklagte entnehmen, daß die Klägerin im Falle eines für sie ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits vor dem Finanzgericht ihren Steuerberater regreßpflichtig machen wollte und sich über dessen Pflichtwidrigkeit bereits im Klaren war. Infolgedessen durfte der Beklagte im Grundsatz seine Tätigkeit auf die Prozeßführung beschränken und sich damit begnügen, den Verkehr mit der Partei über deren Steuerberater zu führen.

b) Auch bei einem in solcher Weise eingeschränkten Mandat darf der Rechtsanwalt indes die ihm übertragene Prozeßführung nicht völlig isoliert von den übrigen Interessen des Auftraggebers sehen. Vielmehr hat er die mit dem Rechtsstreit unmittelbar zusammenhängenden rechtlichen und wirtschaftlichen Belange seiner Partei mitzuberücksichtigen und darauf zu achten, daß ihr insoweit nicht durch ein Versäumnis während des Prozesses Nachteile entstehen. Das gilt besonders für Ansprüche, die gegen Dritte – selbständig oder bei ungünstigem Ausgang des Rechtsstreits – in Betracht kommen (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 1971 – VI ZR 140/70, VersR 1971, 1119, 1120; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung 2. Aufl. S. 102; Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht Rdnr. 6, 174). Auch dann, wenn sich das Mandat auf die Verfolgung des Anspruchs gegen eine bestimmte Partei beschränkt, bei negativem Ausgang der Klage aber die Ersatzpflicht eines Dritten in Rede steht, gehört es zum Auftrag des Anwalts zu prüfen, ob insoweit Verjährung droht, und gegebenenfalls darüber zu belehren, welche Maßnahmen zur Vermeidung rechtlicher Nachteile erforderlich sind (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 1971, aaO S. 1121; v. 18. März 1993 – IX ZR 120/92 z. V. b.).

Der Beklagte durfte infolgedessen nicht die Augen davor verschließen, welche Gefahren der Klägerin bei einer langen Prozeßdauer für die Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen den Steuerberater drohen konnten. Im Zivilprozeß bietet sich bei vergleichbarer Sachlage als naheliegender Weg zur Wahrung der Rechte des Mandanten die Streitverkündung (§ 72 ZPO) an, weil sie – abgesehen von der Interventionswirkung – zur Unterbrechung der Verjährung führt (§ 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB). Das finanzgerichtliche Verfahren dagegen kennt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keine Streitverkündung (BFHE 98, 553; Tipke/Kruse, AO/FGO 14. Aufl. § 59 FGO Rdnr. 1). Dieser Umstand hatte auf die dem Beklagten obliegende Sorgfalt indessen keinen Einfluß. Dieser wäre vielmehr gehalten gewesen, der Klägerin andere zur Vermeidung des Eintritts der Verjährung geeignete Wege aufzuzeigen.

c) Der Beklagte hatte aufgrund des Anwaltsvertrages den sichersten Weg zur Wahrung der Rechte der Klägerin zu wählen und sie daher schon rechtzeitig vor Ablauf der Primärverjährung nach § 68 StBerG über die der Durchsetzung der Ansprüche gegen den Steuerberater drohende Gefährdung umfassend zu belehren. Ob ein Sekundäranspruch gegen den Steuerberater entstand, konnte er aufgrund seines Informationsstandes damals nicht sicher überblicken. Er durfte sich deshalb darauf nicht verlassen, daß die Klägerin den Steuerberater auch nach Ablauf der Primärverjährung noch mit Erfolg werde in Anspruch nehmen können.

