Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 27.04.1994)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. April 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert Pflichtteilsergänzung vom Beklagten, ihrem Bruder.

Die am 4. Mai 1988 verstorbene Mutter der Parteien (Erblasserin) hatte mit Testamenten vom 15. Juni 1984 und 7. Juni 1986 den Beklagten zu ihrem Alleinerben bestimmt und der Klägerin den Pflichtteil entzogen. Etwa drei Monate nach der letztwilligen Verfügung vom 15. Juni 1984 übertrug die Erblasserin dem Beklagten das von beiden gemeinsam bewohnte Hausgrundstück in M. zu Alleineigentum. Nach Ziffer V („Gegenleistungen”) des Übergabevertrages vom 5. September 1984 räumte der Beklagte der Erblasserin ein unentgeltliches lebzeitiges Wohnrecht an der Wohnung im Erdgeschoß des Hauses ein. Darüber hinaus wurde u.a. vereinbart, daß der Beklagte der Erblasserin als Gegenleistung für die Übergabe des Anwesens eine Darlehensschuld in Höhe von 40.000 DM, die in der Vergangenheit durch Geldleistungen des Beklagten an die Erblasserin für Prozeßkosten und Renovierungskosten entstanden sei, erläßt. Die Erblasserin erkannte zudem an, daß der Beklagte insbesondere während der vergangenen fünf Jahre Pflegeleistungen und Leistungen zur Erhaltung des Anwesens erbracht habe; sie sagte ihm hierfür eine Vergütung in Höhe eines Betrages von 60.000 DM zu, der ebenfalls als Gegenleistung für die Überlassung des Grundstücks gelten sollte.

Die Erblasserin verfolgte in einem Rechtsstreit Ansprüche gegen ihre Schwester wegen des Nachlasses nach der Mutter der Erblasserin. Am 10. Dezember 1984 trat sie diese Ansprüche an den Beklagten ab. Der Rechtsstreit wurde durch einen Vergleich beendet, nach dessen Maßgabe u.a. die Schwester der Erblasserin an den Beklagten einen Betrag von 91.900 DM zu zahlen hatte.

Die Klägerin erachtet die Entziehung ihres Pflichtteils für unwirksam. Sie könne deshalb den Beklagten wegen Schenkungen der Erblasserin auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch nehmen. Die Übertragung des Hausgrundstücks auf den Beklagten stelle eine Schenkung dar, mit Rücksicht auf das der Erblasserin eingeräumte Wohnrecht eine solche unter einer Auflage. Die im Vertrag als Gegenleistungen angeführten Forderungen des Beklagten gegen die Erblasserin bestünden nicht. Auch soweit dem Beklagten die im Rechtsstreit der Erblasserin gegen deren Schwester geltend gemachte Forderung abgetreten und ihm in der Folge die Vergleichssumme zugeflossen sei, liege darin eine unentgeltliche Zuwendung, die ergänzungspflichtig sei. Ihr stehe deshalb ein Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe eines Betrages von 131.660,76 DM gegen den Beklagten zu.

Der Beklagte hält die Pflichtteilsentziehung für wirksam. Die Erblasserin habe mit der Grundstücksübertragung eine Anstandsschenkung vornehmen wollen. Unter Berücksichtigung seiner Gegenleistungen halte sich der Wert des Geschenks auch im Rahmen einer solchen Schenkung. Der Geltendmachung eines Ergänzungsanspruchs durch die Klägerin wegen des ihm nach dem Vergleich zugeflossenen Betrages stünden die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen; die Klägerin habe im Prozeß auf Seiten der Schwester der Erblasserin gestanden. Unter Berücksichtigung eines Vorausempfangs von 40.000 DM habe die Klägerin zudem bereits mehr erhalten, als ihr bei einem Pflichtteilsanspruch zustehen würde. Der Beklagte hat die Klägerin im Wege der Widerklage auf Rückzahlung eines (Teil-)Betrages von 1.000 DM in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat der Klage unter ihrer Abweisung im übrigen in Höhe eines Betrages von 108.655,52 DM nebst Zinsen stattgegeben; die Widerklage hat es abgewiesen. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben.

Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungs- und Widerklageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Revision rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe bei Bestimmung der Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs den hierfür maßgeblichen Wert des dem Beklagten von der Erblasserin im Wege der Schenkung übertragenen Hausgrundstücks nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die weiteren Angriffe der Revision bleiben dagegen ohne Erfolg.

1. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Klägerin zu dem Kreis der pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge der Erblasserin gehört, durch die Testamente vom 15. Juni 1984 und vom 7. Juni 1986 von der Erbfolge ausgeschlossen ist und deshalb gemäß § 2303 Abs. 1 BGB ihren Pflichtteil und – unter den Voraussetzungen des § 2325 BGB – auch Pflichtteilsergänzung verlangen kann, wenn die Erblasserin ihr den Pflichtteil nicht wirksam entzogen hat.

An einer wirksamen Pflichtteilsentziehung aber fehlt es, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt. Das gilt schon deshalb, weil es in rechtsfehlerfreier Würdigung des Parteivorbringens zu dem Ergebnis gelangt ist, der beweispflichtige Beklagte (§ 2336 Abs. 3 BGB) habe einen Entziehungsgrund nicht hinreichend substantiiert dargetan. Dazu weist das Berufungsgericht mit Recht darauf hin, daß es im Rahmen des hier in Rede stehenden Entziehungsgrundes nach § 2333 Nr. 2 BGB schon an ausreichendem Vortrag des Beklagten dazu fehlt, welches (vorsätzliche) Verhalten der Klägerin im einzelnen negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Erblasserin gehabt haben soll. Hierfür reichte der dargelegte Zusammenhang des nicht näher erläuterten „Verhaltens” der Klägerin mit den Erbauseinandersetzungen der Erblasserin mit deren Schwester ebenso nicht aus wie die Behauptung, die Klägerin habe sich dabei auf die Seite der Schwester der Erblasserin gestellt. Fehlt es aber schon insoweit an hinreichender Substantiierung, was die Klägerin zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Zielrichtung getan haben soll, ist erst recht nicht ausreichend dargetan, daß die Klägerin bei diesem „Verhalten” mit dem zumindest bedingten Vorsatz handelte, die Erblasserin an der Gesundheit zu schädigen. Es kann der Revision auch nicht zum Erfolg verhelfen, wenn sie rügt, das Berufungsgericht habe den Inhalt eines Briefes der Erblasserin an die Klägerin vom 31. August 1983 nicht in seine Erwägungen eingestellt. Selbst wenn sich – wie die Revision meint – daraus ein Zusammenhang zwischen dem „Verhalten” der Klägerin und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Erblasserin entnehmen ließe, ergibt sich auch aus ihm kein konkreter Anhalt dafür, was im einzelnen die Klägerin im Rahmen der Erbauseinandersetzung mit der Schwester der Erblasserin getan haben soll. Auch unter Berücksichtigung des Inhalts des Briefes fehlt es daher insgesamt an ausreichendem Sachvortrag des Beklagten zu den Voraussetzungen des § 2333 Nr. 2 BGB; eine Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht war demgemäß entgegen der Auffassung der Revision nicht veranlaßt.

Auch was den Entziehungsgrund gemäß § 2333 Nr. 3 BGB anlangt, geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, daß der Beklagte dessen Voraussetzungen nicht hinreichend substantiiert dargetan hat; die Revision erinnert insoweit auch nichts.

2. Das Berufungsgericht nimmt an, die Übertragung des Hausgrundstücks auf den Beklagten stelle eine ergänzungspflichtige Schenkung (§ 2325 BGB) dar. Das trifft zu.

a) Das Berufungsgericht legt den Übergabevertrag vom 5. September 1984 dahin aus, das der Erblasserin vom Beklagten eingeräumte Wohnrecht bilde keine Gegenleistung für die Übertragung des Hausgrundstücks, vielmehr handele es sich mit Blick auf das Wohnrecht um eine Schenkung unter einer Auflage (§ 525 BGB). Bedeutsam sei insoweit, daß der Beklagte der Erblasserin das Wohnrecht aus dem ihm zuvor übertragenen Grundstück, also auf der Grundlage der zuvor erfolgten Zuwendung, habe verschaffen sollen. Diese rechtlich mögliche Auslegung (vgl. BGHZ 107, 156, 160) durch das Berufungsgericht zieht auch die Revision nicht in Zweifel.

