Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 02.09.1998; Aktenzeichen 23 O 14/97)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2.9.1998 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 23 O 14/97 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst: Die Klage wird abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

1.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch in der Sache begründet. Entgegen der Annahme des Landgerichts ist nämlich beim Kläger über den von der Beklagten anerkannten Invaliditätsgrad von 50 % hinaus kein höherer Invaliditätsgrad gegeben mit der Folge, dass der Kläger über den erhaltenen Betrag von 50.000,– DM hinaus (= 50 % der vereinbarten Versicherungssumme ohne Einbeziehung der Progressionsstaffel, über deren Eintrittsvoraussetzungen und Höhe die Parteien im vorliegenden Verfahren nicht streiten) keine weitere Invaliditätsentschädigung für die aufgrund des Arbeitsunfalls am 7.5.1994 erlittenen Kopfverletzungen verlangen kann.

Zu dem für den unstreitig erlittenen vollständigen Hörverlust auf dem linken Ohr gemäß § 7 I (2) a) AUB 88 in Ansatz zu bringenden Invaliditätsgrad von 30 % tritt nämlich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lediglich ein weiterer Invaliditätsgrad von 10 % für die als Unfallfolge eingetretenen dauerhaften Schwindel- bzw. Gleichgewichtsstörungen.

Der außerdem unstreitig als Unfallfolge eingetretene linksseitige Tinnitus rechtfertigt dagegen entgegen der Annahme des Klägers nicht die Zuerkennung eines höheren Invaliditätsgrades mit der Folge, dass dem Kläger gegen die Beklagte, die ihm gegenüber bereits auf der Basis der Annahme eines 50 %igen Invaliditätsgrades Leistungen aus der bestehenden Unfallversicherung erbracht hat, keine weiteren Ansprüche zustehen.

a.

Entgegen der Ansicht der Beklagten unterfällt zwar der beim Kläger eingetretene Tinnitus wegen des zugleich eingetretenen vollständigen Hörverlustes auf dem linken Ohr nicht zugleich der Gliedertaxe gemäß § 7 I (2) a) AUB 88; deshalb ist nicht davon auszugehen, dass der für den Verlust des Gehörs nach der Gliedertaxe anzusetzende Invaliditätsgrad von 30 % beides (Hörverlust und Tinnitus) abdeckt. Vielmehr ist der Tinnitus daneben grundsätzlich als eigenständige Funktionsstörung gemäß § 7 I (2) c) AUB 88 zu beurteilen mit der Folge, dass insoweit das Vorliegen eines in Betracht kommenden eigenständigen Invaliditätsgrades getrennt zu prüfen ist.

Der in der Gliedertaxe wörtlich und konkret aufgeführte Fall bezieht sich nämlich lediglich auf Verlust oder Funktionsunfähigkeit „des Gehörs auf einem Ohr”. Der eingetretene Tinnitus hat indes mit dem Gehör insoweit nichts zu tun, als man diesen Begriff mit der Definition „hören” oder „Hörfähigkeit” gleichsetzen muss, also auf das Hören von außen an das Ohr herangetragener Töne abzustellen hat. Nur in dieser Weise ist die vorgegebene Formulierung nach Auffassung des Senats zu verstehen. Bei dem Tinnitus handelt es sich hingegen um eine Funktionsstörung der Hörsinneszellen oder des Hörnervs, die vorliegend durch die linksseitig erlittene Schädelbasisfraktur hervorgerufen wurde. Der Sachverständige Dr. M. hat hierzu auch ausdrücklich aufgeführt, dass das Ohrgeräusch unabhängig von der Taubheit und dem Ausfall des Gleichgewichtsorgans ein selbständiges Symptom dieser Schädigung darstellt. Im übrigen handelt es sich um eine vom Geschädigten subjektiv als Geräusch empfundene Störung von innen, d.h. aus dem Kopf selbst, und nicht um die Verarbeitung bzw. Sinneswahrnehmung eines von außen an das Ohr herangetragenen Tones.

Der aufgetretene Tinnitus ist schließlich als selbständige zum Hörverlust hinzutretende Unfallfolge auch den daneben eingetretenen Gleichgewichtsstörungen vergleichbar, hinsichtlich derer die Beklagte selbst die eigenständige Bewertungsmöglichkeit eines Invaliditätsgrades gemäß § 7 I (2) c) AUB 88 nicht in Frage stellt. Auch der Gleichgewichtssinn wird nämlich maßgeblich „vom Ohr” bestimmt, ohne dass Anlass besteht, die insoweit eingetretene Funktionsstörung als Verlust bzw. Funktionsunfähigkeit des Gehörs im Sinne von § 7 I (2) a) AUB 88 einzuordnen. Dieser Vergleich macht deshalb evident, dass der Tinnitusneben dem erlittenen Verlust des Gehörs auf dem betreffenden Ohr-eine eigenständige Funktionsbeeinträchtigung eines Sinnesorgans darstellt, deren besondere Bemessung und Abgeltung grundsätzlich in Betracht kommt.

b.

Eine Invaliditätsentschädigung für den beim Kläger eingetretenen Tinnitus kommt aber gleichwohl nicht in Betracht, weil die geltend gemachten dadurch bedingten krankhaften Störungen sich als psychische Reaktionen darstellen, ihre Entschädigung mithin gemäß § 2 IV AUB 88 ausgeschlossen ist.

Der dort genannte Ausschlusstatbestand ist nämlich erfüllt, obwohl der Tinnitus als solcher nicht ausschließlich auf einer psychischen Reaktion beruht, sondern durchaus als unmittelbare Folge des in Rede stehenden Unfallereignisse...

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