Nach der damals geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung entstand der Ersatzanspruch gegen den Steuerberater, wenn die dem Steuerpflichtigen nachteilige Steuerfestsetzung auf einer Betriebsprüfung beruhte, mit der Schlußbesprechung (BGHZ 73, 363; BGH, Urt. v. 14. Juli 1982 – IVa ZR 10/81, VersR 1982, 1053), im Streitfall also am 27. Januar 1983. Diese Auffassung hat der erkennende Senat allerdings inzwischen aufgegeben. Nach seiner nunmehr ständigen Rechtsprechung beginnt die Verjährung dieser Ansprüche frühestens mit dem Zugang der aufgrund der Betriebsprüfung erlassenen Bescheide (vgl. Senatsurt. v. 2. Juli 1992 – IX ZR 268/91, NJW 1992, 2766, z.V. in BGHZ 119, 69 bestimmt; v. 3. Dezember 1992 – IX ZR 61/92, NJW 1993, 1139, 1141; v. 10. Dezember 1992 – IX ZR 54/92, NJW 1993, 1137). Da der Rechtsanwalt die geschuldete Beratung jedoch grundsätzlich an der zum Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung auszurichten hat, wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin so frühzeitig zu belehren, daß sie in der Lage gewesen wäre, die zur Vermeidung des Eintritts der Primärverjährung erforderlichen Vorkehrungen bereits vor dem 28. Januar 1986 zu treffen. Als der Beklagte dies versäumt hatte, hätte er die Klägerin zudem auf die Voraussetzungen eines Sekundäranspruchs gegen den Steuerberater und dessen Verjährung hinweisen müssen.

d) Daß ein Schadensersatzanspruch gegen den Steuerberater in Betracht kam, lag für den Beklagten auf der Hand. Der Steuerberater hatte keinen förmlichen Antrag nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. gestellt. Aus diesem Grunde hatte das Finanzamt die Besteuerung nach den für die Klägerin ungünstigen Pauschalsätzen des § 13 a Abs. 3 bis 6 EStG vorgenommen. Im finanzgerichtlichen Verfahren machte die Klägerin geltend, ein Schreiben des Steuerberaters vom 2. September 1977 sei als entsprechender Antrag auszulegen oder in einen solchen umzudeuten. Ob dies rechtlich möglich war oder es zwingend eines förmlichen Antrags bedurfte, wurde damals in der Praxis unterschiedlich beurteilt. Die Frage war höchstrichterlich noch nicht geklärt. Schon bei Klageerhebung war daher ersichtlich, daß im Falle eines für die Klägerin ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits der Steuerberater in Anspruch genommen werden konnte, weil er es versäumt hatte, den zur Wahrung der Interessen der Klägerin gebotenen sichersten Weg zu gehen, also einen förmlichen Antrag nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. einzureichen.

3. Das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten hatte zur Folge, daß die Ansprüche gegen den Steuerberater verjährt sind.

a) Begann die Verjährung mit Zugang der Steuerbescheide vom 20. Mai 1983, war sie spätestens Ende Mai 1986 abgelaufen. Der Sekundäranspruch, der deshalb in Betracht kam, weil der Steuerberater die Klägerin während seines bis zum Ende des finanzgerichtlichen Verfahrens andauernden Mandats nicht über den von ihm begangenen Fehler und die Verjährungsvorschrift des § 68 StBerG belehrt hat, obwohl er dazu aufgrund der Steuerbescheide Veranlassung hatte (vgl. BGHZ 83, 17; 114, 150, 157), war ab Ende Mai 1989 nicht mehr durchsetzbar.

Der Senat hat bisher lediglich entschieden, daß der Schaden frühestens mit Zugang des Steuerbescheids eintritt, und offengelassen, ob die Verjährung in Wirklichkeit erst mit dessen Bestandskraft – hier also gemäß § 115 Abs. 5 Satz 3 FGO mit Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 6. Oktober 1988 (vgl. GmS-OGB NJW 1984, 1027) – beginnt. Die Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung; denn selbst wenn man letzteres annähme, war die Primärverjährung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht abgelaufen. Ein Sekundäranspruch gegen den Steuerberater scheidet in diesem Falle aus, weil die Klägerin im Jahre 1989 einen anderen Anwalt mit der Prüfung und Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen den Steuerberater betraut hat; damit entfiel dessen Verpflichtung, über die Regreßmöglichkeit zu belehren (vgl. Senatsurt. v. 14. November 1991 – IX ZR 31/91, NJW 1992, 836 m.w.N.).

b) Der Beklagte kann der Klägerin auch nicht entgegenhalten, daß – geht man von einem Schadenseintritt erst ab Bestandskraft des Steuerbescheides aus – der Steuerberater noch im Jahre 1989 mit Aussicht auf Erfolg hätte in Anspruch genommen werden können; denn dies war für den Anwalt, der die Klägerin damals vertreten hat, nicht erkennbar.

