Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Beginn der 10-Jahresfrist des § 2325 III BGB bei Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt

 

Leitsatz (amtlich)

a) Eine Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB liegt vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im wesentlichen weiterhin zu nutzen.

b) Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den Nießbrauch uneingeschränkt vor, gibt er den „Genuß” des verschenkten Gegenstands nicht auf; eine Leistung des verschenkten Gegenstands im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB liegt daher (trotz Umschreibung im Grundbuch) nicht vor.

c) Auch wenn der Erblasser den „Genuß” des verschenkten Gegenstands bis zum Erbfall nicht entbehrt hat, kommt es für die Höhe des gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB zu berechnenden Pflichtteilsergänzungsanspruchs auf den (den Wert der vorbehaltenen Rechte übersteigenden) wirtschaftlichen Wert des im Zeitpunkt der Schenkung übertragenen Eigentums an, mag dieser Stichtag auch mehr als 10 Jahre vor dem Erbfall liegen (Bestätigung und Ergänzung von BGHZ 118, 49ff.).

 

Normenkette

BGB § 2325 Abs. 3 Hs. 1, Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Köln

LG Aachen

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlußrevision des Klägers das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. Mai 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, seiner Schwester, den Pflichtteil nach der am 13. Juni 1988 gestorbenen Mutter der Parteien. Sie ist von der Beklagten allein beerbt worden.

Die Erblasserin hatte durch notariellen Schenkungsvertrag vom 11. Dezember 1973 ein Miet- und Geschäftshaus sowie das von ihr bewohnte Einfamilienhaus der Beklagten übereignet, die am 20. März und 8. Mai 1974 im Grundbuch eingetragen wurde. An beiden Grundstücken hatte sich die Erblasserin den Nießbrauch vorbehalten. Ferner stand ihr ein Recht zum Rücktritt zu, falls die Beklagte vor ihr starb oder den Grundbesitz zu Lebzeiten der Erblasserin ohne deren vorherige Zustimmung veräußerte oder belastete. Der Anspruch auf Rückauflassung wurde durch Vormerkung gesichert.

Der Kläger meint, ihm stehe wegen der Grundstücksschenkungen ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu, weil die Erblasserin die Grundstücke wirtschaftlich betrachtet nicht schon mehr als zehn Jahre vor ihrem Tod aus ihrem Vermögen ausgegliedert habe. Außerdem macht der Kläger geltend, die Beklagte habe Geldbeträge von der Erblasserin geschenkt erhalten, aber auch unberechtigt von ihren Konten genommen, die jahrelang von der Beklagten verwaltet worden sind.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit wegen der Höhe an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger will mit der Anschlußrevision erreichen, daß die verschenkten Grundstücke dem Nachlaß mit ihrem Wert zur Zeit des Erbfalls hinzugerechnet werden ohne einen Abzug für die Rechte, die sich die Erblasserin vorbehalten hatte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht; die Anschlußrevision des Klägers hat keinen Erfolg.

I.

Mit Recht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB hier verneint. Nach dieser Vorschrift bleibt für den Pflichtteilsergänzungsanspruch eine Schenkung des Erblassers unberücksichtigt, wenn zur Zeit des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstands verstrichen sind. Die insoweit gegen das Berufungsurteil erhobenen Rügen greifen nicht durch.

1. Allerdings geht der Senat in seiner Rechtsprechung zum Niederstwertprinzip (§ 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB) davon aus, daß die Schenkung eines Grundstücks unter Nießbrauchsvorbehalt lediglich in dem Umfang ergänzungspflichtig ist, in dem der Grundstückswert den Wert des dem Erblasser verbliebenen Nießbrauchs übersteigt (BGHZ 118, 49ff.; Urteil vom 30. Mai 1990 – IV ZR 254/88 – WM 1990, 1637f.). Daran ist festzuhalten auch im Hinblick auf die in der Literatur (aus unterschiedlichen Gründen) weiterhin vertretene Kritik (zuletzt insbesondere Soergel/Dieckmann, BGB 12. Aufl. § 2325 Rdn. 38f.; Reiff, FamRZ 1992, 803f.). Für die Bewertungsvorschrift des § 2325 Abs. 2 BGB ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten. Daher ist zu fragen, wieviel das Grundstück (inflationsbereinigt) im Zeitpunkt der Schenkung wert gewesen ist, wenn es in Geld umgesetzt worden wäre. Liegt dieser Betrag unter dem Wert beim Erbfall und kommt es daher gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Zeitpunkt der Schenkung an, ist der Betrag aufzuteilen in den Wert des Nießbrauchs, den sich der Erblasser vorbehalten hat, einerseits und den verbleibenden Wert des Grundstückseigentums andererseits. Für letzteren kommt es auch auf die Aussicht des Beschenkten an, die uneingeschränkte Nutzung beim Erbfall zu erlangen. Nur den so ermittelten Restwert des Grundeigentums hat der Erblasser im Zeitpunkt der Schenkung wirtschaftlich aus seinem Vermögen ausgegliedert.

