Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung. Allgemeine Versicherungsbedingungen. Invaliditätsleistungen. Unfallbedingte Invalidität. Leistungsausschluss. Krankhafte Störung infolge psychischer Reaktion. Inhaltskontrolle. Transparenzgebot

 

Leitsatz (amtlich)

Der Leistungsausschluss in § 2 Abs. 4 AUB 94 für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen ist nicht unklar (§ 5 AGBG, § 305c Abs. 2 BGB); er hält einer Inhaltskontrolle stand (§ 9 AGBG, § 307 BGB).

 

Normenkette

AGBG §§ 5, 9; AUB 94 § 2 Abs. 4

 

Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Urteil vom 16.04.2003; Aktenzeichen 5 U 49/01-5-)

LG Saarbrücken

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen OLG v. 16.4.2003 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Unfallversicherung, der u.a. die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 94) der Beklagten zu Grunde liegen.

Er behauptet, er sei am 1.10.1996 von einer Leiter gefallen und mit dem Hinterkopf auf den Boden aufgeschlagen. Dabei habe er einen Gehirnschaden davongetragen, der epileptische Anfälle verursache, die allein zu einer 55 %igen Invalidität führten, sowie einen Hörschaden erlitten. Die Beklagte hat nach einem im Dezember 1997 eingeholten ersten HNO-ärztlichen Gutachten vorläufig eine 10 %ige Invalidität wegen des Hörschadens zu Grunde gelegt und einen Vorschuss von 12.000 DM gezahlt. Auf der Grundlage einer von ihr 1999 veranlassten neurologischen und weiteren HNO-ärztlichen Begutachtung hat sie sodann eine unfallbedingte Invalidität überhaupt bestritten. Soweit der Kläger an psychisch bedingten Beschwerden leide, beruft sie sich auf den Leistungsausschluss in § 2 Abs. 4 AUB 94, der lautet:

"Nicht unter den Versicherungsschutz fallen:

...

IV. Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen gleichgültig, wodurch diese verursacht sind."

Der Kläger verlangt wegen Hirnleistungsstörungen und Hörschäden eine Invaliditätsentschädigung i.H.v. 132.000 DM. Seine Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er das Zahlungsbegehren insgesamt weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Dem Kläger stehen wegen des Leitersturzes keine Invaliditätsleistungen aus der Unfallversicherung zu.

I. Das Berufungsgericht (r+s 2003, 470) hat festgestellt, der Kläger habe zwar über die Zeugenaussage seines Sohnes nachgewiesen, dass sich der Unfall, so wie von ihm behauptet, zugetragen habe. Er habe aber nicht nachweisen können, dass eine versicherte Invalidität i.S.d. § 7 Abs. 1 AUB 94 eingetreten sei.

Auf die vom ohrenärztlichen Sachverständigen angeregte psychiatrische Beurteilung, ob der vom Kläger berichtete Schwindel neurotischer Natur ohne fassbares organisches Korrelat sei, es sich also um einen psychogenen Schwindel handele, komme es wegen § 2 Abs. 4 AUB 94 nicht an. Diese Klausel halte einer AGB-rechtlichen Kontrolle stand.

Sie verstoße nicht infolge von Intransparenz gegen § 9 Abs. 1 AGBG. Bei unbefangener Lesart erfasse diese Klausel nur Gesundheitsbeeinträchtigungen, die ausschließlich auf einem seelisch bedingten Ursachenzusammenhang, nicht aber auf einer unfallbedingten organischen Schädigung beruhten. Dieses Verständnis werde von den systematischen und wertenden Erwägungen, die bereits bei den Leistungsausschlüssen in §§ 2 Abs. 3 lit. b und 10 Abs. 5 AUB 61 eine Rolle gespielt hätten, bestätigt. Schwierigkeiten bei der Feststellung der Ursachen für psychisch empfundene Beschwerden führten nicht zur Intransparenz.

Der Leistungsausschluss gefährde auch nicht den Vertragszweck i.S.v. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG. Dieser sei über § 1 AUB 94 nicht durch einen umfassenden, tariflich nur schwer kalkulierbaren Schutz bei jedweder gesundheitsrelevanten Schädigung, sondern in erster Linie dadurch gekennzeichnet, körperliche Beeinträchtigungen zu versichern.