Bis zum Senatsurteil vom 2. Juli 1992 aaO mußte die Praxis aufgrund der bis dahin geltenden Rechtsprechung davon ausgehen, daß die Verjährung bei einer Betriebsprüfung, die zur Nacherhebung von Steuern führt, mit der Schlußbesprechung beginnt (vgl. BGHZ 73, 363; 114, 150, 155). Infolgedessen durfte der neue Anwalt der Klägerin damals damit rechnen, eine Klage gegen den Steuerberater werde mit Sicherheit wegen Verjährung abgewiesen und sei daher aussichtslos. Das Versäumnis des Beklagten, die Klägerin rechtzeitig auf der Grundlage der seinerzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung über die Verjährung ihrer Ansprüche gegen den Steuerberater zu belehren, hatte daher zumindest zur Folge, daß der im Jahre 1989 eingeschaltete Anwalt aus seiner Sicht verständlich und ohne Verschulden davon abgeraten hat, gegen den Steuerberater gerichtlich vorzugehen. Infolgedessen wäre es selbst dann gerechtfertigt, die Tatsache, daß der Steuerberater nicht mehr auf Leistung von Schadensersatz verklagt wurde, der schuldhaften Pflichtwidrigkeit des Beklagten zuzurechnen, wenn der Senat heute annehmen würde, die Ansprüche gegen den Steuerberater seien im August 1989 noch nicht verjährt gewesen.

4. Der Klägerin ist durch den Fehler des Beklagten ein Schaden entstanden; denn gegen den Steuerberater waren Schadensersatzansprüche wegen der Unterlassung eines förmlichen Antrags nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG begründet.

Soweit die Klägerin ihre Ansprüche darauf stützt, ihr sei durch den Fehler des Steuerberaters die Berücksichtigung der in der Pferdezucht erzielten Verluste unmöglich gemacht worden, hat der Senat die Revision allerdings nicht angenommen. Ein solcher Schaden setzt voraus, daß die Pferdezucht als Gewerbebetrieb in Gewinnerzielungsabsicht geführt wurde (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 2 EStG). Das diese Voraussetzungen verneinende Urteil des Berufungsgerichts hatte insoweit Bestand. Die Revision rügt jedoch zu Recht, die Klägerin sei durch das vom Steuerberater zu vertretende Versäumnis auch dann – allerdings in weit geringerem Umfang – geschädigt worden, wenn die Pferdezucht als Liebhaberei anzusehen sei.

a) Hat der Steuerpflichtige keinen Antrag nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG 1977 gestellt, erfolgt die Besteuerung des landwirtschaftlichen Betriebes in jedem Falle nach den Pauschalsätzen der Abs. 3 bis 6, unabhängig davon, ob im Falle der Antragstellung ein Gewerbebetrieb oder Liebhaberei anzunehmen wäre (BFHE 147, 352, 356; 155, 344). Bei einer Liebhaberei können weder steuerpflichtige Gewinne noch steuermindernde Verluste geltend gemacht werden. Daher hätte die Betriebsprüfung – wäre ein Antrag nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG gestellt worden – weder einen Gesamtgewinn von 61.771 DM für die Jahre 1979 bis 1980 noch einen Verlust von insgesamt 22.954 DM für die Jahre 1975 bis 1978 feststellen können. Folglich wurden die Klägerin und ihr Ehemann insoweit geschädigt, als sie infolge des fehlenden Antrags für den Zeitraum 1975 bis 1980 insgesamt einen um 38.817 DM höheren Gewinn versteuern mußten.