2. Diese Grundsätze lassen sich entgegen der Ansicht der Revision jedoch nicht auf § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB übertragen. In den obengenannten beiden Entscheidungen zum Niederstwertprinzip hat der Senat bereits vermerkt, damit sei nicht gesagt, wie sich der Nießbrauchsvorbehalt auf den Beginn der Frist des § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB auswirke.

a) Von dem fiktiven Nachlaß, aus dem der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet wird, wollte der Gesetzgeber nur solche Schenkungen ausnehmen, deren Folgen der Erblasser längere Zeit hindurch zu tragen und in die er sich daher einzugewöhnen hatte. Darin sah der Gesetzgeber eine gewisse Sicherheit vor „böslichen” Schenkungen, durch die Pflichtteilsberechtigte benachteiligt werden sollen. Deshalb gilt eine Schenkung nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB geleistet, wenn der Erblasser den „Genuß” des verschenkten Gegenstands nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muß (BGHZ 98, 226, 232).

b) Der „Genuß” eines Hausgrundstücks besteht zwar auch in seinem wirtschaftlichen Wert, wie er für die Zwecke des § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB errechnet und aufgeteilt werden kann. Es wäre aber nicht nur vom Tatsächlichen her verfehlt, ein Hausgrundstück allein unter dem Gesichtspunkt seines in Geld bemessenen Tauschwertes zu sehen. Auch rechtlich gehört zum Eigentum neben der Möglichkeit, es zu veräußern (oder seine Veräußerung zu verbieten), die Befugnis, es zu nutzen, (anderen die Nutzung einzuräumen oder zu verwehren). Um das Ziel des Gesetzgebers zu erreichen, mit § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB nur solche Vermögensstücke aus der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs herauszunehmen, deren „Genuß” der Erblasser schon zehn Jahre vor dem Erbfall entbehrt hat, kann jedenfalls im vorliegenden Fall nicht von einer Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB ausgegangen werden.

Eine Leistung in diesem Sinne kommt bei einer Grundstücksschenkung frühestens mit der Umschreibung im Grundbuch in Betracht (BGHZ 102, 289ff.). Wird bei der Schenkung aber – wie hier – der Nießbrauch uneingeschränkt vorbehalten, ist der „Genuß” des verschenkten Gegenstands nicht aufgegeben worden. Darüber hinaus hatte sich die Erblasserin hier im Schenkungsvertrag verpflichtet, auch außergewöhnliche Reparaturen sowie die Vermögenssteuer zu bezahlen. ob sie sich später daran gehalten hat, ist für die Rechtslage ohne Bedeutung. Eine Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB liegt deshalb hier nicht vor.

Daß die Umschreibung im Grundbuch danach nicht in jedem Fall als Leistung gemäß § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB zu werten ist, löst die Konturen dieses Begriffs nicht auf (so aber MK/Frank, BGB 2. Aufl. § 2325 Rdn. 24). Eine Leistung in diesem Sinne liegt vielmehr vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im wesentlichen weiterhin zu nutzen.

3. Aus dem Umstand, daß die Erblasserin die Nutzung hier bis zu ihrem Tode nicht entbehrt hat, folgt zwar, daß die Grundstücke dem Pflichtteilsergänzungsanspruch unterliegen. Das bedeutet aber nicht, daß der Erbfall der für ihre Bewertung maßgebliche Stichtag sei, wie der Kläger meint. Das Berufungsgericht hat vielmehr richtig erkannt, daß insoweit § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB anzuwenden ist. Danach ist zunächst zu prüfen, ob die Grundstücke ohne Berücksichtigung der vorbehaltenen Rechte im Zeitpunkt der Umschreibung im Grundbuch inflationsbereinigt weniger wert waren als beim Erbfall (dazu vgl. BGHZ 118, 49, 50). Ist das der Fall, kommt es auf die Differenz zwischen dem Grundstückswert und dem Wert der vorbehaltenen Rechte im Zeitpunkt der Umschreibung im Grundbuch an, mag dieser Stichtag auch mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall liegen.

Die unterschiedlichen Zielvorgaben des Gesetzgebers zu § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB einerseits und zu § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB andererseits lassen eine Auslegung dieser Vorschriften von einem einheitlichen Ansatz her nicht zu (so auch Soergel/Dieckmann a.a.O. § 2325 Rdn. 36).

II.

Das Berufungsurteil kann jedoch wegen Verfahrensfehlern nicht bestehenbleiben.

1. Das Landgericht hatte alle Ansprüche des Klägers, die sich nicht auf die beiden Grundstücksschenkungen stützen, als unsubstantiiert abgewiesen. Insoweit hat der Kläger in der Berufungsinstanz sein Vorbringen zum Teil fallengelassen, weithin aber nach Auswertung von Unterlagen (u.a. aus einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte) auf eine neue Grundlage gestellt. Er hat nunmehr acht, zum Teil in erster Instanz noch nicht vorgetragene Sachverhalte behauptet, aus denen sich jeweils die Schenkung eines Geldbetrages oder eine unberechtigte Entnahme der Beklagten von den Konten der Erblasserin ergeben soll. Ob die Klage auch bezüglich dieser Ansprüche dem Grunde nach gerechtfertigt ist, hat das Berufungsgericht nicht geprüft. Vielmehr ist es der Meinung, insoweit handle es sich nur um weitere Posten eines einheitlichen Pflichtteilsanspruchs, deren Begründetheit das Landgericht nach Zurückverweisung des Rechtsstreits zu prüfen habe.