Das hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

II. Die Revision nimmt hin, dass der Kläger nicht an einer unfallbedingten organisch-körperlichen Störung bzw. einer psychischen Erkrankung als Manifestation einer solchen Schädigung leidet. Sie wendet sich nur gegen die Wirksamkeit des Leistungsausschlusses in § 2 Abs. 4 AUB 94. Dabei macht sie sich im Wesentlichen die Ausführungen von Schwintowski (Schwintowski, NVersZ 2002, 395 ff., Anm. zu OLG Jena VersR 2002, 1019 f. = NVersZ 2002, 402 f.) zu eigen, der die Klausel für intransparent hält. Die Klausel gefährde zudem den Vertragszweck, was zu einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers führe (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG - jetzt § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB), und sei eindeutig unklar (§ 5 AGBG - jetzt § 305c Abs. 2 BGB).

Damit vermag die Revision nicht durchzudringen. Der in § 2 Abs. 4 AUB 94 festgelegte Leistungsausschluss hält einer Bedingungskontrolle stand. Die Klausel ist wirksam.

1. a) Vor der Bedingungskontrolle ist die Klausel zunächst auszulegen, um Klarheit über ihren zu kontrollierenden Inhalt zu schaffen (BGH, Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 137/98, MDR 1999, 1065 = VersR 1999, 745, unter II 1 b). Dem folgt an sich auch das Berufungsgericht, wenn es - allerdings innerhalb der Transparenzprüfung - eine nähere Festlegung des Verständnisses der Klausel vornimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGH v. 23.6.1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 [85] = MDR 1993, 841 und ständig).

b) Danach ist die Klausel wie folgt auszulegen:

Ausgehend vom Wortlaut wird der Versicherungsnehmer erkennen, dass die AUB 94 zunächst generell und umfassend Leistungen für Unfallfolgen einschließlich psychischer Folgen zusagen (§§ 1, 7 Abs. 1 S. 1 AUB 94; vgl. Knappmann, NVersZ 2002, 1 [4]). Bei Durchsicht des in § 2 AUB 94 enthaltenen Katalogs der "Ausschlüsse" wird er sodann gewahr, dass diese allgemeine Leistungszusage nicht uneingeschränkt gelten soll, vielmehr der Versicherungsschutz bei einer genau umschriebenen Art von Unfällen und Gesundheitsschädigungen (I, II), bei speziellen Verletzungsfolgen (III) und bei psychisch vermittelten Krankheitszuständen (IV) nicht gelten soll. Bei Letzteren wird ihm die weite Fassung dieses Ausschlusses vor Augen geführt, mit dem krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen gleichgültig, wodurch diese verursacht worden sind, vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. Das erfasst Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen, die sowohl auf Einwirkungen von außen über Schock, Schreck, Angst und ähnliches erfolgen, als auch auf unfallbedingter Fehlverarbeitung beruhen (BGH, Urt. v. 19.3.2003 - IV ZR 283/02, MDR 2003, 741 = BGHReport 2003, 654 = VersR 2003, 634, unter II 2; OLG Koblenz v. 22.6.2001 - 10 U 686/99, OLGReport Koblenz 2001, 491 = VersR 2001, 1550 f.; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 26. Aufl., § 2 AUB 88 Rz. 40).

