Leitsatz (amtlich)

Bei allen – auch kleineren – Bauaufträgen muß jede in gegenüber einem Kaufmann verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Vereinbarung einer Vertragsstrafe, deren Höhe sich nach einem bestimmten Vomhundertsatz der Auftragssumme je Kalender-, Werk- oder Arbeitstag richtet, eine Begrenzung nach oben auf weisen, wenn sie der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG standhalten soll (Fortführung von Senatsurteilen BGHZ 85, 305; NJW 1987, 380 u. vom 22. Oktober 1987 – VII ZR 167/86 = BauR 1988, 86 = ZfBR 1988, 84).

 

Normenkette

AGBG §§ 9, 24

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 23.10.1987; Aktenzeichen 19 U 61/87)

LG Köln (Urteil vom 23.01.1987; Aktenzeichen 87 O 18/86)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 23. Oktober 1987 aufgehoben, soweit die Beklagte und ihre Streithelferin beschwert sind.

Die Klägerin hat 1/9 der Gerichtskosten und 1/3 der außergerichtlichen Auslagen der Parteien im Revisionsverfahren zu tragen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die restlichen Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich derer der Streithelferin der Beklagten, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin beauftragte die Beklagte 1984 und 1985 mit der Errichtung von Sicherheitsanlagen in K.-W., K.-M. und K.-R..

Die von den Architekten der Klägerin in deren Auftrag gestellten „Besonderen Bedingungen” enthalten in Ziffer 3.61 zu allen drei Verträgen folgende Regelung:

„… Bei Überschreitung des festgesetzten Termines durch den Auftragnehmer ist der Auftraggeber berechtigt, ohne Inverzugsetzung für jeden Kalendertag der Überschreitung … DM als Vertragsstrafe ohne Nachweis eines Schadens geltend zu machen.

Darüberhinaus haftet der Auftragnehmer für die Mehrkosten, die dem Auftraggeber aus der Terminüberschreitung erwachsen, insbesondere für Kosten, die durch Überstunden, Nachtarbeit und Sonntagsarbeit der nachfolgenden Handwerker entstehen, sowie für Finanzierungskosten und Mietausfall.

Die Geltendmachung der Vertragsstrafe ist nicht an eine Frist gebunden, sie braucht nicht bei der Abnahme vorbehalten zu werden, sie kann bei der Schlußrechnung in Abzug gebracht werden.”

Die jeweiligen „Verhandlungsprotokolle”, die den Vertragsschluß festhalten, sehen für das Objekt K.-W. (Nettoangebot: 18.052,63 DM) eine Vertragsstrafe von „0,3 % der Brutto-Schlußrechnungssumme je Werktag 61,74”, für die Anlage K.-M. (Nettoangebot; 6.405,40 DM) eine Vertragsstrafe von „0,3 % der Brutto-Schlußrechnungssumme je Werktag” und für das dritte Vorhaben (Nettoangebot: 29.178,96 DM) eine Vertragsstrafe von „0,3 % der Brutto-Schlußrechnungssumme je Werktag 99,79” vor.

Die Klägerin fordert wegen verspäteter Fertigstellung aller drei Anlagen eine Vertragsstrafe von (im Berufungsrechtszug noch) insgesamt 43.107,13 DM. Weitere 39.177,89 DM verlangt sie (jetzt noch) als Schadensersatz, weil sie wegen des Verzugs der Beklagten die Objekte habe bewachen lassen müssen, darüberhinaus 1.687,20 DM für zusätzliche Abnahmekosten.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Widerklage Werklohnforderungen von (jetzt noch) 43.673,83 DM nebst Zinsen. In dieser Höhe hat das Landgericht ihren Anspruch für berechtigt gehalten, von dem Betrag allerdings Vertragsstrafenansprüche von 40.575,06 DM abgesetzt und der Widerklage somit nur in Höhe von 3.098,77 DM nebst Zinsen stattgegeben.

Die Klägerin hat ihren Anspruch von insgesamt 83.972,22 DM in Höhe von 36.278,12 DM – insoweit erkennt sie die Werklohnforderung der Beklagten an – gegen den Widerklageanspruch aufgerechnet und vor dem Berufungsgericht noch die Zahlung von 47.694,70 DM nebst Zinsen beantragt. Die Beklagte hat dagegen mit ihrer Berufung die Widerklage in Höhe von insgesamt 43.673,83 DM nebst Zinsen weiterverfolgt.

Das Berufungsgericht hat beide Rechtsmittel zurückgewiesen.

