Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeheimbewohner. Einsicht in die Pflegeunterlagen. Übergang auf Sozialhilfeträger. Schadensersatzanspruch. Pflicht zur Verschwiegenheit. Gläubigerwechsel. Einwilligung des Heimbewohners. Einsichtnahme. Pflegedokumentation. Vermutetes Einverständnis. Schweigepflicht. Interesse des Verstorbenen. Geheimhaltungswunsch des Heimbewohners

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der Anspruch des Pflegeheimbewohners auf Einsicht in die Pflegeunterlagen geht gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 401 Abs. 1 analog, § 412 BGB auf den - aufgrund des Schadensereignisses zu kongruenten Sozialleistungen verpflichteten - Sozialversicherungsträger über, wenn und soweit mit seiner Hilfe das Bestehen von Schadensersatzansprüchen geklärt werden soll und die den Altenpflegern obliegende Pflicht zur Verschwiegenheit einem Gläubigerwechsel nicht entgegensteht.

b) Die Pflicht zur Verschwiegenheit steht einem Gläubigerwechsel in der Regel nicht entgegen, wenn eine Einwilligung des Heimbewohners in die Einsichtnahme der über ihn geführten Pflegedokumentation durch den Sozialversicherungsträger vorliegt oder zumindest sein vermutetes Einverständnis anzunehmen ist, soweit einer ausdrücklichen Befreiung von der Schweigepflicht Hindernisse entgegenstehen.

c) Es wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Offenlegung der Pflegedokumentation gegenüber dem Krankenversicherer dem mutmaßlichen Willen des verstorbenen Heimbewohners entspricht, wenn die Entbindung von der Schweigepflicht dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung von Betreuungspflichten des Altenpflegepersonals ermöglichen soll.

 

Normenkette

GG Art. 1, 2 Abs. 1; BGB §§ 242, 401 Abs. 1, §§ 412, 611, 630g Abs. 3 S. 3, § 810; SGB X § 116 Abs. 1 S. 1; StGB § 203 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 23.11.2011; Aktenzeichen 5 S 308/10)

AG Böblingen (Entscheidung vom 22.11.2010; Aktenzeichen 19 C 2234/10)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 23.11.2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung, nimmt den beklagten Heimträger aus übergegangenem Recht einer bei ihr versicherten Heimbewohnerin auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation in Anspruch.

Rz. 2

Die Versicherte zog sich bei einem Sturz in dem von der Beklagten betriebenen Pflegeheim am 13.4.2009 erhebliche Verletzungen zu. Wegen dieser Verletzungen wurde sie stationär in einem Krankenhaus aufgenommen und ärztlich behandelt. Sie verstarb am 4.5.2009. Die für ihre Behandlung und für die Krankenhauspflege entstandenen Kosten i.H.v. 3.182,03 EUR wurden von der Klägerin getragen. Um die Berechtigung eventueller auf sie gem. § 116 SGB X übergegangener Schadensersatzansprüche prüfen zu können, forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr Kopien der über die Versicherte geführten Pflegedokumentation zu überlassen. Die Beklagte lehnte dies ab.

Rz. 3

Das AG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin Kopien der vollständigen Pflegedokumentation über den Aufenthalt der Versicherten für die Zeit vom 1.7.2008 bis 13.4.2009 Zug um Zug gegen Erstattung angemessener Kopierkosten herauszugeben, und festgestellt, dass sich die Beklagte insoweit in Annahmeverzug befindet. Das LG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Anspruch der am 4.5.2009 verstorbenen Versicherten auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gem. § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 401 Abs. 1 analog, § 412 BGB auf die Klägerin übergegangen. Zwar habe die Versicherte die Beklagte nicht von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden. Da sich die Versicherte aufgrund ihres Ablebens mit der Einsichtnahme in die Pflegedokumentation durch die Klägerin nicht mehr einverstanden erklären könne, genüge aber ihre mutmaßliche Einwilligung. Von einer solchen sei vorliegend auszugehen. Zwar komme der Wahrung des Berufsgeheimnisses der Vorrang zu, soweit von der Schweigepflicht her ernstliche Bedenken gegen eine Einsichtnahme in die Dokumentation bestünden. Aus diesem Grund habe der Heimbetreiber gewissenhaft zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass die Verstorbene die Offenlegung der Pflegedokumentation gegenüber ihrer Krankenkasse mutmaßlich gebilligt haben würde. Hierbei sei allerdings zu berücksichtigen, dass das Interesse des Verstorbenen an der Geheimhaltung mit seinem Tode erloschen sein könne und sachfremde, weil nicht von der erkennbar gewordenen oder zu vermutenden Willensrichtung des Verstorbenen gedeckte Gründe eine Verweigerung der Einsicht nicht rechtfertigen könnten. Dazu gehöre in der Regel auch die Befürchtung, dass durch die Einsichtnahme eigenes oder zurechenbares fremdes Verschulden aufgedeckt werden könne. In Fällen wie dem vorliegenden könne nur ausnahmsweise von einem Geheimhaltungswunsch des Heimbewohners ausgegangen werden. Der Heimbetreiber müsse deshalb darlegen, dass und unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht an der Offenbarung der Unterlagen gehindert sehe. Diesen Anforderungen genüge der Beklagtenvortrag nicht. Die Beklagte habe lediglich eine Vielzahl grundsätzlicher, insb. verfassungsrechtlicher Bedenken erhoben. Sie habe hingegen nicht dargelegt, dass sich ihre Weigerung auf konkrete oder mutmaßliche Belange der Verstorbenen stütze. Die Klägerin habe ihr Einsichtsbegehren auch auf einen angemessenen Zeitraum vor dem Ableben begrenzt.