Damit werden ihm auch die für den Versicherungsschutz vorausgesetzten Zusammenhänge zwischen den Gesundheitsschäden und ihren Ursachen deutlich. Fehlt es an körperlichen Traumata oder kann die krankhafte Störung des Körpers nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden, will der Versicherer keinen Versicherungsschutz übernehmen (Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 2 AUB Rz. 108). Anders dagegen soll - wie schon das Berufungsgericht zutreffend sieht - Versicherungsschutz bestehen, wenn er durch den Unfall beispielsweise hirnorganisch beeinträchtigt wird, was dann seine Psyche krankhaft verändert (Knappmann, NVersZ 2002, 1 [4]). Die organische Schädigung oder Reaktion, die zu einem psychischen Leiden führt, vermag den Ausschlusstatbestand nicht auszulösen; diese seelischen Beschwerden beruhen dann nicht, wie von der Klausel wörtlich verlangt, ihrerseits auf psychischen Reaktionen, sondern sind physisch hervorgerufen und mithin nicht vom Ausschluss erfasst. Diese Auslegung beruht nicht etwa, wie die Verständnisbetrachtung des Berufungsgerichts nahe legen könnte, auf systematischen und wertenden Erwägungen zur Vorgängerklausel in den AUB 61, die der durchschnittliche Versicherungsnehmer aber nicht kennt, sondern allein auf den Erkenntnismöglichkeiten bei umsichtiger Beschäftigung mit dem Klauselwerk seines Versicherungsvertrages (vgl. BGH, Urt. v. 17.5.2000 - IV ZR 113/99, MDR 2000, 1248 = VersR 2000, 1090, unter 2).

2. Die Bestimmung des § 2 Abs. 4 AUB 94 ist nach dieser Auslegung nicht unklar i.S.v. § 5 AGBG und hält auch einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.

a) Unklar gem. § 5 AGBG sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (BGH v. 4.7.1990 - VIII ZR 288/89, BGHZ 112, 65 [68 f.] = MDR 1990, 1105 = CR 1991, 407; Urt. v. 11.3.1997 - X ZR 146/94, MDR 1997, 1007 = NJW 1997, 3434, unter 1 b). Das ist nach dem zuvor gewonnenen Auslegungsergebnis nicht der Fall. Aus der maßgeblichen Sicht des Versicherungsnehmers bleiben keine Zweifel, dass alle durch psychische Reaktionen hervorgerufenen Schäden ausgeschlossen werden sollen; dass er keine Leistungen vom Versicherer erhalten soll, wenn und soweit sich psychische Reaktionen auf seinen Zustand nach dem Unfall auswirken, ist eindeutig und unmissverständlich (Knappmann, NVersZ 2002, 1 [4]). Für § 5 AGBG ist danach kein Raum (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.1992 - X ZR 74/91, MDR 1993, 621 = CR 1993, 355 = NJW 1993, 657, unter II 2).

Anderes vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen, wenn sie darauf verweist, dass die Begriffe "krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen" im Wesentlichen aus Unsicherheiten bestünden, sie deswegen für einen Risikoausschluss besonders ungeeignet und Klauseln mit derart mehrdeutigen Begriffen gem. § 5 AGBG unwirksam seien. Das läuft - worauf auch der Hinweis auf BGHZ 147, 354 [361] (BGH v. 9.5.2001 - IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 [361] = MDR 2001, 1055 = BGHReport 2001, 542) mit der dort behandelten Transparenzprüfung hindeutet - in der Sache darauf hinaus, die Unklarheitenregel als ein Mittel verdeckter Inhaltskontrolle einzusetzen. Ein solcher Ansatz ist jedoch überholt und nicht mehr zu rechtfertigen (Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 5 AGBG Rz. 8). Unklarheitenregelung und Inhaltskontrolle unterliegen eigenen spezifischen Prüfungskriterien und dürfen so nicht miteinander vermischt werden.

Entgegen der Auffassung der Revision zeigt auch die jüngere Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht, dass diese Klausel unterschiedlich ausgelegt wird (vgl. OLG Köln v. 12.1.2000 - 5 U 194/98, VersR 2000, 1489 f.; OLG Frankfurt v. 22.7.1999 - 3 U 262/94, OLGReport Frankfurt 2000, 27 ff.; mit Nichtannahmebeschluss des BGH v. 20.9.2000 - IV ZR 194/99; OLG Oldenburg r+s 2004, 34 f.; mit Nichtzulassungsbeschluss des BGH v. 26.3.2003 - IV ZR 342/02; LG Landshut ZfS 1998, 23). Wie selbst die Revision zugesteht, sollen darin (bloß) Schwierigkeiten bei der "rechtlichen Handhabung" der Klausel zum Ausdruck kommen. Das betrifft jedoch keine verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten im Sinne von nicht behebbaren Zweifeln für die Unterscheidung zwischen physisch ausgelösten versicherten und nichtversicherten psychogenen Gesundheitsschäden. Etwaige Schwierigkeiten bei den im Einzelfall insoweit zu treffenden Feststellungen lassen eine im Übrigen klare Abgrenzungsregelung ohnehin nicht unklar werden.