Mit ihrer – angenommenen – Revision, die die Klägerin zurückzuweisen bittet, verfolgt die Beklagte, unterstützt von ihrer Streithelferin, ihren Berufungsantrag weiter. Die Klägerin hatte dagegen zunächst mit ihrer Anschlußrevision weiterhinzusätzlichen Schadensersatz von insgesamt 40.864,49 DM gefordert. Der Senat hat die Anschlußrevision jedoch nicht angenommen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht unterstellt die Vertragsstrafenvereinbarung zwar dem AGBG, hält die getroffene Regelung aber für wirksam. Alle drei Verträge beträfen keine größeren Objekte, so daß auch bei der Zeitplanung nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen gewesen sei. Deshalb – und auch wegen der kurzen vertraglichen Fertigstellungsfristen von 3-5 Wochen – habe nichts dafür gesprochen, daß es zu einer außergewöhnlichen Verzugsdauer kommen könnte, die zum Verlust eines erheblichen Teils des Werklohnanspruchs führen würde. Vielmehr habe die zeitlich unbegrenzte Vertragsstrafenvereinbarung hier nur wegen des (gemessen an der vereinbarten Fertigstellungszeit) ungewöhnlich langen Verzugszeitraumes zu einschneidenden Verlusten beim Werklohn geführt.

Die Tatsache, daß die Klausel, die in Ziff. 3.61 der „Besonderen Bedingungen” ein Verschulden voraussetze, die Klägerin jedoch von dem Erfordernis der Mahnung freistelle, führe allein nicht zur Unwirksamkeit der Klausel. Auch wenn man berücksichtige, daß die Parteien für die Anlagen K.-W. und K.-R. keine Leistungszeit wirksam vereinbart hätten, sei die Leistung jedenfalls in dem Augenblick fällig geworden, als die Beklagte sie zum 22. März 1985 als fertig zur Abnahme angeboten habe. Ob von diesem Zeitpunkt an auch Verzug nach § 284 BGB vorliege, sei dabei ohne Bedeutung.

Soweit die Klägerinzusätzlich zur Vertragsstrafe Schadensersatz fordere, gehe das dagegen fehl, weil der Klägerin ein derartiger Anspruch neben der Vertragsstrafe nur zustehen könnte, wenn er die Vertragsstrafe überschreiten würde. Das sei aber nicht der Fall, da die Klägerin einen die Vertragsstrafe von insgesamt 40.575,06 DM übersteigenden Schadensersatzanspruch nicht schlüssig vorgetragen habe.

II.

Das hält hinsichtlich des Rechtsmittels der Beklagten, über das allein noch zu entscheiden ist, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, ist es nach dem Inkrafttreten des AGBG – jedenfalls beigrößeren Aufträgen – im Hinblick auf § 9 AGBG unzulässig, Bauverträge mit einer formularmäßigen Strafklausel zu versehen, die jede Differenzierung nach den in Betracht kommenden Verzugsauswirkungen vermissen läßt und keine Begrenzung nach oben aufweist (so zuletzt Urteil vom 22. Oktober 1987 – VII ZR 167/86 = BauR 88, 86 = ZfBR 88, 84 m.N.).

2. Allerdings haben die hier zu beurteilenden Verträge nur einen geringeren Auftragsumfang, so daß auf sie die bisherige Senatsrechtsprechung nicht unmittelbar angewendet werden kann.

Der in den ergangenen Entscheidungen enthaltene „Vorbehalt” bedeutet jedoch nicht, daß für den hier vorliegenden Fall grundsätzlich etwas anderes zu gelten hätte. Er beruht vielmehr allein darauf, daß der Senat sich bisher nur mit der Rechtslage bei größeren Aufträgen zu befassen hatte. Trotz gewisser Unterschiede in beiden Fallgruppen entscheidet er die bisher offengehaltene Frage jetzt dahingehend, daß auch Verträge mitgeringerem Auftragsumfang den gleichen Einschränkungen unterliegen, wie sie für formularmäßige Vertragsstrafenvereinbarungen bei größeren Aufträgen entwickelt worden sind.

a) Der Senat hat zwar darauf hingewiesen, daß größere Objekte einer genauen Zeitplanung häufig nur schwer zugänglich sind und schon bei geringem Verschulden langfristige Verzögerungen auftreten können (BGHZ 85, 305, 313).