II.

Rz. 5

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherten ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der diese betreffenden Pflegedokumentation für den geltend gemachten Zeitraum zusteht.

Rz. 6

1. Die Revision wendet sich nicht gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Versicherte zu Lebzeiten einen Anspruch gegen die Beklagte auf Einsicht in die über sie geführte Pflegedokumentation hatte. Diese Beurteilung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats steht dem Heimbewohner grundsätzlich ein Einsichtsrecht in die ihn betreffende Pflegedokumentation als Nebenanspruch aus dem Heimvertrag zu (BGH, Urt. v. 23.3.2010 - VI ZR 249/08, BGHZ 185, 74 Rz. 12; v. 23.3.2010 - VI ZR 327/08, VersR 2010, 971 Rz. 11; vgl. auch Harsdorf-Gebhardt, PflR 1999, 252 ff.; Jaeger, MedR 2010, 856; Lauterbach, NJ 2010, 347; Roßbruch, PflR 2010, 257, 262; Schultze-Zeu, VersR 2011, 194 ff.; Schumann, WzS 2010, 261 ff.). Dieser zusätzliche Vertragsanspruch beruht auf der Ausstrahlungswirkung des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auf die vertragliche Beziehung zwischen Heimbewohner und Heimträger (vgl. BVerfG MedR 1993, 232; GRUR-RR 2011, 217, 218; ZUM 2011, 313 Rz. 19, jeweils m.w.N.). Das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Heimbewohners gebieten es, ihm grundsätzlich einen Anspruch einzuräumen, sich über den Inhalt der ihn betreffenden Pflegedokumentation zu informieren. Denn die Pflegeunterlagen mit ihren Angaben über die Pflegeanamnese, Pflegeplanung, Pflegeverlauf und ärztliche Verordnungen betreffen den Pflegebedürftigen unmittelbar in seiner Privatsphäre (vgl. BGH, Urt. v. 23.3.2010 - VI ZR 249/08, BGHZ 185, 74 Rz. 12; v. 23.3.2010 - VI ZR 327/08, VersR 2010, 971 Rz. 11; zur Einsichtnahme in Krankenunterlagen: BVerfG, MedR 1999, 180; MedR 2006, 419). Deshalb hat dieser generell ein geschütztes Interesse daran, zu erfahren, wie mit ihm umgegangen wurde und welche Daten sich dabei ergeben haben. Zur Einsicht in die Pflegedokumentation muss er insb. kein besonderes Interesse darlegen; dieses ergibt sich vielmehr - wie beim Recht des Patienten auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen (vgl. BGH, Urt. v. 2.10.1984 - VI ZR 311/82, VersR 1984, 1171 f.; v. 6.12.1988 - VI ZR 76/88, BGHZ 106, 146, 148; BVerfG, MedR 2006, 419) - unmittelbar aus seinem Selbstbestimmungsrecht (vgl. Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, § 116 SGB X Rz. 161a, (Stand: Juni 2012); Roßbruch, PflR 2010, 257, 262; Schultze-Zeu, VersR 2011, 194, 195; a.A. Harsdorf-Gebhardt, a.a.O., S. 253, 256).

Rz. 7

2. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass der Einsichtsanspruch der Versicherten kraft Gesetzes auf die Klägerin übergegangen ist.