Die Unklarheitenregelung des § 5 AGBG wird nach alledem durch die in der Klausel festgeschriebene Ausgrenzung psychisch reaktiver Gesundheitsschäden vom Versicherungsschutz nicht betroffen.

b) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass § 8 AGBG (jetzt § 307 Abs. 3 BGB) eine Inhaltskontrolle nach den §§ 9-11 AGBG nicht hindert, weil die Klausel nach ihrem Wortlaut und erkennbaren Zweck das schon in § 1 AUB 94 i.V.m. § 7 AUB 94 gegebene Hauptleistungsversprechen lediglich beschränkt, indem sie aus dem Kreis der versicherten, also an sich entschädigungspflichtigen unfallbedingten Gesundheitsschäden, die krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen ausschließt. Solche leistungsbeschränkenden Klauseln sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats kontrollfähig (BGH v. 24.3.1999 - III ZR 90/98, BGHZ 141, 137 [140 ff.]; v. 23.6.1999 - IV ZR 136/98, BGHZ 142, 103 [109 ff.] = MDR 1999, 1324; Urt. v. 21.2.2001 - IV ZR 11/00, MDR 2001, 812 = BGHReport 2001, 371, VersR 2001, 576, unter 1; v. 30.10.2002 - IV ZR 60/01, MDR 2003, 217 = BGHReport 2003, 109 = GesR 2003, 54 = VersR 2002, 1546, unter II 1). Gegen diese Beurteilung wendet sich auch die Revisionserwiderung nicht.

aa) Die Ausgrenzung psychisch reaktiver Gesundheitsschäden gefährdet den Vertragszweck nicht i.S.v. § 9 Abs. 2 S. 2 AGBG. Nicht jede Leistungsbegrenzung bedeutet schon eine Vertragszweckgefährdung, sondern ist zunächst grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer nicht falsche Vorstellungen erweckt (BGH v. 24.3.1999 - III ZR 90/98, BGHZ 141, 137 [143]). Eine Gefährdung ist daher erst dann anzunehmen, wenn mit der Einschränkung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt werden kann und damit der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (BGH v. 19.11.1997 - IV ZR 348/96, BGHZ 137, 174 [176] = MDR 1998, 284 und ständig).

Das ist hier nicht der Fall. Der zugesagte Unfallversicherungsschutz für von außen auf den Körper wirkende Ereignisse (§ 1 Abs. 3 AUB 94) bleibt von dieser Klausel für alle Gesundheitsschäden - also einschließlich psychischer Leiden - unangetastet, soweit sich die Beschwerden nicht als Folge psychischer Reaktionen darstellen. Es trifft daher schon nicht zu, dass - wie die Revision meint - bei Wirksamkeit des § 2 Abs. 4 AUB 94 für seelische Unfallfolgen aller Art zumeist ein Leistungsausschluss zu Gunsten des Versicherers gegeben wäre. Für den gesamten Bereich physisch vermittelter Unfallschädigungen greift dieser Ausschluss nicht. Bereits deswegen scheidet eine Aushöhlung des Unfallversicherungsvertrages aus; sein Zweck, Schutz vor Unfallrisiken zu bieten, wird in diesem weit gespannten Bereich ausreichend erfüllt.