b) Nach Auffassung des Berufungsgerichts stellt sich das Rechtsgeschäft aber auch des weiteren – trotz der im Vertrag unter Ziffer V als solche bezeichneten Gegenleistungen – als im vollen Umfang unentgeltlich dar.

aa) Unter Berücksichtigung aller Umstände sei von einem Scheingeschäft (§ 117 BGB) auszugehen, soweit die Erblasserin dem Beklagten für während der vergangenen fünf Jahre erbrachte Pflegeleistungen und persönliche Leistungen zur Erhaltung des Anwesens zunächst mit der vertraglichen Regelung selbst eine Vergütung von 60.000 DM verspreche, diese Schuld aber zugleich – nunmehr als Gegenleistung – wieder erlassen werde. Diese Würdigung des Berufungsgerichts greift die Revision nicht an; sie läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

bb) Ohne Erfolg bekämpft die Revision aber auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, wonach auch trotz des in Ziffer V des Übergabevertrages vereinbarten Erlasses einer Darlehensschuld der Erblasserin in Höhe von 40.000 DM von der Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäfts auszugehen sei.

Das Berufungsgericht führt dazu aus, der Beklagte sei bereits der Behauptung der Klägerin, wonach er in der Vergangenheit gar nicht in der Lage gewesen sei, der Erblasserin darlehensweise Geldbeträge zur Verfügung zu stellen, nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten. Auch auf Aufforderung der Klägerin habe er nichts dazu vorgetragen, wann und in welchen Teilbeträgen das behauptete Darlehen gewährt worden sei. Die Aufnahme der Darlehensschuld in den Übergabevertrag beweise das Bestehen von Darlehensansprüchen nicht.

Wenn die Revision letzterem entgegenhält, die dem notariellen Übergabevertrag zukommende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit müsse auch für die darin getroffene Feststellung gelten, daß die Erblasserin darlehensweise den genannten Geldbetrag erhalten habe, trifft das nicht zu. § 416 ZPO greift hier ohnehin nicht ein; diese Beweisregel erfaßt den Inhalt der Erklärung nicht. Aber auch die von der Revision herangezogene Vermutung besteht nur im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien, nicht gegenüber Dritten (BGHZ 109, 240, 245); Vertragsparteien aber sind die Erblasserin und der Beklagte, nicht die Klägerin.

Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Revision aber auch die Darlegungs- und Beweislast nicht verkannt. Allerdings ist es Sache des Pflichtteilsberechtigten, im Rahmen des Anspruchs nach § 2325 BGB zu beweisen, daß die Übertragung des Grundstücks unentgeltlich erfolgt ist. Er muß demgemäß beweisen, daß der Leistung des Erblassers keine Gegenleistung – hier der behauptete Erlaß einer Darlehensschuld der Erblasserin – gegenübersteht. Das Nichtbestehen einer solchen Darlehensverbindlichkeit und damit das Fehlen einer Gegenleistung zu beweisen, ist für den Pflichtteilsberechtigten aber dann mit kaum überwindbaren Schwierigkeiten verbunden, wenn er als Dritter von den insoweit wesentlichen Tatsachen keine Kenntnis hat, weil das der behaupteten Gegenleistung zugrundeliegende Rechtsgeschäft allein im Verhältnis zwischen dem Erblasser und seinem Vertragspartner vollzogen worden sein soll. Solche Beweisschwierigkeiten des Pflichtteilsberechtigten bergen die Gefahr, daß der Erblasser und sein Vertragspartner den Rechtsfolgen des § 2325 BGB dadurch zu entgehen versuchen könnten, daß in der Vergangenheit unentgeltlich gewährte Leistungen im Rahmen des für den Anspruch aus § 2325 BGB maßgeblichen Vertrages nachträglich zu „Gegenleistungen” erklärt werden (vgl. Senatsurteil vom 15. März 1989 – IVa ZR 338/87 – LM BGB Nr. 23 zu § 2325). In solchen Fällen ist den Beweisschwierigkeiten dadurch Rechnung zu tragen, daß es zunächst Sache des über die erforderlichen Kenntnisse verfügenden Anspruchsgegners ist, die für die Begründung der Gegenleistung maßgeblichen Tatsachen im Wege des substantiierten Bestreitens der Unentgeltlichkeit vorzutragen (vgl. Senatsurteil aaO, unter 3 a.E.; vgl. auch BGHZ 86, 23, 29; 100, 190, 195). Diese Verteilung von Darlegungs- und Beweislast gilt auch im vorliegenden Falle. Die unter Ziffer V des Übergabevertrages enthaltenen Angaben, wonach der Beklagte der Erblasserin „in der Vergangenheit außerhalb des laufenden Unterhaltsbedarfs darlehensweise Geldleistungen in Höhe von 40.000 DM (u.a. zur Finanzierung eines Zivilprozesses und für umfangreiche Hausreparaturen)” erbracht habe, sind so unbestimmt, daß sie allein der Klägerin den Beweis, der Beklagte habe ein Darlehen nicht gewährt, nicht ermöglichten. Demgemäß war es Sache des Beklagten – unbeschadet der Beweislast der Klägerin für die behauptete Schenkung – substantiiert vorzutragen, zu welchen Zeitpunkten und zu welchem der genannten Zwecke er der Erblasserin welche Geldbeträge gewährt hat und daß er sich mit der Erblasserin über deren Rückzahlung einig war. An solchem Vortrag hat es der Beklagte fehlen lassen und damit die Unentgeltlichkeit schon nicht substantiiert bestritten.

