Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Straßenverkehr

 

Leitsatz (amtlich)

Der Ersatzanspruch des Geschädigten geht auch bei Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation frühestens im Zeitpunkt der Bewilligung der Leistungen auf die Bundesanstalt für Arbeit über (Ergänzung zu BGHZ 83, 245).

 

Normenkette

AFG § 127; AVAVG § 205; StVG § 7 Abs. 1, § 14

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 4. Mai 1982 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.

 

Tatbestand

Am 21. Februar 1966 wurde der damals 10-jährige Schüler Michael N. von dem Zweitbeklagten mit einem Pkw der Erstbeklagten angefahren und schwer verletzt. N. erlitt eine Gehirnerschütterung sowie einen Schambein- und einen Oberschenkelbruch, der zu einer leichten Verkürzung des linken Beines führte.

Nach einer im Jahre 1975 abgeschlossenen Lehre als Koch war N. zunächst bis 1978 in diesem Beruf tätig; seither arbeitet er im VW-Werk. Anfang 1979 beantragte er beim Arbeitsamt unter Vorlage eines ärztlichen Attestes, nach dem für ihn wegen der Gefahr einer zunehmend schweren Coxarthrose beidseits eine Tätigkeit überwiegend im Gehen und Stehen - wie z.B. als Koch - nicht geeignet erscheine, Leistungen für seine berufliche Rehabilitation.

Mit der am 12. Februar 1981 zugestellten Klage hat die Bundesanstalt für Arbeit (BAfA) aus übergegangenem Recht die Feststellung begehrt, daß beide Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr die Aufwendungen zu erstatten, die ihr aus der Gewährung von Leistungen für die berufliche Rehabilitation des N. entstehen. Die Beklagten haben sich auf Verjährung berufen.

Das Landgericht hat die begehrte Feststellung ausgesprochen. Auf die Berufung der Erstbeklagten (im folgenden: Beklagte) hat das Oberlandesgericht die gegen sie gerichtete Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die (zugelassene) Revision der Klägerin. Die Beklagte war im Revisionsrechtszug nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, ob die Beklagte aus § 7 Abs. 1 StVG für die Folgen des Unfalls haftet, ob und inwieweit N. auf Grund des Unfalls in seiner beruflichen Tätigkeit beeinträchtigt ist und ob ein Übergang von Ansprüchen des N. auf die Klägerin stattfinden kann, obwohl sie noch keine Rehabilitationsleistungen erbracht hat. Es meint, selbst wenn alle diese Fragen im Sinne der Klägerin beantwortet würden, könne die Klage keinen Erfolg haben, weil der geltendgemachte Anspruch verjährt sei. Da die zur Zeit des Unfalls geltende Vorschrift des § 205 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) keine Überleitung von Schadensersatzansprüchen für Rehabilitationsleistungen vorgesehen habe und eine solche Überleitungsvorschrift erst mit der Änderung des § 58 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) durch das am 1. August 1979 in Kraft getretene Fünfte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (5. AFG-ÄndG) und die hierdurch eingefügte Verweisung auf § 127 AFG geschaffen worden sei, könne ein Rechtsübergang auf die Klägerin frühestens am 1. August 1979 erfolgt sein. Zu diesem Zeitpunkt seien Schadensersatzansprüche des N. aus dem Unfall aber längst verjährt gewesen. Da die Verletzungen des N. nicht so geringfügig gewesen seien, daß mit Folgeschäden nicht habe gerechnet werden können, habe der Lauf der nach § 14 StVG a.F. zweijährigen Verjährung spätestens nach Abschluß der Heilbehandlung in den sechziger Jahren begonnen.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. Auf die Klägerin ist keine unverjährte Schadensersatzforderung des N. übergegangen.

1.