bb) Der Ausschluss der psychischen Reaktionen benachteiligt den Versicherungsnehmer auch im Übrigen nicht unangemessen (§ 9 Abs. 1 S. 1 AGBG). Mit dem Ausschluss knüpft die bedingungsgemäße Entschädigung von Unfallschäden an objektiv erfassbare Vorgänge an. Das trägt dem Interesse des Versicherers an einer möglichst zuverlässigen Tarifkalkulation und an einer zeitnahen, mit vertretbarem Kostenaufwand ergehenden Entscheidung über die Entschädigung Rechnung. Andererseits liegen eine zügige Regulierung und günstige Prämien auch im Interesse des Versicherungsnehmers (vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 27.11.1997 - 4 U 161/96, OLGReport Düsseldorf 1998, 184 = VersR 1998, 886 f.; Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 2 Rz. 103, 108). Eine möglichst reibungslose, kostengünstige Vertragsabwicklung wäre bei der Einbeziehung von psychogenen Schäden so nicht mehr gewährleistet. Denn diese Schäden hängen stark auch von den persönlichen Dispositionen eines Versicherungsnehmers ab, und als Auslöser kommt praktisch jedwedes Geschehen in der Außenwelt in Betracht. Zu Recht weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass zur Feststellung solcher zu entschädigender unfallbedingter Folgen regelmäßig langwierige, ggf. stationäre Untersuchungen erforderlich werden, um einigermaßen verlässliche Feststellungen treffen zu können, ob eine krankhafte psychische Reaktion vorliegt und diese dann auch auf dem Unfall beruht. Die von der Revision gezogene Parallele zum Haftungsrecht, bei dem auch der Schädiger grundsätzlich sogar für psychische Fehlverarbeitungen als Folge eines Unfalls einzustehen habe (vgl. nur BGH v. 30.4.1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341 ff. = MDR 1996, 886; v. 11.11.1997 - VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142 ff. = MDR 1998, 157), überzeugt nicht. Denn es ist gerade das erkennbare Ziel dieser Regelung, den schadensersatzrechtlichen Problemen zu entgehen (vgl. OLG Düsseldorf v. 27.11.1997 - 4 U 161/96, OLGReport Düsseldorf 1998, 184 = VersR 1998, 886 f.). Die Forderung, aus Billigkeitserwägungen Unfallversicherungsschutz im Umfang der deliktischen Schadensersatzpflicht anzuerkennen, findet ihre Grenzen in der Vertragsgestaltung. Der angebotene und vom Versicherungsnehmer genommene, in den AUB klar und unmissverständlich umschriebene Versicherungsschutz (so bereits BGH, Urt. v. 19.4.1972 - IV ZR 50/71, NJW 1972, 1233, unter II) steht darüber hinausgehenden Leistungswünschen entgegen.

cc) § 2 Abs. 4 AUB 94 genügt auch den Anforderungen des sich aus § 9 AGBG ergebenden Transparenzgebotes. Die Regelung benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen. Insbesondere führt sie ihm ausreichend klar und verständlich vor Augen, was er zu erwarten hat (vgl. BGH v. 24.3.1999 - III ZR 90/98, BGHZ 141, 137 [143]). Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH v. 9.5.2001 - IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 [362] = MDR 2001, 1055 = BGHReport 2001, 542 und ständig). Diesen Erfordernissen wird § 2 Abs. 4 AUB 94 gerecht.

Die von der Revision vermisste klare Grenzziehung zwischen physischen und psychischen Reaktionen stellt das nicht infrage. Es mag sein, dass es im Rahmen der so genannten Leib-Seele-Diskussion unterschiedliche medizinische, psychologische und philosophische Ansätze gibt, krankhafte Störungen diesen Bereichen zuzuordnen, der Begriff "psychische Reaktionen" in Abgrenzung zu physischen deswegen nicht leicht auszufüllen ist, der danach fragende Versicherungsnehmer vom Agenten im Beratungsgespräch nicht stets eine trennscharfe Antwort erhalten wird und dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer eine abstrakte Unterscheidung bei den denkbaren Fallgestaltungen nicht immer möglich ist. Dadurch wird der Ausschluss aber nicht intransparent. Entgegen Schwintowski (Schwintowski, NVersZ 2002, 395 [396]) fehlt der Klausel damit nicht ein halbwegs klarer und justiziabler Begriffskern. Diese Erwägungen betreffen vielmehr - vergleichbar der Prüfung gem. § 5 AGBG - die Anforderungen an die im Einzelfall zu treffenden Feststellungen und die Frage, zu wessen Lasten es geht, wenn insoweit etwas nach den derzeit gegebenen Erkenntnismöglichkeiten offen bleibt. Einem potenziellen Versicherungsnehmer wird mit dieser Formulierung jedoch deutlich vor Augen geführt, dass er nur für physisch vermittelte Gesundheitsschäden Unfallschutz erhält. Er kann damit erkennen, dass er durch den Unfall körperlich/organisch betroffen sein muss, wodurch seine Beschwerden, wegen derer er sich auf bedingungsgemäße Invalidität beruft, hervorgerufen werden. Dieser Klauselinhalt ist transparent. Er wird durch die nach den allgemeinen Regeln bestehende Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten nicht intransparent.