Rz. 8

a) Der erkennende Senat hat mit Urteilen vom 23.3.2010 entschieden, dass der Anspruch des Pflegeheimbewohners auf Einsicht in die Pflegeunterlagen gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 401 Abs. 1 analog, § 412 BGB auf den - aufgrund des Schadensereignisses zu kongruenten Sozialleistungen verpflichteten - Sozialversicherungsträger übergeht, wenn und soweit mit seiner Hilfe das Bestehen von Schadensersatzansprüchen geklärt werden soll und die Altenpflegern obliegende Pflicht zur Verschwiegenheit einem Gläubigerwechsel nicht entgegensteht. Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn eine Einwilligung des Heimbewohners in die Einsichtnahme der über ihn geführten Pflegedokumentation durch den Sozialversicherungsträger vorliegt oder zumindest sein vermutetes Einverständnis anzunehmen ist, soweit einer ausdrücklichen Befreiung von der Schweigepflicht Hindernisse entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 23.3.2010 - VI ZR 249/08, BGHZ 185, 74 Rz. 14 ff., und - VI ZR 327/08, VersR 2010, 971 Rz. 13 ff.). Diese Entscheidungen haben in der Literatur weitgehend Zustimmung erfahren (vgl. Peters-Lange in jurisPK-SGB X, 2013, § 116 SGB X, Rz. 86; Kasseler Kommentar/Kater, a.a.O.; Didong in jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 294a SGB V Rz. 7; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 401 Rz. 4; Lauterbach, NJ 2010, 347; Roßbruch, PflR 2010, 257 ff.; Schultze-Zeu, VersR 2011, 194 ff.; Alberts/Human in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 2012, § 810 BGB Rz. 13; a.A. Pregartbauer/Pregartbauer, VersR 2010, 973 ff.). Sie werden auch von der Revision nicht in Frage gestellt.

Rz. 9

b) Die Versicherte konnte aufgrund ihres Ablebens die Beklagte bzw. die sie betreuenden Altenpfleger nicht mehr von der - sowohl aus dem Heimvertrag als auch aus § 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB (vgl. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AltenpflegeG; OLG Hamm NJW 2007, 849 Rz. 42 f.; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 203 Rz. 35 m.w.N.) abzuleitenden - Pflicht zur Verschwiegenheit befreien.

Rz. 10

c) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Versicherte wäre mit einer Einsichtnahme der Klägerin in die über sie geführte Pflegedokumentation mutmaßlich einverstanden gewesen.

Rz. 11

aa) Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, reicht die Pflicht zur Verschwiegenheit grundsätzlich über den Tod des Betroffenen hinaus (vgl. § 203 Abs. 4 StGB); sie gewährleistet damit, dass geheimhaltungsbedürftige Tatsachen aus seinem Lebensbereich auch nach seinem Ableben nicht oder jedenfalls nicht weiter als nötig aufgedeckt werden (BGH, Urt. v. 31.5.1983 - VI ZR 259/81, VersR 1983, 834, 836; BGH, Beschl. v. 4.7.1984 - IVa ZB 18/83, BGHZ 91, 392, 398). Auch nach dem Tode hängt es in erster Linie vom Willen des Verstorbenen ab, ob und in welchem Umfang der Geheimnisträger zum Schweigen verpflichtet ist. Hat der Verstorbene sich hierüber zu Lebzeiten geäußert, dann ist grundsätzlich dieser Wille maßgebend. Lässt sich dagegen eine Willensäußerung des Verstorbenen nicht feststellen, muss sein mutmaßlicher Wille erforscht, also geprüft werden, ob er die Offenlegung durch den Geheimnisträger mutmaßlich gebilligt oder missbilligt haben würde. Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insb. das Anliegen der Einsicht begehrenden Person sowie der Umstand, dass frühere Geheimhaltungswünsche des Betroffenen infolge der durch sein Ableben veränderten Sachlage inzwischen überholt sein können. Von der erkennbar gewordenen oder zu vermutenden Willensrichtung des Heimbewohners nicht gedeckte Verweigerungsgründe sind sachfremd und daher unbeachtlich (vgl. zum Ganzen: BGH, Urt. v. 31.5.1983 - VI ZR 259/81, VersR 1983, 834, 836; BGH, Beschl. v. 4.7.1984 - IVa ZB 18/83, BGHZ 91, 392, 399; BayObLG NJW 1987, 1492; VerfGH Bayern, MedR 2012, 51, 52; BAG NJW 2010, 1222 Rz. 13; OLG München MDR 2011, 1496; VersR 2009, 982, 983; Fellner, MDR 2011, 1452; vgl. auch § 630g Abs. 3 Satz 3 BGB in der Fassung von Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patienten und Patientinnen vom 20.2.2013, BGBl. I, 277).