Im Zeitpunkt des Unfalls am 21. Februar 1966 galt für die Überleitung von Schadensersatzansprüchen auf die Klägerin die Vorschrift des § 205 AVAVG in der Fassung vom 3. April 1957 (BGBl. I S. 321). Hiernach ging ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens, der durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit erwachsen war, insoweit auf die Bundesanstalt über, als sie dem Entschädigungsberechtigten nach diesem Gesetz Leistungen zu gewähren hatte. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Es braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden, ob die Vorschrift des § 205 AVAVG nur dann eingriff, wenn das schädigende Ereignis Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit verursacht hatte und diese wiederum für den eingetretenen Schaden ursächlich waren, oder ob unter einem durch Arbeitslosigkeit entstandenen Schaden auch solche Aufwendungen verstanden werden können, die einen infolge des schädigenden Ereignisses drohenden Verlust von Arbeitseinkommen durch Arbeitslosigkeit verhindern sollen. Einem Übergang von Schadensersatzansprüchen des N. auf die Klägerin nach § 205 AVAVG stand jedenfalls der Umstand entgegen, daß die Klägerin dem N. nach diesem Gesetz keine Rehabilitationsleistungen zu gewähren hatte.

Ein Rechtsanspruch des N. auf Gewährung derartiger Leistungen war im Jahre 1966 deshalb nicht gegeben, weil Rehabilitationsmaßnahmen nach § 39 Abs. 3 Satz 1 AVAVG ausschließlich zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern zu treffen waren. Dies ergibt sich sowohl aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift als auch aus ihrer systematischen Stellung in dem die Arbeitsvermittlung regelnden Zweiten Abschnitt des Gesetzes (BSG 26, 155, 156 f). Der 10-Jährige Schüler N. war im Jahre 1966 aber weder Arbeitsuchender noch Berufsanwärter. Als Arbeitsuchender kann nur eine Person angesehen werden, die eine Tätigkeit ausüben kann, für die Arbeitskräfte eingestellt zu werden pflegen und die grundsätzlich vermittlungsfähig ist (BSG a.a.O. S. 158). Berufsanwärter ist eine Person, die einen Beruf ernsthaft anstrebt; ein Jugendlicher deshalb nur dann, wenn er sich Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen unterzieht, die dahin zielen, ihn zum Eintritt in das Berufsleben zu befähigen, nicht aber schon dann, wenn er noch eine (normale) Schule besucht (BSG SozR Nr. 3 zu § 39 AVAVG).

2.

Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis auch darin zu folgen, daß mit dem Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) noch keine Schadensersatzansprüche des N. auf die Klägerin übergegangen sind.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 23. März 1982 (BGHZ 83, 245) entschieden hat, geht der Ersatzanspruch des Geschädigten nach dem Wortlaut des § 127 AFG ("erwachsen") und dessen Normzweck frühestens im Zeitpunkt der Bewilligung von Leistungen auf die BAfA über. Hieran hält der Senat aus den dort dargelegten Gründen fest.