c) Das Berufungsgericht geht schließlich rechtsfehlerfrei auch davon aus, bei der Übertragung des Grundstücks habe es sich nicht um eine Schenkung im Sinne des § 2330 BGB gehandelt.

Die Annahme einer sogenannten Anstandsschenkung (vgl. Senatsurteil vom 7. März 1984 – IVa ZR 152/82 – NJW 1984, 2939 unter II, 2) kam im vorliegenden Falle schon mit Rücksicht auf den Wert des Grundstücks und die Tatsache, daß es sich bei ihm um den wesentlichen Teil des Vermögens der Erblasserin handelte, nicht in Betracht. Aber auch die tatrichterliche Wertung, die Schenkung habe, nachdem die Erblasserin den Beklagten zuvor bereits zu ihrem Alleinerben bestimmt hatte, nicht einer sittlichen Pflicht der Erblasserin entsprochen, hält den Revisionsangriffen stand. Das Berufungsgericht hat insoweit die anzulegenden Maßstäbe unter Bezug auf die Senatsrechtsprechung (aaO, unter II, 3, 4; Urteil vom 9. April 1986 – IVa ZR 125/84 – FamRZ 1986, 1079) zutreffend aufgezeigt; seine Wertung berücksichtigt sie und hält sich in ihrem Rahmen.

Die Revision meint, das Berufungsgericht habe bei seinen Erwägungen, ob der Gesichtspunkt einer Alterssicherung für den Beklagten die Schenkung als sittlich geboten erscheinen lassen könne, nicht ausreichend beachtet, daß es für den gesundheitlich behinderten und in einer beruflichen Tätigkeit eingeschränkten Beklagten um Existenzsicherung schlechthin gegangen sei. Das stellt die tatrichterliche Wertung aber nicht in Frage. Denn der Beklagte hat nicht dargelegt, daß schon im Zeitpunkt der Eigentumsübertragung die Erlangung des Eigentums am Grundstück zur Sicherung seiner Existenz erforderlich war. Auch die Revision vermag das nicht aufzuzeigen, zumal es schon mit Rücksicht auf das der Erblasserin eingeräumte Wohnrecht bei der Schenkung nicht darum gehen konnte, dem Beklagten etwa eine sofortige Verwertung des Grundstücks zur Existenzsicherung zu ermöglichen. Aus der insoweit maßgeblichen Sicht der Erblasserin im Zeitpunkt der Schenkung mußte diese überdies davon ausgehen, daß die Klägerin nach der Entziehung des Pflichtteils im Testament vom 15. Juni 1984 keinen Zugriff auf das Grundstück selbst oder den in diesem verkörperten Wert mehr haben würde. Aus ihrer Sicht war der Beklagte demgemäß „gesichert”. Vor diesem Hintergrund konnte das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zu der Wertung gelangen, ein sittliches Gebot für die Erblasserin, dem Beklagten das Eigentum im Vorgriff auf die testamentarische Regelung sogleich schenkweise zu übertragen, habe nicht bestanden. Daß eine etwa mit der Schenkung verfolgte Absicht der Erblasserin, Zweifeln an der Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung durch eine Schmälerung des Nachlasses zu begegnen, nicht einer sittlichen Pflicht entsprechen kann, liegt auf der Hand.