Doch abgesehen davon, daß bereits eine praktikable Grenzziehung zwischen kleineren und größeren Aufträgen im Einzelfall auf Schwierigkeiten stoßen kann, rechtfertigt das allein auch deshalb keine unterschiedliche Handhabung, weil sich derartige Probleme durchaus nicht selten auch bei kleineren Aufträgen ergeben. Die Inhaltskontrolle nach dem AGBG darf aber bei Klauseln gleichen Inhalts nicht zu stark auf die Umstände des einzelnen Vertrages abstellen, wenn sie zu berechenbaren Ergebnissen führen soll. Das gilt umsomehr, als die Vielschichtigkeit der Vertragsverhältnisse und des Bauablaufs kaum eine allgemeine Schadensprognose zuläßt (Knacke, Die Vertragsstrafe im Baurecht (1988), S. 44/46 und 48/49; vgl. auch Kapellmann/Langen BB 1987, 560, 563). Daß im übrigen ein geringes Verschulden des Auftragnehmers auch bei kleineren Aufträgen zu erheblichen Verzögerungen und damit nach dem „Klauselwerk” zu einem entsprechend hohen Verlust an Werklohn führen kann, macht der hier gegebene Sachverhalt deutlich.

Auch der Umstand, daß eine nach prozentualen Anteilen der Auftragssumme bemessene, zeitlich unbegrenzte Vertragsstrafe die Verzugsfolgen bei höheren Auftrags summen erfahrungsgemäß eher überschreitet als bei kleineren Aufträgen (Senatsurteil BGHZ 85, 305, 313), ändert nichts daran, daß unbegrenzte Vertragsstrafen auch bei kleineren Auftragssummen durchaus zur „Schöpfung neuer Geldforderungen” führen können.

Deshalb gilt, was der Senat schon für die Vereinbarung von verhältnismäßigniedrigen Vomhundertsätzen angenommen hat (BauR 1988, 86, 87 = ZfBR 1988, 84, 85), ebenso für formularmäßige Strafklauseln beikleineren Bauaufträgen: Eine angemessene Begrenzung nach oben ist schlechthin unverzichtbar, um der Gefahr vorzubeugen, daß ein von vornherein nicht überschaubarer erheblicher Teil des Werklohns – in welchem Zeitraum auch immer – durch eine etwa verfallene Vertragsstrafe aufgezehrt werden könnte.

b) Unterliegen damit die hier zu beurteilenden, formularmäßigen Strafklauseln auch bei kleineren Aufträgen den angeführten Einschränkungen, sind sie bereits wegen des Fehlens jeder Begrenzung gemäß § 9 AGBG unwirksam (ebenso Knacke aaO, S. 48, und wohl auch Korbion/Locher, AGB-Gesetz und Bauerrichtungsverträge (1987), Rdn. 95, sowie Vygen/Schubert/Lang, Bauverzögerung und Leistungsänderung (1988), Rdn. 51; vgl. auch Ingenstau/Korbion, VOB, 11. Aufl., A § 12 Rdn. 22). Damit kann offen bleiben, ob ihrer Wirksamkeit nicht außerdem entgegensteht, daß der Auftraggeber nach dem Inhalt der Klausel die Vertragsstrafe „ohne Inverzugsetzung” geltend machen kann. Ebensowenig bedarf es einer Entscheidung darüber, ob nach dem Text der Klausel wirklich davon ausgegangen werden kann, daß die Vertragsstrafe verschuldensabhängig sein sollte.

3. Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben.

Der Senat kann jedoch nicht abschließend zur Sache entscheiden, weil das Berufungsgericht über die nun wieder „auflebenden” Schadensersatzansprüche aus Verzug noch nicht endgültig befunden hat. Vielmehr haben beide Vorinstanzen insoweit lediglich ausgeführt, daß die Schadensersatzforderung jedenfalls nicht höher als der zuerkannte Vertragsstrafenanspruch ist, weil der weitergehende Vortrag nicht schlüssig sei. – Darüberhinaus fehlt bisher jedenfalls für die Bauvorhaben K.-R. und K.-W. – nur insoweit beanstandet das die Revision – eine ordnungsgemäße Feststellung der Verzugsvoraussetzungen. Da nämlich die Klausel, auf die sich das Berufungsgericht beruft, hinfällig ist, kommt es insoweit – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – doch darauf an, ob die Voraussetzungen des § 284 BGB erfüllt sind.

Bei dieser Lage ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die noch offenen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Teil-Kostenentscheidung hinsichtlich der Anschlußrevision der Klägerin beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO; zur – nicht angenommenen – Anschlußrevision hatte die Streithelferin der Beklagten keinen Antrag angekündigt.

 

Unterschriften

G, B, RiBGH O ist im Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben. G, Q, T

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 19.01.1989 durch Werner Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 512634

NJW-RR 1989, 527

ZIP 1989, 243

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