Entgegen der Auffassung der Revision kann auch dann, wenn es sich bei den Leistungen der BAfA nicht - wie in dem vorgenannten Fall (aaO) - um Arbeitslosengeld, sondern um die vom Schädiger nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 4. Mai 1982 - VI ZR 175/80 - LM § 249 (A) BGB Nr. 64 = VersR 1982, 767) grundsätzlich ebenfalls zu ersetzenden Kosten einer beruflichen Umschulung handelt, für den Anspruchsübergang kein früherer Zeitpunkt in Betracht kommen. Kann in den meisten Fällen schon nicht davon ausgegangen werden, daß der Geschädigte auf Grund seiner Verletzung den Arbeitsplatz verliert und die BAfA ihm deshalb Arbeitslosengeld zu zahlen hat, so ist es erst recht nicht die Regel, daß sie an ihn Leistungen zur beruflichen Rehabilitation erbringt, zumal sie auch nach dem Inkrafttreten des die Aufgaben der Rehabilitationsträger neu ordnenden Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1881) und des die Zuständigkeit der BAfA erweiternden Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes (20. RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl. I S. 1040) für derartige Maßnahmen nicht der alleinige Leistungsträger und gemäß § 57 AFG auch weiterhin nur nachrangig zuständig ist. Künftig zu erbringende Rehabilitationsleistungen der BAfA liegen umso ferner, wenn - wie hier - ein nicht der Arbeitslosenversicherung unterliegendes und damit noch in keinem Rechtsverhältnis zur BAfA stehendes Kind verletzt wird. In einem solchen Fall ist überhaupt noch nicht abzusehen, ob nach den konkreten Fähigkeiten des Verletzten im Zeitpunkt seiner späteren Berufsaufnahme Umschulungsmaßnahmen in Betracht kommen, oder ob der Geschädigte eine ihm bei der Art seiner Verletzungen ohne Rehabilitationsmaßnahmen mögliche Berufsausbildung wählen wird (vgl. OLG Köln VersR 1982, 780, 781; OLG Hamm VersR 1983, 1061; Plagemann VersR 1982, 218, 219). Deshalb lagen, wie die Revision zutreffend selbst vorträgt, im Zeitpunkt des Unfalls des damals 10-jährigen N. Maßnahmen beruflicher Rehabilitation seitens der BAfA allenfalls im Bereich des theoretisch Denkbaren. Solche nur theoretisch denkbaren Leistungen vermögen aber kein schutzwürdiges Interesse der BAfA an einem die gebotene schnelle Schadensbereinigung zwischen Schädiger und Geschädigtem erschwerenden Rechtsübergang bereits vor der Bewilligung der Leistungen zu begründen. Ob bei Schadensfällen nach dem 30. Juni 1983 deshalb ein früherer Anspruchsübergang erfolgt, weil § 127 AFG in der seither geltenden Fassung auf § 116 SGB X verweist und der Wortlaut dieser Norm ("zu erbringen hat") sich an die Vorschrift des § 1542 RVO anlehnt, bedarf hier keiner Entscheidung. Abgesehen davon, daß auch nach § 1542 RVO der Forderungsübergang nur dann schon mit dem Schadensereignis eintritt, wenn zu dieser Zeit bereits ein Sozialversicherungsverhältnis zu dem Verletzten besteht (BGHZ 48, 181, 188; vgl. auch Senatsurteil vom 8. November 1983 - VI ZR 214/82 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt), kann der gesetzlichen Neuregelung keine Bedeutung für Schadensfälle vor ihrem Inkrafttreten zukommen.

3.

Auch nach dem 1. Juli 1969 sind - jedenfalls vor Eintritt der Verjährung - keine Schadensersatzansprüche des N. auf die Klägerin übergegangen.

Wie die Revision nicht in Zweifel zieht, können Schadensersatzansprüche des N. gegen die Beklagte ihre Grundlage allein in der Vorschrift des § 7 Abs. 1 StVG finden. Solche Ansprüche verjährten nach § 14 StVG in der im Jahre 1966 geltenden Fassung in zwei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem N. von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangte. Die Kenntnis vom Schaden setzt nicht voraus, daß sämtliche Schadens folgen bereits übersehen werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats gelten dem Verletzten mit der allgemeinen Kenntnis vom Schaden auch diejenigen Schadensfolgen als bekannt, die im Zeitpunkt der Erlangung jener Kenntnis nur als möglich voraussehbar waren; von der Kenntnis nicht umfaßt sind lediglich solche Schadensfolgen, die sich erst später nach anscheinend ganz leichten Verletzungen unerwartet einstellen (vgl. Urteil vom 30. Januar 1973 - VI ZR 4/72 - LM § 852 BGB Nr. 45 = VersR 1973, 371; s. auch BGHZ 48, 181, 186 f). Da nach der Lebenserfahrung alle Knochenverletzungen - insbesondere Brüche - zu Komplikationen und Folgeschäden führen können (Senatsurteil vom 30. Januar 1973 aaO), war es nicht völlig unwahrscheinlich, daß N. auf Grund der am 21. Februar 1966 erlittenen Verletzungen Schwierigkeiten bei der späteren Berufsausübung haben würde. Ihm war daher der Schaden im Sinne des § 14 StVG a.F. wenn nicht schon am 21. Februar 1966, dann jedenfalls, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei feststellt, spätestens nach Abschluß der Heilbehandlung "in den sechziger Jahren" bekannt. Damit war spätestens am 31. Dezember 1971 und vor der Bewilligung von Leistungen seitens der Klägerin in seiner Person die Vollendung der Verjährung eingetreten.

 

Unterschriften

Dr. Hiddemann

Scheffen

Dr. Kullmann

Dr. Lepa

Bischoff

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456265

JR 1984, 511

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