3. Die Revision rügt allerdings mit Recht, das Berufungsgericht habe bei der Bestimmung der Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Klägerin den hierfür maßgeblichen Wert des dem Beklagten im Wege der Schenkung übertragenen Grundstücks nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.

a) In seine Berechnung des Anspruchs hat das Berufungsgericht den Wert des Hausgrundstücks mit 450.000 DM eingestellt. Diesen Wert hatte bereits der vom Landgericht beauftragte Sachverständige als für den 5. September 1984, den Tag der Beurkundung des Übergabevertrages, maßgeblichen Verkehrswert ermittelt. Der Rückgriff des Berufungsgerichts auf diesen Wert steht in mehrfacher Hinsicht nicht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 118, 49; 125, 395).

b) Das Berufungsgericht hat schon das Niederstwertprinzip des § 2325 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BGB nicht beachtet. Zur Feststellung des danach maßgeblichen Werts ist der Wert des Grundstücks bei Vollzug der Schenkung nach den Grundsätzen über die Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes auf den Tag des Erbfalles umzurechnen und in dieser Höhe dem Wert des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalles gegenüberzustellen. Maßgeblicher Stichtag für den Wert bei Vollzug der Schenkung ist der Tag der Umschreibung im Grundbuch (BGHZ 65, 75, 76). Das Berufungsgericht hat die insoweit erforderlichen Feststellungen bisher noch nicht getroffen.

c) Zudem kann dem Berufungsgericht auch in seiner Ansicht nicht gefolgt werden, der Wert des der Erblasserin vom Beklagten eingeräumten Wohnrechts habe bei der Wertbestimmung unberücksichtigt zu bleiben. Nach der Rechtsprechung des Senats sind im Rahmen der Pflichtteilsergänzung gemäß §§ 2325, 2329 BGB Schenkungen, bei denen dem Schenker Nutzungen des weggeschenkten Gegenstandes verbleiben, lediglich in dem Umfang in Ansatz zu bringen, in dem der Wert des weggeschenkten Gegenstandes den Wert der kapitalisierten verbliebenen Nutzung überstieg. Das gilt unabhängig davon, ob der Schenker sich Nießbrauch vorbehält oder ob dieser wie eine Gegenleistung des Beschenkten oder eine Auflage an ihn formuliert ist (BGHZ 118, 49, 51).

Liegt der für den Zeitpunkt des Schenkungsvollzuges (zunächst ohne Berücksichtigung des Wohnrechts) ermittelte Wert des Grundstücks unter dessen Wert im Zeitpunkt des Erbfalls und kommt es daher gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Zeitpunkt der Schenkung an, so ist der hierfür festgestellte Betrag aufzuteilen in den Wert des Wohnrechts, das die Erblasserin sich hat einräumen lassen, einerseits und den verbleibenden Wert des Grundstückseigentums andererseits. Nur den so ermittelten Restwert des Grundeigentums hat die Erblasserin im Zeitpunkt der Schenkung aus ihrem Vermögen ausgegliedert (vgl. BGHZ 125, 395, 397); dieser ist sodann unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes auf den Todestag der Erblasserin umzurechnen. Nur wenn der Wert des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalles der gemäß § 2325 Abs. 2 BGB maßgebliche Wert ist, bleibt das Wohnrecht unberücksichtigt.

4. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses, wie zuvor dargelegt, die im Rahmen des § 2325 Abs. 2 BGB gebotenen Feststellungen trifft und diesen bei Bestimmung der Höhe des Ergänzungsanspruchs Rechnung tragen kann.

 

Unterschriften

Dr. Schmitz, Römer, Dr. Schlichting, Terno, Seiffert

 

Fundstellen

NJW-RR 1996, 705

MittBayNot 1996, 307

ZEV 1996, 186

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