Rz. 12

bb) Die Entscheidung, ob der Verstorbene den Heimträger bzw. die ihn betreuenden Altenpfleger mutmaßlich von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden hätte, obliegt dem (jeweiligen) Geheimnisträger. Ihm kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der durch die Gerichte nur eingeschränkt nachprüfbar ist. Denn andernfalls wäre er gezwungen, das möglicherweise schutzbedürftige Geheimnis preiszugeben. Der Geheimnisträger ist deshalb zu einer gewissenhaften Überprüfung verpflichtet, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verstorbene die ganze oder teilweise Offenlegung der Pflegeunterlagen gegenüber seinen Rechtsnachfolgern mutmaßlich missbilligt haben würde. Um dem Gericht eine Überprüfung zu ermöglichen, ob der Geheimnisträger den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum eingehalten hat, hat der Geheimnisträger allerdings darzulegen, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht. Dabei genügt es nicht, wenn er sich nur auf grundsätzliche Erwägungen oder die besondere Bedeutung der Pflicht zur Verschwiegenheit beruft. Vielmehr muss er nachvollziehbar vortragen, dass sich seine Weigerung auf konkrete oder mutmaßliche Belange des Verstorbenen und nicht auf sachfremde Gesichtspunkte stützt. Die Substantiierung ist allerdings nicht in einem Umfang geschuldet, dass die damit zu rechtfertigende Geheimhaltung im Ergebnis unterlaufen würde (vgl. BGH, Urt. v. 31.5.1983 - VI ZR 259/81, VersR 1983, 834, 836; BGH, Beschl. v. 4.7.1984 - IVa ZB 18/83, BGHZ 91, 392, 399 f.; BayObLG NJW 1987, 1492, 1493; VerfGH Bayern, MedR 2012, 51, 52; OLG München MDR 2011, 1496; VersR 2009, 982, 983; Wenzel/Müller, Der Arzthaftungsprozess, Rz. 1637; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl. Rz. 563; Schultze-Zeu, VersR 2009, 1050, 1052; Lauterbach, NJ 2010, 347; Fellner, MDR 2011, 1452; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl., Kap. IX Rz. 19 Fn. 29, Rz. 63 ff.). Sofern die von dem Geheimnisträger in diesem Rahmen angeführten Gründe nicht nachvollzogen werden und eine Weigerung nicht rechtfertigen können, ist von einer mutmaßlichen Einwilligung in die Offenlegung der Unterlagen auszugehen (vgl. BayObLG NJW 1987, 1492, 1493; OLG München MDR 2011, 1496; VersR 2009, 982, 983).

Rz. 13

cc) In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Entbindung von der Schweigepflicht dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung von Betreuungspflichten des Altenpflegepersonals ermöglichen soll, wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Offenlegung der Unterlagen gegenüber dem Krankenversicherer dem mutmaßlichen Willen des verstorbenen Heimbewohners entspricht (so auch OLG München MDR 2011, 1496; Fellner, MDR 2011, 1452, 1453; Lauterbach, NJ 2010, 347; Schultze-Zeu, VersR 2009, 1050, 1052; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rz. 563; Alberts/Human in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, a.a.O.). Es ist davon auszugehen, dass der Bewohner eines Altenpflegeheims, der im Heim zu Schaden gekommen ist, sowohl an der Aufdeckung von Pflegefehlern als auch daran interessiert ist, dass etwaige gegen den Heimträger bestehende Schadensersatzansprüche von diesem ausgeglichen werden und nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten gehen (vgl. OLG München MDR 2011, 1496; Fellner, MDR 2011, 1452, 1453; Lauterbach, NJ 2010, 347). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ein nicht unerheblicher Teil der in der Pflegedokumentation enthaltenen sensiblen Gesundheitsdaten seines Versicherten (ärztliche Diagnose, Behandlungsweise, Verordnungen) aufgrund der Erbringung von Leistungen bereits bekannt ist, so dass dessen Geheimhaltungsinteresse entsprechend reduziert ist (vgl. zur Datenübermittlung von den Leistungserbringern an die Krankenkassen: §§ 106, 106a Abs. 1, 3, 275, 277, 284, 294 ff., 301 SGB V sowie BSGE 90, 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 16, Rz. 18 ff.; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, a.a.O., Rz. 21).

Rz. 14

dd) Nach diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu Recht von einer mutmaßlichen Einwilligung der Versicherten in die Überlassung von Kopien ihrer Pflegeunterlagen an die Klägerin ausgegangen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen hat die Beklagte keine Tatsachen vorgetragen, die ihre ablehnende Entscheidung nachvollziehbar erscheinen lassen, sondern ihre Weigerung lediglich auf nicht ausreichende grundsätzliche Bedenken gestützt.

 

Fundstellen

EBE/BGH 2013, 133

FamRZ 2013, 950

FuR 2013, 524

BtPrax 2013, 111

JZ 2013, 290

KrV 2013, 180

MDR 2013, 653

NZS 2013, 553

VersR 2013, 648

ZfSH/SGB 2013, 341

GesR 2013, 343

PflR 2013, 366

ZD 2014, 87

r+s 2013, 522

FSt 2014, 129

R&P 2013, 150

SRA 2013, 164

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