b) Die Revisionserwiderung wendet demgegenüber ein, einen solchen Schaden habe die Klägerin in den Tatsacheninstanzen nicht geltend gemacht. Daran ist richtig, daß die Klägerin ihren Anspruch ausschließlich auf der Grundlage, daß es sich bei der Pferdezucht um einen Gewerbebetrieb handele, berechnet hat. Gleichwohl enthält die Revision entgegen der Meinung des Beklagten insoweit kein neues Vorbringen; denn Ziel der Klage war von Anfang an die Beseitigung des sowohl durch die Nichtberücksichtigung der Verluste als auch durch die Berechnung der Gewinne für die Klägerin entstandenen Nachteils. Dieser ergab sich nach dem Klagevorbringen hinsichtlich der Gewinne ohne weiteres schon aus Rechtsgründen (§ 13 a EStG a.F.). Der Anspruch, um den es nunmehr allein geht, stellt folglich ein Minus gegenüber dem Klagebegehren dar und stützt sich auf einen Sachverhalt, der vom Tatrichter bereits gewürdigt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 28. September 1989 – IX ZR 180/88, BGHR ZPO § 561 Abs. 1 Antragsänderung 1).

c) Allerdings reicht das Tatsachenvorbringen der Klägerin nicht aus, um diesen Schaden zu berechnen. Das kann ihr indes nicht zum Nachteil gereichen. Eine nachvollziehbare Schadensdarlegung fehlt ersichtlich deshalb, weil die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in den Tatsacheninstanzen den sich auch bei Annahme einer Liebhaberei ergebenden Anspruch nicht erkannt hatten. Das Berufungsgericht hätte daher gemäß §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO insoweit einen Hinweis geben müssen. Das ist nur deshalb unterblieben, weil auch das Berufungsgericht die Rechtslage in diesem Punkt nicht erfaßt hat. Der Klägerin muß daher Gelegenheit zu ergänzendem Tatsachenvorbringen gegeben werden.

5. Die Klägerin trifft kein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) an der Entstehung des Schadens.

Der Umstand, daß sie erst im August 1989 – mehr als neun Monate nach Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens – einen Anwalt mit der Wahrung ihrer Interessen gegenüber dem Steuerberater beauftragt hat, begründet nicht den Vorwurf schuldhaften Zögerns. Nach ständiger Rechtsprechung ist dem Auftraggeber in aller Regel nicht schon deshalb ein Mitverschulden anzurechnen, weil er eine Gefahrenlage, zu deren Vermeidung er einen Fachmann hinzugezogen hat, bei genügender Sorgfalt selbst hätte erkennen und abwenden können (BGH, Urt. v. 12. März 1986 – IVa ZR 183/84, WM 1986, 675, 677; v. 17. Oktober 1991 – IX ZR 255/90, NJW 1992, 307, 309). Wie der Senat bereits entschieden hat, kann bei einem uneingeschränkten Beratungsvertrag der Anwalt, der infolge mangelhafter Beratung Rechtsverluste wegen Verjährung zu vertreten hat, grundsätzlich nicht einmal dem rechtskundigen Mandanten entgegenhalten, dieser sei in der Lage gewesen, die Frist selbst unter Kontrolle zu halten (Urt. v. 19. Dezember 1991 – IX ZR 41/91, NJW 1992, 820). Im Streitfall hatte der Beklagte trotz des auf das finanzgerichtliche Verfahren beschränkten Mandats über die Verjährung der Ansprüche gegen den Steuerberater zu belehren, weil die Klägerin infolge ihrer Rechtsunkenntnis insoweit eine entsprechende Aufklärung benötigte. Die Klägerin durfte daher noch im Zeitpunkt der Beendigung des dem Beklagten erteilten Mandats darauf vertrauen, dieser werde ihr einen entsprechenden Hinweis geben, wenn alsbald Maßnahmen zur Wahrung ihrer Rechte gegen den Steuerberater erforderlich seien. Infolgedessen ist allein darin, daß sie die genannte Zeitspanne zugewartet hat, ehe sie anwaltlichen Rat wegen der Pflichtverletzung des Steuerberaters in Anspruch nahm, noch kein schuldhafter Verstoß gegen die eigenen Interessen zu sehen.

III.

Die Klage ist folglich dem Grunde nach gerechtfertigt; zur Feststellung der Schadenshöhe muß die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§§ 304 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO).

 

Fundstellen

NJW 1993, 2045

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