Der Nachweis unfallbedingter Invalidität obliegt dem Versicherungsnehmer, wobei für die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitsschadens und seiner Dauerhaftigkeit der Maßstab des § 286 ZPO und dafür, ob der unfallbedingte Gesundheitsschaden für die bewiesene Invalidität ursächlich war, die Beweiserleichterung des § 287 ZPO gilt (BGH, Urt. v. 17.10.2001 - IV ZR 205/00, BGHReport 2002, 153 = NJW-RR 2002, 166; v. 12.11.1997 - IV ZR 191/96, r+s 1998, 80; jeweils m.w.N.). Dagegen steht es zur Beweislast des Versicherers, will er sich auf den Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB 94 berufen (vgl. BGH v. 27.9.1995 - IV ZR 283/94, BGHZ 131, 15 ff. [21] = MDR 1996, 50; Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 2 Rz. 109). Danach muss der Versicherer beweisen, dass und vor allem in welchem Umfang psychische Reaktionen den krankhaften Zustand hervorgerufen haben (Knappmann, NVersZ 2002, 1 [4]; Knappmann, VersR 2002, 1230, Anm. zu OLG Jena VersR 2002, 1019 f. = NVersZ 2002, 402 f.). Die sich in Fällen sog. Mitursächlichkeit bei den Unfallfolgen möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten ändern an dieser die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigenden Beweislastverteilung nichts; nicht zu klärende Unklarheiten über Beitrag und Gewicht etwaiger psychischer Reaktionen gehen zu Lasten des Versicherers (Knappmann, NVersZ 2002, 1 [4]).

Die in § 2 Abs. 4 AUB 94 verwendeten Begriffe hindern einen Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss jedenfalls nicht daran zu erkennen, was ihn erwartet, und machen den Ausschlusstatbestand auch nicht injustiziabel. Probleme können im Einzelfall bei der Feststellung der Wirkungszusammenhänge und der Anwendung des Feststellungsergebnisses auf den vorgegebenen rechtlichen Rahmen entstehen. Das gehört aber zur üblichen forensischen Praxis. Schwierigkeiten dieser Art kann durch eine ausgiebige sachverständige Unterstützung und eine ausgewogene Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten begegnet werden. Der Versicherungsnehmer wird damit auch nicht unter Transparenzgesichtspunkten entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Nachteile und Belastungen, die mit der den gewählten Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel verbunden sind, werden ihm, soweit dies nach den Umständen möglich ist, deutlich gemacht. Der von der Revision geforderten Benennung und Konkretisierung einzelner Arten von psychischen Reaktionen (vgl. Schwintowski, NVersZ 2002, 395 [396 f.]) bedarf es dafür gerade nicht. Unabhängig davon, inwieweit eine umfängliche Auflistung psychischer Vorgänge detailliert überhaupt möglich ist, wäre das rechtlich nicht zu beanstandende Ziel (vgl. vorstehend unter III. 1.), diesen Risikobereich überhaupt auszuklammern, damit schwerlich zu erreichen. Dem Transparenzgebot wird genügt, wenn der Versicherungsnehmer diese Zielsetzung und den danach bestehenden Umfang der angebotenen Versicherung erkennt. Das ist bei § 2 Abs. 4 AUB 94 - wie ausgeführt - der Fall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1193369

BGHZ 2005, 360

NJW 2004, 2589

BGHR 2004, 1411

MDR 2004, 1353

NZV 2004, 567

VersR 2004, 1039

ZfS 2004, 422

IVH 2004, 201

JWO-VerbrR 2004, 249

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