2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.

a) Die Klageforderung stützt sich auf mehrere, voneinander unabhängige Sachverhalte, aus denen sich neben weiteren Pflichtteilsergänzungsansprüchen auch ein Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil herleiten läßt. Daß der Kläger den Zahlungsantrag aus der Summe aller von ihm behaupteten Teile des realen und fiktiven, d.h. für S 2325 BGB erheblichen Nachlasses errechnet, ändert nichts daran, daß durch Teilurteil über den Pflichtteilsanspruch einerseits und die Pflichtteilsergänzungsansprüche des Klägers andererseits entschieden werden könnte. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, daß sich aus den vom Kläger behaupteten Aktiva etwa wegen Nachlaßverbindlichkeiten kein ebenso großer Nachlaßwert ergäbe, so daß die Entscheidung über ein Aktivum nicht unabhängig von dem Rest und damit nicht durch Teilurteil ergehen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1963 – III ZR 87/63 – NJW 1964, 205). Mithin liegen hier mehrere, prozessual selbständige, im Wege objektiver Klagenhäufung (§ 260 ZPO) im vorliegenden Verfahren miteinander verbundene Ansprüche vor und nicht etwa unselbständige Rechnungsposten eines einheitlichen Anspruchs (zur materiell-rechtlichen Selbständigkeit von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch vgl. BGHZ 103, 333, 337).

b) Bei einem Klagebegehren, das sich aus mehreren Teilansprüchen zusammensetzt, kann ein einheitliches Grundurteil nur ergehen, wenn feststeht, daß jeder Teilanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist (BGHZ 89, 383, 388; Urteil vom 30. November 1989 – IX ZR 249/88 – NJW 1990, 1366ff. unter 1 b aa). Das Berufungsgericht hat die weiteren, nicht auf die Grundsstücksschenkungen gestützten Ansprüche aber nicht geprüft. Deshalb war sein ausdrücklich auf den Rechtsstreit „insgesamt” bezogenes Grundurteil unzulässig.

c) Eine Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt nur in Betracht, wenn bei einem nach Grund und Betrag streitigen Anspruch die Fragen zur Höhe des Anspruchs in erster Instanz ungeprüft geblieben sind, also das Urteil erster Instanz sich gewissermaßen einen Teil des Prozeßstoffs vorbehalten hat (BGHZ 71, 226, 232f.; Urteil vom 24. November 1987 – VI ZR 42/87 – NJW 1988, 1984 unter II 1 a). Deshalb kann das Berufungsgericht den Rechtsstreit wegen eines erst in zweiter Instanz erhobenen Leistungsantrags auch dann nicht zur Prüfung der Höhe des Anspruchs zurückverweisen, wenn es den Grund bejaht (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1972 – II ZR 13/71 – WM 1973, 296, 298 unter 4).

Hier hat das Landgericht bereits über die Höhe der anderen, nicht auf die Grundstücksschenkungen gestützten Ansprüche des Klägers entschieden, soweit sie ihm schon unterbreitet worden waren, indem es das Fehlen eines substantiierten, zur Prüfung auch der Höhe des geforderten Betrags ausreichenden Klagevortrags festgestellt hat. Soweit der Kläger erst in zweiter Instanz neue Tatsachen behauptet hat, die zusätzliche Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche rechtfertigen könnten, hat er die Klage erweitert; deshalb kommt eine Zurückverweisung ebenfalls nicht in Betracht. Sie kann nicht mit Zweckmäßigkeitserwägungen gerechtfertigt werden, etwa um den Parteien die Würdigung des gesamten Streitstoffs durch zwei Tatsacheninstanzen zu erhalten, eine Aufsplitterung der Beweisaufnahme in zwei Instanzen zu vermeiden oder die Oberlandesgerichte zu entlasten; denn § 538 ZPO ist eine Ausnahme vom Grundsatz des § 537 ZPO (st. Rspr., vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 19. Juni 1985 – IVa ZR 114/83 – NJW 1985, 2945f. unter I 2; Urteil vom 24. November 1987 – VI ZR 42/87 – NJW 1988, 1984f. unter II 1 b, c und 2). Da das Berufungsgericht die weiteren, nicht auf die Grundstücksschenkungen gestützten Ansprüche des Klägers selbst abklären muß, wird es erneut zu prüfen haben, ob es die Durchführung der Beweisaufnahme auch im übrigen für sachdienlich hält (§ 540 ZPO).

 

Fundstellen

BGHZ 125, 395

BGHZ, 395

NJW 1994, 1791

FamRZ 1994, 885

DNotZ 1994, 784

JZ 1994, 1120

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